Die deutsche Automobilindustrie steht an einem Scheideweg zwischen verbrennungsmotorisch angetriebenen Fahrzeugen und alternativen Antrieben. Dabei dürfte kein Stein auf dem anderen bleiben. Für viele ist diese Disruption ein bedrohliches Szenario. Andere sehen darin jedoch eine Chance zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformation – wenn die OEMs ihre Hausaufgaben machen. (Ein Kommentar von Markus Precht*)

Die deutsche Automobilindustrie steht vor großen Herausforderungen, die sowohl bedrohlich als auch richtungsweisend sind. Die Branche sieht sich mit Umsatzeinbrüchen, einer unsicheren geopolitischen Lage und einem äußerst aggressiven globalen Wettbewerb konfrontiert. Gleichzeitig verändern sich die Erwartungen der Autokäufer drastisch. Auch das macht grundlegende Veränderungen in Entwicklung und Produktion erforderlich. Doch welchen Weg sollten die Automobilhersteller einschlagen, um wieder an alte Erfolge anzuknüpfen – allerdings mit neuen Strategien und Technologien sowie einem anderen Mindset?
Elektromobilität – Das Rennen um Akzeptanz
Die herkömmlichen Verkaufsstrategien der Automobilhersteller funktionieren nicht mehr und werden durch politische Unsicherheit und ökonomische Instabilität weiter ausgehöhlt. Aktuell gilt noch die hart umkämpfte EU-Regelung, dass ab 2035 keine Benzin- und Dieselautos mehr zugelassen werden dürfen. Die Zahlen von Statista zeigen: bis zum 1. Juli 2024 stieg die Zahl zugelassener Elektroautos auf rund 1,52 Millionen Fahrzeuge. Damit rückt das Ziel, bis 2030 insgesamt 15 Millionen E-Autos auf deutsche Straßen zu bringen, in weite Ferne. Die potenziellen Käufer sind verunsichert und schieben den Auto-Neukauf auf. Die Continental-Mobilitätsstudie 2024 zeigt aber auch, dass in der Altersgruppe der 18-34-Jährigen eine große Bereitschaft besteht, ein Elektroauto zu kaufen (65 Prozent).
Automobilindustrie steht in der Verantwortung
Die Hersteller sind hier in der Verantwortung, gemeinsam mit den anderen Stakeholdern in der Branche das Thema Elektromobilität bei einer breiten Zielgruppe zu verankern und so die Akzeptanz zu erhöhen. Dies kann weitere zehn Jahre dauern, aber es ist machbar. Um jedoch zu einem signifikanten Umdenken zu motivieren, sind Verbesserungen in der Infrastruktur und der Batterietechnologie vonnöten, die erst innerhalb der nächsten Dekade vollständig greifen werden.
Software auf Rädern – Von Tacho und Drehzahlmesser zum Infotainment
Der wichtigste Trend – auch aus Käufersicht – ist das Software-definierte Fahrzeug. Die Software ermöglicht z.B. Technologien für höhere Sicherheit wie digitale Fahrassistenzsysteme, autonomes Fahren sowie die Vernetzung von Autos mit anderen Verkehrsteilnehmern und der Straßeninfrastruktur. Infotainmentsysteme bieten Komfort und Unterhaltung, die Wartung wird durch intelligente Kfz-Diagnose erleichtert.
Automobilindustrie – Kunden erwarten Customer Experience
Die Kunden erwarten beim Autofahren eine Customer Experience wie beim Smartphone, mit regelmäßigen automatischen Software-Updates. Dies ist für die Hersteller eine große Herausforderung, gerade im Hinblick auf das Speichern großer Datenmengen, Datenschutz und mögliche Cyberattacken. Die Komplexität moderner Fahrzeuge erschwert die Entwicklung eines Betriebssystems für das Auto. Es wird noch eine Weile dauern, bis Autos ihr IT-System fortlaufend aktualisieren und der Smartphone-Effekt sich einstellt. Auf dem Weg dahin müssen deutsche Hersteller in der Entwicklung und im Lieferkettenmanagement radikal umdenken, um das Feld nicht der Konkurrenz zu überlassen.
Künstliche Intelligenz – Der Turbo für die Automobilindustrie
Künstliche Intelligenz und maschinelles Lernen sind Schlüsseltechnologien für das Software-definierte Fahrzeug. Der Einsatz von KI steht in der Automobilindustrie noch am Anfang. Aber die enormen Investitionen der deutschen Automobilhersteller in Forschung und Entwicklung (lt. EU F&E-Radar 30 Prozent Anteil im weltweiten Vergleich) zeigen die Entschlossenheit, diese Transformation voranzutreiben. Ein Beispiel ist die Batteriezellforschung, die den Einsatz komplexer KI erfordert. Darum hat KI die größte transformative Wirkung in der Entwicklung. Aktuell ist in Deutschland jedoch der Weg von der Entwicklung bis zur Serienfertigung im Vergleich zu den Mitbewerbern zu lang und zu teuer. In der Produktion lassen sich mit KI Planung und Durchführung erheblich beschleunigen und effizienter machen. Ein Beispiel: KI kann Montagefehler erkennen und melden.
KI darf keine Blackbox sein
Um KI wirkungsvoll einzusetzen, sollte die Automobilindustrie klare Use Cases identifizieren, die tatsächlich einen Mehrwert haben – das wurde bisher nicht konsequent genug verfolgt. Mit einem technologieerfahrenen Consulting-Partner an der Seite können die Unternehmen eine Roadmap für Projekte erstellen und diese erfolgreich umsetzen. Damit KI nicht zur Blackbox wird, sollten alle Mitarbeiter die Möglichkeit haben, mit KI-Technologie zu arbeiten und sich damit vertraut zu machen. Dies kann auch unbegründete Ängste vor Jobverlust durch KI abbauen.
Mit der Cloud gegen das Silodenken
Im Gegensatz zur KI-Technologie ist die Cloud-Technologie in der Automobilindustrie bereits gut verankert. Alle Hersteller haben robuste Cloud-Strategien, die fortlaufend optimiert werden – oft mit einem Multi-Cloud-Modell. Die Entwicklung neuer Fahrzeugmodelle verzögert sich jedoch regelmäßig auf Grund von Lieferkettenproblemen. Laut Cloud Radar von Infosys (Manufacturing Industry Report) können Cloud-basierte Entwicklungsprozesse diese Risiken mit einer sicheren, einheitlichen Plattform verringern, die Transparenz und Kollaboration ermöglicht. Entwicklung und Produktion in der Automobilindustrie sollten daher eng zusammenarbeiten und Daten austauschen, um die Markteinführungszeiten zu verkürzen.
Automobilindustrie – Harte Einschnitte erwartet
Die nächsten Jahre werden hart für die Automobilindustrie. Aber die Wende ist zu schaffen, wenn die Hersteller sich stärker an den Bedürfnissen der Kunden orientieren, Technologie für mehr Effizienz und Produktivität einsetzen und die Silos im eigenen Unternehmen aufbrechen. Gefragt sind dabei nicht nur Ingenieure, sondern zunehmend Software-Entwickler. Dies ist der Weg, der in eine profitable und nachhaltige Zukunft führen kann.
Infosys Consulting in Kürze
Infosys Consulting ist ein globales Managementberatungsunternehmen, das einige der bekanntesten Marken der Welt bei der Transformation und Innovation unterstützt. Die Berater:innen von Infosys Consulting sind Branchenexpert:innen, die komplexe Veränderungsprozesse anführen, die durch bahnbrechende Technologien vorangetrieben werden. Mit Niederlassungen in 20 Ländern und gestützt auf die Kraft der globalen Marke Infosys helfen die Teams von Infosys Consulting der C-Suite, sich in der heutigen digitalen Landschaft zurechtzufinden, um Marktanteile zu gewinnen und den Unternehmenswert für einen dauerhaften Wettbewerbsvorteil zu schaffen.
(*Markus Precht ist Partner Manufacturing bei Infosys Consulting)
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