Traiskirchen in Niederösterreich ist die erste Klimagemeinde Österreichs. Dahinter steckt jedoch kein Marketing-Schmäh, sondern eine beinharte Strategie, welche die fünftgrößte Gemeinde Niederösterreichs zukunftsfit und gleichzeitig attraktiv für Menschen und Wirtschaft machen soll. Hier, vor den Toren Wiens, sollen modernste Industrie- und Dienstleistungs-Arbeitsplätze entstehen und damit der historische Industriestandort an weiterer Attraktivität gewinnen. Treibende Kraft des Ganzen ist nicht zuletzt der derzeitige Bürgermeister der Stadt: Andi Babler. (Ein Bericht von CR HaJo Schlobach)
Traiskirchen: Für viele Österreicherinnen und Österreicher ist damit der Name Semperit untrennbar verbunden. Stand hier doch eine der wichtigsten Reifenproduktionen für die DACH-Region. Über 130 Jahre lang rollten von hier aus die Qualitätsprodukte aus Gummi vom Band, bis die Hannover Continental AG zuerst im Jahr 2002 die Produktion einstellte, die Maschinen für die Produktion in Billiglohn-Länder demontieren ließ und das Werk im Jahr 2009 zur Gänze schloss. Zuletzt rund 1.400 Industriearbeitsplätze in diesem Traditionsbetrieb (in der stärksten Zeit beschäftigte Semperit dort etwa 4.000) gingen damals verloren, gefolgt von weiteren 4.000 Industriearbeitsplätzen, die in der selben Zeit in anderen Industriebetrieben der Region abgebaut wurden. Für die Region Baden kam das einem ökonomischen Super-GAU gleich. Waren doch Semperit und andere Werke die größten Industrie-Arbeitgeber, die einen wesentlichen Teil der Wertschöpfung in Niederösterreich erzeugten und an denen weitere Arbeitsplätze hingen: die von Lieferanten, Logistikern bis hin zu Nahversorgern.
Das Ende einer Industrie-Ära
Als „die Semperit“ im Jahr 2009 ihre Pforten für immer schloss, gingen daher nicht nur einfach Arbeitsplätze verloren, sondern es ging damit auch eine über mehrere hundert Jahre andauernde Wirtschaftsära zu ende. Diese prägte nicht nur Wien, sondern ganz Österreich. Sie ist aber auch eng mit der Sozialdemokratie in Österreich verbunden. Schon im Zeitalter der Industrialisierung entwickelte sich Traiskirchen nämlich zu einem florierenden Wirtschaftsstandort. Während der KuK-Monarchie wurden in der Region rund um Traiskirchen die Vorkommen von Sand, Lehm und Tegel für den Aufbau der Hauptstadt Wien ausgebeutet und über den Mühlbach und den heute Großteils zugeschütteten Wiener Neustädter Kanal bis an die Tore der Stadt geliefert. Diesen Job verrichteten zumeist die sogenannten „Ziegel-Böhmen“. Das waren Arbeiter aus dem heutigen Tschechien und der Slowakei, die in Wien und Umgebung ihr Glück versuchten. Insbesondere die katastrophalen Lebensbedingungen und unmenschliche Arbeitsbedingungen, in denen diese Menschen leben mussten, veranlassten damals den Arzt und Journalist Viktor Adler, mit anderen die sozialdemokratische Partei Österreichs, SPÖ, zu gründen. Traiskirchen war somit nicht nur ein wirtschaftlicher sondern auch ein politischer Hotspot, von wo aus wichtige Impulse ausgingen, welche die Republik Österreich bis heute prägen.
Als „die Semperit“ im Jahr 2009 ihre Pforten für immer schloss, gingen nicht nur einfach Arbeitsplätze verloren, sondern es ging damit auch eine über mehrere hundert Jahre andauernde Wirtschaftsära zu ende.
Mit Riesenschritten in die Zukunft
Doch Traiskirchen wäre nicht Traiskirchen, hätte es das Weinbau- und Industrie-Örtchen im Süden Wiens mit insgesamt vier Eingemeindungen und rund 19.000 Einwohnern, bei der Schließung des Semperit-Werks gelassen. Nach einer Schock-Phase krempelten die Leute die Ärmel hoch und begannen sich neu zu orientieren. Sie begannen ab 2009 eine bemerkenswerte Wiederbelebung des teilweise verwaisten Wirtschaftsstandortes. So haben sich seither auf dem Werksgelände der ehemaligen Semperit immerhin 66 Unternehmen wieder angesiedelt. Sie stellen heute rund 700 Arbeitsplätze zur Verfügung und geben den Menschen der Region wieder reale Zukunftsperspektiven. Das Spektrum der angesiedelten Unternehmen reicht dabei vom schwäbischen Dübel-Produzenten über einen der größten Tofu-Produzenten Europas bis hin zur Tennis-Akademie des österreichischen Tennisstars Dominic Thiem. Zudem schafft das Asyl-Aufnahmezentrum in Traiskirchen für mehrere Hundert Menschen der unterschiedlichsten Berufe in der Region Arbeit. Aber auch Logistik-Unternehmen wie etwa die Logwin sind hier angesiedelt. Sie alle nützen die günstige Lage und Verkehrsanbindungen an den größten Markt Österreichs rund um Wien mit mehreren Millionen Einwohnern. Von hier aus sind aber auch die Verkehrswege kurz in Richtung Adria und Ungarn. Sie genießen aber auch hohen Lebensstandard dieser Weinregion, in der schon die Römer edle Trauben anbauten.
Klimafreundlich für Mensch und Wirschaft
Doch geht es nach dem Bürgermeister der Stadt, Andreas Babler, soll die Attraktivität des Standorts für Betriebsansiedlungen und die Einwohner erheblich gesteigert werden. Er möchte seine Gemeinde konsequent in Richtung Ökologie ausrichten. Ziel ist es, Traiskirchen zu einer Gemeinde zu entwickeln, welche Ökonomie und Ökologie zu einer zukunftsgerichteten, klimafreundlichen Symbiose vereint. „Die Coronakrise dominiert derzeit die Medien und das öffentliche Bewusstsein. Doch ist die Klimakrise damit nicht vorbei. Wir haben noch immer einen Klima-Notstand“, so A. Babler im Interview mit den Medien der HJS MEDIA WORLD BUSINESS+LOGISTIC, UMWELT-JOURNAL und ÖSTERREICHISCHE VERKEHRZEITUNG. Er sieht daher die Coronakrise als eine Chance, die Digitalisierung und Transformation der Industrienationen in Richtung Ökologie noch intensiver voran zu treiben.
Die Gemeinden stehen für ihn dabei nicht am Ende einer Entscheidungskette, sondern müssen selbst im Rahmen ihrer Möglichkeiten aktiv werden. Sie machen nämlich die unmittelbar erlebbare Lebensrealität der Menschen aus.
„Smart City“: Politik muss Rahmenbedingungen schaffen
A. Babler sieht daher nicht nur den Bund, sondern auch die Kommunalpolitik in der Pflicht, welche die Rahmenbedingungen für Menschen und Wirtschaft schaffen muss, damit die Ökologisierung und Stop des Klimawandels gelingt. „Bund Länder und Gemeinden müssen mit gutem Beispiel voran gehen“, so der SPÖ-Politiker, „denn die Politik kann nicht Klimaziele ausrufen und staatliche Institutionen machen Business as usual..“
Transformation in die Zukunft. Daher verfolgt die Traiskirchener Stadtregierung seit Dezember 2019 im Rahmen ihrer Möglichkeiten eine Strategie, welche an den Klimazielen von Kyoto ausgerichtet ist. Ziel ist es, die Stadt zu einer „Smart City“ zu transformieren und in allen Bereichen der grünen Technologie zur Vorzeigestadt zu entwickeln. Die Weichen hierfür wurden in einer Gemeinderatssitzung Ende letzten Jahres gestellt.
Die Coronakrise dominiert derzeit die Medien und das öffentliche Bewusstsein. Doch ist die Klimakrise damit nicht vorbei. Wir haben noch immer einen Klima-Notstand.
Andreas Babler, Bürgermeister von Traiskirchen
Komplettumbau der Verwaltung. Damit sei der größte Umbau der städtischen Verwaltungsstruktur in den letzten zwei Jahrzehnten in die Wege geleitet worden, erklärt A. Babler im Interview. Dabei seien in der Stadtverwaltung tätige Expertinnen und Experten in einem neu geschaffenen Zukunftsressort gebündelt worden, welche bei Bedarf durch weitere Fachexpertise im Bereich Ökologie, Energie, Stadtplanung und Digitalisierung punktuell ergänzt werden. „Solche Klimastrategien sind eine Mörder-Arbeit“, bestätigt der hemdsärmelige und bodenständige Bürgermeister.
Gemeinsamer Kraftakt. Die Herausforderungen in Hinblick auf eine klima-intelligente Raumplanung, nachhaltige Energieversorgung und Digitalisierung sind also enorm und auch mit hohen Kosten verbunden. Diese können jedoch letztlich nur dann wirtschaftlich gehoben werden, wenn mehr Wertschöpfung auf den Gewerbegebieten der Gemeinde Traiskirchen entsteht. Das weiß auch A. Babler nur zu gut. Er sieht die Umsetzung solcher Strategien daher als alternativlose Investitionen in die Zukunft nachfolgender Generationen, die nur in einem gemeinsamen Kraftakt von Menschen, Wirtschaft und Politik getätigt werden können. „Mit der simplen Errichtung von Sonnenkollektoren auf den Dächern von Unternehmen, kann es daher nicht genug sein“, weiß der charismatische Politiker und weiter: „Für Unternehmen, die sich bei uns ansiedeln wollen, ist der Klimawandel daher kein Marketing-Schmäh, sondern Teil der eigenen Unternehmensstrategie.“ Die Gemeinde Traiskirchen will daher klimafreundliche Unternehmen bei der Umsetzung ihrer Klimaziele mit ihrer klimafreundlichen Verwaltungs- und Infrastruktur unterstützen. Unternehmen sollen ihre Klimaziele bestmöglich auf der Gemarkung Traiskirchen erreichen, so das Ziel. Auf diese Weise macht sich die Gemeinde aber auch zu einer Art Makler „ihrer“ Unternehmen.
BLUE FAIR 2020: Kommunikation ist alles
Alle an einem Strang ziehen. Damit die Umsetzung der Klimaziele gelingt, müssen Menschen, Wirtschaft und Gemeinden möglichst an einem Strang ziehen, ist man in Traiskirchen überzeugt. „Transparenz und Kommunikation sind daher die wesentlichen Bausteine für die erfolgreiche Umsetzung solcher Klima-Strategien“, ist der beliebte Kommunalpolitiker und „Gemeinde-Manager“ A. Babler überzeugt. Er fördert daher auch einen neuartigen Event, die BLUE F AIR 2020. Dieser wird vom 23.-25. Oktober auf dem Riesengelände der ehemaligen Kamgarnspinnerei in Traiskirchen stattfinden. Die BLUE FAIR 2020 ist ein völlig neuartiger Event, der eine Mischung aus Fachmesse sowie Gemeinde- und Publikumsmesse ist. Hier präsentieren sich internationale Anbieter von klimafreundlichen Lösungen und Zukunftstechnologien sowie Klima-Gemeinden aus Österreich und den Nachbarländern mit ihren Gewerbegebieten einem Fachpublikum und Konsumenten gleichermaßen. Das Ziel der Veranstalter ist, den Event als „einzigen relevanten Leitevent für nachhaltige Mobilität, Digitalisierung und Transformation in der DACH-Region“ zu positionieren. Ob das gelingt, ist in Zeiten der noch immer andauernden Corona-Krise ungewiss. Fakt ist jedoch, dass Traiskirchen damit zu einem neuartigen Hotspot der klimafreundlichen Zukunft wird.