TRADESHIFT APRIL 2022 – Ukraine-Krieg macht Aufschwung zunichte

Noch bis Mitte Februar war die Hoffnung der Wirtschaft groß, dass sich die globalen Märkte und Lieferketten von den Corona-Lockdowns erholen würden. Doch der Vernichtungskrieg Russlands gegen die Ukraine macht diese Hoffnungen zunichte. Die Auftragsvolumina brechen ein und Hersteller reizen ihre Lieferantenkredite komplett aus. Gleichzeitig reißen die Lieferketten von neuem. Das geht aus dem Wirtschaftsbericht Tradeshift April 2022 hervor. Gleichzeitig holen sich die Industrienationen ihre weltweit verteilten Produktionen durch Reshoring und Nearshoring zurück.  

Tradeshift April 2022 (Foto: Rainer Sturm / www.pixelio.de)
Tradeshift April 2022 – Der Vernichtungskrieg Russlands gegen die Ukraine und das Wiederaufflammen der Coronakrise in China machten die Hoffnungen auf Wirtschaftserholung zunichte. (Foto: Rainer Sturm / www.pixelio.de)

Pandemie- und Kriegszeiten sind schlecht für die Wirtschaft. Diese Binsenweisheit bewahrheitet sich derzeit in beunruhigender Art und Weise. So hat das Jahr 2021 zwar mit optimistisch stimmenden Anzeichen von Wachstum etwa für die EU und die USA, aber auch für China abgeschlossen, denen auch Lieferkettenprobleme nur bedingt etwas anhaben konnte. Gleichzeitig konnte sich die Industrie über Neuaufträge freuen, sodass im Januar bis Mitte Februar 2022 die Hoffnung wuchs, dass die Weltwirtschaft die Coronapandemie endgültig abstreifen könnte. Doch die Spannungen in Osteuropa verunsicherten die Märkte zunehmend, weswegen sich das Wachstum bereits einzubremsen begann. Als Wladimir Putin dann auch noch den russischen Vernichtungskrieg gegen das Nachbarland Ukraine startete, legte der weltweite Aufschwung eine Vollbremsung ein. Eines der häufigsten Probleme, das seither überall in der Welt auftritt, ist der explosionsartige Anstieg der Rohstoffpreise bei Energie und Lebensmitteln. Seither dreht sich das Inflationskarussell immer schneller. 

Verbraucher:innen latschen auf die Konsumbremse  

Und in der Tat: Der Krieg in Osteuropa, die darauffolgenden Sanktionen der Industriestaaten gegen den russischen Präsidenten, seine Oligarchen sowie gegen tragende Wirtschaftszweige der Russischen Föderation und die rasant steigenden Energie- und Rohstoffkosten verunsichern die Märkte massiv. Das hat wiederum eine beunruhigende Kettenreaktion zur Folge: die Verbraucher:innen treten auf die Sparbremse, die nicht mehr zu kompensieren ist. Das wirkt sich logischerweise auf die gesamte Wertschöpfungskette aus.  

Die Verbraucher:innen treten auf die Sparbremse, die nicht mehr zu kompensieren ist.

Banken sind ziemlich machtlos 

Dabei helfen auch gelpolitische Maßnahmen etwa der Zentralbanken durch Zinssenkungen nicht, die zu zur Kreditaufnahme anreizen und daher Märkte ankurbeln können. Der Zinssatz ist bereits auf null. Außerdem sind die Zentralbanken wegen der hohen Inflation geneigt, die Zinsen zu erhöhen, was wiederum ein Anreiz für Verbraucher:innen ist, ihr Geld weiter zu sparen. Experten warnen daher davor, dass Unternehmen in den nächsten Quartalen möglicherweise ihre Barreserven nutzen müssen, um den Nachfragerückgang auszugleichen. Dies dürfte allerdings bei einigen wichtigen Branchen wie etwa der Tourismusbranche oder in der Chemieindustrie ein schwieriges Unterfangen sein. Dort sind die Reserven bereits aufgebraucht. 

Vernichtungskriege bringen nichts  

Der Vernichtungskrieg Russlands gegen die Ukraine, aber auch die neuerlichen Abriegelungen Chinas haben somit das weltweite Auftragsvolumen in den ersten drei Monaten des Jahres 2022 einbrechen lassen. Das zeigen die neuen Daten von Tradeshift April 2022. Der Index of Global Trade Health legt offen, dass die Gesamttransaktionen, also Rechnungen und Bestellungen, zwischen Einkäufern und Lieferanten auf der Plattform im ersten Quartal 2022 um sieben Punkte unter den im letzten Quartal 2021 prognostizierten Bereich gefallen sind. Die Auftragsvolumina wurden durch eine Mischung aus hoher Inflation, längeren Lieferzeiten und Engpässen bei wichtigen Komponenten besonders stark beeinträchtigt. Die Auftragseingänge fielen im ersten Quartal global sogar um 16 Punkte, was den stärksten Schwungverlust seit den ersten Sperrungen des Pandemiejahres 2020 darstellt.  

Unternehmen reizen Lieferantenkredite voll aus  

Aber nicht nur die Endverbraucher, sondern auch die großen Unternehmen scheinen sich auf eine schwierige Zeit einzustellen. Sie halten ebenfalls die eigenen Bargeldreserven zurück. Gleichzeitig reizen sie die Lieferantenkredite bis zum Anschlag aus. Und das hat Auswirkungen auf die Lieferanten, die dadurch in den kommenden Monaten erneut unter Druck geraten werden. Die aktuellen Daten von Tradeshift April 2022 zeigen, dass die Zahl der verspäteten Lieferantenzahlungen in den letzten sechs Monaten durchschnittlich 15,9 Prozent des Gesamtvolumens betrug. Das ist fast doppelt so hoch wie in den sechs Monaten vor der Pandemie. 

„Konvergenz von neuem und bekanntem Druck“   

Tradeshift – Christian Lang (Foto: Andy Highland / RS MEDIA WORLD Archiv)
Tradeshift April 2022 – C. Lanng: „Das Jahr 2022 hat ein neues Kapitel für den Welthandel aufgeschlagen“ (Foto: Andy Highland / RS MEDIA WORLD Archiv)

 „Die Aggression Russlands in der Ukraine und die Abriegelung von Großstädten in ganz China führen zu einer Konvergenz von neuem und bekanntem Druck“, sagt Christian Lanng, CEO und Mitbegründer von Tradeshift. „Der Aufbau von Bargeldreserven mag wie ein Akt der Selbsterhaltung seitens der Einkäufer erscheinen. Er kann aber schnell zu einem Akt der Selbstverletzung werden, wenn die Lieferanten zu kämpfen beginnen.“ Er warnt daher: „Große Unternehmen müssen aufhören, Lieferanten als billige Kreditlinie zu betrachten. Stattdessen sollten sie anfangen, nach Finanzierungsoptionen zu suchen, die sowohl sie selbst als auch ihre Lieferanten in einem hochvolatilen Umfeld zahlungsfähig halten.“  

Tradeshift April 2022 – Euro-Raum ist weiteren Belastungen ausgesetzt  

Jedoch auch im Euro-Raum fielen die Transaktionen um satte 14 Punkte gegenüber der zum Ende des Jahres 2021 erwarteten Spanne. Dadurch wurde ein Großteil der wirtschaftlichen Erholung der letzten 18 Monate in der EU zunichte gemacht. Die Auftragsvolumina fielen sogar um alarmierende 28 Punkte. Der Grund: Die Ukraine-Krise trieb die Rohstoffpreise in die Höhe und verursachte zudem erhebliche Störungen in wichtigen Lieferketten. Darum gaben etwa in Deutschland 40 Prozent der Industrieunternehmen an, dass sie Probleme mit Lieferengpässen haben bzw. erwarten, so die Zahlen des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) (hier klicken und IW-Umfrage als PDF downloaden). Ein Effekt: Die Automobilhersteller haben aufgrund des Mangels an Kabelbäumen, die in der Ukraine von der deutschen Firma Leoni hergestellt werden, Montagebänder geschlossen.   

Rechnungsvolumen bleibt dennoch robust 

Dennoch besteht derzeit noch kein Grund zur großen Beunruhigung, wie der Tradeshift April 2022 verdeutlicht. Denn das Rechnungsvolumen blieb im ersten Quartal 2022 trotz aller Schwierigkeiten relativ robust. Das deutet darauf hin, dass die Zulieferer immer noch einen Rückstand an bestehenden Aufträgen abarbeiten können. Einige Engpässe könnten sich zudem abschwächen, was dann wiederum Lieferkettenprobleme abbaut. 

Schwierige Monate in Aussicht

Aber die Aussichten deuten darauf hin, dass dem Euro-Raum noch einige schwierige Monate bevorstehen, da neue Störungen auftreten. Nach Angaben von JP Morgan sind etwa die Asien-Europa-Routen am stärksten von Problemen wie akuter Überlastung der Häfen und Unterbrechungen im Frachtverkehr aufgrund der Schließung der Schiffsverkehre mit Russland und der Ukraine sowie die Sperrung des russischen und ukrainischen Luftraums betroffen. Angesichts der Starrheit bzw. Inflexibilität sehr vieler Lieferketten dürfte es sich daher als sehr schwierig erweisen, schnelle und praktikable Lösungen für diese Probleme zu finden.    

Einkäufer und Lieferanten in USA, China und GB mit ähnlichen Problemen  

Doch die EU steht keineswegs alleine da mit ihren Problemen. Auch die Märkte in den USA, der VR China und Großbritanniens sind mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert. So ging etwa die Transaktionsdynamik in den USA um sechs Punkte zurück. Die US-Häfen machen sich zudem derzeit auf neue Überlastungen infolge von Sperrungen in Asien gefasst. Und die steigenden Energiekosten wirken sich in den USA ebenfalls auf die Konsumfreudigkeit der Verbraucher:innen und in weiterer Folge auf die gesamte Wertschöpfung aus.  

Die EU steht keineswegs alleine da mit ihren Problemen. Auch die Märkte in den USA, der VR China und Großbritanniens sind mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert.

China hinkt

Zwar ging das Transaktionsvolumen in China nicht ganz so stark zurück wie in anderen Märkten, doch blieb es lt. Tradeshift April 2022 im ersten Quartal 2022 um drei Punkte hinter den Erwartungen. Es ist zudem das dritte Quartal in Folge, in dem die Aktivitäten in Dhina hinterherhinken.  

GB – Gesamtwachstum schlecht

Einzig Großbritannien kann mit einem Transaktionswachstum aufwachsen, das sogar um einen Punkt über dem prognostizierten Bereich liegt, sagt der Tradeshift April 2022. Das Gesamtwachstum der Insel ist seit der Pandemie jedoch immer noch kaum halb so hoch wie erwartet.   

Tradeshift April 2022 – Reshoring und Nearshoring im Kommen   

Die ständigen Verunsicherungen der globalen Märkte dürfte nachhaltige Folgen haben. So glauben Kommentatoren wie der CEO von Blackrock, Larry Fink, dass der Krieg in der Ukraine die Unternehmen veranlassen wird, sich aus ihren globalen Lieferketten zurückzuziehen. In die gleiche Kerbe schlägt McKinsey. Das Beratungsunternehmen prognostiziert, dass in den nächsten fünf Jahren bis zu 26 Prozent der weltweiten Produktion durch Reshoring und Nearshoring verlagert werden. 

“Pannen werden zur neuen Normalität”  

Die Daten von Tradeshift April 2022 bestätigen diesen Trend. Sie deuten beispielsweise darauf hin, dass Zulieferer der an die USA angrenzenden Länder bereits von den “Nearshoring”-Bemühungen multinationaler Unternehmen profitieren. So ist das Rechnungsaufkommen mexikanischer Lieferanten im vergangenen Jahr um das 4,1-fache des weltweiten Durchschnitts gestiegen. Die Rechnungen kanadischer Zulieferer waren 3,1-mal so hoch wie der Durchschnitt. „Das Jahr 2022 hat ein neues Kapitel für den Welthandel aufgeschlagen“, so Ch. Lanng im Gespräch. „In dieser neuen Realität werden Rückstände und Pannen zur neuen Normalität. Gleichzeitig werden Konnektivität, Transparenz und Agilität grundlegende Betriebsprinzipien.” Der Manager kommt daher zu dem Schluss, dass die Globalisierung zwar auf dem Rückzug sein mag, “aber die Widerstandsfähigkeit wird davon abhängen, dass die Lieferketten vernetzter, vielfältiger und kollaborativer werden als je zuvor.“  

Tradeshift April 2022 – Weitere Index-Daten  

Transport & Logistik 

Die geopolitischen Spannungen und die erneuten Abriegelungen in China stellen die Logistikunternehmen vor große Herausforderungen. Die Tradeshift Daten zeigen, dass das Transaktionsvolumen in der gesamten Transport- und Logistikbranche weiterhin höher ist als erwartet, was auf einen harten Wettbewerb um begrenzte Kapazitäten hindeutet.   

Hersteller 

Die Lieferketten des verarbeitenden Gewerbes sind mit einer schwierigen Kombination aus Lieferkettenengpässen und steigenden Rohstoffpreisen konfrontiert. Die Tradeshift Daten zeigen, dass das Transaktionsvolumen im ersten Quartal 25 Prozent unter dem erwarteten Niveau lag. Ein Großteil dieser Verlangsamung ist auf einen steilen Rückgang der Auftragseingänge zurückzuführen, die das erste Quartal 2022 auf dem niedrigsten Stand seit der ersten COVID-Sperre beendeten.   

Einzelhandel 

Die Transaktionen in den Lieferketten des Einzelhandels scheinen sich nach einer Phase extremer Volatilität in den letzten zwei Jahren stabilisiert zu haben. Die Aktivität bleibt jedoch leicht hinter den Erwartungen zurück, wobei eine Kombination aus steigenden Kosten und schwindendem Verbrauchervertrauen wahrscheinliche Faktoren sind.  

Technologie-Einkäufe 

Auch die Einkäufe von Software und Technologie lagen im ersten Quartal unter den Erwartungen. Umfragedaten von Enterprise Technology Research zeigen, dass einige Käufer im ersten Quartal angesichts der makroökonomischen Bedingungen eine abwartende Haltung eingenommen haben. 

Tradeshift in Kürze 

Tradeshift ist im Bereich E-Invoicing und Automatisierung der Kreditorenbuchhaltung sowie im Bereich B2B-Marktplätze und Zugang zu Lieferantenfinanzierung tätig. Seine Cloud-basierte Plattform unterstützt Einkäufer und Lieferanten, den Einkauf und die Rechnungsbearbeitung zu digitalisieren sowie die Arbeitsabläufe in Beschaffung und der Kreditorenbuchhaltung zu automatisieren und schnell zu skalieren. Die Vision von Tradeshift mit Hauptsitz in San Francisco ist es, jedes Unternehmen auf der Welt zu vernetzen und so wirtschaftliche Chancen für alle zu schaffen. Das Tradeshift-Netzwerk umfasst eine schnell wachsende Gemeinschaft von Einkäufern und Lieferanten, die in mehr als 190 Ländern tätig sind. 

Tradeshift Index of Global Trade Health in Kürze 

Viele der weltweit größten Einkäufer und ihre Lieferanten nutzen die Handelstechnologie-Plattform von Tradeshift, um digitalisierte Einkaufs- und Rechnungsdaten auszutauschen. Der Index analysiert anonymisierte Transaktionsdaten, die über die Plattform fließen. Als Transaktionsvolumen bzw. Lieferkettenaktivitäten definiert Tradeshift alle Handelsaktivitäten und Forderungen aus Lieferantenzahlungen. Der Index gibt einen zeitnahen Überblick darüber, wie sich externe Ereignisse auf den Business-to-Business-Handel auswirken. Zusätzliche Umfragen und Kundeninterviews ergänzen den Report.    

(Der vollständigen Tradeshift 2022 Index of Global Trade Health ist in englischer Sprache als PDF hier downloadbar.) 

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