VEIT SORGER – Wie Konjunkturmaßnahmen wirken müssen

Österreichs Wirtschaft ist in einer guten Verfassung um die Finanzkrise 2009 gut zu bewältigen. Wie Österreichs Industrie zu Konjunktur- und Infrastrukturprogrammen steht, was sie von den Banken erwartet und was die Industrie auch selbst zur Krisenbewältigung tun kann, darüber sprach der Chef der Industriellenvereinigung Veit Sorger mit CR Hans-Joachim Schlobach.

blogistic.net: Herr Präsident, wie steht es um die österreichische Industrie?

Veit Sorger: Die österreichische Industrie steht von den Fundamentaldaten her gesehen, hervorragend da. Der Fadenriss, den wir in diesem Jahr natürlich auch in der Industrie in Form von massiven Auftragseinbrüchen erleben werden, ist exogen verursacht – also nicht durch den Zustand der Industrie, sondern durch das Wegbrechen der Absatzmärkte und die fehlenden Liquiditätsflüsse bei den Zwischenfinanzierungen verursacht. Der Abschwung wird sich dieses Jahr sicher verschärfen, weil Investitionen auch in der Industrie teurer und Finanzierungen damit wesentlich schwieriger werden. Sämtliche Unternehmen müssen ihre Investitionspläne revidieren. Es wird jedenfalls zu Verzögerungen bei den Investitionen, zu weiteren Einsparungen und Reduzierungen kommen.

blogistic.net: Die einen sagen, dass 2009 ein schlimmes Jahr wird. Österreichs Wirtschaft sei andererseits jedoch gut aufgestellt. Anderswo macht sich hingegen Panik breit. So rechnet  Deutschland, Österreichs wichtigster Absatzmarkt, in diesem Jahr mit einem Negativwachstum von bis zu minus vier Prozent. Wie passt das zusammen?

V. Sorger: „Bereits 60 Prozent unseres Wohlstandes wird durch Exporte erwirtschaftet und rund 30 Prozent davon nach Deutschland. “ (Foto: RS Media World Archiv / IV)


Sorger: Als kleine offene Volkswirtschaft wird natürlich auch Österreich von der Finanzmarktkrise nicht verschont werden. Bereits 60 Prozent unseres Wohlstandes wird durch Exporte erwirtschaftet und rund 30 Prozent davon nach Deutschland. Im Unterschied zu Deutschland ist die österreichische Wirtschaft im dritten Quartal 2008 noch um 0,1 Prozent gegenüber dem Vorquartal gewachsen. Die deutschen Industrieaufträge befinden sich weiter im freien Fall. Im November gingen die Bestellungen preis- und saisonbereinigt um sechs Prozent im Vergleich zum Vormonat zurück. Experten hatten lediglich mit einem Rückgang von 1,1 Prozent gerechnet. Die deutschen Schreckensszenarien von einem BIP-Rückgang bis zu vier Prozent für 2009 wie es die Deutsche Bank vorhersagt, werden in Österreich nicht eintreten, weil der vergleichsweise solide und weiterhin konstant um ein Prozent wachsende private Konsum den Abschwung in Österreich bremst, das starke Engagement in den Wachstumsmärkten in Mittel- und Osteuropa weiterhin ein höheres Renditepotenzial birgt, die Lohnerhöhungen moderater ausfallen und die Rezession durch die Maßnahmen der Bundesregierung etwas gemildert wird. Für Österreich besteht 2009 die Chance, die Nase knapp über der Wasserlinie zu halten, wenngleich die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass wir uns deutlich zwischen Null und minus einem Prozent bewegen werden.

blogistic.net: Hat die österreichische Bundesregierung bis jetzt genug getan, um die Krise zu bekämpfen?

Sorger: Das Paket der Bundesregierung muss den Vergleich mit den anderen Staaten nicht scheuen. Zusammen mit den noch am 24.9.2008 beschlossenen Ausgaben zur Kaufkraftstärkung, der Steuerreform und den zwei Konjunkturbelebungspaketen werden in Österreich insgesamt rund 5,46 Milliarden Euro an öffentlichen Konjunkturbelebungsmaßnahmen ausgegeben. Das entspricht rund 1,9 Prozent des BIP und ist damit nach Frankreich (2,1 Prozent des BIP) das zweithöchste Paket der EU. Auch wenn die Mittel aus unserer Sicht wesentlich effizienter und zielgerichteter für die Nachfragestärkung und Strukturbereinigung eingesetzt werden könnten, ist das Volumen sicherlich ausreichend.

Für Österreich besteht 2009 die Chance, die Nase knapp über der Wasserlinie zu halten, wenngleich die Wahrscheinlichkeit größer ist, dass wir uns deutlich zwischen Null und minus einem Prozent bewegen werden. 

Veit Sorger, Präsident der Industriellenvereinigung

blogistic.net: Was könnte sie aus Ihrer Sicht noch besser tun? Was benötigt Österreichs Industrie am dringendsten?

Veit Sorger: Konjunkturbelebungspakete müssen eine überlegte Mischung aus kurzfristigen und langfristigen Maßnahmen sein, die darauf abzielen, einerseits rasche Investitionen zur Belebung der Wirtschaft zu ermöglichen, und andererseits die Struktur der Wirtschaft so zu stärken, dass sie langfristig wettbewerbsfähig bleibt. Sinnvolle Konjunkturmaßnahmen sind also immer solche, die strukturell wirken. Dazu zählt einerseits die Sicherung der Standortattraktivität für Forschung und Entwicklung um auch nach der Krise wettbewerbsfähig zu bleiben. Hier sprechen wir uns vor allem für die Erhöhung der Forschungsfreibeträge und der Forschungsprämie aus. Konkret geht es um die Erhöhung der Forschungsfreibeträge um jeweils zehn Prozentpunkte und die Anhebung der Forschungsprämie um zwei Prozentpunkte. Das kostet insgesamt rund 160 Millionen Euro. Die zugesagten 50 Millionen im Konjunkturpaket sind gut, aber erst ein erster Schritt. Insgesamt muss die Finanzierung der F & E – Anstrengungen auf dem Weg zum 3 Prozent-Ziel und darüber hinaus sicher gestellt werden. Weiters sollte – übrigens auch im Lichte der derzeitigen Gaskrise – schleunigst ein Gesamt-Investitionspaket für den Kraftwerksbau geschnürt werden. Dabei ist ein Schwerpunkt auf Wasserkraft zu legen – kombiniert mit einem Sondergesetz über ein Fast-Track-Procedure für die Genehmigung dieser Projekte in einer maximalen Dauer von zwei Jahren ab Antragsstellung. Die finanziellen Mittel dafür sind in den Unternehmen vorhanden. Die Krise wäre auch Anlass genug, endlich das „Austriacum“ der Gesellschaftssteuer und der Kreditvertragsgebühr abzuschaffen. Das würde die Eigen- und Fremdkapitalzufuhr für Unternehmen erleichtern und den bevorstehenden Einbruch bei der Investitionstätigkeit abfangen.

Konjunkturbelebungspakete müssen eine überlegte Mischung aus kurzfristigen und langfristigen Maßnahmen sein, die darauf abzielen, einerseits rasche Investitionen zur Belebung der Wirtschaft zu ermöglichen, und andererseits die Struktur der Wirtschaft so zu stärken, dass sie langfristig wettbewerbsfähig bleibt.

Veit Sorger, Präsident der Industriellenvereinigung

blogistic.net: In den Medien häufen sich Berichte, wonach Banken wegen ihrer Kreditvergabe- Politik ein Hemmschuh für wichtige Investitionen sind. Welche Anzeichen sieht die Industriellenvereinigung, dass die Finanzierung von wichtigen Investitionen nicht mehr funktioniert? Haben wir eine Kreditklemme?

Veit Sorger: Bereits in den ersten drei Quartalen 2008 ist der Kreditvolumenzuwachs bei den Unternehmen um 13 Prozent gegenüber den Quartalen des Vorjahres gesunken. Die Daten für das vierte Quartal werden sicher noch wesentlich dramatischer ausfallen. Betroffen sind dabei sowohl kurzfristige als auch langfristige Kredite. Wenn man sich den jüngsten Finanzmarktstabilitätsbericht der Nationalbank ansieht, dann erkennt man deutlich wie sehr die Finanzierungskosten der Unternehmen steigen, und zwar sowohl bei Krediten als auch bei Anleihen. Obwohl der Interbankenzinssatz seit den staatlichen Stützungen auf weit unter drei Prozent gesunken ist, bewegen sich die Zinssätze für Unternehmenskredite dramatisch in Richtung sechs Prozent Marke. Die massive Senkung der EZB-Leitzinsen konnte noch nicht die Risikoaufschläge für Unternehmenskredite verringern. Bei den Unternehmensanleihen als Finanzierungsquelle ist der Kapitalmarkt sogar völlig ausgetrocknet und im November 2008 auf ein Drittel des Vorjahreswertes geschrumpft.

blogistic.net: Was kann gegen restriktive Kreditvergabe- Praxen getan werden?

Sorger: Zuerst sollte das zusätzliche Kapital, das den Banken durch das Finanzmarktstabilitätsgesetz zur Verfügung gestellt wurde um mehr Unternehmenskredite vergeben zu können, auch wirklich jenen zugute kommen, für die die Mittel eigentlich gedacht waren: nämlich den heimischen Betrieben und der Bekämpfung ihrer Kreditklemme. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass man den Kerngedanken des Interbankenstabilitätsgesetzes, also die Haftungsübernahme für Interbankenkredite auch auf Unternehmen auszuweiten. Und zwar nicht nur auf Kleinbetriebe wie es das erste Konjunkturbelebungspaket vorsieht, sondern auch auf Leitbetriebe. Es geht im Grunde darum, gut aufgestellte und fundamental gesunde Leitbetriebe, an deren Wertschöpfung zigtausend KMUs als Zulieferer hängen, nicht durch unverschuldet kurzfristig fehlende Liquidität in die Insolvenz zu schicken. Wenn die Kapitalstärkung der Banken dazu nicht ausreicht, dann muss das Pferd eben auch von der anderen Seite gesattelt werden können, und zwar mit Direkthaftungen des Staates für Unternehmensfremdkapital. Die deutsche Regierung hat das erkannt und wird mit dem zweiten Konjunkturpaket eine 100 Milliarden Euro-Haftung für Unternehmenskredite eingehen.

blogistic.net: Welchen Beitrag kann die österreichische Industrie zur Bewältigung der Krise selbst leisten?

Sorger: Als Unternehmer stellt man sich angesichts von  Krisensituationen die Fragen: Welche Strukturen muss ich verändern? Was muss ich machen, damit ich in ein, zwei, drei Jahren wieder voll durchstarten kann? Wie kann ich die Krisensituation nutzen, um langfristig meinen Wettbewerbsvorteil aufrecht zu erhalten? Das sind Fragen, die sich ein Unternehmergeist dann stellt, wenn er vor großen Herausforderungen steht. Dazu benötigt er aber auch die passenden Rahmenbedingungen am Standort – also einen gewissen Unternehmergeist in den Reihen der Politik. Wir müssen zum Beispiel gemeinsam daran arbeiten, mit einem flexiblen Kurzarbeitsmodell die Beschäftigung aufrecht zu erhalten und ihr sogar die Chance zu Weiterbildung zu gewähren. Das wäre ein erster wichtiger Schritt, in der Krise auch eine Chance zur Weiterbildung zu erkennen.

blogistic.net: Die Industriellenvereinigung fordert Investitionen in die Infrastruktur. Wie wichtig sind Infrastruktur-Investitionen für den Wirtschaftsstandort Österreich?

Sorger: Der Wirtschaftsstandort steht und fällt mit der Qualität seiner Infrastruktur. Dazu zählt neben leistungsfähigen Straßen-, Schienen-, Luft- und Wasserwegen auch die flächendeckende Ausstattung mit der nötigen Infrastruktur für Informations- und Kommunikationstechnologien. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten, die der Transportsektor bereits stark spürt, ist der doppelte Gewinn durch Investitionen in Infrastrukturprojekte besonders wichtig: Arbeitsplätze werden gesichert, da Erhalt und Neubau der Infrastruktur besonders arbeitsintensiv sind. Damit kann die Konjunktur effektiv angekurbelt werden. Gleichzeitig wird ein Mehrwert für das Industrieland Österreich geschaffen, der sich durch die verbesserte Infrastruktur jahrzehntelang positiv auswirkt. Investitionen in die Infrastruktur sind Investitionen in eine erfolgreiche wirtschaftliche Zukunft des Landes.

Der Wirtschaftsstandort steht und fällt mit der Qualität seiner Infrastruktur. Dazu zählt neben leistungsfähigen Straßen-, Schienen-, Luft- und Wasserwegen auch die flächendeckende Ausstattung mit der nötigen Infrastruktur für Informations- und Kommunikationstechnologien. 

Veit Sorger, Präsident der Industriellenvereinigung

blogistic.net: Gerade im Verkehrs-Infrastrukturausbau gibt es umstrittene Investitionen  – wie etwa den Koralmtunnel, aber auch den Brenner-Basistunnel. Welche Investitionen in die Infrastruktur sind für Österreichs Industrie und den Wirtschaftsstandort Österreich besonders wichtig?

Veit Sorger: Die Frage darf nicht „entweder oder“ lauten sondern muss „sowohl als auch“ heißen. Investitionen in die bestehende Infrastruktur – also die Beseitigung von Flaschenhälsen, Kapazitätserhöhungen aber auch verstärkte Implementierung von Verkehrstelematik – bringen besonders große Effizienzgewinne. Doch auch große Neubauprojekte und besonders die Anbindung an unsere Nachbarn im Osten sind Grundvoraussetzung für ein zukunftsträchtiges Verkehrssystem. Wir brauchen einen verkehrsträgerübergreifenden, visionären Ausbauplan um den steigenden Transportbedarf optimal und nachhaltig bewältigen zu können. Bei jeder neuen Betriebsansiedelung spielt die Anbindung an nationale und internationale Märkte eine wesentliche Rolle. Um diese zu erreichen muss das Verkehrssystem permanent weiterentwickelt werden.

blogistic.net: Kritiker sagen, der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur fördere lediglich die Bauwirtschaft. Könnten die Milliarden, welche Bundeskanzler Faymann in seiner Zeit als Verkehrsminister auf den Weg gebracht hat, nicht besser investiert sein?

Sorger: Der eingeschlagene Weg von Bundeskanzler Faymann wird von der Industrie begrüßt und muss unbedingt fortgesetzt werden. Bau und Erhalt der Infrastruktur ist eine der wichtigsten staatlichen Aufgaben, auf die die Wirtschaft angewiesen ist. Wir müssen unsere Lage im Zentrum Europas als Chance sehen und Österreich zu einer Logistikdrehscheibe ausbauen. Verkehrsknotenpunkte waren schon immer auch Wohlstandszentren. Natürlich gibt es auch viele Begleitmaßnahmen, die für einen schnellen Verkehrsfluss sorgen, unnötigen Verkehr vermeiden und die Verlagerung auf den jeweils effizientesten Verkehrsträger fördern. Doch am Ausbau von Straße und Schiene führt kein Weg vorbei.

blogistic.net: Vielen Dank für das Gespräch!

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