Der dramatische Fachkräftemangel macht insbesondere dem österreichischen Mittelstand über sämtliche Branchen und Regionen hinweg erheblich zu schaffen. Familienbetriebe verlieren an Wettbewerbsfähigkeit und Umsätzen. Die Transport- und Logistikbranchen sind besonders betroffen. Das ergab eine jetzt erschienene Studie von Ernst & Young.
Der Fachkräftemangel wird für den österreichischen Mittelstand immer bedrohlicher und dämpft das Wachstum massiv. Für die heimischen Unternehmen sind Schwierigkeiten bei der Suche nach geeigneten Mitarbeitern aktuell das größte Risiko – und eines, das sich immer weiter verschärft: Im Vergleich zum Vorjahr stieg der Anteil jener Unternehmen, die den Fachkräftemangel als Gefahr für die Entwicklung des eigenen Betriebs sehen, von 48 auf 59 Prozent an.
Wettbewerbsfähigkeit eingeschränkt
Noch nie fiel es den Unternehmen so schwer, geeignete Fachkräfte zu finden: Der Anteil der Unternehmen, die große Probleme bei der Rekrutierung von Fachkräften haben, hat sich seit 2015 von 15 Prozent auf aktuell 30 Prozent erhöht. Weitere 49 Prozent geben an, dass ihnen die Suche nach qualifizierten Mitarbeitern „eher schwer“ fällt.
Umsatzeinbußen. Der leergefegte Arbeitsmarkt macht nicht nur den Personalabteilungen zu schaffen – er kostet die Unternehmen insgesamt viel Geld. Mehr als die Hälfte (56 Prozent) der Mittelständler beklagt Umsatzeinbußen aufgrund des Fachkräftemangels. Jedes achte Unternehmen (13 Prozent) verliert durch den Fachkräftemangel mehr als fünf Prozent seines Jahresumsatzes. Besonders gravierend sind die Folgen des Fachkräftemangels im österreichischen Handel: 17 Prozent der heimischen Händler büßen mehr als fünf Prozent Umsatz ein, weitere 42 Prozent bis zu fünf Prozent.
Offene Stellen auf Rekordniveau. Dabei würden die österreichischen Unternehmen am liebsten auf Rekordniveau neue Mitarbeiter einstellen: 35 Prozent planen, im ersten Halbjahr 2018 ihre Belegschaft aufzustocken – so viele wie noch nie seit Beginn der Befragung vor zehn Jahren. Lediglich vier Prozent gehen davon aus, dass ihre Mitarbeiterzahl sinken wird.
Wachstum gefährdet
Das sind Ergebnisse der Studie „Fachkräftemangel im österreichischen Mittelstand“ der Prüfungs- und Beratungsorganisation Ernst & Young (EY) in Österreich. Dafür wurden österreichweit 900 mittelständische Unternehmen mit 30 bis 2.000 Mitarbeitern befragt. „Die Wirtschaft brummt, die Konsumbereitschaft ist groß und die österreichischen Unternehmen haben volle Auftragsbücher. Die Zeichen für 2018 stehen auf Wachstum“, kommentiert Erich Lehner, Managing Partner Markets bei EY Österreich und verantwortlich für den Bereich Mittelstand. „Allerdings setzt die Situation auf dem Arbeitsmarkt dem Wachstum Grenzen. Regional herrscht in Österreich teilweise Vollbeschäftigung, gut ausgebildete Fachkräfte können sich ihren Arbeitgeber längst aussuchen.
Gerade kleinere Unternehmen, die mit bekannteren, börsennotierten Unternehmen um Arbeitskräfte konkurrieren, können dadurch Stellen oft nur mühsam oder gar nicht besetzen.“ Mit ein Grund dafür dürften die zu hohen Lohn- und Lohnnebenkosten sein, welche durch den Fachkräftemangel entstehen. Hier regelt die Nachfrage den Preis; und der steigt in Höhen, die für Mittelständler faktisch nicht mehr leistbar sind und das unternehmerische Risiko erheblich steigern.
Die Nachfrage den Preis; und der steigt bei den Lohnkosten in Höhen, die für Mittelständler faktisch nicht mehr leistbar sind und das unternehmerische Risiko erheblich steigern.
Probleme in allen Bundesländern – starkes Ost-/West-Gefälle
Probleme bei der Fachkräftesuche haben Unternehmen in ganz Österreich – unabhängig vom Bundesland. Allerdings zeigt sich ein starkes Ost-/West-Gefälle: Während die Situation in den östlichen Bundesländern noch vergleichsweise gut ist, kämpft der Westen Österreichs mit den größten Problemen. Am kritischsten ist der Fachkräftemangel momentan bei Unternehmen in Salzburg (39 Prozent haben „große“, 49 Prozent „eher große“ Probleme), Tirol (37 Prozent bzw. 46 Prozent) und Vorarlberg (32 Prozent bzw. 56 Prozent). Am besten ist die Situation noch in Wien – allerdings klagen im bevölkerungsreichsten Bundesland immer noch 20 Prozent über „große“ und weitere 56 Prozent über „eher große“ Schwierigkeiten bei der Fachkräfterekrutierung.
Unbesetzte Stellen. Zahlreiche Firmen müssen deswegen Stellen unbesetzt lassen. Das betrifft insbesondere die Produktion: Mehr als die Hälfte der Unternehmen (56 Prozent) lassen besonders in diesem Bereich Positionen unbesetzt. Im Marketing oder Vertrieb müssen immerhin noch 28 Prozent der Unternehmen Stellen offenlassen und die Leitung des technischen Bereiches bleibt bei jedem fünften Betrieb (21 Prozent) unbesetzt. „Es gibt innerhalb Österreichs keine Branche und keinen Ort mehr, der vom Fachkräftemangel verschont bleibt“, beobachtet Lehner. „Die Unternehmen müssen erfinderischer werden, um wirklich auch jedes Potenzial zu nutzen.“
Klassisches Rekruiting. Die Unternehmen setzen aber in erster Linie auf eher klassische Instrumente bei der Mitarbeitergewinnung: Ein Großteil – 71 Prozent – setzt am ehesten auf Mund-zu-Mund-Propaganda. Werbung in Online- und Printmedien ist für 44 Prozent das bevorzugte Instrument und in den sozialen Medien sind 38 Prozent in erster Linie aktiv.
Gerade in der Transportbranche (86 Prozent) – wozu auch die Kraftfahrzeugbranche zählt – sowie in Bau- (83 Prozent) und Industrieunternehmen (82 Prozent) macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar.
Transport-, Bau- und Industrieunternehmen hart getroffen
Gerade in der Transportbranche (86 Prozent) – wozu auch die Kraftfahrzeugbranche zählt – sowie in Bau- (83 Prozent) und Industrieunternehmen (82 Prozent) macht sich der Fachkräftemangel bemerkbar: Dort fällt es jeweils mehr als vier von fünf Unternehmen schwer, ausreichend qualifizierte Mitarbeiter zu finden. In 65 Prozent der Transport- und Verkehrsunternehmen führt dies bereits zu Umsatzeinbußen. Auch 61 Prozent der Bauunternehmen und 51 Prozent der Industriebetriebe klagen über Umsatzeinbußen. „Die Branchen, die besonders stark von der guten konjunkturellen Entwicklung profitieren, haben auch besonders große Probleme, mit dem eigenen Wachstum Schritt zu halten“, so Lehner.