Während der Pandemie nur von Insidern registriert, hat Mag. Oskar Zettl vor rund zwei Jahren den MD-Posten von Toyota MH Austria übernommen. Seither setzt der diplomierte Betriebswirt die Transformation des traditionellen OEM für Materialflüsse zum Highend-Lösungsanbieter für integrierte Intralogistiklösungen um. Welche Pläne er hat und wie er mit Logistik-Automationslösungen, die sich am Toyota Production System (TPS) orientieren, erheblich Boden gut machen will, verrät er Joachim Horvath und HaJo Schlobach, Partner der HJS MEDIA WORLD, im Gespräch.
blogistic.net – Wie geht es Toyota MH Austria?
Oskar Zettl – Wir sind glücklicherweise in einer Branche tätig, die auch in diesen Zeiten gebraucht wird. Denn Güter müssen immer irgendwo in einem Lager oder in der Produktion bewegt, gehoben und gelagert werden. Allerdings ist es im Augenblick etwas ruhiger als in den letzten Jahren. Die Investitionsprämie der hiesigen Bundesregierung hatte ja viele Unternehmen dazu veranlasst, geplante Investitionen in ihre Logistik vorzuziehen. Das war aber nicht der einzige Grund für den außerordentlich starken Markt im vergangenen Jahr.
blogistic.net – Welche Gründe gab es noch?
O. Zettl – Ein Booster war sicherlich auch der E-Commerce Boom, der gerade in der Coronapandemie für Erweiterungs- und Modernisierungsinvestitionen in den Distributionszentren des Handels und in der weiteren Folge auch in der Industrie sorgte. Für Toyota MH Austria sorgte jedoch die Kundenstruktur dafür, dass die Nachfrage nach unseren Lösungen gerade in den letzten Jahren hoch war. Retailer, Möbelhandel, Baustoffhandel usw. erlebten während der Pandemie einen Boom, weil viele Verbraucher in ihre Eigenheime investierten und sich dort einrichteten. Die Notwendigkeit für die Einrichtung von Homeoffices spielte hier sicher auch eine Rolle.
Oskar Zettl – „Zwischen 9.000 und 10.000 Neugeräten wird sich der Markt einpendeln.“
blogistic.net – Von welchen Größenordnungen bei den Neustaplern sprechen wir eigentlich?
Oskar Zettl – Normalerweise bewegt sich der Markt in Österreich bei den Neuanschaffungen bei rund 9.000 Geräten. Im vergangenen Jahr sind wir bei rund 11.000 gelandet. Zwischen 9.000 und 10.000 wird sich das auch in den kommenden Jahren wieder einpendeln.
blogistic.net – Sie sind stark im Retail, Handel und Großhandel unterwegs. Wie sieht es in der Industrie aus?
O. Zettl – Wir freuen uns, dass insbesondere unsere Logistik-Automationslösungen verstärkt nachgefragt werden. Bei vielen Hidden Champions in Österreich, die auch stark im Ausland unterwegs sind, sind wir Partner wenn es darum geht, Automationslösungen zu realisieren. Hier kommt uns zugute, dass Toyota MH Austria in Österreich zum zentralen Hub für Österreich, Ost- und Südost-Europa ausgebaut wurde. Das bedeutet, dass wir von Wiener Neudorf aus sämtliche Nachbarstaaten Österreichs betreuen, also auch Italien und die Schweiz und, bei Bedarf auch Süddeutschland.
blogistic.net – Wir dachten, die Landesgesellschaften sind immer nur für ihre eigenen Märkte zuständig.
O. Zettl – Das trifft bei den Staplerlösungen zu, nicht jedoch für die Automationslösungen. Wir haben hier in Österreich viel Kompetenz in der Logistikautomation aufgebaut. Für Ost- und Südosteuropa ist Toyota MH Austria das zentrale Hub, also für alle Nachbarstaaten Österreichs. In Deutschland werden wir dann tätig, wenn uns entweder ein österreichischer Kunde mitnimmt oder wenn die Kollegen in Deutschland ausgelastet sind. Dann unterstützen wir diese von Österreich aus. Das ist auch umgekehrt der Fall.
Oskar Zettl – „Die Automatisierung wird bei uns am schnellsten wachsen.“
blogistic.net – Wo sehen Sie die Wachstumssegmente bei Toyota MH Austria?
Oskar Zettl – Die Automatisierung wird bei uns am schnellsten wachsen. Das sehen wir an unseren Zahlen. Allerdings wird es aus unserer Sicht in Österreich weniger die Vollautomatisierung sein, sondern Halb-Automatisierungslösungen. Das sind also Lösungen etwa im Lager oder in der Produktion, in der standardisierbare manuelle Tätigkeiten automatisiert, aber gleichzeitig manuell gesteuerte Fahrzeuge genutzt werden.
blogistic.net – Welche Automationslösungen fallen darunter?
O. Zettl – Beispielsweise unsere ganzen Fahrerlosen Transportsystem-Lösungen, aber auch unsere ganz neuen Kompaktlösungen wie etwa der CDI120, den wir auch auf dem Österreichischen Logistiktag der VNL in Linz vorstellen werden. Diese eignen sich hervorragend für solche gemischten Automationslösungen.
blogistic.net – Wo sehen Sie dabei Ihre Wachstumsmärkte?
O. Zettl – Der E-Commerce Markt wird die nächsten Jahre noch weiter wachsen, wobei wir mittlerweile eine langsame Abflachung sehen. Hinzu kommt die Industrie, wo ganz neue, Energie- und CO2-sparende Konzepte nachgefragt werden, unabhängig von den jetzigen hohen Energiepreisen. Und dann natürlich beim Transport. Das wird aber davon abhängen wieviel Güter gedreht, gehoben und gelagert werden. Ich persönlich denke aber, dass dies insgesamt weniger werden wird, auch im Sinne der Nachhaltigkeit. Vor diesem Hintergrund werden wir Verbraucher in den Industrienationen unsere Bedarfe selbst optimieren. Es findet in der Gesellschaft, vor dem Hintergrund der gegenwärtigen Situation in der Welt, ein Umdenken statt.
blogistic.net – Können Sie das konkretisieren?
O. Zettl – Die Verbraucher wollen immer mehr Waren aus der Region beziehen, in der sie leben und greifen bewusst zu Produkten, die nicht um den halben Erdball transportiert wurden. So sollten dabei wenigstens aus Europa stammen, am liebsten aber aus dem eigenen Land. Sie vertrauen also wieder mehr regionalen Produkten und sind bereit, dafür auch etwas mehr zu bezahlen. Vor dem Hintergrund angespannter Lieferketten und Abhängigkeiten von autoritären Staaten versuchen aber auch viele Unternehmen, ihre Lieferketten erheblich zu verkürzen. Hier spielen die Themen „Reshoring“ und „Nearshoring“ eine wichtige Rolle.
Oskar Zettl – „Nachhaltigkeit ist für uns schon immer ein zentrales Element der Unternehmensstrategie.“
blogistic.net – Was bedeutet das für Toyota MH Austria?
Oskar Zettl – Das Thema Nachhaltigkeit ist für uns schon immer ein zentrales Element der Unternehmensstrategie. Ich persönlich begrüße daher so eine Entwicklung, obwohl es durchaus bedeuten kann, dass wir das ein oder andere Gerät weniger verkaufen. Aber das kann ohnehin passieren, wenn wir die Prinzipien des Toyota Production System (TPS) bei uns und bei unseren Kunden ernst nehmen und umsetzen.
blogistic.net – Wie meinen Sie das?
O. Zettl – Ich bin stolz darauf in einem Unternehmen wie Toyota MH zu arbeiten, das schon immer auf Nachhaltigkeit gesetzt hat, d.h. also hinsichtlich der Ressourcenschonung und des Energieverbrauches schon immer ein erbitterter Gegner der Verschwendung, also „Muda“ war. Die Basis für die Verschwendung kann man überall legen, selbst wenn man glaubt, das Richtige zu tun. Darum gibt es in der japanischen Managementphilosophie TPS das Prinzip „Genchi Genbutsu“, was im übertragenen Sinne „Zurück zur Quelle gehen“ heißt. Für uns bedeutet dies, dass wir beispielsweise zuerst den Produktionsprozess bei unseren Partnern verstehen lernen wollen und fragen, warum diese ihre Entscheidungen für jeweilige Prozesse so getroffen haben, wie sie sind. Erst dann können wir Verbesserungen vorschlagen. Vor dem Hintergrund, dass im TPS immer alles auf die ständige Verbesserung abzielt, kann es bei der Erstellung eines neuen Logistik-Automationskonzeptes daher passieren, dass wir ein oder mehrere Geräte bei der neu angebotenen Lösung einsparen. Unterm Strich ist das jedoch nachhaltig, weil es dem Kunden, der Umwelt, uns und letztlich der Gesellschaft hilft. Und darauf kommt es an.
blogistic.net – Für Unternehmen, welche vor dem Hintergrund explodierender Energiepreise nach Lösungen suchen, könnte diese Managementphilosophie also durchaus ein Wegweiser sein. Abschließende Frage: Was sind Ihre persönlichen, operationalen Ziele in den nächsten Jahren?
O. Zettl – Der Toyota-Konzern ist durch den Erwerb von Vanderlande, Bastian Solutions und jüngst viastore nicht nur der weltgrößte Hersteller von Flurförderzeugen, sondern nun auch einer der größten Komplettlösungsanbieter für automatisierte und integrierte Material Handling Lösungen. Es ist kein Zufall, dass dies dem allgemeinen – auch in Österreich spürbaren – Branchentrend entspricht. Bis 2026 wollen wir daher unsere aktuelle Position am österreichischen Markt deutlich verbessern. Dazu wollen wir in allen Geschäftsfeldern stark wachsen und unseren Gesamtumsatz verdoppeln. Einen maßgeblichen Anteil wird dabei der Logistics Solutions Bereich bzw. das Automatisierungsgeschäft haben.
blogistic.net – Vielen Dank für das spannende Gespräch.
Oskar Zettl in Kürze
Der gebürtige Steirer, graduierte an der Wirtschaftsuniversität Wien und kann auf eine siebzehnjährige, internationale Führungserfahrung in der Bosch-Gruppe in den Branchen Thermotechnik, Automotive und dezentrale Energieversorgung verweisen. Zehn Jahre lang war er in China tätig, wo er unter anderem als Geschäftsführer die Landesgesellschaft für Bosch Thermotechnik leitete. In seiner letzten Funktion war er für den weltweiten Aufbau der Vertriebs-, Marketing- und Servicestrukturen im Bereich stationäre Brennstoffzellen verantwortlich. Seit Anfang 2021 leitet er als Managing Director die österreichische Landesgesellschaft von Toyota Material Handling.
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