Das Thema Nachhaltigkeit in Unternehmen ist nicht wirklich neu. Völlig neu sind jedoch die Rahmenbedingungen, in denen sich die Märkte weltweit befinden. Diese werden einerseits durch den Klimawandel und die Digitalisierung bestimmt. Andererseits werden sie von der noch nicht überwundenen Corona-Pandemie mit den damit zusammenhängenden Lieferkettenproblemen beeinflusst. Und verschärft wird die disruptive Entwicklung zudem durch den Vernichtungskrieg Putin-Russlands gegen die Ukraine und der damit verbundenen Energiepreisexplosion. CR. HaJo Schlobach sprach mit Steffen Bersch, CEO der SSI Schäfer Gruppe, über die Konsequenzen, die sich für Anbieter von Logistik-Automationslösungen und Nutzer solcher Anlagen ergeben.
blogistic.net – Sie wollen im gemeinsamen Enterprise Lab mit dem Fraunhofer IML das „Lager neu denken“. Wohin läuft der Hase – in Richtung Effizienz, Optimierung und Nachhaltigkeit? Wo sehen Sie denn die Entwicklung aus Ihrer Sicht?
Steffen Bersch – Als CEO eines Unternehmens ist man immer angehalten, sich über nachhaltige Unternehmensführung Gedanken zu machen. Aber mittlerweile reicht es nicht mehr aus, sich über Ökologie und Ressourcenverbrauch Gedanken zu machen, sondern man muss hinterfragen, wie ein Unternehmen zukunftsfähig bleibt. Wie wollen wir SSI Schäfer den nächsten Generationen übergeben? Effizienz, Optimierungen im Unternehmen und Nachhaltigkeit lassen sich da nicht voneinander trennen. Sie ergänzen einander.
Steffen Bersch – „…haben Nachhaltigkeitsstrategie mit konkreten Handlungsfeldern definiert…“
blogistic.net – Was meinen Sie damit konkret?
Steffen Bersch – Wir haben für die SSI Schäfer Gruppe eine Nachhaltigkeitsstrategie mit konkreten Handlungsfeldern definiert und bearbeiten Schritt für Schritt alle umwelt- und CO2-Footprint relevanten Aspekte. Dabei beziehen wir uns ganz speziell auf die Sustainable Development Goals (SDG’s), die von der UN ins Leben gerufen wurden. Zudem haben wir uns von Ecovadis zertifizieren und ranken lassen. Hiermit wollen wir auch die Mitarbeitenden dazu motivieren, stets nachhaltig zu denken. Das ist ein dauernder Lernprozess mit vielen weiteren Initiativen.
blogistic.net – Was bedeutet das für Sie als CEO?
S. Bersch – Wir in der Geschäftsführung müssen darauf achten, dass das Unternehmen solide und resilient aufgestellt ist. Das bringen wir mit unseren sechs strategischen Zielen ein, an deren Umsetzung wir arbeiten.
blogistic.net – Erläutern Sie diese sechs strategischen Unternehmensziele von SSI Schäfer.
S. Bersch – Wir müssen sicherstellen, dass das Unternehmen weiter in gesundem Maße wächst und seine Marktposition ausbaut, dass es profitabel auch in schwierigen Marktumfeldern arbeitet. Dies ist die Grundlage dafür, dass überhaupt weiter investiert werden kann. Investieren wollen wir dabei sowohl in Infrastruktur als auch, und das ist besonders wichtig, in Mitarbeiter:innen. Dann ist die Nachhaltigkeit als strategisches Ziel an und für sich zu nennen, insbesondere in der Außenwirkung, d.h. das Unternehmen muss als Organisation ökonomisch, ökologisch und sozial Verantwortung übernehmen. Die Differenzierung im Markt durch Innovationen und neue Technologien ist ein weiteres strategisches Ziel. Und die wohl wichtigsten strategischen Ziele sind sowohl die Kunden- als auch die Mitrabeiter:innen-Fokussierung. Nicht nur die Kunden sollten sich mit SSI Schäfer und seinen Lösungen gut fühlen, sondern auch die Mitarbeiter:innen. Sie sollen sich mit ihrem Unternehmen, dem Portfolio und der Ausrichtung identifizieren können. Gerade in Zeiten des Fachkräftemangels ist dies für uns als Geschäftsführung außerordentlich wichtig.
Steffen Bersch – „Aber wir gehen das ganze sehr strategisch an
blogistic.net – Derzeit ist, vor allem wegen der akuten Energiekrise, das Thema Energieeinsparungen besonders hipp, was letztlich auch die Decarbonisierung tangiert. Ab dem 1. Januar 2023 tritt aber gerade in Deutschland das Lieferkettengesetz in Kraft. Ziel dieses Gesetzes ist es, dass nicht nur Unternehmen wie SSI Schäfer im Sinne einer ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit arbeiten, sondern dass dies auch deren Lieferanten tun. Sie müssen dafür sogar ein Stück weit die Verantwortung dafür übernehmen, wenn sie globale Lieferketten haben. Mussten Sie Maßnahmen ergreifen, welche in diese Richtung gehen?
Steffen Bersch – Ja, das mussten wir. Aber wir gehen das Ganze sehr strategisch an. So machten wir beispielsweise zuerst einmal für uns selbst unsere Energiebilanz sichtbar. Die Energiebilanz ist im ersten Nachhaltigkeitsbericht einsehbar, den wir im August veröffentlicht haben. Eine andere Frage ist, wie die Energieströme in unseren Fabriken aussehen. Aus dem Ganzen ermitteln wir dann unsere eigenen Verbräuche und unsere CO2-Footprints. Und auf dieser Basis erarbeiten wir dann die Konzepte, wie wir insgesamt besser, also nachhaltiger werden können.
blogistic.net – Das ist die interne Sicht. Wie sieht es aber mit der externen Sicht, also der Kundenperspektive aus?
S. Bersch – Das ist ein weiteres, wichtiges Thema aus diesem Komplex. Es betrifft nämlich nicht nur die Decarbonisierung, sondern gerade auch die Möglichkeiten für Energieeinsparungen innerhalb von Intralogistiksystemen und Anlagen. Vor dem Hintergrund explodierender Energiepreise müssen diese Lösungen heute wahrscheinlich anders konzeptioniert sein als noch vor zehn oder 15 Jahren. Damals spielte das Thema Energie zwar durchaus auch eine Rolle, jedoch nicht so eine große wie heute. In diesem Zusammenhang müssen heutige Lösungen noch flexibler und noch skalierbarer sein als früher. Und die eingesetzten Technologien müssen vor allem sparsam, das heißt energieeffizient, sein.
blogistic.net – Können Sie das etwas konkretisieren?
S. Bersch – Wie während der LogiMAT 2022 angekündigt und von Ihnen eingangs erwähnt, Herr Schlobach, wollen wir Lager und Warenflüsse in Unternehmen neu denken. Deshalb haben wir mit dem Fraunhofer IML in Dortmund ein Enterprise Lab gegründet (mehr Infos dazu finden Sie hier ). Hier spielt zum Beispiel auch das Thema der eigenen Stromversorgung mittels Photovoltaik mit hinein. Wir müssen auch die Antriebe und ihre Einsätze neu überdenken, aber auch das Servicemanagement und die Wartung der Anlagen. All diese Überlegungen werden erforscht und deren Ergebnisse in neue Konzepte eingebracht. Und dies trägt schließlich dazu bei, dass wir, gemeinsam mit unseren Partnern und Kunden, einfach besser werden. Der Druck in diese Richtung nimmt bei allen erheblich zu: beim Kunden, bei uns als Logistiklösungsanbieter, aber natürlich auch bei unseren eigenen Lieferanten.
Steffen Bersch – „Lassen Sie uns darüber sprechen, was Sie tatsächlich benötigen.“
blogistic.net – Wesentlich für den Energieverbrauch einer Intralogistik-Automationsanlage sind, wie Sie selbst andeuteten, auch die Antriebskonzepte, welche in den Anlagen verbaut werden. Hier forderten Ihre Kunden in der Vergangenheit eine Verfügbarkeit der Technik von 99,9 Prozent. Die Antwort der Konstrukteure auf diese Anforderungen waren bislang Sicherheitsnetze etwa bei den Antrieben in unterschiedlichsten Anlagenbereichen, welche so ein Leistungsprofil garantieren. Der Effekt ist dabei jedoch eine insgesamte mehrfache Überdimensionierung der Gesamtanlage mit den entsprechenden Verbräuchen. Was sagen Sie hier Ihren Kunden?
Steffen Bersch – „Lassen Sie uns darüber sprechen, was Sie tatsächlich benötigen und wo wir ansetzen können, Ihre Anlage günstiger im Verbrauch zu machen“, ist dazu meine Antwort. Ich denke jedoch, es wird sich mittelfristig kaum etwas daran ändern, dass sich solche Anlagen am Belastungs-Peak beim Kunden orientieren müssen und nicht an der Grundlast. Es gibt bei unseren Kunden nun einmal saisonal bedingt unterschiedliche Belastungen wie etwa während der Jahreszeiten in der Mode, Ostern, dem Weihnachtsgeschäft usw. Aber natürlich, Herr Schlobach, müssen wir im Sinne der Nachhaltigkeit darüber sprechen, wie wir künftig mit Grund- und Peaklasten umgehen wollen.
blogistic.net – Themenwechsel: Die Coronakrise mit ihren Lieferketten-Herausforderungen ist noch nicht vorbei und wurde nun – wir haben es bereits angedeutet – durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine weiter verschärft. Gleichzeitig gehen die Preise für nahezu alles nach oben. Wie geht ein globaler Lösungsanbieter wie SSI Schäfer damit um? Stellen Sie beispielsweise Ihre Lieferketten auf verstärktes Re- und Nearshoring um?
S. Bersch – SSI Schäfer ist ein Anbieter mit einem großen Schwerpunkt in Europa, anders als vielleicht andere Marktbegleiter, und einem wachsenden sehr guten Geschäft in den USA, in Südamerika und Asien. Wir waren schon immer bestrebt, unsere Lieferantenstruktur so aufzubauen, dass wir unsere Kunden direkt aus der Region beliefern können. Insofern haben wir unsere Lieferketten entsprechend strukturiert. Für den europäischen Markt bedeutet dies, dass wir für unsere Lösungen auch nahezu alle Komponenten aus Europa beziehen.
Steffen Bersch – „Das ist nur mittelbar ein Problem für uns“
blogistic.net – Und was ist mit dem Thema Antriebe? Diese kommunizieren in einer Anlage miteinander und synchronisieren sich. Auch sind die Anlagen, insbesondere in Hinblick auf Industrie 4.0, Teil einer gesamten Wertschöpfungskette, die letztlich vom Rohstoff bis zum Point of Sale beim Endverbraucher reicht. Da kommen Sie ohne IT, Halbleiter und Chips etc. nicht aus.
Steffen Bersch – Das ist nicht nur für die Logistik-Automationsbranche ein Thema, sondern für nahezu die gesamte Industrie, die auf Lieferungen von solchen Subkomponenten angewiesen ist. Diese kommen derzeit noch zu einem großen Teil aus Südostasien. Das führt heute leider dazu, dass es zu Verzögerungen beim Nearshoring kommt. Das ist aber nur mittelbar ein Problem für uns. Es ist hauptsächlich ein Problem, das die Grundkomponenten-Hersteller lösen müssen. Und diese müssen nun Konzepte erarbeiten, welche die Abhängigkeiten reduzieren. So etwas wie in den letzten Dekaden darf künftig einfach nicht mehr passieren…
blogistic.net – Es kommt in der Branche deswegen mancherorts zu enormen Verzögerungen, was die Inbetriebnahme solcher Anlagen angeht. Betroffen sind hierbei zum Teil Anlagen mit einem Anschaffungswert von mehreren Millionen Euro. Was erzählen Sie den betroffenen Kunden?
S. Bersch – Solche Anlagen sind minutiös durchgeplant und gehen in der Regel rechtzeitig in Betrieb. Es gehört zum täglichen Geschäft, dass man beim Aufbau improvisieren muss. Diese Zeiten sind einkalkuliert. Probleme gibt es jedoch immer dann, wenn kurzfristig etwas passiert, dass sich nicht ausgleichen lässt. So wissen wir aus der Branche nicht, ob eine wichtige Lieferung von Subkomponenten aus dem Halbleiterbereich zum Beispiel rechtzeitig aus Shanghai in Europa ankommt, wenn Peking wegen seiner Zero-Corona-Politik einen Hafen sperrt. Dann können Sie auch nicht ausweichen, weil es alle ihre Lieferanten solcher Subkomponenten betrifft. In solchen Fällen hilft nur das Gespräch mit dem Kunden und völlige Transparenz. Dann muss man vielleicht Arbeiten vorziehen, die später geplant waren oder andere Lösungen finden. Aber manchmal hilft auch das alles nichts, um die Verzögerung einer Inbetriebnahme zur Gänze zu verhindern. Das ist aber bei uns noch nicht der Fall gewesen.
blogistic.net – Vielen Dank für das tolle Gespräch.
SSI Schäfer Group in Kürze
Der deutsche Technikkonzern gilt weltweit als ein führender Lösungsanbieter von modularen Lager- und Logistiksystemen. Das Unternehmen beschäftigt am internationalen Hauptsitz in Neunkirchen (Deutschland) sowie weltweit in rund 70 operativ tätigen Gesellschaften und an sieben Produktionsstätten im In- und Ausland rund 10.000 Mitarbeitende.
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