Spätestens seit dem 1. Januar 2025 ist die ESG-Berichterstattung als Teil der sogenannten “Corporate Sustainable Reporting Directive (CSRD) für alle Unternehmen in der EU verpflichtend. Seither müssen sie ihre Nachhaltigkeitsleistungen dokumentieren und einmal pro Jahr transparent machen. Das umfasst etwa Informationen zu Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekten. Das gilt insbesondere in den Bereichen der REACH, RoHS oder PFAS-Vorschriften. Fehler oder gar Fakes können dabei für Unternehmen und ihre Entscheider ruinös werden, weiß J. E. van Lambalgen*.

ESG-Berichterstattung – Die Berichtspflichten bleiben
Die ESG-Berichterstattung (ESG = Environmental, Social, Governance): In Deutschland ist sie teilweise im sogenannten Lieferketten-Sorgfaltspflicht-Gesetz (LkSG) verankert, das unter der neuen schwarz-roten Regierung wieder abgeschafft werden soll. Ansonsten ist sie integraler Bestandteil der sogenannten “Corporate Sustainable Reporting Directive” oder kurz: CSRD. Die CSRD wurde bereits von 20 Staaten in geltendes nationales Recht umgewandelt. Noch nicht jedoch von Deutschland und Österreich. Sie ist dennoch verpflichtend für alle Unternehmen im deutschsprachigen Raum mit mehr als 250 Mitarbeitern, mehr als 40 Millionen Euro Umsatz bzw. mehr als 20 Millionen Euro Bilanzsumme. Ab dem 1. Januar ist sie aber auch verpflichtend für alle kapitalmarktorientierten kleineren und mittleren Unternehmen (KMU), sofern sie nicht von der Möglichkeit eines Aufschubs bis 2028 Gebrauch machen – ratifiziert hin oder her.
ESG-Berichterstattung – Gesellschaftliche und wirtschaftliche Nutzen
Die ESG-Berichterstattung ist somit nicht nur ein Bürokratiemonster, als das sie von seinen Gegenern gerne beschimpft wird. Positiv betrachtet ist sie ein wesentlicher Bestandteil der modernen Unternehmensführung. Sie umfasst nämlich die Offenlegung von Nachhaltigkeitsstrategien und gesellschaftlicher Verantwortung in Berichten, die eine Vielzahl von Kennzahlen aus dem ESG-Bereich thematisieren. Der gesellschaftliche Nutzen liegt dabei vor allem in der Förderung von Transparenz und Verantwortlichkeit. Unternehmen, die ESG-Berichte erstellen, zeigen offensiv ihr Engagement für Umwelt- und Sozialfragen sowie für eine verantwortungsvolle Unternehmensführung. Und genau das soll das Vertrauen der Stakeholder fördern und kann zu einer positiven Wahrnehmung in der Öffentlichkeit führen.
Berichterstattung senkt Risiken
Wirtschaftlich gesehen trägt die ESG-Berichterstattung hingegen zur Risikominimierung bei und kann neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnen. Unternehmen, die sich an die ESG-Standards halten, sind besser auf andere regulatorische Anforderungen vorbereitet und können so die Entwicklung ihres Unternehmens positiv beeinflussen und fördern. Denn Investoren nutzen mittlerweile gerne ESG-Berichte als Entscheidungsgrundlage für ihre an Nachhaltigkeit orientierten Investments. Somit kann eine ESG-Berichterstattung die Kapitalbeschaffung erleichtern.
Was Gegner zur ESG-Berichterstattung vorbringen

So weit, so gut. Was der Gesetzgeber positiv mit der ESG-Berichterstattung bewirken will, ist jedoch für ihre Gegner das Gegenteil von gut. Sie argumentieren, dass die ESG-Überlegungen des Gesetzgebers die Effizienz von Unternehmen negativ beeinträchtigen können. So könnten nämlich Investitionsentscheidungen getroffen werden, die zwar ESG-konform sind, sich jedoch nicht an der Wirtschaftlichkeit eines Unternehmens orientieren. Und das beeinträchtigt die eigene Wettbewerbsfähigkeit.
Mangel an Standards führt zu Fehlentscheidungen
Zudem mangle es an einer EU-weiten Standardisierung der ESG-Berichterstattung, so ein weiterer Vorwurf. Somit fehle es an konsistenten ESG-Maßnahmen und Berichtssystemen. Dies erschwert aussagekräftige Vergleiche zwischen Unternehmen und Branchen. Eine Verbesserung der eigenen Wettbewerbsfähigkeit könne daher nur bedingt festgestellt werden oder führt sogar zu irrigen Annahmen der eigenen Marktpositionierung. Das kann dann in weiterer Folge zu fehlerhaften Investitionsentscheidungen führen.
Das Greenwashing-Risiko wächst
Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die ESG-Berichterstattung das Greenwashing-Risiko fördert. Die Gegner der Berichtspflichten verweisen darauf, dass Unternehmen ihre ESG-Initiativen übertreiben oder irreführend darstellen mit dem Ziel, sozialbewusste Investoren anzulocken, ohne jedoch wesentliche Verbesserungen der eigenen Geschäftsabläufe tatsächlich vorzunehmen.
ESG-Berichterstattung beeinflusst nicht die Kreditvergabe
Und last but not least stellen die Kritiker den Zusammenhang zwischen ESG-Verpflichtungen und finanzieller Leistungen beispielsweise durch Banken in Frage. Sie argumentieren, dass die Konzentration auf ESG-Überlegungen nicht immer zu höheren Anlagerenditen führt. Diese Argumente spiegeln die Bedenken wider, dass die ESG-Berichterstattung mehr Schaden als Nutzen bringen könnte, insbesondere wenn sie nicht richtig umgesetzt wird. Die Gegner der ESG-Berichterstattung kommen dabei aus verschiedenen Bereichen, darunter politische Gruppen, Wirtschaftsverbände und einige Unternehmen.
Kostenschätzungen für die ESG-Berichterstattung
Befeuert werden diese Bedenken von der Tatsache, dass die ESG-Berichterstattung richtig viel Geld kostet. Laut einer Studie von KonBriefing Research vom September 2024 entstehen durchschnittliche Mehrkosten von einmalig € 23.688 und jährlich € 72.590 pro Unternehmen für Berichterstattung, Prüfung und Tagging (hier klicken und CSRD-Kosten lesen). Im ersten Jahr der Berichtspflicht würden somit durchschnittlich Mehrkosten von € 96.278 pro Unternehmen anfallen. Das sind Kosten, welche die Bonität von Unternehmen erheblich beeinflussen können. Genau das ist jedoch in Krisenzeiten, welche sie die Weltwirtschaft derzeit durchlebt, selbst für willige Entscheider ein Grund zur Opposition. Da ist es dann auch unerheblich, dass diese Kosten je nach Unternehmensgröße und Komplexität der Berichterstattung variieren können. Ob so oder so: dieses Geld muss von jedem berichtspflichtigen Unternehmen erst einmal verdient sein.
Der Druck auf Unternehmen wächst

Der Druck auf die Unternehmen nimmt aber auch seitens des Gesetzgebers zu. Denn dieser fordert von den Unternehmen eine Wahrheitspflicht. Eine fehlerhafte ESG-Berichterstattung kann nämlich erhebliche rechtliche Folgen für Unternehmen und deren Führungskräfte haben. Dabei wären Bußgelder ein vergleichsweise geringes Problem, obgleich diese bis zu fünf Prozent des Jahresumsatzes oder bis zu 10 Millionen Euro betragen können. Entscheider wie beispielsweise Vorstände und Aufsichtsratsmitglieder können persönlich haftbar gemacht werden. Dies umfasst auch strafrechtliche Konsequenzen, wenn die Berichterstattung als vorsätzlich fehlerhaft oder irreführend eingestuft wird. Entscheider müssen also nicht nur mit langwierigen Gerichtsverfahren rechnen, sondern sie laufen Gefahr, ihren guten Leumund nachhaltiug zu verlieren. Gleichzeitig kann eine fehlerhafte ESG-Berichterstattung als Wettbewerbsverstoß gewertet werden, was zu weiteren rechtlichen Problemen führen kann. Und last but not least können bei einer Verurteilung andere Unternehmen, Investoren oder Kunden Schadensersatzansprüche geltend machen, wenn sie durch fehlerhafte Berichterstattung geschädigt wurden. Dies kann beispielsweise Kapitalanlagebetrug umfassen. Es ist daher entscheidend, dass Unternehmen ihre ESG-Berichterstattung sorgfältig und korrekt durchführen, um diese Risiken zu minimieren.
Management-Expertin – „SAP versagt oft bei ESG-Berichterstattung“
Genau bei dieser Sorgfaltspflicht können Entscheider in eine große Berichts-Falle tappen. So sagt etwa Jane Enny van Lambalgen*, dass die ESG-Berichterstattung in vielen Industrieunternehmen falsch sei, weil die zugrunde liegende Datenbasis in SAP nicht stimme. In weiten Teilen der Industrie im deutschsprachigen Raum seien nämlich die in den SAP-Systemen gespeicherten ESG-Informationen unvollständig oder gar falsch. Daher können viele Unternehmen die gesetzlichen Anforderungen nach geltenden Regelungen für Umweltschutz und Nachhaltigkeit sowie ethischer Betriebsführung (Environmental, Social, Governance) faktisch nicht erfüllen, so ihr Fazit. Jane Enny van Lambalgen ist CEO der Beratungs- und Managementfirma Planet Industrial Excellence. Sie hat einige Industrieprojekte analysisert.
Schwierigkeiten bei Nachweisen in der Praxis
Dies gelte insbesondere für die Anforderungen der neuen EU-Regularien bezüglich Material-Compliance wie REACH (Registration, Evaluation, Authorisation and Restriction of Chemicals), RoHS (Restriction of Hazardous Substances), POP (Persistent Organic Pollutants) und PFAS (Per- and Polyfluoroalkyl Substances). In der betrieblichen Praxis erweise es sich häufig als problematisch bis unmöglich, alle vorgeschriebenen Nachweise etwa von Lieferanten zu erhalten oder zu erbringen, um diese im SAP-System zu erfassen. „Teilweise ist es ausgeschlossen, detaillierte Kenntnisse über jede einzelne Substanz in einem Produkt zu erlangen“, weiß J. E. van Lambalgen aus vielen Industrieprojekten. Zudem seien ESG- und Material-Compliance in der Praxis derart eng miteinander verwoben, dass der administrative Aufwand zur Erfüllung der Vorschriften für viele mittelständische Unternehmen nicht zu stemmen sei.
ESG-Berichterstattung – Folgen für Fehler sind “potenziell fatal”

Die Folgen dieser Problematiken bezeichnet die Managementberaterin als „potenziell fatal“. Viele Industriefirmen verstoßen nämlich, ohne es zu wollen, gegen geltendes Recht. Denn dieser Verstoß fällt aufgrund der falschen Zahlen im SAP-System nicht auf. „In so einem Unternehmen möchte ich nicht zum Kreis der Verantwortungsträger gehören“, warnt die Management-Beraterin vor den Haftungsfolgen für Vorstand, Geschäftsführung, ESG- und IT-Leitung.
Verstöße sind an der Tagesordnung
Nach ihren Erfahrungen sind Verstöße gegen REACH, RoHS und die PFAS-Regulatorik an der Tagesordnung, weil im SAP-System falsche und teilweise völlig irreführende Daten dazu gespeichert sind. Die EU-Verordnung REACH (Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung von Chemikalien) verpflichtet jedoch Unternehmen, Informationen über die von ihnen hergestellten oder importierten Chemikalien zu sammeln und zu bewerten. Die EU-Richtlinie RoHS (Beschränkung gefährlicher Stoffe) beschränkt zudem die Verwendung bestimmter gefährlicher Stoffe wie Blei, Quecksilber oder Cadmium in Elektro- und Elektronikgeräten. Bei PFAS (Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen) handelt es sich hingegen um eine Gruppe von über 4.700 Chemikalien, die aufgrund ihrer wasser-, fett- und schmutzabweisenden Eigenschaften in vielen Produkten eingesetzt werden. Das Einsatzspektrum reicht hierbei von Textilien über Lebensmittelverpackungen und Grillpfannen bis hin zu Shampoo und Kosmetika. Aufgrund dieser Vielfalt unterliegen diese „Ewigkeitschemikalien“ zahlreichen Regularien. Sie reichen von REACH über Trinkwasserrichtlinien und Lebensmittelkontakt-Materialienvorschriften bis hin zur Pflanzenschutzgesetzgebung.
KI bringt Fake-ESG-Strategien ans Licht

J. E. van Lambalgen erklärt gegenüber den Medien: „Es handelt sich bei PFAS-Chemikalien durchweg um potenziell gesundheitsgefährdende Stoffe und die Unternehmen müssen den Umgang damit klar nachweisen. Andernfalls stehen hohe Geld- und möglicherweise sogar Haftstrafen im Raum.“ Nach Einschätzung der Managementberaterin sind viele Industriebetriebe „mit ihrer fake-facts-basierten ESG-Strategie bislang unter dem Radar geflogen, weil schlichtweg niemand die Datenbasis hinterfragt hat.“ Sie warnt jedoch davor, dass neue KI-Analysen alle diese falschen Informationen über kurz oder lang auffliegen lassen.
ESG-Berichterstattung – Wie bei Plagiaten an der Uni
Dabei zieht die Managementberaterin einen Vergleich: „Viele plagiierte Promotionen sind jahre- oder gar jahrzehntelang nicht aufgefallen, bis sich durch moderne Analysetechniken heute jeder irgendwo kopierte Satz nachvollziehen lässt. Ganz ähnlich werden künftig widersinnige ESG- und Material-Angaben auffliegen, sobald sie Plausibilitätsprüfungen unterzogen werden, etwa durch Analysen der Lieferkette und Vergleiche mit Wettbewerbern.“ Sie weist daher auf die möglichen Folgen hin: „Ebenso wie manch ein Akademiker seinen Doktortitel hergeben musste, dürfte sich künftig auch manch ein direkt oder indirekt für ESG oder Materialien Verantwortlicher in der Wirtschaft in einer äußerst unangenehmen Situation wiederfinden.“
Task Force für ESG-Daten und Material-Compliance im SAP-System
Die Managementberaterin empfiehlt daher Unternehmen, die bei ihrer ESG-Berichterstattung unter Regulierungen wie REACH, RoHS oder PFAS-Vorschriften fallen, „schleunigst eine Task Force ins Leben zu rufen”. Diese sollte dann den ESG- und Material-relevanten Datenbestand im SAP-System genauestens unter die Lupe nehmen. Hierbei sollte nach ihren Projekterfahrungen schwerpunktmäßig den Fragen nach der Herkunft und der Plausibilität der Daten nachgegangen werden. „Es ist im Detail nachzuverfolgen, aus welchen Quellen welche Daten kommen und wie verlässlich diese tatsächlich sind“, beschreibt J. E. van Lambalgen die Herausforderungen für die Task Force.
(*Jane Enny van Lambalgen ist Founding Partner und Geschäftsführerin der Firma Planet Industrial Excellence sowie Mitglied bei United Interim, der führenden Community für Interim Manager im deutschsprachigen Raum, und im Diplomatic Council, einer globalen Denkfabrik mit Beraterstatus bei den Vereinten Nationen (UNO). Für Unternehmen ist sie tätig als Interim Manager für Strategie, Operational Excellence, Turnaround, Supply Chain Management und Digital Transformation. Als Managerin auf Zeit übernimmt sie Positionen als CEO, Managing Director, COO, Delegierte des Verwaltungsrats, Aufsichtsrat und Beirat in der mittelständischen Wirtschaft. Schwerpunkte ihrer Tätigkeit sind internationale Operations-Einsätze mit Fokus auf Produktion, Supply Chain und Logistik.)
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