VERSORUNGSSICHERHEIT – Donald Trump macht Einkäufern Beine

Wenn sich Ungemach zusammenbraut, schlägt die Stunde des Einkaufs. Versorgungssicherheit ist schließlich oberstes Gebot für Unternehmen. Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten zeigt: Weltpolitische Verwerfungen machen Sicherungsmaßnahmen erforderlich. Nur welche? Ein Blick in die Glaskugel. (Ein Beitrag von Sabine Ursel)

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Versorgungssicherheit: Schneller, höher, weiter ist nicht nur im Sport das Ziel, sondern auch im Einkauf. | FOTO: Fotolia.com

Angesichts neuer technologischer und welt­politischer Parameter stehen Unternehmen, und mithin Einkäufer, vor außergewöhnlichen Herausforderungen. Isolierte Ereignisse lassen sich „bewältigen“, veränderte Rahmenbedingungen hingegen allenfalls „angehen“. Gefordert sind Anpassungsfähigkeit, neue Strukturen, Prozesse und vor allem flexible Denkmuster, die schnelles Handeln erlauben. „Agilität“ innerhalb einer von Unsicherheit und vielen Unbekannten geprägten Zukunft wird zum entscheidenden Faktor. Business as usual war gestern.

Anders denken gefragt. Was heißt das jedoch für den Einkauf? Eine Antwort lautet „anders denken“, Risiken antizipieren bzw. managen und stets auf der Hut sein. Wahlen in bedeutsamen und kritischen Regionen der Welt sollten daher Managern spätestens seit dem denkwürdigen 8. November 2016 Anlass geben, über Alternativen und Szena­rien zur Sicherung der Lieferketten nachzudenken.

Disruptives Verhalten wird auch in der Politik üblich. Unternehmen, Organisationen und Verbände sollten daher Szenarien mit Handlungsoptionen aufstellen. Alexander Graf Lambsdorff, stv. EU-Parlamentspräsident, FDP

Politik mit Pauken und Trompeten

Die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten unterstreicht einen neuen Aspekt: Das unerwartete, scheinbar irrationale Abstimmungsverhalten einer breiten unzufriedenen Masse, kann zu einer Umsortierung bisheriger Strukturen und Übereinkommen führen, die sich massiv auf globale Wirtschaftsbeziehungen auswirkt. Was in den USA zur gelebten Praxis zu werden scheint, nämlich radikale Entscheidungen zugunsten eigener nationaler Interessen zu treffen, droht in Abstufungen auch in Ländern wie Österreich, Niederlande, Frankreich und Türkei. „Disruptives Verhalten wird auch in der Politik üblich“, befand Alexander Graf Lambsdorff, liberaler EU-Abgeordneter für die FDP und stellvertretender EU-Parlamentspräsident, am 11. November 2016 auf dem Symposium des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) in Berlin. Ob sich Trumps Aussagen, wonach er Zölle für mexikanische Güter von 35 Prozent und für chinesische Güter von 45 Prozent erheben will, tatsächlich in dieser ex­tremen Ausprägung in die Tat umsetzen lassen, bezweifelte der EU-Politiker zwar. Anderthalb Jahre brauche eine neue Regierung in der Regel bis zur Handlungsfähigkeit. Er zeigte sich jedoch besorgt, warnte aber zugleich vor Hysterie. Lambsdorffs Rat: „Unternehmen, Organisationen und Verbände sollten Szenarien mit Handlungsoptionen aufstellen.“

Knackpunkt: Handelsabkommen

Trump hatte schon im Vorfeld der Wahlen stärkeren wirtschaftlichen Schutz der USA und somit Protektionismus ankündigt. Am 21. November kündigte er im Kurzvideo an, aus dem Transpazifische Freihandels­abkommen TPP auszusteigen (Anm.: noch nicht vom Senat ratifiziert). Das Konstrukt sei ein „potenzielles Desaster“ für Amerika. Stattdessen wolle seine Regierung „gerechte, bilaterale Handelsabkommen abschließen, die Arbeitsplätze zurück nach Amerika bringen“.

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Der Protektionismus des US-Binnenmarktes ist nicht ganz neu. Der „Buy American Act“ im Jahr 1933, sollte die US-States Governments zu einer Bevorzugung von in den USA gefertigten Produkten verpflichten. | FOTO: Fotolia.com

Irritierende Aussagen. Aber auch das geplante transatlantische Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, TTIP, dürfte mit dem Sieg Trumps kaum noch Chancen auf eine Umsetzung haben. Zu sehr hat die Kritik am Freihandel und der Globalisierung den Wahlkampf des neuen Präsidenten geprägt. Trumps Aussagen zum Ausstieg bei TPP und Nachverhandlungen beim Nordamerikanischen Freihandelsabkommen Nafta hält Daniela Homann, Generalsekretärin der American Chambers of Commerce of Austria (AmCham Austria), ebenso für „irritierend“, wie dessen ablehnende Haltung zu TTIP. Transatlantische Handelsbeziehungen bräuchten verlässliche Rahmenbedingungen, ist D. Homann überzeugt, um auf beiden Seiten des Atlantiks den Wohlstand zu sichern. Jede Erleichterung des Handels mit den USA schaffe oder sichere Arbeitsplätze, so ihre Conclusio. „Angesichts der steigenden Arbeitslosigkeit in Österreich können wir es uns nicht leisten, auf den Abbau von Handelsbarrieren zu verzichten“, bekräftigt D. Homann in einem Gastkommentar für „Die Presse.com“. In Zukunft gehe es daher nicht nur um Zolltarife, sondern in starkem Maß auch um die Harmonisierung von Industriestandards, die es vor allem kleineren Unternehmen erleichtern würde, den US-Markt zu beliefern. D. Homann: „Die Unterzeichnung von Ceta hat den richtigen Weg gewiesen.“ Das Infra­gestellen von Handelsabkommen sei hingegen eine Botschaft, die im fernen Osten mit Applaus aufgenommen wird. „China wird sich gerne in Lücken setzen“, warnte Graf Lambsdorff beim BME-Symposium in Berlin vor den rund 2.000 Einkäufern aus der D-A-CH-Region.

Angesichts der steigendenArbeitslosigkeit in Österreich können wir uns es nicht leisten, auf den Abbau von Handelsbarrieren zu verzichten. Daniela Hofmann, Generalsekretärin American Chambers of Commerce in Austria (AmCham Austria)

Lokale Fertigung als Alternative?

„Höhere Zölle erschweren den Außenhandel und beeinflussen die Wettbewerbsfähigkeit im Ausland gefertigter Produkte“, warnt auch Peter Grosse, der jahrelang in leitenden Funktionen bei namhaften US-Unternehmen tätig war. Für den Interimsmanager und Berater für Global Supply Chain Management (seaside engineers, Glücksburg) sind Trumps Ankündigungen „ein Schritt zurück im Business mit den USA“. Eine Zollerhöhung könne alternative Wege bei der Vermarktung von Produkten und die Suche nach neuen Lieferanten erforderlich machen, etwa „lokale Fertigung in den USA und eine global ausgewogene Absatzverteilung“, meint P. Grosse. Das habe Einfluss auf bestehende Supply Chains. Protektionismus des US-Binnenmarktes ist im Übrigen nicht ganz neu. P. Grosse verweist auf den „Buy American Act“ im Jahr 1933, der die US-States Governments zu einer Bevorzugung von in der Heimat gefertigten Produkten verpflichten sollte. Trump könne durch sein lautstark propagiertes Motto „USA first“ gesellschaftliches Umdenken zu mehr Einkauf von originalen US-Produkte bewirken. „Dann verschieben sich Angebot und Nachfrage bei Anbietern. Lieferantenpreise für Nicht-US-Firmen werden höher und mög­licherweise unattraktiv – sofern man einen Währungseffekt außen vor lässt“, so P. Grosse. Welche Währungseffekte durch eine geänderte Dollar-Euro-Rate eintreten können, stehe freilich „in den Sternen“. Für den Supply-Chain-Experten steht fest, dass sich Warenströme verschieben werden ob der globalen poltischen Verwerfungen. „Jammern und zusehen“ hält er für fatal.

Oder doch verlagern?

Nasko Dimitrow, Einkäufer im Bereich Photonik und Dozent der Industrie- und Handelskammern in Thüringen, war lange u.a. für die US-Unternehmen AT&T und Lucent Technologies tätig. Er verweist auf die zahlreichen Fertigungsstandorte amerikanischer und deutscher Konzerne sowohl in ihrer Heimat als auch in dem jeweiligen Land und damit auf tiefe innerbetriebliche Vernetzungen. N. Dimitrow hält es für „undenkbar“, dass Unternehmen mit Sanktionen, Zöllen in ihrer Geschäfts- und Handlungsfähigkeit eingeschränkt werden, zumal dies einen Abbruch der digitalen Verschmelzung zur Folge hätte. Eine Eingrenzung von Gestaltungsfreiheit und Expansion der IT-Unternehmen im Silicon Valley, wie von Trump vor der Wahl geäußert, würde die Verlagerung von Unternehmen in politisch stabilere und unterstützende Länder nach sich ziehen – „Österreich und Deutschland könnten diese Firmen gut gebrauchen“, meint N. Dimitrow.

Wir stellen fest, dass seriös vorbereitete Unternehmer sich ihrer Verantwortung bewusst sind und, mit Blick in die Kristallkugel, Veränderungen auch als Chance begreifen. Oliver Kreinbrink, GF VDMG consult, Oberhausen

Standorte überdenken. Der Dozent rät in seinen Vorlesungen dazu, auch Standorte wie Großbritannien nach dem Brexit und die Türkei genau zu überdenken. Schon die Immobilien- und Finanzkrise 2008 und 2009 mit massiven Auswirkungen auf die Weltwirtschaft habe deutlich gemacht, dass einkaufende Unternehmen besser auf Partnerschaft mit auf Risiko geprüfte Lieferanten in speziellen Regionen setzen sollten, anstatt auf nüchterne Geschäftsbeziehungen. N. Dimitrow empfiehlt Einkäufern, systematisch Erkenntnisse zusammenzutragen, wie bei potenziellen Nachteilen und Störungen der Lieferketten zu verfahren ist. Aus dem Umgang mit Unsicherheit ergebe sich die Notwendigkeit eines professionellen Risikomanagements, um Auswirkungen auf die weltweite Versorgung so gering wie möglich zu halten, etwa im Falle von Verknappung bzw. Nichtverfügbarkeit von Waren und Produkten, zunehmender Volatilität von Währungen, Infragestellen von Frei­han­dels­zonen, technologischem Auf-der-Stelle-Treten oder gar Rückschritt.

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Die ungewöhnliche Gangart des designierten amerikanischen Präsidenten führt weltweit zu Nervosität. Was am Ende wirklich zugunsten der US-Unternehmen und zu ungunsten ausländischer Business-Partner durchgewunken wird, ist noch nicht absehbar. | FOTO: Fotolia.com

Aufschub kapitalintensiver Entscheidungen

Die angekündigte Abschottung des amerikanischen Wirtschaftsraums hält auch Heiko Schwarz für „beunruhigend“. Der Gründer und Geschäftsführer des Münchener SCM­Beratungsunternehmens riskmethods geht zwar davon aus, dass es zu deutlichen Abweichungen von der groben Wahlkampf-­Rhetorik Trumps kommen wird. Aber: „Bis dahin werden auch hier, zumindest kurzfristig, strategische und kapitalintensive Entscheidungen aufgeschoben.“ H. Schwarz verweist darauf, dass viele Unternehmen derzeit primär noch mit den Unwägbarkeiten in der Türkei beschäftigt sind. Insbesondere Vertreter der Automobilzulieferer und der Textil-/Modeindustrie zeigten sich besorgt angesichts der menschenrechtlichen und politischen Situation am Bosporus. Un­sicherheit herrsche unter Einkäufern zudem in Sachen Brasilien, wo die sich wirtschaftlich dramatisch verschlechternde Situa­tion, begleitet von politischen Spannungen, „Sprengstoff“ berge; das laut H. Schwarz insbesondere für die exportorientierte Wirtschaft mit Zulieferbeziehungen vor allem in fertigenden Industrien. In Sachen Brexit hingegen sei der der politische und gesellschaftliche Schock größer gewesen als die tatsächliche wirtschaftliche unmittelbare Konsequenz – „die lässt sich erst im Verlauf der noch nicht angeschobenen Austrittsverhandlungen bewerten“, sagt H. Schwarz. Dennoch würden auch hier kapitalintensive strategische Entscheidungen, z.B. Standortwahl für eine Fertigungsstätte oder Planung künftiger Supply Chains, „durch die unklare wirtschaftliche Situation der nächsten zwei bis drei Jahre sicherlich beeinflusst“.

Währungsrisiko. Spezielles Augenmerk sollten die Unternehmen angesichts neuer politischer Realitäten auf Wechselkurse legen. Risk-Experte Heiko Schwarz: „Entweder bedeuten die sehr markanten Änderungen der Wechselkurse von teils 10 Prozent und mehr – etwa Euro zu Dollar bzw. zu Pfund sowie Dollar zu mexikanischem Peso – eine deutlich verschlechterte Wettbewerbsfähigkeit der in den betroffenen Ländern agierenden Zulieferer bis hin zum Insolvenzrisiko oder aber eine Einkaufschance.“

Was Einkäufer tun können. Was können Einkäufer tun? Insbesondere das Zins- und Währungsmanagement wird nach Ansicht von Schwarz eine wichtigere Disziplin in Finanz- und Einkaufsabteilungen, um sich gegen Schwankungen abzusichern. Natural Hedging werde hingegen aufgrund der Unsicherheiten unattraktiver. Dem aktiven Überwachen von Lieferketten mit ganzheitlichem Ansatz komme große Bedeutung zu. In seinem Metier, so H. Schwarz, gehe es darum, Realitäten zu identifizieren und Kunden über Veränderungen in Risikostrukturen ihrer Liefernetzwerke zu informieren. Das gelinge beispielsweise mit Frühindikationen.

Die angekündigte Abschottung des amerikanischen Wirtschaftsraums ist beunruhigend. Wir gehen jedoch davon aus, das es zu deutlichen Abweichungen von der Wahlkampf-Rhetorik Trumps kommen wird. Bis dahin werden jedoch auch hier, zumindest kurzfristig, strategische und kapitalintensive Entscheidungen aufgeschoben. Heiko Schwarz, GF riskmethods

Oberste Pflicht: Risikomanagement

„Wir stellen fest, dass seriös vorbereitete Unternehmer sich ihrer Verantwortung bewusst sind und, mit Blick in die Kristallkugel, Veränderung auch als Chance begreifen“, sagt Oliver Kreienbrink, Geschäftsführer VDMG consult (Oberhausen). Ziel sei es, Unternehmen steuerbar und flexibel zu gestalten, und dazu gehöre es, Risiken nicht ausschließlich als Gefahr zu sehen. Bei deutschen Unternehmen der Baumaschinenindustrie mit Standorten in den USA sei u. a. zu fragen, ob die aktuelle Lieferantenstruktur das von Donald Trump angekündigte Wachstum quantitativ und qualitativ abbilden könne. So mancher Automobilzulieferer, der derzeit seine Absatzkanäle prüfe, stelle fest, dass bestimmte B/C-Kunden in den kommenden Jahren an Bedeutung gewinnen könnten. O. Kreienbrink: „In diesem Fall gilt es besser heute als morgen Kontakte zu intensivieren und Vorkehrungen für Erweiterungen in den USA zu treffen.“ Der Berater verweist angesichts der aktuellen Lage exemplarisch auf das Thema Bestandsmanagement: Welche Strategie wurde hier bisher verfolgt? Und sind diese Strategien unter Stresstest-Situationen ausreichend belastbar? „Hier geht es nicht um Horror­szenarien“, betont O. Kreienbrink. Allerdings müssten mögliche Lieferengpässe und vorübergehende Umstellungen auf Alternativlieferanten genau abgestimmt sein.

Blick auf das Wesentliche

Die ungewöhnliche Gangart des designierten amerikanischen Präsidenten führt weltweit zu Nervosität. Was am Ende wirklich zugunsten der US-Unternehmen und zu ungunsten ausländischer Business-Partner durchgewunken wird, ist noch nicht absehbar. Vertreter der Einkaufs- und Logistikverbände in Österreich und Deutschland äußern sich beunruhigt, gehen aber davon aus, dass barsche Wahlkampfverlautbarungen nicht eins zu eins in die Praxis überführt werden. Man hofft auch auf den ausgleichenden Einfluss des amerikanischen Kongresses. „Zudem stehen zwei wichtige Fragen weiter im Raum“, so riskmethods-­Chef H. Schwarz. Nämlich: „Wer bezahlt?“ Und: „Soll die US-Staatsverschuldung weiter ansteigen?“ Sollten die USA sich mit der ökonomischen Großmacht und dem zugleich größten Gläubiger von US-­Staats­an­leihen auf einen Handelskrieg einlassen, seien beide Seiten in Konsequenz große Verlierer. D. Homann von der American Chambers of Commerce in Austria fordert, „über alle polemischen Argumente hinweg den Blick wieder auf das Wesentliche zu richten und sich die Vorteile freien Handels ins Bewusstsein zu rufen“. Die Wirtschaft habe die Kraft, das politische Auseinanderdriften zu verhindern und neue verbindende Elemente zu schaffen. Was bedeutet das konkret für den Einkauf? Sicher ist allenfalls, dass das Risikomanagement um eine gewichtige Komponente erweitert werden muss. Auch unpolitische Manager kommen nicht umhin, den Globus mit Argusaugen zu analysieren und Maßnahmen zur Ab­sicherung der Lieferketten proaktiv zu gestalten.

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