
Die Industriekunden in Nordamerika planen kurzfristig und erwarten eine Belieferung innerhalb von 24 Stunden. Operative Excellence, eine hohe Warenverfügbarkeit und kurze Lieferzeiten sind daher entscheidend für den Deal. Der schwäbische Global Leader in Sachen Automatisierungstechnik, Festo, hat mit der Errichtung seines neuen Hightech-Standortes in Mason, Ohio, die Basis dafür gelegt. Ein Bericht von Thomas Wöhrle
Wer den gesamten NAFTA-Raum mit seinen Hightech-Produkten innerhalb von 24 Stunden beliefern will, braucht nichts weniger als den perfekten Standort mit den entsprechenden Kapazitäten und logistischer Perfektion. Das wissen die Verantwortlichen des schwäbischen Weltmarktführers in Sachen Automatisierungstechnik nur zu gut. Darum kann es auch als eine Richtungsentscheidung für die Zukunft gelten, welche der Vorstand des Familienunternehmens traf, als man den alten Standort in Long Island, New York nach Mason, Ohio verlegte und an dort ein hochmodernes Produktions-, Service-, und Logistikzentrum aus dem Boden stampfen ließ. Dieses Regional Service Center (RSC) liefert jetzt die notwendigen Kapazitäten für zusätzliches Wachstum in USA, Kanada und Mexiko. Und aufgrund der zentralen Lage und zukunftsweisender Logistikprozesse kann Festo seine Kunden innerhalb von 24 Stunden seine innovativen, kundenspezifsch maßgeschneiderten Lösungen liefern. Hierzu gehört auch der konsequente Ausbau des Online-Geschäftes, das sowohl im Direktvertrieb als auch bei den Distributionspartnern tendenziell stark ansteigt. Damit dürfte man dem erklärten Ziel des Top-Managements, die Position im nordamerikanischen Markt zu stärken und auszubauen, einen entscheidenden Schritt näher sein.
„…für diesen Neubau prädestiniert.“
„Die geografsche Lage von Mason, Ohio, war aus unserer Sicht für diesen Neubau prädestiniert“, sagt Yannick Schilly, Vice President Product Supply NAFTA und Chief Operating Ofcer (COO) bei der Festo Corporation. „Das betrifft sowohl die vorhandene Infrastruktur als auch den Zugang zu Kunden, Fachkräften und Logistikdienstleistern.“ In einem Radius von 600 Meilen gebe es hier in jeder Hinsicht ausgesprochen gute Bedingungen.

Insbesondere den Endkunden könne man im Rahmen eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses (KVP) einen optimalen Lieferservice bieten. Denn Serviceexzellenz wird zu einem immer wichtigeren Wettbewerbsfaktor in einem hart umkämpften Markt. „Festo hat mit dieser Investition die Basis für zukünftiges Wachstum gelegt. Mit dem neuen Logistikzentrum haben wir unsere Kapazität verdreifacht“, so Y. Schilly im Gespräch.
Logistik-Technologie als Basis. Dabei setzt der Global Player mit Hauptsitz in Esslingen auch diesmal wieder auf das Logistik-Knowhow der Witron Logistik & Informatik aus dem bayrischen Parkstein. Der Generalunternehmer ist für die Entwicklung, Konzeption und Inbetriebnahme sämtlicher IT-, Steuerungs-, und Mechanik-Komponenten in Mason verantwortlich. Ebenso werden die Wartung und der Service der Anlage durch ein Witron OnSite-Team verantwortet. „Moderne Logistik-Technologie schafft die idealen Voraussetzungen für optimale Leistung“, sagt Oliver Ring, Logistikleiter von Festo. Dieses Prinzip gelte sowohl für die eigene Leistung als auch die Leistung der Systempartner. „Wir wollen unseren Kunden in Nordamerika (Anm.: hier gemeint USA & Alaska, Kanada, Mexiko) ein Maximum an Qualität und Serviceleistung bieten“, so O. Ring. „Das schaffen wir durch das RSC – sowohl für große Konzerne als auch für kleine und mittelständische Unternehmen (KMU).“
Operative-Excellence: Der Schnellere gewinnt
Die Festo-Kunden in Nordamerika planen dabei relativ kurzfristig und erwarten in der Regel sehr zeitnahe Lieferungen. Lieferanten wie Festo müssen deshalb eine schnelle, effziente Logistik bieten und manche Dinge in gewisser Weise auch antizipieren können. „Warenverfügbarkeit und kurze Lieferzeiten sind in unserer Branche das A und O“, betont Andreas Wiebe, Project Manager Logistics bei Festo USA. „Alle Artikel, die heute bestellt werden, müssen am nächsten Tag schon bei unseren Kunden sein.“

Skalierbares Order Picking. Aufgrund des breiten Artikelspektrums von mehr als 20.000 verschiedenen Teilenummern für Antriebe, Motoren, Controllern, Ventile, Sensoren und Bildverarbeitungssysteme arbeitet Festo – analog zu seinem Zentrallager in Deutschland – mit dem Witron-Standardmodul OPS (Order Picking System). „Das skalierbare OPS hat sich im Online-Handel, im Teilevertrieb sowie in der Ersatzteil-Distribution in zahlreichen Projekten weltweit erfolgreich bewährt“, sagt Karl Högen, CEO Witron Nordamerika.
Für Festo USA habe man eine maßgeschneiderte Anlage mit modernsten Software- und Mechanikkomponenten realisiert. Das automatisierte Kommissioniersystem OPS ist übrigens eine Integration von Automatischem Kleinteilelager (AKL), Verteiler-Loop und vorgelagerten Kommissionierplätzen. Die Artikel werden hier an den Kommissionierplätzen nach dem Ware-zum-Menschen-Prinzip auftragsbezogen und sequenziell für die Kommissionierung bereitgestellt. Die Entkopplung der Ein- und Auslagerprozesse vom Kommissionierprozess erfolgt durch integrierte Sequenzpuffer. OPS ermöglicht die Lagerung und Kommissionierung in einem System.
Pick by light. „Hervorzuheben in dem Festo-Projekt sind vor allem die acht Hochleistungspickplätze, inklusive den dazugehörigen nachgelagerten Packplätzen – entwickelt nach strengen ergonomischen Vorgaben“, sagt Högen. „Pro Arbeitsplatz können bis zu fünf Kundenaufträge parallel kommissioniert werden.“ Darüber hinaus gewährleisten ein Pick-by-Light-System sowie integrierte Flächenscanner eine außerordentlich hohe Kommissionierqualität. Somit ist es möglich, an einem Spitzentag in Summe bis zu 400 Kunden-Pakete pro Stunde fehlerfrei zu packen und zeitnah auszuliefern. Das zehngassige AKL mit 73.000 Stellplätzen, ausgelegt für unterschiedlichste Behältergrößen, versorgt über ein Fördertechnik-Netzwerk den Kommissionier- und Verpackungsbereich permanent mit Ware. Integrierte Sequenz-Puffer sorgen für eine reihenfolgegerechte Bereitstellung der bestellten Artikel am Arbeitsplatz und für eine optimale Auslastung aller Pick- und Packplätze. Gleichzeitig werden diese von der Geschwindigkeit der zehn hochdynamischen FAS-Regalbediengeräte entkoppelt. Und noch ein weiterer Aspekt dabei wichtig. „Für uns ist dieses Projekt eine gute Möglichkeit, unsere logistische Kompetenz im Non-Food-Bereich auch in den USA zu zeigen“, so Högen. „Denn als Generalunternehmer für den Lebensmitteleinzelhandel arbeiten wir ebenso mit Kunden aus der Elektronikbranche, dem Healthcare-Umfeld und dem Teilevertrieb.“
DIE GEOGRAFISCHE LAGE VON MASON WAR AUS UNSERER SICHT FÜR DIESEN NEUBAU PRÄDESTINIERT. DAS BETRIFFT SOWOHL DIE VORHANDENE INFRASTRUKTUR ALS AUCH DEN ZUGANG ZU KUNDEN, FACHKRÄFTEN UND LOGISTIKDIENSTLEISTERN. Yannick Schilly, CFO Festo Corporation
Fördertechnik und RBGs. Energieefziente Fördertechnik-Elemente und Regalbediengeräte der Witron-Tochter FAS optimieren hingegen den gesamten Materialfluss in Mason. Dabei proftiert man im neuen RSC übrigens von der langjährigen Zusammenarbeit beider Partner. „Speziell das eingesetzte Lagerverwaltungssystem hat diverse Evolutionsschritte durchlaufen, wurde gemeinsam mit Festo permanent weiterentwickelt und ist exakt auf die Anforderungen des Kunden angepasst, ohne gleichzeitig den Standardisierungsgedanken zu vernachlässigen“, erklärt K. Högen. „Für beide Unternehmen ist das RSC ein Vorzeigeprojekt und das Ergebnis einer professionellen Zusammenarbeit.“
Eine knappe Million
Bei Festo USA können die Kunden wählen, ob sie Produkte aus einem standardisiertem Baukastensystem oder ganz individuell auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Lösungen bestellen wollen. Dadurch erhöht sich das Artikelspektrum rein rechnerisch auf fast eine Million Varianten. Um diese Bandbreite inklusive der Make-to-Order-Prozesse effzient im Materialfluss abdecken zu können, hat Festo USA einen Großteil der Prozesse aus Deutschland adaptiert, sodass keine großen Anpassungen nötig waren. „Darüber hinaus haben wir das OPS jedoch um eine zusätzliche Besonderheit erweitert“, sagt Festo-Projektmanager Wiebe.

„Bei uns können neben den Standard-Behältern mit 600 x 400 mm auch größere Behälter mit 800 x 400 mm in das System integriert werden.“ Denn alles, was in Behälter passt, kann automatisiert im AKL gelagert und damit sehr viel schneller bearbeitet werden als im manuellen Bereich. Bei Festo USA sind das immerhin mittlerweile mehr als 85 Prozent aller Produkte. Auch in der Zentrale in Deutschland denke man nun über eine solche Erweiterung nach.
Operative-Excellence: 50 Prozent produktiver
Seit dem Go-Live im September 2015 hat sich die operative Exzellenz des neuen Logistikzentrums in Mason im tagtäglichen Betriebsablauf bewährt. „Die Produktivität stieg im Vergleich zu unserem alten Standort in Long Island um mehr als 50 Prozent“, sagt Schilly. „Gleichzeitig hat sich die Fehlerrate um rund 60 Prozent reduziert.“ Ein Grund für diese positive Entwicklung sei die Umstellung des Kommissionierprinzips von Mensch-zu-Ware auf Ware-zu-Mensch, unterstützt durch transparente Arbeitsplatzdialoge. Darüber hinaus sei es gelungen, die Mitarbeiter schnell an die neuen Abläufe zu gewöhnen und robuste Prozesse zu etablieren. Dies habe sich auf die Leistungsfähigkeit der gesamten Supply Chain ausgewirkt. Bei der Einarbeitung und Schulung haben die Mitarbeiter in den USA sehr stark von den Erfahrungen aus Rohrbach partizipiert. „Für einen Vollsortimenter wie uns mit weltweit sehr hohem Serviceanspruch ist die einfache technische Umsetzung zur Beherrschung von Komplexität ein ganz entscheidender Wettbewerbsfaktor. Das hat in der Form keiner unserer Wettbewerber geschafft“, freut sich A. Wiebe. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch das OnSite-Team von Witron. Dieses sorgt durch permanente Vor-Ort-Präsenz für die Sicherstellung einer hohen technischen Verfügbarkeit der Anlage.
Weitere Investitionen geplant
Mit dem neuen RSC sieht man sich bei Festo USA in der Zukunft und man denkt auch schon an weitere Investitionen am Standort in Mason. Jedenfalls stehen hierfür Erweiterungsflächen bereit. „Unser zweistelliges Wachstum in Nordamerika sowie die Begleitung unserer Kunden auf ihrem Weg zur Digitalisierung und Industrie 4.0 macht bald weitere Investitionen notwendig“, erklärt COO Y. Schilly. „Dabei sehen wir uns als Innovations- und Technologieführer bei der Gestaltung der digitalen Supply Chain.“ Denn Entwicklungen in einem zunehmend digitalen Umfeld, unter anderem getrieben durch E-Commerce, verlangten auch Logistikprozesse, die auf die Anforderungen der Zukunft ausgerichtet sind – etwa durch eine denkbare Einbeziehung von Paketdienstleistern oder neuen Playern wie Amazon. Hier sehe man sich gemeinsam mit Witron als Entwicklungspartner auf dem richtigen Weg.