Verkehrschaos: E-Commerce boomt mehr denn je. 2019 erzielte der deutsche Online-Handel einen Rekordumsatz von 72,6 Milliarden Euro, so der Bundesverband E-Commerce und Versandhandel (bevh). Die Corona-Krise befeuerte die Entwicklung weiter und brachte die KEP-Dienstleister an ihre Kapazitätsgrenzen. Jetzt, nachdem die Maßnahmen gegen die Ausbreitung von COVID 19 gelockert werden und die Straßen sich wieder füllen, wird es auf der berühmten „letzten Meile“ wahrscheinlich enger als zuvor. (Ein Fachbeitrag von Thomas Anderer*)
Der Begriff Verkehrschaos steht für eine Belastung am Anschlag, die Gesellschaft, Politik sowie Städte und Kommunen zur Transformation zwingt. Hier geht es in erster Linie darum, das Verkehrsaufkommen, insbesondere im Individual- und Güterverkehr, zu reduzieren. In Anbetracht der Entwicklungen im E-Commerce ist es nicht verwunderlich, dass an jeder Ecke sogenannte KEP-Fahrzeuge (von Kurier-, Express- und Paketdiensten) mit eingeschaltetem Warnblinklicht stehen. Sie sind für viele nicht nur ein lästiges Hindernis, das den Verkehrsfluss beeinträchtigt, sondern unter Umständen auch ein Sicherheitsproblem.
Das Verkehrschaos wäre leichter in den Griff zu bekommen, wenn sich die Verantwortlichen stärker mit schon bereits vorhanden disruptiven Lösungen oder Projektideen beschäftigen.
Thomas Ander, efeuCampus Bruchsal
Zustellung garantiert!
Günstige und flexible Lieferkonditionen führen dazu, dass die Komplexität der Zustellung von Online-Bestellungen erheblich steigt. Und in Zeiten von Corona kamen zusätzlich neue Bestimmungen und Regeln für die Belieferung, wie etwa die kontaktlose Übergabe von Waren. Das führt dazu, dass gerade für KEP-Dienste die letzte Meile – der Transport der Waren vom Umschlagplatz zum Empfänger – die teuerste ist: Häufig fahren sie eine Adresse bis zu dreimal an, um ein Paket erfolgreich zuzustellen. Daraus resultieren zahlreiche alternative Zustellmodelle, wie etwa Lieferung an Paketshops, an private Ablageorte, an den Arbeitsplatz oder an Paketstationen und Paketschränke. Hier könnten Innovationen, wie sie derzeit unter dem Dach von Smart City erforscht und getestet werden, eine weitere Alternativlösung bieten.
Smart Cities als Lösungsansatz
Der Begriff Smart City subsumiert unterschiedliche Merkmale einer idealen Zukunftsstadt, wobei zwei wesentliche Faktoren, die Mobilität und der Verkehr im Mittelpunkt stehen. Mobilität bedeutet heute nicht mehr nur Bewegungsfreiheit in Städten, sondern dass sich Verkehrsflüsse eigenständig aufrechterhalten und flexibel auf Probleme reagieren können. Das Verkehrsnetz stellt dabei die zentrale Lebensader einer Smart City dar. Intelligente Verkehrsplanung, die Förderung des Nahverkehrs, die flächendeckende Einführung von E-Mobilität und Sharing-Angeboten sowie eine bessere Vernetzung aller Verkehrsteilnehmer in einer stadtweiten Kommunikationsinfrastruktur sind hierbei Kennzeichen des erforderlichen Vorausdenkens, um neue Lösungen zielgerichtet voranzubringen.
Autonome Fahrzeuge für die letzten Meter
Für den E-Commerce und die KEP-Dienste sind hierbei autonome Fahrzeuge besonders spannend, welche die letzte Meile zurücklegen. Sie könnten auch und gerade in Corona-Zeiten eine adäquate, weil kontaktlose Lösung sein für die Belieferung der Adressaten. Das efeuCampus Innovationszentrum in Bruchsal, das erste Testareal für urbane autonome Güterlogistik, testet derzeit die synchrone und asynchrone Paketzustellung: Das Konzept beinhaltet Mikrodepots, die sich am Rand der Smart City oder in einem bestimmten Stadtgebiet befinden. Dort übergeben sie die KEP-Dienste an autonome Fahrzeuge. Diese kann der Empfänger via App direkt zu sich bestellen, wenn er zu Hause ist (synchrone Zustellung). Oder er nutzt eine installierte Station als Ablageort, um zu jeder Zeit Pakete zu empfangen (asynchrone Zustellung) und zu versenden, etwa bei Retouren. Das autonome Vehikel transportiert die Waren zurück zum Mikrodepot, von wo aus sie die entsprechenden Transportdienste wieder in die gewohnte Supply Chain aufnehmen.
Voraussetzungen gegen Verkehrschaos schaffen
All diese angedachten und disruptiven Lösungen funktionieren allerdings nur dann, wenn die entsprechenden Voraussetzungen erfüllt sind. Es gilt, den Fokus auf technologische Systeme zu legen, die Daten vernetzen, analysieren und auszuwerten können, um darauf aufbauend konkrete Lösungen für den Verkehr zu entwickeln. Erst wenn es gelingt, den öffentlichen Nahverkehr beispielsweise mit Gütertransport und Individualverkehr zu vernetzen und aufeinander abzustimmen, kann dies zu einer Entlastung der Verkehrswege und zur Emissionsreduzierung beitragen. Hier sind die Städte und Kommunen gefragt, die angehalten sind, eine entsprechende Dateninfrastruktur zu gewährleisten.
Nicht ohne Transformationswillen
Oft sind Verkehrs- und Stadtplanung in ihren eigenen Denkmodellen gefangen. Das Verkehrschaos wäre leichter in den Griff zu bekommen, wenn sich die Verantwortlichen stärker mit schon bereits vorhanden disruptiven Lösungen oder Projektideen beschäftigen, die einen Erkenntnisaustausch gewährleisten. Ein Innovieren und Transformieren auf politischer Ebene sind dazu dringend erforderlich.
Verkehrschaos: Jede City braucht ein eigenes smartes Konzept
Es ist kaum anzunehmen, dass sich die Lieferpolitik des E-Commerce oder die Kundenansprüche in Zukunft entschärfen werden. Folglich ist der Handlungsbedarf in Sachen Smart City besonders akut, um das Verkehrschaos im urbanen Raum aufzulösen. Fakt ist: In Kompetenzzentren wie in Bruchsal entstehen keine Blaupausen für alle Städte dieser Welt. Die gesammelten Ideen und Lösungsansätze eignen sich allerdings bestens, um eigene individuelle Smart City-Konzepte im Bereich Mobilität und Verkehr, Güterlogistik und Transport zu entwickeln.