Während die Untersuchungen der Vorkommnisse am 26. März 2024 auf Hochtouren laufen, die zum Einsturz der Francis Scott Key Bridge in Baltimore (USA) führten, zeichnen sich schon jetzt teilweise erhebliche Veränderungen der Warenströme in den Vereinigten Staaten ab. Besonders betroffen dürfte davon die US-Automobil- und Gipps-Industrie sein. Das ergab eine Blitzuntersuchung von project44, eine weltweit agierende Plattform für Verlader und Logistikdienstleister.
In den frühen Morgenstunden des 26. März 2024 kollidierte das Containerschiff Dali mit der Francis Scott Key Bridge in Baltimore. Die Brücke stürzte daraufhin ein (siehe hier Amateur-Live-Filmaufnahmen der Havarie). Das Hochseeschiff wurde von der Reederei Maersk gechartert. Videoaufnahmen zeigten, dass die Besatzung des Schiffs, das der in Singapur ansässigen Gruppe Grace Ocean gehört, aus bislang noch nicht geklärter Ursache die Kontrolle verlor. Fakt ist derzeit lediglich, dass die Mannschaft kurz vor der Kollision einen Notruf absetzte. Bei dem Unfall kamen sechs Bauarbeiter aus Lateinamerika ums Leben.
Baltimore – Schiffsverkehr auf unbestimmte Zeit unterbrochen
Der Schiffsverkehr von und zum Hafen von Baltimore kam völlig zum Erliegen. Wann der Patapsco River wieder für Schiffe freigegeben werden kann, ist noch völlig offen. Derzeit versucht man, die Stahlreste des in den Schiffskanal gestürzten Brücke und das havarierte Schiff zu bergen. Die US-Küstenwache hat jedoch am 2. April 2024 einen alternativen Ersatz-Kanal eröffnet, der für Schiffe mit kritischen Gütern genutzt werden kann. Dieser wird derzeit jedoch vorrangig für Aufräumarbeiten genutzt. Es wurden Bundesmittel bereitgestellt, damit der Hafen so schnell wie möglich wieder betriebsbereit ist. Zusätzliche Kräne wurden in das Gebiet gebracht, um die Aufräumarbeiten zu beginnen.
Baltimore – Kunden müssen sich selbst um Weitertransport kümmern
Vielen Containern, die den Hafen anlaufen sollten, wurden inzwischen neue Löschhafen zugewiesen. Sofern es sich dabei nicht um Maersk-Container handelt, müssen sich die Kunden selbst um den Weitertransport kümmern. “Das wird wahrscheinlich dazu führen, dass die Nachfrage und somit auch die Preise für Lkw- und Bahntransport in diesen Regionen steigen werden”, so die Aussagen von Kennern der Materie.
A. Cherin – “Spediteure und Reeder suchen Ausweichrouten”
Die Tragödie im Hafen von Baltimore löst schon kurz nach Bekanntwerden eine Verschiebung der Schifffahrtsrouten aus. So rechnet etwa der US-amerikanische Logistikexperte Alex Cherin angesichts der Schließung des Hafens mit einem erhöhten Frachtaufkommen für Häfen an der Westküste und am Golf. Der EKA-Partner und ehemalige Handelsgeschäftsführer des Hafens von Long Beach prognostiziert, dass in den nächsten sechs Monaten bis zu einem Jahr größere Mengen in Richtung der Westküste und der Golfhäfen fließen werden. Dieser Wandel unterstreicht die dringende Bedeutung der Gateway-Stabilität der USA in der sich schnell entwickelnden Schifffahrtslandschaft von heute. „Die Schließung des Hafens von Baltimore für längere Zeit zwingt Importeure dazu, alternative Import- und Exporthäfen zu erkunden, insbesondere solche, die über Infrastruktur und Vermögenswerte verfügen, die an der Ostküste nicht ohne weiteres verfügbar sind.
Werden US-Westhäfen zur Alternative?
„Die Tiefwasser-, Schienenanbindungs- und Lagerkapazitäten der Westküsten- und Golfhäfen, die von an Baltimore gewöhnten Verladern traditionell vernachlässigt werden, werden sich voraussichtlich als attraktive Alternativen erweisen, da Kapazitätsbeschränkungen andere Häfen an der Ostküste belasten oder den Umschlag von Spezialfracht wie Autos behindern.“ sagt A. Cherin in einer Mail vom 28. März an blogistic.net und weiter: “Schlüsselfaktoren wie Kraftstoffpreise, Schienenverfügbarkeit und LKW-Transportkosten werden dabei den Entscheidungsprozess stark beeinflussen, wenn die Akteure der Branchen diesen Wendepunkt bewältigen. Die sich verändernde Dynamik im Zuge der Tragödie im Hafen von Baltimore ist eine deutliche Erinnerung an die Widerstandsfähigkeit und Anpassungsfähigkeit des globalen Schifffahrtsnetzwerks“, fügt A. Cherin hinzu.
Die aktuellen Verschiebungen
Dass die Veränderung der Warenströme in den USA Fahrt aufnimmt, bestätigt nun auch die weltweit agierende Plattform für Verlader und Logistikwirtschaft, project44. Allerdings findet derzeit noch kein Switch in Richtung der US-Westhäfen statt. “Da der Hafen von Baltimore weiterhin geschlossen bleibt, arbeiten die Spediteure daran, die Ausweichhäfen so schnell wie möglich zu aktualisieren”, heißt es jetzt in einer Pressemeldung. Die Aufschlüsselung (siehe Abbildung unten) zeigt, dass die PODs (POD = Proof of Delivery) tendenziell aktualisiert werden, bevor Schiffe nach Baltimore aufbrechen. Das ist sowohl für die Spediteure als auch die Verlader ideal. Es gibt somit klare Anweisungen, wohin die Schiffe fahren müssen, die ursprünglich den Hafen anlaufen sollten.
Ost-Häfen haben noch Kapazitäten
Anstatt vor Anker zu gehen und auf Anweisungen warten zu müssen, laufen sie gleich die Ausweichhäfen an. Verlader haben also auch mehr Zeit, den Transport vom neuen Hafen aus zu organisieren. Lt. project44 werden Lieferungen, die für Baltimore bestimmt waren, nun hauptsächlich nach New York (41 Prozent), Norfolk (30 Prozent) und Newark-Elizabeth (10 Prozent) umgeleitet. Es werden für diese Ost-Häfen derzeit noch keine größeren Auswirkungen auf die Hafenbetriebe erwartet, da diese noch über genügend Kapazitäten verfügen. In Baltimore selbst gibt es aufgrund des Mangels an eingehenden Sendungen mittlerweile keine Fracht mehr zu holen. Die Container stehen dementsprechend schon eine Weile im Hafen.
Verlader finden nur schwer Spediteure
Der Pferdefuß dabei ist jedoch, dass die umgeleiteten Container teilweise eine längere Verweildauer im Hafen haben. Das berichtet project44 in einer aktuellen Presseaussendung. Dies würde jedoch nicht auf Probleme im Betrieb der Ausweichhäfen hinweise, sondern darauf, dass Verlader Schwierigkeiten haben, Spediteure zu finden, die die Container in ihren neuen Häfen abholen, so die Einschätzung von Analysten. In der Regel haben Verlader mit Spediteuren nämlich fixe Tarife für häufig befahrene Handelsrouten vereinbart. Wenn jedoch ein Verlader nicht regelmäßig Sendungen in diese Häfen erhält, kann es innerhalb seines bestehenden Speditionsnetzes schwierig sein, einen Spediteur zu finden, der sie abholt. Selbst wenn die Spediteure über eine entsprechende Flotte verfügen, sind die Verlader gezwungen, für diese Ladungen höhere Tarife zu zahlen, da es sich nicht um vertraglich vereinbarte Routen handelt.
Die Kosten für Verlader steigen
Neben den gestiegenen Frachtkosten haben Verlader wegen der Havarie in Baltimore ein wachsendes Risiko, zusätzliche Lagergebühren für ihre Container zahlen zu müssen, wenn diese den Hafen nicht rechtzeitig verlassen. Sobald ein Container in einem Hafen ankommt, haben Verlader nämlich in der Regel nur eine bestimmte Zeit, um ihn abzuholen. Üblicherweise liegt das Zeitintervall zwischen drei und fünf Tagen. Wenn der Container jedoch nicht innerhalb dieser Frist abgeholt wird, fallen tägliche Zusatzgebühren an. Diese liegen normalerweise zwischen 75 und 300 Euro. Die Frachtkosten und die Anzahl der freien Tage variieren je nach Verlader und sind oft in den Verträgen festgelegt.
Erwartete Auswirkungen auf die Lieferkette
Der Hafen von Baltimore ist ein wichtiges Tor für den Im- und Export von Gütern in die USA oder aus dem Land heraus. So verschifft hier beispielsweise ein großer Teil der US-Automobilindustrie nicht nur ihre Produkte in die ganze Welt, sondern hier gelangen auch wichtige Produktionsteile auf den US-Markt. Aber auch die US-Bauindustrie bezieht von hier aus für sie besonders wichtige Rohstoffe, wie etwa Gips. Zudem hat der Brückeneinsturz erhebliche Auswirkungen auf die Liferlogistik via LKW.
Baltimore – Schlüsselhafen für US-Automobilindustrie
Baltimore gilt als eine Schlüsselstadt für die Automobilindustrie in den Vereinigten Staaten. Vor allem ist der Hafen der wichtigste Umschlagplatz für die Ein- und Ausfuhr von Autos in den USA. Der Hafen von Baltimore wickelt nämlich die Fracht von großen Automobilherstellern wie z. B. Nissan, Toyota, General Motors und Volvo ab. Wenn die Unternehmen keine Transportnetzte über benachbarte Häfen einrichten, ist daher mit Störungen der Produktion auf dem US-Automobilmarkt zu rechnen. Denn jede Unterbrechung wird eine Auswirkung auf den gesamten Herstellungsprozess in der Industrie haben.
US-Gipsversorgung hängt an Baltimore
Neben der Autoindustrie ist Baltimore zudem der größte Importeur von Gips. Eine Unterbrechung der Lieferung könnte sich auf mehrere Branchen auswirken, am drastischsten jedoch für die Bauindustrie. Gips ist ein wichtiger Bestandteil von Trockenbauwänden, Putz, Deckplatten, Bausteinen und einer Vielzahl von weitern Baumaterialien. Wenn das Gipsangebot sinkt, kann es zu Engpässen und damit zu einem Anstieg der Kosten kommen. Dies wäre dann vergleichbar mit der Verknappung von Bauholz während der Pandemie. Zudem wird Gips noch in einer Vielzahl von weiteren Produkten verwendet, darunter Düngemittel, Zahnpasta oder Shampoo.
Verzögerungen im Lkw-Transport
Die Scott Key Bridge ist auch für den Straßenverkehr nicht mehr zugänglich. Daher sinkt auch die Pünktlichkeit für Lkw-Ladungen in Baltimore. Im März lag die durchschnittliche Pünktlichkeit bei 81 Prozent – unter Berücksichtigung des erwarteten, zyklischen Rückgangs an Wochenenden. Am Tag des Einsturzes lag dieser Wert bei 70 Prozent. Der aktuelle Wert liegt mit 80 Prozent zwar unter dem Spitzenwert von 87 Prozent in der vorherigen Woche, stabilisiert sich aber weitestgehend wieder. Hinzu kommt der vergangene Osterfeiertag, was die Pünktlichkeitsquote weiter sinken lässt. Die Raten der kommenden Woche werden zeigen, wie schnell sich der Markt erholt.
project44 in Kürze
project44 ist die weltweit führende Plattform für Verlader und Logistikdienstleister. project44 verbindet, automatisiert und bringt Visibilität in die wichtigsten Transportprozesse, um Erkenntnisse zu beschleunigen und die Zeit zu verkürzen, die benötigt wird, um diese Erkenntnisse in Aktionen umzusetzen. Durch den Einsatz der cloudbasierten Plattform von project44 können Unternehmen ihre betriebliche Effizienz steigern, Kosten reduzieren, die Versandleistung verbessern und ihren Kunden ein außergewöhnliches Erlebnis wie bei Amazon bieten. Verbunden mit Tausenden von Spediteuren weltweit und mit umfassender Abdeckung für alle ELD- und Telematik-Geräte auf dem Markt, unterstützt project44 alle Transportarten und Versandtypen, einschließlich Luft, Paket, Final-Mile, Less-than-Truckload, Volume Less-than-Truckload, Sammelgut, LKW-Ladung, Bahn, Intermodal und Ozean. Im Jahr 2021 wurde project44 im Magic Quadrant von Gartner als Leader unter den Real-Time Transportation Visibility Providern eingestuft.
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