STRASSENGÜTERVERKEHR – Als Mittelständler in vier Stufen zur Digitalisierung

Die Digitalisierung verändert auch die Transportbranche im Strassengüterverkehr. Digitale Frachtenbörsen und andere, neue Technologieunternehmen drängen in den Markt und machen klassischen Spediteuren ernsthafte Konkurrenz. Betroffen sind dabei nicht selten Mittelständler. Doch auch diese können sich anpassen an die neuen Marktbedingungen. Sven Rutkowsky vom Beratungsunternehmen AT Kearney zeigt, wie sich mittelständische Spediteure in nur vier Stufen digital transformieren und ihre Ressourcen optimieren können. So lassen sich auch neue Märkte erschließen und die Wettbewerbsfähigkeit verbessern.

Strassengüterverkehr – Die Transportbranche steht vor disruptiven Entwicklungen, wenn sie nicht positiv darauf reagiert. (Foto: Shutterstock AT Kearney / RS MEDIA WORLD Archiv)
Strassengüterverkehr – Die Transportbranche steht vor disruptiven Entwicklungen, wenn sie nicht positiv darauf reagiert. (Foto: Shutterstock AT Kearney / RS MEDIA WORLD Archiv)

Die Transportbranche im Strassengüterverkehr steht vor ihrer größten Herausforderung, wenn nicht sogar vor einer Disruption. Junge Digitalunternehmen wie sennder, Instafreight, trans.eu usw. machen den klassischen Spediteuren das Transportgeschäft streitig. Gleichzeitig schneiden digitale Transportplattformen wie Timocom oder Transporeon durch das verstärkte Aufschalten neuer Funktionen immer mehr Wertschöpfung aus dem Speditionsmarkt heraus.

Durchgängig vernetzt. Was die digitalen Konkurrenten dabei auszeichnet, ist die Durchgängigkeit der digitalen Vernetzung zwischen dem gewerblichen Kunden (Verlader) und dem hochfragmentierten Markt der Fuhrunternehmer mit höherer Transparenz aller Prozessschritte und -teilnehmer in der Wertkette. Diese geht jedoch fundamental gegen die Kultur klassischer Spediteure. Denn sie sind es gewohnt, ihr Geschäftsmodell mit Intransparenz über Subunternehmer und Ladungskombinationen zu schützen.

Strassengüterverkehr – Sich dem digitalen Mitbewerb stellen

Eine Analyse der internationalen Unternehmensberatung Kearney zeigt, wie die alteingesessenen Platzhirsche der Branche hier gegensteuern können. „Gewinnsteigerungen sind wegen der schmalen Margen vor allem über eine bessere Auslastung der LKWs möglich. Denn das bedeutet weniger Wartezeiten zwischen den Aufträgen, weniger Leerkilometer zwischen Ent- und Beladung sowie Vermeidung von Füllaufträgen für Rückladungen, die sogar unter den Grenzkosten liegen“, so Sven Rutkowsky, Logistikexperte und Partner bei Kearney im Mediengespräch. Und er erläutert weiter: „Um dies zu erreichen, müssen die etablierten Spieler die organisatorischen Silos überwinden.“

Vom Mitbewerb lernen. Spediteure können tatsächlich von den neuen digitalen Marktteilnehmern lernen und sie nutzen, um ihre eigene Vertriebsbasis und ihre Transportnetze zu erweitern. Die Neuen sind also mehr als einfache Konkurrenz. Mit ihnen wird die Digitalisierung in der gesamten Branche beschleunigt und es ergeben sich ganz neue Wachstumschancen.

Mittelstand – In vier Stufen zur digitalen Exzellenz

Die zentrale Frage ist hierbei, welche Möglichkeiten insbesondere mittelständische Speditionsunternehmen tatsächlich haben, die neuen digitalen Angebote in ihre eigenen Leistungen zu integrieren? S. Rutkowsky empfiehlt im Gespräch vier Stufen, die aufeinander aufbauen und zu digitaler Exzellenz führen sollen.

Digitale Integration. So könnten Unternehmen einerseits ihre eigene Reichweite in puncto Aufträge und Fahrzeuge erhöhen durch digital integrierte Zugriffe auf gleich mehrere, verschiedene digitale Plattformen. Die Einbindung zusätzlicher Marktplätze und digitaler Spieler sowie die direkte Integration von Verladern über Schnittstellen sind nämlich die entscheidenden Schritte, um von der aktuellen Entwicklung zu profitieren.

S. Rutkowsky – „Gewinnsteigerungen sind wegen der schmalen Margen vor allem über eine bessere Auslastung der LKWs möglich.“ (Foto: AT Kearney / RS MEDIA WORLD Archiv)
S. Rutkowsky – „Gewinnsteigerungen sind wegen der schmalen Margen vor allem über eine bessere Auslastung der LKWs möglich.“ (Foto: AT Kearney / RS MEDIA WORLD Archiv)

Um dies zu ermöglichen, müssen sich alle Spieler für eine stärkere digitale Integration per APIs öffnen und den Quotierungs- und Buchungsprozess über ihre Systeme und diese Schnittstellen abbilden. Dies beinhaltet die notwendige, stärkere Öffnung der digitalen Spieler, die ihre Skepsis gegenüber einem „Auto-Crawling“ ihrer Angebote durch die Spediteure ablegen und die win-win Vorteile sehen sollten.

Standardisierung & Professionalisierung. Der zweite Schritt auf dem Weg zur digitalen Intelligenz wäre die Standardisierung und Professionalisierung der ausgetauschten Daten zu Aufträgen und Kapazitäten der Branche. Die Beschleunigung von Ausschreibungen und die Standardisierung der Ausschreibungskriterien können nämlich helfen, die attraktivsten Kombinationen von Ladungen und Transportkapazitäten zu sichern. Dies muss mit einer Ausweitung der IT-Integration und einer Anpassung der Standard-Vertriebsprozesse einhergehen. Heute ist ein Großteil der Ladung auf den Plattformen nicht in allen relevanten Kriterien wie Anforderungen an Fahrzeuge, Fahrer oder Zeitfenster beschrieben, sodass ein automatisiertes Pairing für diese unmöglich wird.

Advanced Analytics. Ein weiterer Schritt zur besseren Wettbewerbsfähigkeit für Spediteure wäre die Integration von Advanced Analytics für optimierte Auftrags- und Fahrzeugauswahl. Die Integration einer Analytics-basierten Planungs-Engine unterstützt das Matching von Ladung und Fahrzeugen. Sie hilft zudem, die Passung innerhalb des eigenen und ‚virtuellen‘ Netzes der Konkurrenten und Plattfomen sicherzustellen. Dies bedeutet jedoch die kontinuierliche Verarbeitung von verschiedenen Szenarien von Ladung und Kapazität über einen Zeitraum von bis zu einer Woche im Voraus inkl. aller bekannten Restriktionen z.B. für Fahrer. Diese Fähigkeiten sind typischerweise nicht Bestandteil von Transport-Management-Systemen (TMS), sondern verfügbar in Add-on Applikationen wie sie z.B. Kearney oder Nexogen anbieten.

Automatisierung der Preisfindung. Der vierte Schritt wäre schließlich die Automatisierung der Preisfindung für Spotgeschäfte und Jahresverträge. Die fortgeschrittensten Analytics-Applikationen sind dabei in der Lage, die Preisfindungs- und Ausschreibungsprozesse mit voller Integration in das Transportmanagementsystem zu automatisieren. Dies beinhaltet die Bereitstellung von Preisempfehlungen auf Grundlage der tatsächlichen Kosten und Echtzeit-Auswirkungen eines einzelnen Spotmarkt-Auftrags auf das eigene Netz innerhalb von Sekunden. Gleichzeitig kann eine komplette Jahresausschreibung eines großen Verladers mit einer digitalen Planung (Twin) des wahrscheinlich künftigen, eigenen Basisnetzes der kommenden Quartale kombiniert werden und daraus können Preisvorschläge pro Transportverbindung (Lane) automatisiert abgeleitet werden. „Hier werden wir die größten Entwicklungsschritte der vorhandenen Systeme in den kommenden Jahren sehen“, prophezeit Rutkowsky. Viele Unternehmen stehen erst am Anfang dieses Transformationsprozesses.

Integration – Daten verknüpfen in der Cloud

Um jedoch die Herausforderungen der digitalen Transformation anzugehen, müssen die Unternehmen dabei an drei Hebeln gleichzeitig ansetzen. Erstens müssen alle Funktionen – vom Vertrieb über die Planung bis zum Flottenbetrieb – end-to-end und ganzheitlich betrachtet und das oft vorhandene Silo-Denken überwunden werden. Werden dann alle Bereiche mit Hilfe der verfügbaren Daten verknüpft, können die zentralen, unternehmerischen Ziele in ihrer Gesamtheit angegangen werden.

Um jedoch die Herausforderungen der digitalen Transformation anzugehen, müssen die Unternehmen dabei an drei Hebeln gleichzeitig ansetzen.

Der Weg in die Cloud. Zweitens sollten alle relevanten Daten in eine Cloud-Infrastruktur verlagert werden, die den Advanced Analytics Applikationen ermöglicht, die große Menge an Daten und Berechnungen innerhalb von Minutentakten für ganze Netzwerke zu bewältigen. Erst Echtzeitbewertungen im alltäglichen Betrieb gewähren die erforderliche Reaktionsschnelligkeit, um Ladungen und Kapazitäten, die oft nur für Sekunden digital verfügbar sind, zu sichern.

Automatisiert anbinden. Wenn sich, drittens, die Spediteure automatisiert an die digitalen Marktteilnehmer anbinden, können sie vom Zugriff auf nahezu unbegrenzte Aufträge und Kapazitäten profitieren. Als positiver Nebeneffekt kann so auch die mittelständische, europäische Struktur von Landverkehrsspeditionen erfolgreich bleiben, ohne dass im Sinne von „the winner takes it all“ ein (digitaler) Spieler den Landverkehr der Zukunft dominiert.

kearney.at


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