Traiskirchen in Niederösterreich kam nicht zuletzt wegen einer gut eingespielten Solidargemeinschaft zwischen Stadt, Wirtschaft und Menschen durch die Corona-Krise. Jetzt konzentriert man sich wieder auf das Mega-Thema, welche die Zukunft der Menschheit bestimmt: den Klimawandel. Hierfür läuft in der ersten Klimagemeinde Österreichs das größte Umstrukturierungsprogramm ihrer Stadtgeschichte seit 50 Jahren. Damit soll die Symbiose von Ökologie, Wirtschaft und Stadtentwicklung gelingen. Darüber sprach der Bürgermeister von Traiskirchen, Andreas Babler, mit den Chefredakteuren der HJS MEDIA WORLD Joachim Horvath, Peter Nestler und HaJo Schlobach.
HJS: Wie erlebte Traiskirchen die Shutdowns in der Corona-Krise?
Babler: Wir waren als Stadt sehr schnell und sowohl Bund als auch Land voraus was die Schaffung einer Krisenstruktur betrifft. Vor dem Hintergrund der Ereignisse in Italien gingen wir dabei von Anfang an davon aus, dass COVID 19 etwas sehr Ernstes ist. Daran orientierten wir dann unsere Entscheidungen.
HJS: Wie hat man in Traiskirchen reagiert?
Babler: Die Bevölkerung hat sehr besonnen reagiert und war schnell bereit, Solidarität zu den Betroffenen zu zeigen. Seitens der Stadtverwaltung hatten wir schon lange vor der Coronakrise zwei Krisenstäbe gebildet; einen mit mir und einen Ersatzstab mit dem Vizebürgermeister. Wir haben dann sehr schnell Maßnahmen zum Schutz der Menschen in Traiskirchener ausgearbeitet. So waren wir mit unsren Maßnahmen, die sich oft auch mit denen des Bundes deckten, mehrere Tage schneller als viele andere. Das betraf unter anderem Maßnahmen in und um Kindergärten, Schulen im öffentlichen Raum, in der Verwaltung etc. beispielsweise in Hinblick auf Social Distancing aber auch dienstrechtlicher Natur, Hygiene usw.
Die Bevölkerung hat sehr besonnen reagiert und war schnell bereit, Solidarität zu den Betroffenen zu zeigen.
Andreas Babler, Bürgermeister von Traiskirchen
HJS: Was unterscheidet Ihre Vorgehensweise von anderen Gemeinden?
Babler: Ich denke, dass wir die Solidargemeinschaft in Traiskirchen etwas anders leben als viele andere Gemeinden. Wir beziehen alle relevanten Gruppen, die in der Krise das öffentliche Leben aufrecht erhalten, in Entscheidungen mit ein: vom Juristen, Feuerwehrmann bis hin zur Rettung, die medizinische Versorgung, Bildungseinrichtungen, die IT und Kommunikation usw. Wir leben in Traiskirchen eine Kollektivverantwortung für andere.
HJS: Wie meinen Sie das?
Babler: Die Menschen in Traiskirchen stellen die Frage, wie sie kollektiv für den jeweils Betroffenen Verantwortung übernehmen können. Dadurch gelang es beispielsweise, innerhalb von 24 Stunden einen mobilen und zentral gesteuerten Hilfs- und Bringdienst mit 60 ehrenamtlichen Leuten aufzustellen, der bis jetzt Corona-Betroffene und -Gefährdete mit über 20.000 Produkten des täglichen Lebens in den vergangenen Wochen beliefert hat. Unser Versorgungssystem machte in Österreich dann auch rasch Schule. Das Konzept wurde von vielen Gemeinden übernommen.
HJS: Sie haben also in kurzer Zeit eine Distributionslogistik aufgestellt, welche Betroffene beliefert, wenn ich Sie richtig verstehe? Und das läuft alles ehrenamtlich?
Babler: Ja, die Basis sind engagierte GemeindemandatarInnen, die das ehrenamtlich leiten. Wir haben diese Initiative aber auch von der Gemeinde aus unterstützt, denn natürlich sind hier zum Beispiel auch Rechtsfragen zu klären. So haben wir für die ehrenamtlichen Zulieferer eine pauschale Unfall- und Ablebensversicherung abgeschlossen, weil sie im Auftrag der Gemeinde unterwegs sind. Auch mussten rechtliche Fragen mit Ärzten und Apothekern geklärt sein. An diese vielen Dinge muss man einfach denken. Es mussten im Rahmen unseres Konzepts aber auch geklärt sein, wie man mit sozial Bedürftigen umgeht, die ihre Lebensmittel aus Sozialmärkten beziehen. Diese Märkte waren nämlich während des Shutdowns geschlossen. Und dieses „Werkel“ muss permanent angepasst und verdichtet werden. Was am Anfang der Krise notwendig war, ist heute, nachdem es viele Lockerungen gibt, nicht mehr notwendig. Und last but not least haben wir in Traiskirchen Betroffene und andere kontaktiert, um zu fragen, wie es ihnen geht und was sie benötigen, um die Krise zu überstehen. Wir wollen damit verhindern, dass Menschen durch die Krise in die Sozialisolation geraten. Wir haben zudem, im Stile von Brieffreundschaften, einen Telefonfreundschaftsdienst errichtet. Das ist ganz wichtig, denn durch das Social Distancing verlieren manche Personen ihre sozialen Bezugspersonen. Wir lassen also niemanden zurück.
Traiskirchen ist ein historischer Industriestandort, der schon immer auch von der Nähe zu Wien profitierte. Der Weinort zeichnet sich aber auch durch die Nähe zu anderen Märkten wie etwa Tschechien, Slowakei oder auch in Richtung Adria aus.
Andreas Babler, Bürgermeister Traiskirchen
HJS: Traiskirchen ist ja ein Wirtschaftsstandort mit ausschließlich KMU. Die Großindustrie von einst gibt es ja nicht mehr. Hat die Stadt auch hier helfend eingegriffen?
Babler: Wo das möglich und notwendig war, ja. Wir haben beispielsweise rund 150 Unternehmen, die bei der Stadt Mieter von Betriebsräumen sind, sehr rasch die Stundung ihrer Mieten und auch die Kommunalsteuer angeboten. Das ging sehr rasch und unbürokratisch. Dafür mussten die Unternehmen nicht umständlich Formulare ausfüllen oder den Umweg über die WKO gehen. Wir haben das einfach gemacht, denn die Unternehmen mussten rasch entlastet werden.
HJS: Warum reduzieren Sie nicht einfach die Mieten?
Babler: Zum einen können wir das nicht sinnvoll in unserem Gemeindebudget abbilden. Zum anderen schadet es Unternehmen, die jetzt in den Bereich der Fixkostenerstattung kommen. Die würden dann möglicherweise weniger oder vielleicht sogar gar nichts bekommen, weil sie zu geringe Kosten haben. Das wollten wir unbedingt vermeiden. Wir haben allerdings für unsere Betriebe bessere und effektivere Unterstützungsmaßnahmen organisiert.
HJS: Wechseln wir das Thema. Wenden wir uns den Zielen der Stadt zu, Unternehmen in den Gewerbeparks in Traiskirchen, aber auch in Oeynhausen anzusiedeln. Wer soll sich hier ansiedeln und warum?
Babler: Traiskirchen ist ein historischer Industriestandort, der schon immer auch von der Nähe zu Wien profitierte. Der Weinort zeichnet sich aber auch durch die Nähe zu anderen Märkten wie etwa Tschechien, Slowakei oder auch in Richtung Adria aus. Die geo-strategische Lage von Traiskirchen ist also für alle Unternehmen unterschiedlichster Branchen perfekt, die sich im Speckgürtel von Wien ansiedeln wollen. Von hier aus ist man in zehn Minuten in Wien.
HJS: Traiskirchen ist jedoch Klima- und Umweltgemeinde. Somit müssen Unternehmen bestimmte Voraussetzungen erfüllen, die sich zumindest auf den Gewerbegebieten der Gemeinde ansiedeln wollen. Welche Unternehmen wollen Sie damit ansprechen?
Babler: Wir wollen eine nachhaltige Stadtentwicklung mit einer entsprechenden Wirtschafts- und Ansiedelungspolitik erreichen. Damit haben schon meine Vorgänger begonnen und wir setzen diesen Weg mit noch mehr Engagement fort. Daher koppeln wir sozusagen die Quadratmeter-Anzahl mit der Beschäftigungsquote. Mit anderen Worten: Unternehmen, die sich hier ansiedeln, haben eine Beschäftigungsquote pro Quadratmeteranzahl zu erfüllen. Das ist vertraglich bindend. Willkommen sind uns dabei alle, die an einer partnerschaftlichen und umweltfreundlichen Ökonomie Interesse haben.
Willkommen sind uns alle, die an einer partnerschaftlichen und umweltfreundlichen Ökonomie Interesse haben.
Andreas Babler, Bürgermeister von Traiskirchen
HJS: Was bringt die Koppelung der Beschäftigungsquote an der Quadratmeterzahl des erworbenen Grundstücks?
Babler: Damit verhindern wir, dass sich hier beispielsweise Unternehmen ansiedeln, die ihren Standort in Traiskirchen quasi als Parkplatz für ihre Lkw-Flotten nutzen, aber wenig Beschäftigte haben und Kommunalsteuer in einem anderen Ort bezahlen. Wir wollen uns zu einer Klimastadt mit hoher Lebensqualität entwickeln. Unternehmen, welche Klimastrategien verwirklichen wollen und dabei Arbeitsplätze schaffen, sind herzlich eingeladen, es hier in Traiskirchen zu tun. Der Effekt dieser Strategie ist, dass wir nach Semperit die Arbeitsplätze hier in Traiskirchen halten konnten. Wir haben damit den Schritt in die Zukunft vollzogen, weg von einer Industriestadt mit wenig Unternehmen mit vielen Arbeitsplätzen, hin zu einer Stadt, in der nachhaltig produziert wird, wo sich produzierendes Gewerbe, der Handel und Dienstleister gleichermaßen wohl fühlen. Wir haben also den Schritt von einem Standort der Großindustrie zu einer kleinteilig strukturierten Wirtschaft in den letzten Jahren vollzogen. Das macht die Gemeinde unabhängiger von Schwankungen der Märkte und sichert den Wohlstand hier.
HJS: Was werden die nächsten Schritte sein?
Babler: Wir wollen hier nicht das schnelle Geld mit Ansiedlungen machen, sondern wir wollen die Stadt Traiskirchen nachhaltig entwickeln und national wie international als Marke für einen Top-Wirtschaftsstandort etablieren. Jeder soll mit dem Namen Traiskirchen Ökologie, Ökonomie und Lebensqualität verbinden. Traiskirchen ist die erste Klimagemeinde Österreichs. Diesen Spitzenplatz wollen wir behalten. Unternehmen, die sich hier ansiedeln, sollen daraus auch einen Imagevorteil beziehen können.
HJS: Wie wollen Sie das machen?
Babler: Dazu haben wir zwei Möglichkeiten. Die erste ist, dass wir das selbst gestalten. Hierfür haben wir 45.000 m² brachliegende Industrieflächen gekauft. Auf diese Weise kann sich Traiskirchen aussuchen, welche Unternehmen sich hier ansiedeln können. Entscheidend ist für uns dabei die Qualität der Unternehmung, insbesondere in Hinblick auf dessen Umwelt- und Klimafreundlichkeit. Wir verwirklichen hier also ein stadt-ökologisches Konzept. Die zweite Möglichkeit bietet sich uns mit dem Förderungswesen.
HJS: Wie kann man das verstehen?
Babler: Die Ökonomien der Welt, also auch Traiskirchen, befindet sich in einem strukturellen Wandel, den wir nicht bestimmen können, den wir aber durch Förderungen beschleunigen wollen. Industrie 4.0, die digitale Transformation, aber auch der Klimawandel sind Stichworte, die in diesem Zusammenhang immer wieder fallen. Wenn wir über Wirtschaftspolitik in Richtung Ökologie und der anderen Megatrends nachdenken, müssen wir uns daher auch mit dem Förderungswesen befassen. Für Traiskirchen als erste Klimagemeinde Österreichs muss sich dabei vor allem die Ökologisierung sowohl für Unternehmen als auch die Gemeinden rechnen. Das bezieht sich einerseits auf bereits existierende Unternehmen. Diese werden sich nach und nach auch aus eigenen Antrieb an den Klimawandel anpassen müssen, schon alleine aus dem Grund, weil sie Richtlinien und Gesetze der EU und Österreichs dazu zwingen. Diesen Anpassungsprozess wollen wir unterstützen. Dabei reicht es uns jedoch nicht, dass ein Unternehmen auf seinem Dach eine Photovoltaik-Anlage installiert. Da muss schon etwas mehr kommen.
Entscheidend ist für uns die Qualität der Unternehmung, insbesondere in Hinblick auf dessen Umwelt- und Klimafreundlichkeit. Wir verwirklichen hier also ein stadt-ökologisches Konzept.
Andreas Babler, Bürgermeister von Traiskirchen
HJS: Was genau?
Babler: Das beinhaltet beispielsweise auch, dass man sich über die Länge der Lieferketten, Verkehrs- und Antriebskonzepte, Energieverbräuche, Fassadenbegrünung bis hin zu Bodenversiegelungsquoten usw. Gedanken macht. Wir wollen also Anreize für Unternehmen schaffen, sich umfassend zu ökologisieren.
HJS: Und was ist mit Unternehmen, die sich in Traiskirchen ansiedeln wollen?
Babler: Die unterstützen wir ebenfalls. Allerdings werden wir schon vor der Ansiedelung Bedingungen in Richtung Ökologisierung stellen. Das geht etwa in Richtung recyclebarer Baustoffe bei Neubauten, die Verwendung umweltfreundlicher Technologien, Digitalisierung usw. Wie gesagt: Es muss sich für Unternehmen wie die Gemeinde unterm Strich rechnen. In dieser Phase des Transformationsprozesses befinden wir uns derzeit.
HJS: Dafür genügt es aber nicht, Unternehmen Anreize zu bieten. Die Politik, also hier die Stadt Traiskirchen, muss auch liefern in diese Richtung.
Babler: Richtig! Die Politik muss auch bei sich die entsprechenden Maßnahmen setzen. Deshalb läuft in der Stadt Traiskirchen derzeit der größte strukturelle Umbau seit 50 Jahren. Dafür bauen wir eine neue Zukunftsabteilung mit erheblichen Ressourcen auf. Derzeit sind wir in der Ausschreibungsphase für Fachkräfte aus etwa von der Boku Wien, die sich mit ökologischer Stadtplanung auskennen. Gesucht sind aber auch Personen, die sich mit dem europäischen Förderwesen auskennen. Wir wollen Zukunftsprojekte entwickeln und dafür benötigen wir entsprechendes Know-how. Das ganze muss aber nicht nur wissenschaftlich, sondern auch politisch begleitet werden.
HJS: Was sind dabei die größten Herausforderungen?
Babler: Bei diesem Transformationsprozess in Richtung Klimagemeinde müssen die Dinge teilweise völlig neu gedacht werden. Das, was bisher gut war, wird infrage gestellt und auf seine Tauglichkeit für die Zukunft überprüft. Dabei kostet es viel Energie und Ressourcen, gelernte Handlungsweisen und Denkstrukturen zu überwinden. Klimastrategien sind eine Mörder-Arbeit für alle Beteiligten. Hierfür haben wir daher einen eigenen Ausschuss gebildet, der dem Ganzen eben auch den politischen Rückhalt gibt.
HJS: Vielen Dank für das tolle Gespräch.
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