
Mit OBOR verfolgt die chinesische Regierung das Ziel, den Westen der Volksrepublik China zu entwickeln und entlang der Seidenstraße neue Märkte zu erschließen. Für Österreichs Unternehmen eröffnen sich dadurch komplett neue Chancen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit – wenn sie genutzt werden.
Ein mittelständisches europäisches Logistikunternehmen, das automatisierte Läger mit Turn-Key-Lösungen rund um die Physical Supply Chain anbietet und schon seit einigen Jahren in China mehrere Vertriebsstützpunkte betreibt, eröffnet gerade seinen ersten chinesischen Produktionsstandort in der Stadt Kunming in der chinesischen Provinz Yunnan. Der Sprung von der Ostküste ins Inland wurde durch einen großzügigen Kredit, den das Unternehmen von einer der lokalen Regierung in Kunming nahestehenden Bank erhält, ermöglicht. Etwa zwei Flugstunden von Peking entfernt liegt Yunnan an der Grenze zu Laos, Thailand, Vietnam und Myanmar. Von hier erreicht man innerhalb weniger LKW-Stunden über die gut ausgebaute Autobahn Thailand, von wo aus es Richtung Süden nach Bangkok, Kuala Lumpur oder Singapur weitergeht und von dort aus mit dem Schiff in die ganze Welt. Kunming wird nun auch durch seine kapazitätsstarke Schienenanbindung zum trimodalen Dreh- und Angelpunkt der chinesischen Export- aber auch Produktionsmaschinerie. Gleichzeitig ist es aber nur einer von mehreren Logistikhubs, die in diesen Jahren im Rahmen der chinesischen Seidenstraßen-Initiative (One Belt, One Road, kurz OBOR) rapide an Bedeutung gewinnen.
Seidenstraße wiederbeleben
Mit OBOR verfolgt die chinesische Regierung die Ziele, unterentwickelte Regionen im Westen Chinas zu unterstützen und durch Integration mit seinen Nachbarstaaten entlang der Seidenstraße neue Möglichkeiten für Zusammenarbeit und wirtschaftliche Kooperationen zu ergründen, um so dem schwächelnden lokalen und globalen Wachstum entgegenzuwirken. Roland Berger schätzt, dass bis 2030 die 64 beteiligten Länder, von denen nur sieben als entwickelt gelten, pro Jahr ein Wachstum von 6,7 Prozent aufweisen und 73 Prozent der weltweiten nominalen Exporte stellen werden. Jedoch ist weitläufig bekannt, dass die Transportinfrastruktur in diesen Ländern großen Aufholbedarf hat. Demzufolge rechnen die Analysten von PwC mit einem massiven Investitionsbedarf in Infrastruktur, der bis 2030 umgerechnet ca. 4,4 Billionen Euro betragen wird.

Chinas Wege zur Integration
Am 17. August 2016 bekräftigte Chinas Staatspräsident Xi Jinping erneut Chinas Bereitschaft zur regionalen Integration, welche durch eine Verschmelzung von OB|OR mit provinziellen Entwicklungsplänen zustande kommt, sowie zu internationaler Kooperation. Er ermutigte Unternehmen, sich an OB|OR zu beteiligen. Wie können österreichische Unternehmen von der Seidenstraße profitieren – und Risiken im Griff halten?

60 Prozent der Weltbevölkerung. OBOR wird von einer speziellen Regierungsgruppe um Vize-Premier Zhang Gaoli lanciert. Die Nationale Entwicklungs- und Reformkommission (NERK), das Außen- sowie Wirtschaftsministerium sind als Regierungsorganisationen damit beauftragt, OB|OR zu entwickeln, wobei die NERK eine federführende Rolle spielt. OB|OR umfasst mehr als 60 Länder mit 60 Prozent der Weltbevölkerung und 33 Prozent des globalen BIPs. Der vorgeschlagene Plan sieht sechs Hauptkorridore vor, die teils bereits aufgebaut werden.
Die Eurasische Landbrücken
Die Eurasische Landbrücke führt vom Hafen Lianyungang in der Provinz Jiangsu bis nach Rotterdam. Drei Haupteisenbahnstrecken führen durch mehr als sieben chinesische Provinzen, die Mongolei, Kasachstan, Russland, und Weißrussland ins Herzen Europas. Die Strecke hat den entscheidenden Vorteil, dass Güter schneller als zur See transportiert werden können, aber zugleich auch ca. um den Faktor vier günstiger als per Luftfracht. Seit Februar 2015 fahren schon regelmäßig internationale Züge von Jiangsu nach Europa, andere Anfangspunkte befinden sich in Chongqing oder Xian. China arbeitet mit den Ländern entlang der Strecke daran, den reibungslosen Zollablauf entlang der Grenzen besser zu koordinieren.
China–Mongolei–Russland-Korridor. Diese Strecke gliedert sich in zwei Teilstrecken, von denen eine von Peking, Tianjin, und der Hebei Provinz durch die Innere Mongolei nach Russland führt, sowie eine zweite, die sich von Dalian in der Provinz Liaoning via Shenyang, Changchun, Harbin und der Inneren Mongolei direkt nach Russland schlängelt. Fracht, die aus dem Süden Chinas wie aus Guangzhou oder Suzhou, kommt, wird auch über diese Route nach Europa transportiert. Der geopolitische Vorteil dieser Strecke besteht darin, dass sie mit Russlands Transsibirischer Eisenbahn und dem Präriestraßenprogramm der mongolischen Regierung in Abstimmung operiert.
China– Zentralasien–Westasien-Korridor. Von der Türkei über den Iran nach Zentralasien führend, ist diese Route eine wichtige Ader für die zukünftige Versorgung Chinas mit Rohöl und Erdgas. Schon jetzt ist die Erdgaspipeline von Horgos in der Provinz Xinjiang in China durch Turkmenistan und Usbekistan und den Süden Kasachstans die längste der Welt. Kooperationsmechanismen und Verträge existieren mit Kirgistan und Tadschikistan zur Erleichterung von Handel und Logistik.
China–Südostasien. Dieser Korridor vernetzt das Perlflussdelta im Süden Chinas mit den Exportstätten Guangzhous, Hong Kongs und Shenzhens über Kunming mit den südostasiatischen Wachstumsmärkten Vietnam, Laos, Kambodscha, Thailand, und Myanmar. Hochgeschwindigkeitszüge und Autobahnen werden vom Süden Chinas aus nach Hanoi in Vietnam und Singapur führen. Im Einklang stehen Chinas Pläne mit dem Größeren Mekong Fluss Plan der Asian Development Bank, der eine erweiterte industrielle Kooperation und die gemeinsame Entwicklung von Transportnetzwerken vorsieht.
China–Pakistan-Korridor. Dieser Korridor führt von Kashgar in Chinas Provinz Xinjiang zum Tiefseehafen Gwadar in Pakistan. Potenziell liefert diese Strecke China eine Abkürzung in den Mittleren Osten und genießt wegen seiner hohen strategischen Bedeutung Priorität in Peking. Im April 2015 hat der chinesische Staatspräsident Xi Jinping bei einem Besuch Investition in Höhe von 30 Milliarden Euro in Pakistans Infrastruktur, Telekommunikation und Transport verkündet.
Bangladesch–China–Indien–Myanmar-Korridor. Der sechste Korridor vernetzt China mit Südasien und reicht bis nach Bangladesch und Indien mit dem Potenzial für weitere Integration nach Süden, Richtung Indonesien oder Westen, Richtung Pakistan und Afghanistan. Ein Mechanismus wurde beschlossen, um Investitionen in Eisenbahnstrecken, Industrie und Training zu koordinieren.

Chancen für Unternehmen
Aber nicht nur entlang der Route, auch in China selbst ergeben sich neue, spezifische Möglichkeiten für Unternehmen. Ausländische Unternehmen sind eingeladen, sich in China für die Unterstützung OB|ORs einzusetzen. Provinzen in China befinden sich in stetem Wettbewerb untereinander. Demzufolge ist eine zügige Planung und Umsetzung OB|ORs im Interesse einer jeden Provinzführung, um die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und sich gegenüber anderen Provinzen wirtschaftlich abzusetzen. Dieser Wettbewerb führt auch zu einer Re-lokalisierung von Industrien und der rapiden Entwicklung von Dienstleistungen aus den teurer werdenden Küstenregionen ins westliche Inland. Geografisch bieten sich vor allem Provinzen entlang den Grenzen im Norden, Süden und Westen Chinas an. Xinjiang im Nordwesten wurde von der Zentralregierung als Fokusprovinz auserkoren. Wegen seiner Lage nahe den Ölgebieten in Zentralasien, Pakistan und dem Mittleren Osten ist es ein natürlicher logistischer Knotenpunkt für Routen nach Europa. Aber auch Yunnan, wie im obigen Beispiel gezeigt, ist ein wichtiger Drehpunkt für den Handel nach Südasien. Die Öffnung Myanmars, der Bau von Staudämmen entlang des Mekongs und die Industrialisierung Kambodschas, Laos und das starke Wirtschaftswachstum in Vietnam machen Yunnan sowie das östlich gelegene Guangxi zu wichtigen Basen, von denen Unternehmen von der weiteren Entwicklung Südostasiens profitieren werden.
Kooperationsmodelle für Unternehmen
Mit welchen Kooperationsmodellen können Unternehmen punkten? Hier bieten sich mehrere Möglichkeiten:
Partnerschaften. Unternehmen können lokale Kooperationen in Österreich nutzen, um in China Aufträge zu generieren, oder aber sich mit ihren chinesischen Partnern um Kontrakte in Drittländern bewerben.
Technologietransfer. österreichische Unternehmen können ihre Patente nach China lizenzieren oder Produktentwicklungen transferieren. Zahlreiche Technologiecluster bieten potentiellen Partnern signifikante Unterstützung in Ansiedelung, HR, Marketing und Vertrieb.
Finanzierungsförderungen. Finanzierungen werden lokal in China für existierende, expandierende oder zukünftige Projekte bereitgestellt.
EPC. viele chinesische Staatsfirmen, die traditionell sehr stark in EPC sind, haben ihre Investitionen in Drittländern im Rahmen der Seidenstraße nochmals beschleunigt. Unternehmen können an die daraus folgenden Projekte andocken.
Öffentlich-private Partnerschaften. der Wandel von traditionellen EPC zu öffentlich-privaten Modellen und die sich ergebenden Probleme für chinesische Unternehmen, vor allem im Umweltschutz, Risikomanagement, Rechtsberatung, sowie technischen Standards ergeben neue Möglichkeiten für österreichische Industrien, Kanzleien und Banken, die traditionell sehr stark in diesen Bereichen sind.
Supply Chain Optimierung. durch Österreichs geografische Position in der Mitte Europas können sich Unternehmen einen bevorzugten Zugang zu vorhandener Infrastruktur verschaffen, um Güter in Drittländer zu transportieren. Schienenverbindungen von Mitteleuropa nach China operieren bereits mit Transportzeiten von 12–15 Tagen.

Knowhow ist gefragt
Durch diese Mechanismen und Kooperationsformen bietet die OB|OR-Initiative Chancen nicht nur für Logistikfirmen sondern auch Unternehmen aus anderen Branchen, unter anderem Dienstleistungen wie Rechts- und Complianceberatungen und Experten, die sich intensiv mit Ländern entlang der Route auseinandersetzen. Die Größe und Vielseitigkeit der OB|OR-Initiative, die im Moment in der österreichischen Wahrnehmung noch oft zwischen „abschreckend“ und „abstrakt“ rangiert, muss in Chancen mit solidem Risikomanagement und spezifische Projekte transformiert werden. Die massiv unterschiedlichen wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten entlang der Seidenstraßen erfordern eine kühle Abschätzung der inhärenten Risiken. Diese reichen von rechtlichen und finanziellen Herausforderungen hin bis zu sozialen Unruhen, politischen Disputen oder auch CSR-Themen. Ein solides Risikomanagement erkennt aber in diesen potentiellen Problemen die großen Chancen – und nützt letztere optimal aus, während erstere mitigiert werden.
Österreichs Chancen. Entscheidend für Österreichs Position an der Seidenstraße wird die Kompetenz, chinesische mit österreichischen Unternehmen auf Projektbasis zu verbinden. Dadurch entstehen Andockmöglichkeiten an Ausschreibungen auf lokaler Ebene, die direkte Projekte ermöglichen und zu weiterer Vernetzung zu führen. Österreichs erste Beratung für die Seidenstraße, OB|OR Austria, unterstützt gemeinsam mit Xvise innovative logistics Unternehmen dabei, robuste Strategien für China zu entwickeln und diese operativ exzellent umzusetzen.