Eine Studie der internationalen Managementberatung Barkawi im Dezember 2015 belegt, dass das Thema „Bestandsmanagement“ für Unternehmen Priorität hat, jedoch kaum angegangen wird. Das könnte sich bei den dramatischen Veränderungen in den Supply Chains durch die wieder eingeführten Grenzkontrollen der EU-Staaten als Kostentreiber erweisen.
Bewusstsein ist zwar vorhanden, den Unternehmen fehlen für nachhaltiges Bestandsmanagement noch immer die Ressourcen. | Foto: M. Großmann/www.pixelio.de
Das veränderte Marktverhalten der Kunden, wie etwa die steigende Erwartung an Produktverfügbarkeit setzt Unternehmen unter Druck, die eigenen Bestände wieder nach oben zu fahren. Gleichzeitig werden die Planungs- und Steuerungsprozesse durch Megathemen wie etwa Industrie 4.0 immer komplexer. Zudem treiben Störungen in der Lieferkette wie etwa die Grenzkontrollen an den nationalen Grenzen der Schengen-Staaten der EU die Bestände noch weiter in die Höhe. Denn nur so lässt sich zumindest kurzfristig die Lieferbereitschaft in eng getakteten Supply Chains auf hohem Niveau halten, sind die Verantwortlichen
in Unternehmen überzeugt.
Kostenschere spreizt sich
Und in der Tat: Gerade die Kontrollen an den Grenzen der Schengen-Staaten treiben derzeit die Prozess- und Logistikkosten österreichischer Unternehmen entlang der Wertschöpfungsketten dramatisch nach oben, moniert Dr. Georg Kapsch, Präsident der Industriellenvereinigung, in der ORF-Pressestunde am 21. Februar. Darum lehnt er Grenzkontrollen an den nationalen Grenzen vehement ab. „Ich bin nicht dafür, Binnengrenzen massiv zu kontrollieren“, sagte G. Kapsch, denn beispielsweise der Logistikbranche entstünden dadurch täglich Kosten in Millionenhöhe. Dabei sind es vor allem stundenlange Wartezeiten, welche die Logistiker belasten. Doch dabei bleibt es nicht. Denn die langen Wartezeiten an den Grenzen führen dazu, dass Unternehmen wiederum mehr Kapital im Lager binden müssen, um die eigene Lieferfähigkeit halten zu können. „Das verteuert Produkte und kostet Arbeitsplätze“, warnte G. Kapsch mit Nachdruck. Aus denselben Gründen stellt er sich auch gegen ein „Grenzmanagement“ am Brenner: „Ich würde diese Maßnahme nicht treffen“, sagt er. Vielmehr trete er für Kontrollen an den Schengen-Außengrenzen und eine Entlastung Griechenlands ein.
Bestandsmanagement immer wichtiger
Die Befürchtungen hinsichtlich der wirtschaftlichen Folgen von IV-Präsident G. Kapsch sind real, denn es ist fraglich, bis zu welchem Grad das produzierende Gewerbe die Zusatzaufwände für Lager und Bestand an die Kunden weiter geben kann. Wahrscheinlich ist, dass dies – wenn überhaupt – nur mittelfristig gelingen kann und dann nur zum Teil. „Darum erfordern diese neuen Herausforderungen verstärkt die Anwendung neuer Methoden. Es bedarf eines prozessualen Ansatzes in der bestehenden Planungsorganisation“, sagt Andreas Tengler, Geschäftsführer von Barkawi in Österreich gegenüber BUSINESS+LOGISTIC.
Bewusstsein vorhanden. Das wissen auch Österreichs Unternehmen nur zu gut, so A. Tengler weiter im Gespräch. Ein Grund dafür dürfte sein, dass die Entscheidungsträger sich nicht nur Entlastung bei Störungen der Supply Chains versprechen. Insbesondere vom Bestandsmanagement erwarten sie eine Reduktion um durchschnittlich 15 Prozent der Bestandskosten. Dies ergab eine Studie, die das Beratungsunternehmen Barkawi im vergangenen Dezember veröffentlichte. „Diese Zahl ist jedoch eher konservativ angesetzt. Unternehmen, die Projekte zum Bestandsmanagement bei uns in Auftrag geben, rechnen mit einer Reduktion von 30 Prozent und mehr bei ihren Beständen“, erklärt Gregor Gluttig, Leiter der Studie bei Barkawi. Diese Erwartungshaltung dürfte noch aus den Erfahrungen der Unternehmen herrühren, die sie während der Krise 2008 machten. In dieser Zeit optimierten etliche Unternehmen der Alpenrepublik punktuell ihre Bestände, indem sie beispielsweise ihre Portfolios durchforsteten. „Allerdings waren die Verbesserungen nicht nachhaltig“, analysiert G. Gluttig die Studienergebnisse.
Er schließt seine Analyse aus der Tatsache, dass nur etwas mehr als ein Drittel (38 Prozent) der befragten Unternehmen der Barkawi-Studie über Lösungs-Know-how und Ressourcenkapazität für ein Bestandsmanagement verfügen. Alle anderen gaben an, dass am Mangel daran die Einführung eines nachhaltigen Bestandsmanagement in der Vergangenheit gescheitert sei. „Man kann eine A-B-C-Analyse machen und dann alle C-Träger aus dem Portfolio rausschmeißen. Aber das ist kein nachhaltiges Bestandsmanagement“, bekräftigt A. Tengler.
Wege zu optimierten Beständen
Doch wie reduziert man nun die Bestände nachhaltig? Die Chancen liegen dabei vor allem noch in der Optimierung der Vorräte an Rohstoffen, Halbfabrikaten, Fertigerzeugnissen und Handelswaren. Erreicht werden kann hier eine Verbesserung der Situation u.a. durch vertragsgestaltende Regelungen des Einkaufs mit den Lieferanten, durch ablauforganisatorische Maßnahmen wie z.B. Einführung von Kanban-Regelkreisen und Just-in-time-Fertigung. Bestände können aber auch durch technische Maßnahmen wie den Aufbau einer durchgängigen rechnerintegrierten Informationsverarbeitung optimiert werden. Allerdings müssen sich Unternehmen bewusst sein, dass sie ihre Bewährungsprobe erst dann bestanden haben, wenn sie es nicht bei den schon zur Routine gewordenen Lösungsansätzen belassen. Sie müssen auch die viel schwierigere Aufgabe anpacken, eine ganzheitliche, schnittstellenfreie Struktur für das Bestandsmanagement zu schaffen.
Umdenken erforderlich
„Und das geht nur abteilungsübergreifend“, sagt G. Gluttig im Gespräch mit BUSINESS+LOGISTIC. Denn ein nachhaltiges Bestandsmanagement erfordert die ganzheitliche Betrachtung des gesamten logistischen Systems vom Lieferanten bis zum Kunden. Dabei müssen konkurrierende Ziele, die in mehrfacher Hinsicht beispielsweise in den einzelnen Abteilungen eines Unternehmens bestehen, zum Ausgleich gebracht werden. Entwicklung und Konstruktion sowie Verkauf und Fertigung besitzen historisch bedingt starke Machtpositionen in den Unternehmen – sie dominieren daher traditionell eindeutig die Ziele im Bestand. Das funktionsbezogene Denken und Handeln wird sich daher solange nicht grundlegend ändern, wie dies organisatorisch gleichsam institutionalisiert ist und von den Unternehmensführungen keine Impulse zum Umdenken ausgehen.