ÖSTERREICHISCHER LOGISTIK-TAG 2022 – Eine Reise zu neuen Perspektiven

Österreichischer Logistik-Tag 2022 – Zwei Tage dauerte die Reise des Verein Netzwerk Logistik (VNL), bei der Franz Staberhofer (Vorsitzender), Oliver Mayer (Eventorganisator) samt Team das Who is Who der österreichischen Wirtschaft und Logistik im Design Center Linz mitnahmen. Vor dem Hintergrund mannigfaltiger Krisen und einer hohen Inflation (10,5 Prozent) war der größte Logistik-Event Österreichs ein Wechselbad der Gefühle zwischen Freude, trotzigem Optimismus und Unsicherheit wegen der extrem hohen Volatilität der Märkte, die keine Planbarkeit zulassen. (Ein Nachbericht von CR Hajo Schlobach)

Österreichischer Logistik-Tag 2022 (ÖLT) – War Österreichs größter Logistik-Event im vergangenen Jahr noch wegen der beinahe überstanden geglaubten Coronakrise von einer hemdsärmeligen Aufbruch- und Weiter-So-Stimmung geprägt, lieferte der ÖLT 2022 Klarheit darüber, dass künftig nichts mehr so sein werde wie früher. Besucher des Kongresses im Design Center in Linz wurde heuer daher einem Wechselbad der Gefühle ausgesetzt, das von purer Freude über trotzigen Optimismus bis hin zu einer teilweisen Verunsicherung darüber führte, wie es weiter gehen wird mit Österreich, der europäischen und der Weltwirtschaft.

Österreichischer Logistik-Tag 2022 – Alles ist möglich – nix is fix

Zurecht wählten die Verantwortlichen des ÖLT 2022, den rund 800 registrierte Teilnehmer vom 4. bis 5. Oktober besuchten, das Motto „Perspektivenwechsel: Wovon reden wir? Was tun wir?“ Dabei ging es den Veranstaltern offenbar um den Versuch, einerseits eine gesellschaftspolitische Positionierung der Logistik-Branche vorzunehmen hinsichtlich eines seit 1945 existierenden Wertekompasses. Dieser ist im sogenannten „Westen“ die letzten 77 Jahre so selbstverständlich geworden, dass nahezu niemand mehr darüber nachdenkt oder nachdenken möchte: Menschenwürde, Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Diese Positionsbestimmung oder besser Positionswiederbestimmung ist mit dem Angriff Putin-Russlands auf die Ukraine vom 24. Februar 2022 plötzlich nötig geworden. Denn diesen Wertekompass stellt der faschistische Diktator im Kreml und seine Mafia im Kreml mit brutaler Gewalt zur Disposition. Andererseits stehen Megathemenkomplexe wie der Klimawandel und die digitale Transformation, der demographische Wandel im Raum, auf welche Politik, Gesellschaft und Wirtschaft, also auch die Logistikbranche adäquate Antworten zu deren Bewältigung liefern müssen.  

Positionsbestimmung ist alles andere als banal

Diese gesellschaftspolitische Positionierung der Logistikbranche ist für Österreich dabei alles andere als banal, denn sie erwirtschaftet in ihrer Gesamtheit immerhin rund 25 Milliarden Euro pro Jahr und beschäftigt Hunderttausende Menschen. Damit rangiert sie nach der Bau- und der Automotive-Branche auf Rang drei, vor dem Tourismus. Gleichzeitig ist sie eine Schlüssel- und Querschnittsbranche, ohne die sich in Österreich, Deutschland und Europa letztlich kein Rad dreht.

Österreichischer Logistik-Tag 2022 – Viele Fragen, zu wenig Antworten

Um es vorweg zu nehmen: Beim Versuch einer gesellschaftspolitischen Positionierung ist es auf dem Österreichischen Logistik-Tag 2022 geblieben. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Am Ende des Kongresses wurde deutlich, dass mehr Fragen gestellt als Antworten gegeben wurden bzw. werden konnten. Dieses Ergebnis war zu erwarten, denn hier haben sehr viele Gruppen ein gewichtiges Wort mitzureden bzw. glauben es zumindest haben zu müssen. Es bedarf darum vieler Versuche, die richtige Positionierung bzw. die richtigen Positionierungen zu finden. Wenn es gelingt, sind diese jedoch letztlich Ergebnisse aus einer Selbstreflexion aller beteiligten heraus. Der Anstoß zur Reflexion und Selbstreflexion, wie er am Österreichischen Logistik-Tag 2022 gegeben wurde, ist daher schon sehr viel.

Die Branche steht noch am Anfang – wie alle

Österreichs größter Logistikevent hat also letztlich gezeigt, dass die Branche hier noch ganz am Anfang steht. Wohl auch deswegen lud Prof. Franz Staberhofer, Vorsitzender des VNL, in seiner Eröffnungsrede die Besucher dazu ein, daran mitzuarbeiten. Allerdings, und das hat dieser Kongress auch gezeigt, der Wertekompass an und für sich, auf dem die EU gegründet wurde und von W. Putin mit tödlicher Konsequenz bekämpft wird, steht außer Frage. Das zeigten vor allem die vielen Solidaritätsbekundungen in Richtung der Ukraine. Gleichzeitig wurde von allen Beteiligten bestätigt, dass es mehr Vertrauen, Collaboration und Diskussionen bedarf, um diese Krisen zu bewältigen. Und genau das ist die Basis des europäischen, liberalen Wertesystems.    

Es wird hart an Krisenbewältigungen gearbeitet

Österreichischer Logistik-Tag 2022 – Österreichs größter Logistik-Event machte jedem klar, dass nichts mehr so sein würde wie vor dem 24. Februar 2022. (Foto: RS MEDIA WORLD Archiv)
Österreichischer Logistik-Tag 2022 – Österreichs größter Logistik-Event machte jedem klar, dass nichts mehr so sein würde wie vor dem 24. Februar 2022. (Foto: RS MEDIA WORLD Archiv)

Auf die vielen Fragen hinsichtlich der Megathemen Klimawandel, digitale Transformation, demographischer Wandel bis hin zur Energiekrise, lieferte der Österreichische Logistik-Tag 2022 hingegen mannigfaltige Antworten. Interessenten an Lösungen innerhalb dieser Querschnittsmaterien kamen daher voll auf ihre Kosten. Eigentlich wie jedes Jahr. Der Unterschied zu den früheren Logistik-Tagen im Design Center Linz war jedoch, dass heuer die Themen „Energie“ und „Energiesparkonzepte“ nicht nur eine erweiterte Form des allgemeinen Green-Washings der Vergangenheit waren. Sie sind wegen der enormen Energiekosten vielmehr zu einem echten Wettbewerbsfaktor geworden. Auch Anbieter von Logistik-Automationsanlagen müssen darum heute verstärkt ihren Kunden die Frage stellen, ob diese ihre Anlagen auf einen möglichen Peak in der Zukunft konzeptioniert haben wollen, oder auf einen gleichmäßigen Ertrag. Denn beide Entscheidungen haben spätestens seit 2022 letztlich einen besonderen Einfluss auf dauerhafte Energieverbräuche und damit auch auf den Return on Invest (ROI).

Kleiner, skalierbarer und flexibler

Wer mit Eventbesuchern ins Gespräch kam, wurde darum rasch klar, dass die Suchen nach Optimierungspotenzialen entlang der Wertschöpfungsketten von Anwendern exzessiver betrieben werden denn je. Vor dem Hintergrund einer stattfindenden De-Globalisierung, anhaltender Lieferkettenprobleme, sich verändernder gesetzlicher Rahmenbedingungen wie etwa Lieferkettengesetze, raschen Veränderungen Konsumentenverhalten, die regional immer stärker variieren, Wohlstandsverluste etc., dürften künftig darum die geforderten Automationslösungen anders aussehen als noch vor drei Jahren, also vor der Coronakrise und dem Putin-Krieg in der Ukraine. Flexibler, kleiner, skalierbarer bis hinunter auf Losgröße 1 und noch energieeffizienter müssen die Anlagen der Zukunft sein. Zudem rücken Themen wie die finanzielle (Ausfall-)Sicherheit ganzer Lieferketten ins Zentrum des Interesses. Stichwort: Supply Chain Financing. Auch das muss künftig bei Logistikkonzepten mit berücksichtigt werden. Hier gab der Österreichische Logistik-Tag 2022 den Anwendern und den Logistik-Lösungsanbietern gleichermaßen brauchbare Orientierungen.

Österreichischer Logistik-Preis 2022 ging an IKEA Wien Westbahnhof

Österreichischer Logistik-Tag 2022 – IKEA Wiener Westbahnhof gewann Logistik-Preis 2022 des VNL (Foto: RS MEDIA WORLD Archiv)
Österreichischer Logistik-Tag 2022 – IKEA Wiener Westbahnhof war mit seiner Standortlösung nahezu exemplarisch für den Perspektivenwechsel, um den es im Design Center Linz heuer ging. (Foto: RS MEDIA WORLD Archiv)

In dieser Hinsicht konsequent war es daher von der Jury des Österreichischen Logistik-Preises, die Standortlösung von IKEA auf dem ehemaligen Gelände des Wiener Westbahnhofes zu prämieren. Der Preis wurde im Rahmen der traditionellen Gala überreicht, die auch heuer in den ehrwürdigen Hallen der Linzer Kaufmannschaft über die Bühne ging.

Völlig neues City-Store-Konzept

Prämiert wurde dabei ein völlig neues City-Store-Konzept, das IKEA gemeinsam mit Logistik-Planern, der Verkehrsplanern der Gemeinde Wien und Logistik-Lösungsanbietern konzipierte. Ziel war es, dem Trend der Urbanisierung zu entsprechen und neue, urbane Kundengruppen zu erreichen. Gleichzeitig sollte sich der Publikumsmagnet möglichst störungsfrei in den stark frequentierten Verkehrsknoten dort einfügen und zudem den sehr dicht besiedelten Wohnbereich nicht belasten.

Möbel einkaufen ganz ohne Auto

Darum ist Einrichtungshaus per se aufofrei konzipiert. Kunden können dort bequem mit dem Fahrrad und gleich mehreren öffentlichen Verkehrsmitteln (U-Bahn, Straßenbahn, Bus) anreisen. Rund 3.300 Cash & Carry-Artikel, also Mitnahme-Artikel) sind für den Einkauf vor Ort verfügbar. Für größere Produkte gibt es hingegen verschiedene Zustell- und Abholoptionen. Der sehr knappe Platz bei IKEA Wien Westbahnhof erfordert hierbei eine Lagerung mit hoher Dichte. Erreicht wird das mit einem automatisierten Deep-Lane-Lagersystem. Es ermöglicht neun Ladeeinheiten hintereinander im gleichen Regalfach zu lagern.

Der Nachschub kommt in der Nacht

Über Nacht werden die Waren softwaregestützt für einen optimalen Nachschub in die Verkaufsebene umverteilt. Dabei dürfen maximal 25 Lkw pro Tag den Standort anfahren. Um für möglichst geringe Lärm- und Abgasemissionen zu sorgen, wurde ein sehr raffinierter Indoor-Ladeplatz eingerichtet. Dabei fährt der Lkw vorwärts auf einen Drehteller und wird dann in Richtung Laderampe gedreht. Auf diese Weise wird das Be- und Entladen nicht nur erheblich beschleunigt, sondern das übliche Warnpiepsen des Lkw entfällt, weil dieser sich ausschließlich vorwärts bewegen muss. Gleichzeitig ist so die 100-prozentige Rückverfolgbarkeit der Waren sichergestellt. Versorgt wird IKEA Wien Westbahnhof von insgesamt drei Distribution-Center in Österreich. Sie führen das gesamte Sortiment und sind im Logistiknetzwerk involviert.

Optimierte Distribution durch OOS

In der Distribution spielt bei dieser ausgeklügelten Logistik-Systemlösung ein „Order Orchestration System“ (OOS) für einen optimierten Warenfluss und die gewünschte Lieferzeit des Kunden eine maßgebliche Rolle: 80 Prozent der Kunden kaufen kleinere Mitnahme-Produkte, die keinen weiteren Service benötigen. Aber bei 20 Prozent der Kunden – die für einen Umsatzsanteil von mehr als 70 Prozent sorgen – sind Zusatzservices erforderlich. Sie können dabei wählen zwischen einer direkten Zustellung ihrer bestellten Waren per Zustellungen mit LKW oder Paketen oder, wie schon immer bei allen IKEAS, mittels Selbstabholung durch den Kunden. Und hier können IKEA-Kunden den Ort der Selbstabholung über Click & Collect-Stationen selkbst wählen: entweder bei den Auslieferungslägern, bei diversen externen Abholstationen nahe dem Wohnort oder, ganz neu, bei den Click-&-Collect-Boxen beim City Store Wien Westbahnhof. Logistik ist der Enabler für die praktische Umsetzung eines komplett neuen Verkaufsmodells.

Österreichischer Logistik-Tag 2022 – Ein Magnet für Anwender

Unterm Strich war der Österreichische Logistik-Tag 2022 also eine außergewöhnliche und hochkarätige Veranstaltung. Sie ist zwar nicht durchgängig dem eigenen Anspruch gerecht geworden, positionsbestimmend zu sein. Dennoch war der Logistik-Event eine Werbung für den Logistik-Standort Österreich, weil sich die Veranstalter selbst den kritischen Fragen der Gegenwart und Zukunft gestellt haben und dabei sowohl die Kongressteilnehmer als auch die Aussteller auf die Entdeckungsreise zu neuen Perspektiven mitnahmen. Mehr kann man von einem Kongress nicht erwarten.

vnl.at

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