Können oszillierende Ölpreise die Globalisierung stoppen? Wohl kaum, wie eine Studie von Miebach Consulting zeigt. Dafür jedoch die ungelösten Probleme der Finanzkrise, die zu einer anhaltenden Rezession der Weltwirtschaft führen, wie der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter befürchtet. (Ein Bericht von CR Hans-Joachim Schlobach)
Ein stark oszillierender Dieselpreis brach Mitte des Jahres 2008 alle Rekorde. Das Barrel Öl war zu Spitzenzeiten bei fast 150 US-Dollar. Weltweit stiegen die Dieselpreise an Tankstellen auf neue Höchststände. Wenige Wochen darauf finden wir den Ölpreis auf dem Niveau guter alter Zeiten bei 40 US-Dollar, die nächste Preisspirale vor Augen: Zugleich zittert die Finanzwirtschaft angesichts einer Bankenkrise und die Börsenkurse spielen verrückt. Welche Auswirkungen hat diese Entwicklung auf Globalisierung, internationale Warenströme und Logistik? Sind die Tage der Globalisierung gezählt?
„Ganz sicher nicht“, so Dr. Joachim Miebach, Chairman des Advisory Boards der Miebach Consulting Gruppe, gegenüber blogistic.net. Er ist der Ansicht, dass durch steigende Energiekosten allein die Globalisierung nicht gestoppt werden könne. Und er stützt seine These durch eigene Studien, die über seine weltweit agierende Berater-Gruppe durchgeführt wurden. Demnach werden Globalisierte Verteilstrukturen, zentralisierte Distributionsnetzwerke sowie Produktionsverlagerungen nach Fernost im Wesentlichen nicht durch einen steigenden Ölpreis bestimmt. Die Transportkosten werden nämlich eher von anderen Faktoren beeinflusst: Engpässe auf den Verkehrswegen, insbesondere Luft und Straße. Sie bremsen die Globalisierung erheblich stärker als der Preisanstieg des Öls. In der Entwicklung und Verbesserung der Infrastruktur sowie in modernen und sparsamen Antrieben liegen somit die heilsamen Impulse für die Zukunft, so seine Erkenntnis.
Kritisch ab 200 US-Dollar
Anhand einer in fünf Ländern weltweit durchgeführten Studie von Miebach Consulting ist festzustellen, dass die Treibstoffkosten auch im internationalen Vergleich jeweils ca. nur ein Viertel der gesamten Lkw-Kosten je Kilometer ausmachen. Bei einer Verdoppelung des Ölpreises auf 200 US-Dollar pro Barrel steigen die Lkw-Transportkosten um 20 Prozent. Ähnlich verhalten sich die Seefrachtraten. Blickt man aber auf die Gesamtkosten eines Produktes, so haben steigende Treibstoffkosten in der Regel nur eine geringe Auswirkung auf die Total Cost of Ownership. Das bedeutet, bei einer Steigerung des Ölpreises erhöhen sich die Transportkosten „lediglich“ im Verhältnis 5:1. Ein Paradigmenwechsel findet daher wohl bis zu einem Barrelpreis von rund 200 US-Dollar nicht statt. Dies ist natürlich in Abhängigkeit von der jeweiligen Branche zu sehen. So sind Obstgroßhändler aufgrund eines geringen Warenwerts ihrer Produkte sowie Transporteure in deutlich höherem Maße betroffen als Elektronikhersteller. Daher führt eine Verdoppelung des heutigen Ölpreises in einigen Branchen nur zu Steigerungen der Produktkosten von unter einem Prozent, in anderen zu bis zu 40 Prozent.
Globalisierte Verteilstrukturen, zentralisierte Distributionsnetzwerke sowie Produktionsverlagerungen nach Fernost werden im Wesentlichen nicht durch einen steigenden Ölpreis bestimmt. Die Transportkosten werden nämlich eher von anderen Faktoren beeinflusst: Engpässe auf den Verkehrswegen, insbesondere Luft und Straße.
Kostentreiber Staat
Blickt man auf die tatsächlichen Kostentreiber, so sind Transportkosten deutlich stärker abhängig von Faktoren wie nationalen Steuern, Mautgebühren oder den Bedingungen, die die Infrastruktur schafft. Konsequenz für Unternehmen: Entscheidender als der Ölpreis für die Transportkosten ist ein effizientes Flottenmanagement sowie eine nachhaltige Energienutzung und eine Optimierung der Supply Chain im Fokus von Kostensenkungsprogrammen. Anders gesagt: Globalisierung wird im wesentlich höheren Umfang von einer guten Infrastruktur, leistungsfähigen Logistiksystemen sowie Zöllen und Gesetzen in den weltweiten Märkten bestimmt als vom Ölpreis.
Ölpreis müsste viel höher sein. Aus jetziger Sicht müsste zur Verbesserung des Weltklimas der Ölpreis noch dramatischer ansteigen. Erst dann wird es vermutlich zu einer Reduzierung der Transporte und zu einer fundamentalen Änderung der Logistikstrukturen kommen. Eine mögliche Rezession würde hingegen das Volumen des Warenflusses durch die Distributionskanäle reduzieren und zu deutlich höheren Kosten pro Einheit führen, damit also die „economies of downscale“ bewirken.
Finanzkrise ein Anfang?
Nicht hohe Ölpreise, eher eine ungelöste Finanzkrise und eine damit verbundene Rezession könnten also die Globalisierung stoppen oder zumindest verlangsamen. „Die Globalisierung bremsen kann eigentlich nur eine massive weltweite Rezession“, ist daher auch die Conclusio von Miebach. Und genau die sieht der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Prof. Norbert Walter. Seiner Ansicht nach erlebt die Weltwirtschaft derzeit sogar die tiefste Rezession der Nachkriegszeit. Anlässlich der jüngsten Business Speaker Series, bei der Prof. Walter in London und Frankfurt seinen Ausblick für 2009 vorstellte, betonte er bezüglich der Prognose für das vor uns liegende Jahr die großen Unsicherheiten. Die Weltwirtschaft befinde sich in einer neuen und unbekannten Situation: Wichtige Einflussfaktoren wie Rohstoffpreise und Wechselkurse seien kaum voraussehbar. Ob die Rettungspakete für Finanzmärkte und Konjunktur erfolgreich seien, sei nur schwer abschätzbar. „Seit dem Zusammenbruch von Lehman Brothers befinden wir uns auf unbekanntem Territorium“, so Walter. „Wir haben verschiedene Therapieansätze, um die Krise zu überwinden; unter den derzeitigen dramatischen Umständen haben wir jedoch – realistisch betrachtet – keine Vorstellung über die Heilungschancen.“
Wir haben verschiedene Therapieansätze, um die Krise zu überwinden; unter den derzeitigen dramatischen Umständen haben wir jedoch – realistisch betrachtet – keine Vorstellung über die Heilungschancen. Norbert Walter, Chefvolkswirt der Deutschen Bank
Konjunkturpakete nicht genug. Zweifellos werden Steuergelder für die Stützung einiger Finanzinstitute eingesetzt, deren Geschäftsmodelle auf mittel- und langfristige Sicht kaum tragfähig erscheinen. Zwar musste gehandelt werden, um systemische Risiken abzuwenden; die Einzelheiten der Rettungspakete lassen jedoch nach wie vor einiges zu wünschen übrig.“ Die gegenwärtige Finanzkrise nahm ihren Anfang in der Blase am US-Immobilienmarkt. Der Abwärtstrend der Konjunktur startete in der Bauindustrie, so Walter. Seit Sommer 2008 wurden auch andere Sektoren wie die Auto- und Elektronikbranche angesteckt, was sich ebenfalls negativ auf die Zulieferindustrien auswirkte. „Dieser Ansteckungseffekt ist sicherlich kein kurzfristiger Ausreißer”, fügte er hinzu. Seiner Ansicht nach wird sich die Rezession weiter verbreiten und sich bis ins Jahr 2010 fortsetzen.
Unzureichende Nachfrage
Infolge der Kreditkrise sieht sich die Weltwirtschaft jetzt einer unzureichenden Gesamtnachfrage gegenüber, stellt N. Walter fest. Dies wird sich auch nicht durch die keynesianisch ausgerichtete Wirtschaftspolitik Barak Obamas ändern, denn diese wird frühestens Ende 2009 wirksam. 2009 wird somit ein weiteres Jahr dramatischer Rezession sein. Die in Großbritannien hitzig und kontrovers geführte Diskussion über die zeitweise Senkung der Mehrwertsteuer durch Premierminister Gordon Brown kann Prof. Walter nicht verstehen. Im derzeitigen Konsumklima der Zurückhaltung 2009 sei es vollkommen richtig, wenn „der Fiskus den Bürgern nur dann Geld zurückgibt, wenn es für Konsum ausgegeben wird“. Aufgrund der „keynesianischen Situation“, d.h. des Risikos, dass das erhebliche Nachfragedefizit selbstverstärkend wirkt, sollten nach Ansicht Walters auch andere EU-Staaten rasch ähnliche Maßnahmen ergreifen. Und last but not least weist laut Walter die japanische Wirtschaft die größten Probleme auf. Er sieht die Volkswirtschaft in einer Depression. Aufgrund der hohen Ausstattung der japanischen Konsumenten und der gut entwickelten Infrastruktur des Landes sieht Walter als einzig sinnvolle kontrazyklische Maßnahme, die Japan ergreifen könnte, eine finanzielle Unterstützung benachbarter Industrie- und Schwellenländer beim Kauf japanischer Investitionsgüter.
Tage der Globalisierung gezählt?
Zur künftigen Weltwirtschaftsordnung äußerte N. Walter somit die Befürchtung, die Tage der Globalisierung und Marktwirtschaft könnten gezählt sein. So könnte es zunehmend staatlich kontrollierte Volkswirtschaften mit massiver Regulierung geben. „Allerdings kann ein solches pessimistisches Szenario vermieden werden, wenn es dem designierten US-Präsident Obama gelingt, die Weltwirtschaft in eine kooperativere Zukunft zu führen. Dies ist jedoch nur dann eine realistische Option, wenn ihn die anderen Länder – insbesondere in Europa – hierbei unterstützen. Um die Globalisierung wirklich wiederzubeleben, muss wieder Vertrauen und Frieden unter den Nationen und Religionen herrschen.“
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