Peter Stelzer gilt als einer der erfahrensten IT-Spezialisten in der Intralogistik-Automation der DACH-Region. HaJo Schlobach spricht mit ihm über den Reality-Gap zwischen der digitalen Realität wie beispielsweise in Warehouse-Management-Systemen (WMS) und der physischen Realität. Er stellt dabei das neuartige optische System mit integrierter KI ivii iriis vor. Dieses System soll diesen Gap beseitigen und damit eine hundertprozentige Qualitätssicherung und Verlässlichkeit entlang der Prozessketten ermöglichen.
blogistic.net: Herr Stelzer, Sie sind ja schon sehr lange im Knapp-Konzern. Sie starteten bei der Forschung & Entwicklung und sind heute CEO der ivii. Was ist so faszinierend an der Intralogistik?
P. Stelzer: Meine beruflichen Wurzeln sind in der IT. Ich begann als IT-Berater und Consultant und bin 2007 in die Logistikbranche bei Knapp in Leoben eingestiegen. Das herausfordernde ist dabei, dass die Intralogistik mit ihren Systemen sehr langlebig ist. Intralogistikanlagen haben Lebenszyklen von 20 oder mehr Jahren. Daher müssen die IT-Konzepte der kurzlebigen Softwarebranche so angepasst werden, dass die Anwender möglichst über den gesamten Nutzungszeitraum ihrer Anlagen auch die entsprechenden IT-Services nutzen können.
blogistic.net: Was war damals die Strategie bei Knapp?
P. Stelzer: Die Strategie lässt sich unter dem Schlagwort “Zero-defect-Warehouse“ subsummieren. Dabei ging es vor allem um die Qualitätssicherung entlang der Prozessketten. Das bedeutet, dass sämtliche Fehler entlang dieser Prozesse faktisch ausgeschaltet werden sollen. Diese Strategie zieht sich bis heute durch.
blogistic.net: Ein schwieriges Unterfangen. Menschliche Fehler kann man mit technischen Hilfsmitteln der IT sehr gut reduzieren. Was ist aber mit Fehlern, welche entstehen, die sich der menschlichen Kontrolle entziehen? Maschinenfehler zum Beispiel.
P. Stelzer: Sie haben Recht. Wir haben damals schon erkannt, dass wir hier auf optische Systeme setzen müssen, weil man mit der herkömmlichen Sensorik eben nicht alles erfassen kann. Wir haben die entsprechenden optischen Systeme entwickelt. Diese sind auch in den vielen Anlagen von Knapp verbaut.
P. Stelzer – Wir entwickeln optische Qualitätssicherungs- und Assistenzsysteme
blogistic.net: Wo kommt hier aber die ivii ins Spiel?
Peter Stelzer: Die ivii wurde 2016 gegründet. Ziel war und ist es bis heute, beispielsweise die hochkomplexen opto-sensorische Systeme in den Anlagen so zu vereinfachen, dass man sie auch einem breiten Publikum zur Anwendung präsentieren kann. Die Entwicklungen der ivii sind also optische Qualitätssicherungs- und Assistenzsysteme für eine breite Masse an Anwendungen in den unterschiedlichsten Branchen. Diese Systeme sollen die Kunden dabei unterstützen, den laufend anwachsenden Qualitätssicherungs-, Kosten- und Leistungsanforderungen zu genügen. Das geht bis hinunter auf die Mitarbeiterebene. Es sind also auch kognitive Assistenzsysteme, damit Mitarbeiter möglichst stressfrei ihren Job machen können. Und der größte Stress entsteht durch persönlich gemachte Fehler.
blogistic.net: Wie hoch ist die Akzeptanz solcher Systeme und IT-Projekte beispielsweise bei KMU? Die stehen unter einem enormen Druck, sich in ganze Lieferketten zu integrieren. Stichwort: Industrie 4.0
P. Stelzer: Die Berührungsängste, sich in umfassende Digitalisierungs- und IT-Projekte zu begeben, sind groß, weil es heute viel Knowhow erfordert. Das fängt bei den Pflichtenheften an und hört bei der Akzeptanz der Mitarbeiter auf. Der Zeitfaktor spielt auch eine große Rolle usw. Bei diesen Herausforderungen für Unternehmen haben wir angesetzt mit dem Ziel, dass diese ganzen Projekte vereinfacht werden müssen. Auf diesen Vereinfachungen dieser Prozesse lag in den letzten Jahren unser Augenmerk. Der Anwender soll ohne großes Fachwissen über Bildverarbeitung und IT unsere Systeme nutzen können. Künstliche Intelligenz (KI), wie wir sie auch bei unserer Neuheit ivii Iris einsetzen, ist hier hilfreich.
blogistic.net: Wo steht die ivii heute?
P. Stelzer: Die First Mover bei den KMU stehen unseren optischen Assistenz-Systemen zur Qualitätssicherung sehr offen gegenüberstehen und wollen diese breiter einsetzen. Der Markt entwickelt sich gerade sehr gut, auch wenn wir noch an einem Anfang stehen. Wir gestalten die Markteinführung unserer Systeme aber sehr offen, d.h. jeder Interessent kann quasi den IT-Fachmann seines Vertrauens mitnehmen. Das schafft Unabhängigkeit von uns als Lösungsanbieter.
P. Stelzer – ivii iriis lehnt sich an der Netzhaut des Auges an
blogistic.net: Wie sieht so eine einfache Einführung beispielsweise ihres brandneuen Systems, ivii Iris aus?
Peter Stelzer: Der Name ivii Iris lehnt sich an den Namen der menschlichen Netzhaut an und steht für die optische Identifikation. Kunden können mit ihren Produkten, Artikeln usw., die sie qualitätssichern, assemblieren oder in der Retoure re-identifizieren wollen, zu uns kommen und probieren das live aus. Das ist der große Unterschied zu herkömmlichen IT- und Digitalisierungsprojekten, welche gerne schon bei der Formulierung von Pflichtenheften scheitern. Wir haben die fixfertigen Lösungen da, die potenzielle Anwender:innen ausprobieren können, und wenn sie nicht physisch bei uns sein können etwa aus Zeitgründen, dann können sie uns ihre Produkte auch schicken. Wir lernen diese in ivii Iris und ihre KI ein, filmen das und schicken das Video samt Artikeln den Interessenten wieder retour. Wenn der potenzielle Kunde weiter bei sich ausprobieren möchte, etwa an einer Kommissionierstation, dann senden wir einen Arbeitsplatz mit allem, was dazu gehört, zum Testen mit.
blogistic.net: Aus welchen typischen Bereichen oder Branchen gibt es derzeit gehäuft Nachfragen.
P. Stelzer: Unser neues System ivii Iris, das wir auf der LogiMAT 2024 vorstellen wollen, ist als ein Kernsystem mit festgelegten Features erhältlich, das aber nahezu grenzenlos an andere Applikationen angepasst werden kann. Dieses Kernsystem ist für sich schon für sehr viele Anwendung geeignet und kann in unterschiedlichste Applikationen integriert werden. Wir bei ivii integrieren das System beispielsweise in einen Arbeitsplatz, der sich “Smart Desk” nennt. Dieser hat drei Funktionen: Zum einen die Mitarbeiterführung, d.h. der Mitarbeiter wird angeleitet, wie er etwas assemblieren soll. Danach wird jeder Arbeitsschritt auf seine Richtigkeit überprüft. Sollte also ein Fehler unterlaufen sein, wird man sofort darauf hingewiesen. Die dritte Funktion ist die Identifikation von Artikeln.
blogistic.net: Wozu benötigt man die Identifikation von Artikeln?
P. Stelzer: Solche Features sind insbesondere im Retourenmanagement wichtig. Oft sind die Barcodes retournierter Ware nicht mehr vorhanden, die eine zweifelsfreie Identifikation ermöglichen. Auf diese Weise entstehen daher überfüllte Warenlager mit Retourware, von denen aber niemand genau weiß, was darin ist. Wenn der Anwender das System und die KI geschult hat auf die Ware oder den Artikel, muss der Mitarbeiter die Ware nur noch auflegen und das System erkennt sofort, was es ist, wohin es gehört etc. Der Anwender kann die KI übrigens ganz leicht selbst schulen, ganz ohne IT- oder Bildverarbeitungskenntnisse. Ein Bild genügt.
P. Stelzer – Unser Slogan heißt “Close the Reality Gap”
blogistic.net: Was passiert aber bei hochperformanten Systemen wie etwa A-Frames für die Medikamenten-Distribution, die ja vielfach schon online abgewickelt wird?
Peter Stelzer: Unser Slogan heißt “Close the Reality Gap”. Das bedeutet, dass man Produkte wie beispielsweise ivii Iris überall dort einsetzen kann, wo eine Abweichung der digitalen Welt wie in einem WMS und der physischen Welt, etwa in einem Transportbehälter, passieren kann. Überall dort werden unsere Systeme verwendet. Unternehmen sind teilweise schon tief digitalisiert, andere noch weniger. Auch sind die Prozesse sehr optimiert. Wenn aber beim Einbringen eines Produktes in die digitale Welt ein Fehler passiert, dann sind die Ergebnisse falsch, obwohl die Prozesse perfekt sind. In der Distributionslogistik können solche Fehler beispielsweise im Wareneingang entstehen. Dort kommen die Waren sortenrein ins Lager und werden entsprechend verteilt, beispielsweise in OSR-Systeme. Wenn nun dort beim Umlagern in kleinere Gebinde ein Fehler passiert, dann bekommen Sie ein Problem. Diese Fehler muss dann nicht einmal ein Mitarbeiter machen. Es machen auch Maschinen durchaus Fehler. Selbiges gilt auch bei der Kommissionierung. Früher waren solche Fehler eher verzeihbar, weil es solche Optimierungsgrade wie heute gar nicht gab. Wenn so ein Fehler heute passiert, dann kann das schmerzhafte Folgen haben. Ivii Iris hilft, solche Fehler zu vermeiden, auch in hochperformanten Systemen.
blogistic.net: Herzlichen Dank für das tolle Gespräch.
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