Patrick Siebert – Eine KI kann eine Art von Intuition entwickeln

Künstliche Intelligenz (KI) ist ein Hype, der mittlerweile zu einem Begriffswirrwarr führt, und deshalb auch für viel Verunsicherung sorgt. Wir sprachen im Café Dommeyer mit Patrick Siebert, Geschäftsführer der Wiener Agentur Seabird Marketing und Partner der steirischen ivii. Er gilt als ein ausgesprochener KI-Fachmann für die Industrie. Wir versuchen dabei, etwas Ordnung in das Begriffsdurcheinander zu bringen. Gleichzeitig zogen wir im Gespräch eine Grenze zwischen KI und herkömmlicher Software.  

P. Siebert - “Ich gehe bei meiner Beratung nicht den Weg über die Technik, sondern über die Problemstellung im Unternehmen.” (Foto: RS MEDIA WORLD archive)
P. Siebert – “Ich gehe bei meiner Beratung nicht den Weg über die Technik, sondern über die Problemstellung im Unternehmen.” (Foto: RS MEDIA WORLD archive)

blogistic.net – Was verstehen Sie unter Künstliche Intelligenz, KI. Mir scheint, jeder versteht darunter etwas anderes. Die einen meinen ChatGPT, die anderen meinen nur eine intelligente Software, die dazulernt usw. 

P. Siebert – Sie haben Recht, Herr Schlobach, derzeit erleben wir gerade unter dem Stichwort Künstliche Intelligenz oder KI einen ziemlichen Begriffswirrwarr. Gleichzeitig erleben wir seit ChatGPT auf dem Markt ist, einen großen Hype um KI. Ich persönlich fasse diesen Begriff insgesamt sehr weit und unterscheide dabei nicht unter Machine Learning, Deep Learning usw., sondern ich betrachte leiber das große Ganze dabei.  

Patrick Siebert – “…gingen früher Step-by-Step voran” 

blogistic.net – Aber wo treffen Sie dann die Unterscheidungen? 

Patrick Siebert – Ich unterscheide hier vor allem im Software-Bereich, und hier insbesondere in der Vorgehensweise der Programmierung. So ging man dabei beispielsweise bis vor Kurzem Step-by-Step voran. Man sagte der Maschine: “Wenn das Ereignis X passiert, dann musst Du das tun.” Heute haben wir jedoch selbstlernende Systeme, denen man lediglich ein Ziel vorgibt und man ihnen lediglich sagt: “Finde den optimalen Weg dorthin.”  

blogistic.net – Sie beraten Unternehmen unter anderem dabei, KI für diverse Prozesse zu implementieren. Was sagen Sie denen? 

P. Siebert – Ich gehe bei meiner Beratung nicht den Weg über die Technik, sondern über die Problemstellung im Unternehmen. Und dabei ist es wichtig zu wissen, wie der Status quo der laufenden Problemlösung ist. Daran orientiert sich dann der Problemlösungsansatz, denn es muss erst geklärt werden, ob die anstehende Herausforderung etwa mit Machinelearning bzw. Irgendeiner KI bewältigt werden kann oder KI überhaupt zur Verbesserung etwa von Prozessen etwas beitragen kann. Denn trotz des derzeitigen Hypes kann traditionelle Software sehr viele Probleme beispielsweise in Richtung einer Prozessoptimierung noch immer besser lösen als eine KI. 

Software vs. KI – Erst prüfen, dann entscheiden 

blogistic.net – Sie würden also erst dann einen Lösungsansatz mit einer KI wählen, nachdem das geprüft wurde? 

Patrick Siebert – Ja, denn dann kann man die Frage stellen, ob und welches KI-System ein Problem im Unternehmen besser lösen kann. Denn erst daran knüpfen sich so Folgefragen wie etwa “Was brauchen wir technologisch dafür, welche Daten aus dem bestehenden System benötigt wir dafür und welche müssen künftig generiert werden? Dabei ist auch wichtig zu wissen, woher die Daten kommen; etwa von Menschen, von Sensoren usw. Und wie diese Daten strukturiert verarbeitet werden sollen etc.  

blogistic.net – Sie haben gesagt, dass in vielen Fällen die traditionelle Vorgehensweise mit programmierter Software der bessere Lösungsansatz ist als mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz. Können Sie das konkretisieren? 

P. Siebert – Nicht, dass Sie mich missverstehen. Ich meine das nicht allgemein. Beispielsweise bei einer Mustererkennung stoßen traditionelle Softwares an ihre Grenzen. Denn es ist eine der großen Stärken von KI, aus einer Fülle von Daten Muster zu erkennen, daraus Schlüsse zu ziehen und daraus dann Entscheidungen zu treffen. Das ist gerade im Bereich des Handels, der Logistik usw. Eine sehr spannende Sache.  

Patrick Siebert – “…es geht um das Zusammenspiel von Systemen” 

P. Siebert - “Mithilfe von Algorithmen und der Tatsache, dass die Software permanent lernt, hat sie eine Art Intuition entwickelt.” (Foto: RS MEDIA WORLD archive)
P. Siebert – “Mithilfe von Algorithmen und der Tatsache, dass die Software permanent lernt, hat sie eine Art Intuition entwickelt.” (Foto: RS MEDIA WORLD archive)

blogistic.net – Die Logistikautomations-Branche gilt vielfach als Enabler der disruptiven Entwicklungen durch Industrie 4.0. Wo ziehen Sie beispielsweise hier die Grenzen zwischen herkömmlichen Softwarelösungen und den Einsatz von KI? 

Patrick Siebert – Im Endeffekt geht es um das Zusammenspiel von Systemen, um ein Optimum herauszuholen. Wenn Sie mich aber um eine Grenze fragen, dann würde ich das so beantworten: Herkömmliche Software, die in solchen Automationslösungen eingesetzt werden, ist dort gut eingesetzt, wo es vor allem um statische Daten geht, wie etwa in Datenbanken, ERP-Systemen usw. KI ist hingegen dort sinnvoll, wo es beispielsweise darum geht, aus den vorhandenen Daten Schlüsse zu ziehen und in weiterer Folge Entscheidungen zu treffen wie etwa dann beim Einkauf von Rohstoffen, Halbfertigwaren und Consumergoods. Um hier Kosten zu sparen, wie etwa im Lager, sind möglichst genaue Prognosen erforderlich. Hier kann ein KI-System, gemeinsam mit herkömmlichen Softwarelösungen optimale Ergebnisse erzielen. 

blogistic.net – Wir bei BUSINESS+LOGISTIC / blogistic.net subsumieren das letztlich unter dem Stichwort “Informationslogistik”. Worauf kommt es dabei an? 

P. Siebert – Um die Menge der Datenpunkte, also der Punkte, woher ich meine Daten beziehe. Um etwa planvoll einzukaufen oder, wie ein Handelsreisender, meine Route effizient abzufahren, brauche ich Daten, aus denen dann Informationen werden. Das bedeutet aber: Je mehr Datenpunkte ich habe, umso komplexer wird das Problem, Informationen generieren, welche die richtigen Entscheidungen ermöglichen. Mit den heutigen Rechnern kann ich mit statischer Software natürlich sehr viel machen, aber irgendwann stoßen auch diese an ihre Grenzen. Und genau da kommt dann künstliche Intelligenz ins Spiel, welche aus dem Datenwulst mithilfe von Algorithmen diverse Muster erkennen kann, die sie dann zu Informationen macht und schließlich zur Grundlage ihrer Entscheidungen macht. Dabei spielt es dann auch keine Rolle, wenn sich die Muster wandeln, denn die Software “lernt” ja permanent dazu.  

Je größer die Datenmenge und –vielfalt, umso besser mit KI 

blogistic.net – Solange also die Komplexität halbwegs überschaubar ist, haben herkömmliche Programmierungen zumindest heute noch mehr Sinn als KI. Verstehe ich das richtig? 

Patrick Siebert – Ja! Ich vergleiche das beispielsweise mit dem Schachspiel, bei dem es vor einigen Jahren gelungen ist, mit Rechnerleistung und traditioneller Software einen Computer dem Menschen überlegen zu machen. Das liegt einfach daran, weil es beim Schach eben nur eine begrenzte Anzahl an Möglichkeiten und Variationen gibt, die Figuren zu setzen usw. und auch Strategien zu entwickeln. Ganz anders verhält sich das etwa beim Spiel Go, einem historischen Strategiespiel aus China. Bei diesem Spiel sind die Möglichkeiten und Variationen um ein Vielfaches komplexer, sodass dieses Spiel mit herkömmlichen Rechner- und Softwaremethoden faktisch nicht mehr zu bewältigen ist. Eine KI kann das jedoch mit seinen Algorithmen lösen, weil sie Muster erkennt, die etwa dem menschlichen Auge entgehen oder starre Strukturen aushebeln.  

blogistic.net – Wie schnitt die KI beispielsweise gegen den Go-Weltmeister ab? 

P. Siebert – Sie hat gewonnen, denn mithilfe von Algorithmen und der Tatsache, dass die Software permanent lernt, hat sie eine Art Intuition entwickelt, welche ihr dazu verhalf, den Go-Weltmeister zu schlagen. In der Fähigkeit, Muster aus sich permanent generierenden Daten zu erkennen, kann KI eine Art von Intuition entwickeln, um richtige Entscheidungen treffen. 

blogistic.net – Vielen Dank für das tolle Gespräch.  

seabirdmarketing.com | ivii.eu 

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