Seit den späten 1960er Jahren entwickelt und produziert der deutsche Spezialist für Intralogistik, die Beumer Group, kurvengängige Überlandförderer für Schüttgut. An den Funktionsprinzipien dieser Technologie hat sich seitdem nichts grundlegend verändert. Nur die realisierbaren Grenzen haben sich verschoben, denn hochentwickelte Planungstools, 3D-Visualisierungstechnologien und Komponenten erlauben heute Lösungen, die in den 1960ern eher Science Fiction waren. Ein Bericht über Überlandförderer .Lösungen und ihre Entstehung.
Wer durch den „Ruhrpott“ fährt oder in Ostdezutschland den Braunkohlebergbau beobachtet, dem fallen regelmäßig die Landschaft überspannende, brückenartige Bauten auf. Darin eingepackt befinden sich sogenannte Gurtförderer, welche große Ströme an Schüttgut permanent über Land dorthin transportieren, wo sie gelagert werden, etwa auf Halden, und/oder zur Weiterverarbeitung auf Bahnwaggons oder Lkw geladen werden. Diese Technologien wurden in den 1960ern, zur Hochblüte des Tagebergbaus etwa in Deutschland entwickelt. Sie befinden sich jedoch mittlerweile weltweit überall dort im Einsatz, wo große Mengen an Schüttgut effizient und umweltschonend von A nach B transportiert werden müssen. Dabei hat sich das technologische Prinzip im Wesentlichen nicht verändert. Verändert haben sich jedoch die Technologien, welchen den Einsatz solcher Anlagen auch dort wirtschaftlich und möglich machen, wo dies vor 60 Jahren unmöglich war.
Knapp 60 Jahre Entwicklung. Einer der Pioniere dieser Intralogistik-Technologie ist die deutsche Beumer Groupp. Seit den späten 1960er Jahren entwickelt und produziert das Unternehmen kurvengängige Überlandförderer. Mit hochentwickelten Kernkomponenten, genauen Berechnungsmethoden sowie eigenen Planungstools reizt der Systemanbieter die Grenzen des technisch Machbaren immer weiter aus – und das bei drastisch reduziertem Zeit- und Kostenaufwand sowohl in der Planungsphase als auch in der Abwicklung der Projekte. Was noch in den 1960ern Science Fiction war, wird damit heute möglich. „Unsere Gurtförderanlagen lösen komplexe Transportprobleme von beliebigen Schüttgütern etwa in der Bergbau- oder der Zementindustrie“, berichtet Christoph Dorra, Regional Sales Manager South America bei Beumer. „Während die grundlegende Aufgabenstellung, nämlich das Schüttgut von der Materialaufgabe bis zum finalen Abwurfpunkt zu transportieren, sehr vergleichbar erscheint, gleicht jedoch bei näherer Betrachtung keine Anlage der anderen.“
Derating-Faktor und Topographien ändern alles
Und in der Tat: Allein die Bandbreite an potenziellen Fördergütern erfordert eine individuelle Betrachtung der einzusetzenden Komponenten hinsichtlich der Verschleißfestigkeit oder der maximal zulässigen Steigungen eines Förderers. Darüber hinaus bestimmen vor allem der zu fördernde Massenstrom und die zu überwindende Höhe die Dimensionierung der Antriebseinheit eines Überlandförderers. „Eine weitere Herausforderung stellen beispielsweise Anlagen in großen Höhenlagen dar“, erläutert C. Dorra im Gespräch weiter. Bei Höhen über 4.000 Metern, wie sie zum Beispiel in den südamerikanischen Anden oft anzutreffen sind, ist etwa zu berücksichtigen, dass mit zunehmender Höhe der Luftdruck und damit die Dichte der Luft abnimmt. Dadurch sinken sowohl die Kühlwirkung als auch das Isolationsvermögen der Luft. Die Folge: Antriebseinheiten wie Frequenzumrichter und Elektromotoren erreichen nicht die spezifizierte Nennleistung, die für Aufstellungshöhen bis maximal 1.000 Meter über dem Meeresspiegel gilt. Das ist der sogenannte Derating-Faktor. Neben der reinen Materialspezifikation und der zu fördernden Masse über eine bestimmte Höhe kommt zudem der Topographie entlang der Förderstrecke eine besondere Bedeutung bei der Planung zu.
Größte Herausforderung „Topographie“
„In China haben wir 2009 einen Überlandförderer realisiert, der auf 85 Prozent der 12,5 Kilometer langen Förderstrecke zwischen Steinbruch und Zementwerk kurvengängig ist. Die Anlage schlängelt sich sprichwörtlich zum Ziel und kommt dabei ohne einen einzigen Übergabepunkt aus“, berichtet C. Dorra. Potenzielle Hindernisse zeigten sich dabei in der Form von Wohngebieten, zu kreuzenden Straßen und Flüssen, größeren Gewässern oder Bergen, die nicht überquert werden können.
So wenig wie möglich. Nicht jeder würde bei diesen Herausforderungen automatisch an einen Überlandförderer als die optimale Lösung denken. „Doch für uns stellen diese Projekte einen besonderen Reiz dar. Unser Ziel ist es, mit so wenig Übergabepunkten wie möglich entlang der gesamten Förderstrecke auszukommen“, erzählt C. Dorra aus seinem Alltag. Dies reduziert sowohl den Verschleiß und die Umweltbelastung beispielsweise durch Staub, erhöht aber auch die Verfügbarkeit des Gesamtsystems und verbessert die Wartungsfreundlichkeit erheblich.
Aus vier geraden Förderern wird einer mit Kurven
Ein Beispiel für derartige Herausforderungen stellt das Projekt einer US-amerikanischen Kohlemine dar. Hier transportiert ein knapp 6,5 Kilometer langer Überlandförderer aus Deutschland die Kohle von einem neuen Portal des Untertagebergwerks zur Hauptaufbereitungsanlage. In der ursprünglichen Ausschreibung hatte der Kunde vier gerade Förderer angefragt. Diese Lösung hätte jedoch drei Übergabetürme benötigt. Optimaler wäre es also, wenn das Schüttguts unterbrechungsfrei „in einem durch“ zum Abgabepunkt transportiert wird. Die Beumer Group realisierte diese Anforderung mit einem kurvengängigen Überlandförderer.
Halden, die zu Naturparks werden
Mit spannenden Herausforderungen sah sich das Beumer-Team aber auch bei einem Projekt in Belgien konfrontiert. Die verbliebenen Rückstände aus einem Kohleheizkraftwerk waren seit den 1970er Jahren auf einer Flugaschehalde deponiert. Diese sollte komplett in einen Naturpark umgewandelt werden. Um dies zu ermöglichen, musste die Flugasche zu dem knapp zwei Kilometer entfernten Fluss Maas gefördert werden. Von dort aus wird sie für den Weitertransport auf Schiffe verladen. Diese bringen die Flugasche flussabwärts zu einem angrenzenden Zementwerk, wo sie als Zuschlagstoff upgecycelt wird.
Schüttgut durch Wohngebiete. Zum Einsatz kommt in Belgien ein sogenannter Pipe Conveyor. Dessen geschlossene Bauform verhindert den Kontakt des flüchtigen Materials mit der Umgebung und ermöglicht einen umweltschonenden Transport. Dies war in diesem Projekt von besonderer Bedeutung, da der Förderer sowohl Wohngebiete durch- als auch Bahngleise und Straßen überquert. Im Bereich der Wohngebiete kommt ein von den Deutschen entwickeltes, besonders geräuschreduziertes Tragrollendesign zum Einsatz. Diese Technologie erfüllt die hohen Lärmschutzanforderungen in diesem Gebiet. Der vorgeschriebene Grenzwert von 35 Dezibel in zehn Metern Entfernung zum Förderer entspricht in etwa einem sehr leisen Zimmerventilator bei geringer Geschwindigkeit. Hier erreicht die Anlage zudem eine Neigung von 23 Grad, die sich mit einem Pipe Conveyor problemlos umsetzen lässt. Wegen des unwegsamen Geländes kamen während der Montage Spezialkrane und sogar Hubschrauber zum Einsatz.
Jedem seine passende Anlage aus Deutschland
„Wie schafft es der Systemanbieter, für jede dieser Anwendungen die passende Lösung zu liefern?“, fragen wir nach „Wir können natürlich auf sehr viel Erfahrung zurückgreifen“, sagt Martin Rewer, Team Lead Overland Conveyor bei der Beumer Group. Den ersten Förderer dieser Art mit Horizontalkurven installierte der Spezialist bereits 1969; den ersten Downhill Conveyor mit regenerativem Antrieb im Jahr 1980. Seit den 1990er Jahren hat sich der deutsche Systemanbieter zudem zu einem der führenden Anbieter von Förderern Typ Pipe Conveyor entwickelt. 2019 wurden in China zwei Anlagen in Betrieb genommen, die mit 5.500 Tonnen Eisenerz pro Stunde die aktuelle Leistungsspitze der weltweit installierten Anlagen dieser Technologie definierten.
Neuentwicklungen machens möglich. Seit dem Bau des ersten Überlandförderers mit Horizontalkurven im Jahr 1969 haben sich Komponenten wie Tragrollen, Gurte und Antriebe kontinuierlich weiterentwickelt. Zudem werden die Anlagen immer größer und länger, die Routen komplexer. Hieraus ergab sich die Notwendigkeit, auch die Berechnungs- und Planungstools stetig zu verbessern, um den Anforderungen nicht nur standzuhalten, sondern sogar einen Schritt voraus zu sein.
Was dabei bedacht werden muss
In einem ersten Schritt der Projektierung müssen die Anlagen für die jeweilige Aufgabe ausgelegt werden. Dazu ermittelt ein Team von Fachleuten mit Hilfe eigener Berechnungsprogramme die vorhandenen Bewegungswiderstände und die damit verbundenen statischen und dynamischen Gurtzugkräfte der Anlage. Diese wiederum bestimmen die zu installierende Antriebsleistung sowie die Gurtfestigkeit und fließen in die Auslegung der horizontalen Kurven ein. „Bei langen, horizontalen Gurtförderern bestimmt im stationären Betriebszustand der Hauptwiderstand im Ober- und Untertrum den Energieverbrauch“, beschreibt M. Rewer die Überlegungen. Dieser besteht aus dem Laufwiderstand der Tragrollen, dem Eindrückrollwiderstand sowie dem Walkwiderstand von Fördergut und -gurt beim Lauf über die Tragrollen.
Wenn rohe Kräfte walten. Die zur Überwindung dieser Widerstände erforderlichen Kräfte hängen von verschiedenen betrieblichen und konstruktiven Kenngrößen ab. Bestimmen lassen sich diese mit der sogenannten Einzelwiderstandsmethode. Bei Berücksichtigung von Komponenten mit geringen Laufwiderständen wie Gurten mit reduziertem Eindrückrollwiderstand oder laufoptimierten Tragrollen zeigen die Berechnungen der Anlagen heutzutage wesentlich geringere Gurtzugkräfte als noch vor ein paar Jahren. Dies hat nicht nur geringere Energiekosten zur Folge. Da die Gurtzugkräfte auf einem geringeren Niveau liegen, können auch die Radien der Horizontalkurven entsprechend kleiner gewählt werden, denn diese Kräfte sind maßgebend für das Design dieser Kurven. Entsprechend lässt sich die Streckenführung der Überlandförderer heute flexibler und mit kleineren Radien realisieren.
Vom virtuellen Werkzeugkasten zur Lösung
„Um den Förderer für die individuelle Anwendung zu planen, greifen wir in unseren virtuellen Werkzeugkasten“, erläutert M. Rewer die heutige Vorgehensweise bei der Planung und weiter: „Damit können wir die komplette Streckenführung der Anlage zusammenstellen und als 3D-Planung mit dem Kunden besprechen.“ Ein eigens von Beumer entwickeltes Entwicklungstool erzeugt dabei während der Planung nahezu automatisch ein digitales 3D-Modell des Förderers in der virtuellen Landschaft. Die hierzu notwendigen Topographie-Daten sind entweder öffentlich zugänglich oder werden vom Kunden zur Verfügung gestellt. Nicht selten kommen während der Planung auch Drohnen zum Einsatz. Die aufgenommenen Luftbilder enthalten topographische Informationen, die dann zu digitalen Geländemodellen verarbeitet werden.
Fotorealistische Darstellungen. In der Simulationsumgebung können die Fachleute den Förderer optimal an die Strecke anpassen. Die nahezu fotorealistische Darstellung des Förderers in der Landschaft dient auch dazu, etwaige Hindernisse zu erkennen und in der Planung entsprechend zu berücksichtigen. Ebenfalls können die Techniker Erdarbeiten (Cut & Fill) und Stahlbaustrukturen einfach und präzise ergänzen und bewerten. BOLT stellt hier nicht nur eine sehr schnelle Erstplanung der Strecke sicher. Insbesondere auch Änderungen oder Anpassungen während des Projekts lassen sich innerhalb kürzester Zeit berücksichtigen. Projektkritische Daten kann BOLT kurzfristig liefern. Hierzu zählen die Definition der gesamten Ausrüstung auf der Strecke sowie die Koordinaten für Fundament- und Erdarbeiten. Da diese Daten mit Hilfe von BOLT automatisch generiert und bei Änderungen aktualisiert werden, sind auch eventuell notwendige Anpassungen der Route nicht mehr zeitkritisch. Alle notwendigen Daten lassen sich nach der Umplanung umgehend generieren. „Mit diesem Vorgehen können wir die Planung deutlich beschleunigen“, verspricht Christoph Dorra. „Wir können dem Kunden im Vorfeld eine konkrete Planung in 3D präsentieren, die sich im Laufe des Projekts schnell und unkompliziert ändern lässt. Mit diesem Vorgehen können wir den Zeitrahmen für das Projekt enger stecken.“