Obgleich in Deutschland und Österreich mittlerweile bis zu einem Drittel der Neuzulassungen auf Elektrofahrzeuge zurückzuführen ist, wird die Transformation der Automobilindustrie in Richtung E-Mobility zunächst einmal für viele Arbeitslose sorgen. Es dürfte daher darauf ankommen, für einen geregelten Übergang zu sorgen, damit die Situation nicht zu disruptiv wird. Dabei sind technologische Dogmen kontraproduktiv, macht eine Studie von PwC deutlich, welche vom europäischen Verband der Automobilzulieferer, CLEPA, in Auftrag gegeben wurde. (Ein Bericht von Hajo Schlobach)
Deutschlands und Österreichs Autofahrer greifen verstärkt auf elektrisch betriebene Fahrzeuge zu. So stiegen die Elektro-Neuzulassungen im November in Deutschland um 14 Prozent auf 68.200 Einheiten, war aus einer Aussendung des Verbands der deutschen Automobilherteller (VDA) zu entnehmen. Der Anteil von E-Pkw an den gesamten Neuzulassungen betrug somit 34,4 Prozent. Damit wurde der bisherige Höchstwert aus dem Vormonat deutlich übertroffen. Die Neuzulassungen von rein batterieelektrischen Pkw (BEV) legten hierbei jedoch um 39 Prozent zu, während die von Plug-In-Hybriden (PHEV) um neun Prozent zurück gingen. Im bisherigen Jahresverlauf wurden in Deutschland insgesamt 600.700 Elektro-Pkw neu zugelassen (+92 Prozent). Damit zeigen sich die deutschen übrigens wesentlich kauffreudiger als die Österreicher. Der Bundesverband Elektromobilität in Österreich spricht von rund 26.500 Elektroautos, die bis Ende Oktober 2021 neu zugelassen wurden. Dennoch geht auch hier der Trend stark in Richtung alternativer Antriebe bei Autos und ist zudem unumkehrbar.
E-Mobility – Pferdefuß „Arbeitsplätze“
Was Klimaschützer auf der einen Seite freut, hat jedoch auf der anderen Seite einen Pferdefuß. Die Transformation der Automobilwirtschaft in Richtung E-Mobility führt nämlich auch zur Reduktion von Arbeitsplätzen. Eine aktuelle Studie der internationalen Wirtschaftsberatung PwC im Auftrag der CLEPA kommt nun zum Ergebnis, dass im Worst Case in Europa bis 2040 bis zu 275 000 Arbeitsplätze durch den Umbau der Branche verloren gehen könnten. Das ist ein Rückgang von 43 Prozent der Beschäftigten in der Automobilbranche. Der Großteil der verlorenen Arbeitsplätze kommt aus der Zuliefererindustrie. Daher ist auch Österreich davon besonders betroffen. Die Alpenrepublik ist traditionell mit sämtlichen europäischen Automobilherstellern vernetzt und hat eine starke Zuliefererindustrie. Dazu zählen Unternehmen wie Magna in Graz, die Motorenwerke in Steyr, aber auch die Opel-Werke in Wien Aspern, die zum Stellantis-Konzern gehören.
Drei Szenarien – Von moderat bis radikal
Die PwC-Studie hat die Auswirkungen von drei verschiedenen Green Deal-Politikszenarien auf die Beschäftigung und Wertschöpfung der Automobilbranche in ganz Europa zwischen 2020 und 2040 untersucht und bewertet. Das eine Szenario nimmt dabei einen gemischten Technologieansatz an. Das zweite bildet den aktuellen, von der Politik derzeit forcierten EV-Ansatz ab (EV=Electric Vehicle), der auch im Fit-for-55-Paket der EU vorgeschlagen wird. Das dritte Szenario geht hingegen von einer radikalen EV-Intensivierung aus. Allen drei gemein ist jedoch, dass sie von einer sich beschleunigenden Elektrifizierung ausgehen. Dabei geht man von hohen Marktanteilen von Elektrofahrzeugen bis 2030 aus: 50, 80 bzw. nahezu 100 Prozent.
Europaweit fünf Prozent Beschäftigungsquote
Um die Ergebnisse richtig einordnen zu können, muss man allerdings wissen, dass Die Automobilindustrie 13 EU-Mitgliedstaaten für mehr als fünf Prozent der Gesamtbeschäftigung im verarbeitenden Gewerbe sorgt. Und hier sind mehr als 60 Prozent der Arbeitnehmer bei Automobilzulieferern beschäftigt. Die bislang einzigartige Studie liefert daher eine Grundlage für die europaweite Bewertung der Auswirkungen vom European Green Deal auf die europäische Automobilbranche im Allgemeinen und auf die Zuliefererindustrie im Besondern. Diese ist vor alle in Deutschland und Österreich, in zu Spanien, Frankreich, Italien, Tschechien, Polen und Rumänien angesiedelt.
Transformation – Vor allem der Mittelstand ist betroffen
Interessant ist die Studie außerdem auch deshalb, weil die Automobil-Zuliefererbranche weitestgehend vom Mittelstand geprägt ist, die Komponenten für den Antrieb entwickeln und produzieren: vom Kolben bis hin zum kleinsten Zahnrad. Und während OEMs die Veränderungen durch die E-Mobilität mit erhebliche Einsparungen entlang der Wertschöpfungskette kompensieren können, sind ihre Zulieferer deutlich weniger flexibel. Denn sie sind beispielsweise durch langfristige Verträge an die Hersteller gebunden. Gleichzeitig sind viele in ihrem Leistungsportfolio derart spezialisiert, dass eine Umstellung nahezu unmöglich ist. Und last but not least: Neben den globalen und gut kapitalisierten Branchenführern wie etwa Magna haben die hunderten spezialisierten KMU nur bedingt einen direkten Zugang zu den Kapitalmärkten, um in die Transformation ihrer Geschäftsmodelle zu investieren.
Auswirkungen schon ab 2030
Wie auch immer: Die Transformation ist in voll angelaufen. Ihre Auswirkungen sind derweil jedoch nur punktuell spürbar. Dabei ist es noch unklar, wie groß der Anteil der Corona- und nachfolgenden Halbleiterkrise an den derzeitigen Problemen der Branche ist. Fakt ist lediglich, dass der großflächige Umstieg der OEMs auf Elektromobilität einen Impact insbesondere auf die Zulieferer haben wird. Das ergibt sich schon alleine aus der Tatsache, dass ein verbrennungsmotorisch angetriebener Pkw heute zwischen 3.000 und 7.000 Teilen besteht, wohingegen selbst im aufwändigsten „Elektro-Straßenkreuzer“ nicht mehr als 2.000 Teile verbaut werden. Unabhängig davon prognostiziert die Studie, dass im Elektrofahrzeug-Szenario des Fit-for-55-Pakets rund 70 Prozent der Auswirkungen auf die Beschäftigung bereits ab 2030 spürbar sein werden. Das ist also noch ein halbes Jahrzehnt vor dem eigentlichen Beginn des Verbrenner-Ausstiegs.
E-Mobility vs. Abhängigkeit von China
Die Studie zeigt außerdem, dass die Chancen für Elektrofahrzeuge von der Etablierung einer tief gestaffelten Batterielieferkette in Europa abhängt. Zwar arbeiten einige der OEMs daran, Batterie-Knowhow wieder von Asien nach Europa zurück zu holen (wir berichteten auf blogistic.net), wie flächendeckend diese Unternehmen liefern können, ist bis dato noch ungewiss. Derzeit ist Europa noch massiv von der VR China und der Willkür ihres Staatschefs Xi Jinping abhängig. Und die EU sollten sich nicht von den Muskelspielen und Drohungen aus dem Reich der Mitte beeindrucken lassen. Vor diesem Hintergrund dürften übrigens die westeuropäischen Länder derzeit am besten geeignet sein, Hochburgen in der Produktion von Elektroantrieben zu werden. Das sorgt jedoch für ein Beschäftigungsgefälle vom Norden in die Länder Ost- und Südost-Europas, die auch weiterhin vom Verbrennungsmotor abhängig bleiben werden.
E-Mobility – Nachhaltigkeit nicht außer Acht lassen
Die Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens und des Klimaschutzes können daher kaum als alleiniger Maßstab für die Transformation der Automobilwirtschaft und der Dekarbonisierung des Verkehrs herhalten. Diese Ziele müssen nachhaltig erreicht werden, d.h. die soziale Verträglichkeit und die Wirtschaftlichkeit dürfen dabei nicht zu kurz kommen.
Lobautunnel-Entscheidung nicht nachhaltig
Entsprechend müssen auch die politischen Entscheidungen im Sinne der Nachhaltigkeit sein. Eine politische Entscheidung, die nicht den Prinzipien der Nachhaltigkeit folgt, ist derzeit die Lobautunnel-Entscheidung der derzeitigen Umweltministerin in Österreich, Leonore Gewessler. Die ehemalige Global 2000-Aktivistin stoppte ein seit mehreren Jahrzehnten evaluiertes und geplantes Bauvorhaben, das die Stadt Wien erheblich vom Transitverkehr entlasten sollte. Mehr als 150 Millionen Euro wurden bereits in das Projekt investiert, das das Reststück eines weiträumigen Umfahrungsringes um Wien darstellt. In Verbindung mit einer Stadtstraße hätte damit ein sich stark entwickelnder Stadtteil Wiens weiter modernisiert werden sollen.
Noch nicht das letzte Wort gesprochen
Dieses Reststück hätte in 60 Metern Tiefe unter dem Nationalpark Lobau verlaufen sollen, welcher bis in die Stadt Wien hineinreicht. Direkt daneben befindet sich die Großraffinerie der OMV. L. Gewesslers alleiniger Grund für den Baustopp war der Klimaschutz. Dass damit die Entwicklung eines ganzen Stadtteils Wiens von der Größe Linz‘ sowie der gesamte Osten Österreichs mit den Bundesländern Niederösterreich und Burgenland erheblichen eingebremst wird, war für die Politikerin von untergeordneter Relevanz. Auch zählte der Einwand nicht, dass durch die E-Mobility im Individualverkehr die Dekarbonisierung des Verkehrs ohnehin abnehme und damit ebenfalls dem Klimaschutz gedient sei. Eine nachhaltige Ersatzlösung bot die Ministerin nicht an. Darum dürfte hier auch aus verfassungsrechtlichen Gründen noch nicht das letzte Wort gesprochen sein.
Nicht nur am Auspuff schnüffeln
Auch der aktuelle Fit-for-55-Vorschlag der EU für CO2-Emissionsnormen für Pkw und Transporter berücksichtigt nur die Emissionen aus dem Auspuff des Fahrzeugs. Er lässt hingegen die Emissionen im Zusammenhang mit der Herstellung von Elektrofahrzeugen und deren Batterien einschließlich der Stromerzeugung außer Acht. Um Anreize für Technologien mit dem niedrigsten CO2-Fußabdruck zu schaffen, sollten daher die Emissionen von Fahrzeugen idealerweise auf der Lebenszyklusbasis reguliert werden, so der Vorschlag der CLEPA.
Gesamte Wirkungskette betrachten
Dort favorisiert man daher den sogenannten Well-to-Wheel (WtW)-Ansatz. Dabei wird die gesamte Wirkungskette für die Fortbewegung, also von der Gewinnung und Bereitstellung der Antriebsenergie bis zur Umwandlung in kinetische Energie untersucht und bewertet. Emissionsminderungen auf der Erzeugungsseite des Kraftstoffs/Stroms sollten bei der Feststellung der Einhaltung von CO2- Standards genauso berücksichtigt werden, beispielsweise durch die Einführung eines freiwilligen Anrechnungsmechanismus. Das würde den Automobilherstellern eine zusätzliche Möglichkeit eröffnen, die flottenweiten Ziele mit zusätzlichen Mengen an erneuerbaren Kraftstoffen zu erfüllen.
Transformation – Technologieoffenheit verschafft Zeit
Insbesondere bei den Zulieferern der OEMs fordert man daher eine Technologieoffenheit insbesondere von den politischen Entscheidern. Sie würde der Industrie die nötige Zeit für den Übergang verschaffen, so die Argumentation. Zudem könnten so die sozialen Umbrüche, die mit disruptiven Entwicklungen wie der Transformation der Automobilwirtschaft einhergehen, abgemildert werden, ohne dabei Kompromisse beim Klima eingehen zu müssen. Ein geplanter und durchdachter Übergang in Form eines Ansatzes mit gemischten Technologien würde zudem Optionen offen halten, um sich an neue Entwicklungen anzupassen. Das könnten technologische Durchbrüche einerseits sein, aber auch geopolitische Ereignisse und/oder die Verfügbarkeit von Ressourcen. Und last but not least bietet eine Technologieoffenheit erhebliche Wertschöpfungschancen in der Automobilindustrie als einem der größten Industriesektoren Europas.
Mehrere Technologien parallel
Ein technologieoffener Ansatz, wie man ihn sich bei der CLEPA vorstellt, sollte daher eine schnelle Elektrifizierung mit sauberer und erneuerbarer Energie umfassen. Dieser sollte zudem durch saubere Verbrennungstechnologien mit nachhaltigen erneuerbaren Kraftstoffen ergänzt werden. Hier gebe es bereits vorhandene Optionen wie etwa Null-Emissions-Auspuffanlagen. Hinzu kommen klimaneutrale Kraftstoffe. „Nicht die Technologie ist hier der Feind, sondern es sind die fossilen Kraftstoffe. Technologieoffenheit wird entscheidend sein, um einen gerechten Übergang zu ermöglichen“, sagt daher Sigrid de Vries, die Generalsekretärin der CLEPA.
E-Mobility – „Menschen in den Mittelpunkt stellen“
S. de Vries fordert darum von der Politik in Europa nicht technologiefeindliche, sondern nachhaltige Entscheidungen. Sie kommentiert das Ergebnis der PwC-Studie so: „Die Studie hebt die Risiken des Elektrofahrzeug-Ansatzes (Anm.: Fit-for-55) für den Lebensunterhalt von hunderttausenden Menschen in Europa hervor, die hart daran arbeiten, technologische Lösungen für nachhaltige Mobilität bereitzustellen. Da in der Automobilindustrie die Automobilzulieferer für den größten Teil der Arbeitsplätze sorgen, ist es entscheidend, dass wir diese bei der Bewältigung der sozialen und wirtschaftlichen Auswirkungen der Transformation in den Mittelpunkt stellen.“
Bis 2050 klimaneutral
Schützenhilfe bekommt sie dabei von Hildegard Müller, der Präsidentin des VDA: „Die Automobilindustrie wird bis spätestens 2050 klimaneutrale Mobilität liefern. Die deutschen Unternehmen investieren in den nächsten Jahren rund 150 Milliarden Euro in Zukunftstechnologien. Dennoch müssen Technologie- und Innovationsoffenheit die Grundlage jedes unterstützenden politischen Rahmens in den nächsten Jahrzehnten sein. Die neue Studie unterstreicht, dass Deutschland gut aufgestellt ist, um Investitionen in die Elektromobilität anzuziehen, die für die zukünftigen Beschäftigungsmöglichkeiten in der Branche entscheidend sind.“
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