VERKEHRSPOLITIK – EU-Klimaziele bis 2040 für Österreich unrealistisch

Verkehrspolitik – Eine Studie des „Kummer“-Instituts an der Wirtschaftsuniversität Wien im Auftrag des Zentralverbands der Spediteure (ZV) zeigt, dass Österreich die gesteckten Klimaziele der EU hinsichtlich Dekarbonisierung des Güterverkehrs nicht erreichen wird. Das Institut gibt daher die dringende Empfehlung an die österreichische Bundesregierung, frühzeitig verkehrspolitische Entscheidungen in Richtung nachhaltigen Transport zu treffen.

Mit der Verkehrspolitik der Bundesregierung erreicht Österreich nicht die EU-Klimaziele. (Foto: Erich Westendarp / www.pixelio.de
Mit der Verkehrspolitik der Bundesregierung erreicht Österreich nicht die EU-Klimaziele. (Foto: Erich Westendarp / www.pixelio.de

Der Güterverkehr in und durch Österreich wird bis 2040 um rund 45 Prozent zunehmen. Das ist ein Wachstum, das die Schiene auch bei einem maximalen Ausbau von Infrastruktur und Angebot nicht auffangen kann. Selbst wenn der vom Institut für Transportwirtschaft & Logistik an der Wirtschaftsuniversität Wien als „unrealistisch“ eingeschätzte, jedoch von Bahn und Verkehrspolitik angestrebte Anteil von 40 Prozent am Modal Split (2019: knapp 28 Prozent) erreicht wird, wird der Straßengüterverkehr bis 2040 um mehr als ein Fünftel wachsen. Das ergab eine jüngst veröffentlichte Studie des österreichischen Zentrums für Transportwirtschaft und Logistik, welche vom „Kummer“-Institut im Auftrag des Zentralverbandes für Speditionen (ZV) durchgeführt wurde.

Güterverkehr bleibt auf Straße

Das bedeutet, dass mit der gegenwärtigen Verkehrspolitik die Straße auch langfristig der wichtigste Verkehrsträger für den Transport von Gütern in Österreich bleiben wird und folglich im Mittelpunkt der Dekarbonisierung stehen muss. „Österreich braucht deshalb umgehend ein integriertes, an Klimazielen orientiertes Gesamtkonzept für die Gütermobilität auf Straße und Schiene“, fordert daher Studienleiter und Institutschef Sebastian Kummer und weiter: „Wenn Österreich die EU-Ziele zur Reduktion der CO2-Emissionen im Straßenverkehr erreichen will, besteht akuter Handlungsbedarf. Es braucht eine ganzheitliche Lösung für die Gütermobilität auf Straße und Schiene, Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung sowie umfassende Fördermaßnahmen für alternative Antriebsformen.“

Vorstellung der wesentlichen Ergebnisse der Modal-Studie zum Verlagerungspotential des Güterverkehrs

Die Studie ist ein dringender Apell an die österreichische Verkehrspolitik: Der steigender Güterverkehr erfordert politisches Gesamtkonzept und Maßnahmen für Klimaschutz für Straße und Schiene • 49 % …

Verkehrspolitik – Priorisierung des Personenverkehrs verhindert Schienengüterverkehr

Ein Grund für das ausgemachte Defizit im Schienengüterverkehr sieht S. Kummer dabei vor allem auch in der Priorisierung des Personenverkehrs auf der Schiene durch die österreichische Bundesministerin für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie, Leonore Gewessler. Dadurch werden dem Güterverkehr Schienenkapazitäten entzogen, welche sich auch langfristig durch Investitionen in die Schieneninfrastruktur nicht kompensieren lassen. „Ein Grund dafür sind die langatmigen Genehmigungsverfahren, welche für den Ausbau der Schiene notwendig sind“, so S. Kummer in einer Videopräsentation der Studie.

Und in der Tat: Die Kapazität der Schiene wird – nicht zuletzt durch den wachsenden Personenverkehr – selbst bei Realisierung aller geplanten Ausbaumaßnahmen ab 2030 an ihre Grenzen stoßen, so ein weiteres Ergebnis der Studie. Beim angestrebten Modal Split von 40 Prozent bis 2040 müsste daher der Schienengüterverkehr um 110 Prozent gegenüber 2019 wachsen. „Tatsächlich werden sich aber bereits bestehende Engpässe in Zukunft weiter verschärfen. Dazu zählen der Vorrang von Personenverkehr gegenüber Güterverkehr – zusätzlich ab Einführung des 1-2-3-Tickets – und daraus resultierende Stopps in Stoßzeiten, fehlende Überhol- und Ausweichgleise, Engpässe an Bahnhöfen und Umschlagspunkten, unzureichende Zubringer-Infrastruktur, mangelnde technologische Interoperabilität im internationalen Verkehr und administrative Hürden wie der vorgeschriebene Personalwechsel bei Grenzübertritten“, so das Kummer-Institut in einer Presseaussendung. Eine Modellrechnung im Rahmen der Studie am Beispiel der österreichischen Westbahnstrecke hat zudem gezeigt, dass bereits ab 80 Prozent der Kapazitätsauslastung ein zuverlässiger Gütertransport mehr fraglich ist.

„Amazonisierung“ überfordert Bahn

Die Priorisierung des Personenverkehrs auf der Schiene verhindert, dass Güter von der Straße auf die Schiene gelangen. (Foto: berggeist007 / www.pixelio.de)
Die Priorisierung des Personenverkehrs auf der Schiene verhindert, dass Güter von der Straße auf die Schiene gelangen. (Foto: berggeist007 / www.pixelio.de)

Ein weiterer Grund für die massive Zunahme des Straßengüterverkehrs in Österreich ist die „Amazonisierung“, die gerade in der Coronakrise zu Rekordumsätzen bei KEP-Dienstleistern wie Amazon, der Österreichischen Post, DHL, DPD usw. führten und diese teilweise an ihre Kapazitätsgrenzen brachte. Dieser Markttrend wird sich weiter fortsetzen. Unabhängig von der gegenwärtigen Krise erwarten Analysten in den nächsten zehn Jahren einen weiteren Zuwachs um 80 Prozent. Mit anderen Worten: Die wachsende Konsumnachfrage nach vielen kurzfristigen Kleinlieferungen lassen den Transportbedarf jenseits der Bahn zusätzlich und sprunghaft ansteigen. Die Bahn selbst ist beim Transport solcher kurzfristigen und kleinteiligen Lieferungen schlichtweg überfordert.

Straße wächst stark und bleibt mit Abstand größter Güterverkehrsträger

Dadurch wird die Straße auch 2040 und darüber hinaus der dominierende Güterverkehrsträger bleiben. Ausgehend von einem Modal Split von 69,3 Prozent Straße und 27,7 Prozent Schiene im Jahr 2019 haben die Studienautor*innen drei unterschiedliche Szenarien errechnet. Als wahrscheinlichste Entwicklung wurde daraus ein durchschnittliches Wachstum der Schiene von jährlich 2,2 Prozent bis 2040 errechnet. Daher wird der Straßengüterverkehr in dieser Zeit um 49 Prozent oder 26,5 Milliarden Tonnenkilometern wachsen, so die Prognose. Aber selbst in einem optimistischen Szenario des Verkehrsministeriums und der ÖBB, das von 40 Prozent Schienenanteil im Jahr 2040 ausgeht, würde der Transport auf der Straße noch immer um 21 Prozent zunehmen.

Entwicklung von Modal Split und Transportvolumina widerspricht EU-Zielen

Sowohl die bisherige Entwicklung des Modal Split als auch das prognostizierte Wachstum des Straßengüterverkehrs widersprechen somit deutlich den Zielsetzungen der Europäischen Union. Während die EU einen Schienenanteil von 30 Prozent bis 2030 und 40 Prozent bis 2040 anstrebt, hat sich dieser in Österreich von über 40 Prozent im Jahr 1980 auf unter 30 Prozent im Jahr 2019 reduziert. Zugleich bedeutet der zunehmende Güterverkehr auf der Straße eine gegenläufige Entwicklung zu den verbindlichen CO2-Zielen der EU. S. Kummer hierzu: „Das genannte optimistische Szenario würde zusätzliche CO2-Emissionen im Ausmaß von jährlich 9,6 Millionen Tonnen bedeuten. Realistisch gesehen müssen wir aber mit jährlich 20 Millionen Tonnen rechnen. Das offenbart, wie dringend wir uns um konstruktive und weitreichende Lösungsansätze, auch abseits der Schiene kümmern müssen.“

Das genannte optimistische Szenario würde zusätzliche CO2-Emissionen im Ausmaß von jährlich 9,6 Millionen Tonnen bedeuten. Realistisch gesehen müssen wir aber mit jährlich 20 Millionen Tonnen rechnen. Das offenbart, wie dringend wir uns um konstruktive und weitreichende Lösungsansätze, auch abseits der Schiene kümmern müssen.

Prof. Sebastian Kummer, Institutsvorstand Institut für Transport & Logistik, WU Wien

Verkehrspolitik – „Benötigen umfassendes, integriertes Konzept“

Die Antwort auf diese Herausforderungen könne nur ein beide Verkehrsträger umfassendes, intergiertes Konzept sein, so S. Kummer. Es müsse sowohl ineinandergreifende Maßnahmen in der Bahn- und Straßeninfrastruktur als auch die Förderung von Investitionen und nachhaltigkeitsorientierte Gesetzesanpassungen für den Straßengüter- und Schwerverkehr enthalten. S. Kummer bekräftigt daher abschließend: „Hier geht es nicht um die Frage ‚entweder Schiene oder Straße‘, sondern wo man wie viel dekarbonisieren (Anm.: Dekarbonisierung = CO2-Reduktion) kann. Angesichts des großen Handlungsbedarfs gilt es aber dort hinzugreifen, wo man am meisten bewirken kann, und das ist eine umgehende Emissionsreduktion im Straßengüterverkehr.“

wu.ac.at/itl

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