Die coronabedingte Teilsperrung des südchinesischen Hafens Yantian beeinträchtigt die globalen Lieferketten deutscher Unternehmen erheblich. Ihre Folgen gelten als gravierender als die Krise am Suezkanal im Frühjahr 2021. Das ergab eine aktuelle Umfrage des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logististik (BME). Die wirtschaftlichen Langzeitfolgen sind noch nicht absehbar.
Der südchinesische Hafen Yantian in der Stadt Shenzhen gilt weltweit als der viertgrößte Containerhafen der Welt. Er gilt als einer der wichtigsten Knotenpunkte der logistischen Aktivitäten der für die Exportwirtschaft der Volksrepublik China besonders wichtigen Provinz Guangdong. Mit Warenlieferungen im Wert von über 700 Milliarden US-Dollar ist die Provinz Guangdong die mit Abstand exportstärkste Region des Landes. Über Shenzhen entfallen somit rund zehn Prozent der chinesischen Ausfuhren. Daher laufen den Hafen rund Hundert und mehr Hochseeschiffe pro Woche an, um Waren zu löschen und wieder aufzunehmen.
Gravierender als Suezkrise. Die durch einen neuerlichen Coronaausbruch unter den Hafenarbeitern verursachte Teilsperre des Hafens vor wenigen Wochen hat deshalb gravierendere Auswirkungen auf die globalen Lieferketten und Warenströme als befürchtet. Die Beeinträchtigungen werden von Experten der deutschen Industrie sogar als größer eingeschätzt als während der Schiffshavarie im Suezkanal Ende März. Tatsächlich sind von der Yantian-Krise mittlerweile mehr Container betroffen. Das ist zumindest eines der zentralen Ergebnisse einer aktuellen BME-Umfrage unter 166 deutschen Unternehmen. Davon sind 104 direkt in China tätig.
„…über 130 Containerschiffe im Stau“
„Zu Beginn unserer Ende Juni gestarteten Umfrage war der Hafen von Yantian noch nicht wieder voll in Betrieb“, teilte BME-Vorstandsvorsitzende Gundula Ullah heute in Eschborn im Rahmen einer Pressekonverenz mit. Die lokale Verwaltung hatte zuvor ab 21. Mai Quarantäne-Maßnahmen und coronabedingte Betriebsschließungen verfügt. Seitdem ist ein Teil der Anlegeplätze und Kräne nicht mehr verfügbar gewesen. Vor den Hafengewässern hat sich daher zeitweise ein Stau von über 130 Container-Schiffen gebildet. „Zwischenzeitlich wurden über Yantian nur knapp 40 Prozent der üblichen Containermenge verschifft“, so G. Ullah weiter.
Technik- und Elektronikbranche besonders betroffen
Vor allem für Technik- und Elektronikbranche sind die durch die Sperrungen eingetreten Verzögerungen und Beeinträchtigungen ein Problem. Denn rund 90 Prozent aller Elektronikexporte aus der Volksrepublik laufen über den Hafen von Yantian. Da jedoch weltweit nur die Häfen in Shanghai, Ningbo und Singapur mehr Container im Jahr verladen als Yantian, könnten die eingetretenen Verzögerungen allerdings die globalen Lieferketten und Lieferantenstrukturen vieler anderer Branchen betroffen sein.
Entspannung in Griffweite
Allerdings hat Yantian mittlerweile seine Verladeaktivitäten wieder vollständig aufgenommen und bewegt wieder rund 40.000 TEU am Tag. Das ist fast so viel wie vor Ausbruch der Yantian-Krise. „Die von uns befragten Unternehmen rechnen allerdings damit, dass auch die vollständige Inbetriebnahme des Hafens zu längerfristigen Beeinträchtigungen führen wird. Die zu erwartenden mehrwöchigen Beeinträchtigungen dürften solange anhalten, bis die Logistik wieder weitgehend reibungslos funktioniert“, betonte Riccardo Kurto, China-Beauftragter des BME. Denn die fast vierwöchige Beeinträchtigung der Verladearbeiten im Hafen könnten im Nachgang noch zu einer Abwärtsspirale für benachbarte Häfen bedeuten. Dies würde vor allem die Häfen in Nansha und Shekhou im nahe gelegenen Guangzhou betreffen. R. Kurto verweist allerdings in diesem Zusammenhang darauf, dass derzeit beide genannten Häfen unter Vollauslastung an ihren Kapazitätsgrenzen arbeiten.
Containermangel verschärft
Die BME-Umfrage gab auch Antworten auf konkrete Auswirkungen der Situation in Yantian auf die Geschäftsaktivitäten deutscher Unternehmen. So befürchten knapp 30 Prozent anhaltenden Containermangel und 57 Prozent höhere Fracht- und Logistikkosten. Kapazitätsengpässe bei Frachten erwarten fast zwei Drittel der befragten deutschen Firmen. Das Umplanen von Frachtrouten ist für 50 Prozent ein Thema. Mit Produktionsengpässen sowie verspäteten Lieferungen von und nach China rechnen 29 Prozent bzw. 50 Prozent der Befragten.
Ausfallrisiken aus China minimieren. Aber wie?
„Wie bereits zu Beginn der COVID-19-Pandemie empfehlen wir unseren Mitgliedern, mittel-und langfristig geeignete Lieferanten in zusätzlichen Märkten und Regionen aufzubauen. Auf diese Weise lassen sich Ausfallrisiken oder Lieferverzögerungen am besten abmildern“, sagte R. Kurto. Auch im Beschaffungsmarkt China ließen sich einige Veränderungen anstoßen. So unterstützt das BME-Büro in Shanghai seine Mitglieder über die Sino-European Procurement Plattform (SEPP) bei der Identifikation und dem Aufbau neuer Lieferanten im Südwesten Chinas. Dabei handelt es sich um ein Kooperationsprojekt zwischen dem BME, der Provinz Sichuan und den Städten Chengdu und Pujiang. Das BME-Büro in Shanghai könne auch mit Informationen aus erster Hand behilflich sein und deutschen Unternehmen lokale Einschätzungen zur weiteren Entwicklung in der größten Volkswirtschaft Asiens zur Verfügung stellen. „Gerade der lokale Kontakt kann bei dynamischen Entwicklungen wie aktuell in China von großem Vorteil sein“, fügte R. Kurto abschließend hinzu.