NPR-EINKAUF – Eine Transformierung des Globalen

Wie geht der Aufbau eines globalen NPR-Einkaufs bzw. einer marken- und länderübergreifenden Procure-to-Order-Plattform zur Steuerung und Optimierung der Einkaufsprozesse? Die Zumtobel Group hat es vorgemacht und dafür eine begehrte Auszeichnung kassiert. Offenbar zurecht, denn der Marktführer für Lichtlösungen und -komponenten hat so mehr die Zufriedenheit der Endanwender herbeigeführt. Ein Beitrag von Sabine Ursel

acdc Lighting von Zumtobel: Das Konzept bietet genau das Licht, das für die unterschiedliche Nutzung der Räume gebraucht wird. | Foto: Zumtobel

Wenn ein Unternehmen mit 7.000 Mitarbeitern und rund 1,35 Milliarden Euro Umsatz seinen Einkauf in Richtung Hochleistung trimmt, sorgen Umwälzungen in Prozessen und Köpfen für Unruhe, aber auch Aufbruchstimmung. Das Procure-to-Order-Projekt (P2O) der Zumtobel Group (Hauptsitz Dornbirn) war eines der intensivsten Change-Projekte der vergangenen Jahre. Alle Beteiligten hatten sich höchsten Anforderungen an Management Skills, Koordination, Kommunikation und Durchsetzungsvermögen zu stellen.

Ohne Commitment von Einkauf, Management und Stakeholdern wäre eine solche Mammutaufgabe nicht möglich gewesen. Matthias Fuchs, Director NPR Purchasing, Zumtobel Group

Vom Bestellbüro zur Service-Drehscheibe

Der Transformationsprozess in Richtung NPR-Einkauf unter dem Motto „Mission Global Procurement“ begann im September 2014 bei intransparenten Prozessen und rudimentärer E-Procurement-Struktur. Ziel: die weltweite Neustrukturierung des gesamten Einkaufs als neue Global-Purchasing-Organisation mit Etablierung einer neuen konzernweiten E-Procurement-Landschaft für den indirekten Einkauf. Die neue Plattform sollte bis dato genutzte Tools und die IT-Infrastruktur ablösen. Um den NPR-Einkauf nachhaltig als wesentlichen Werttreiber zu positionieren, waren sowohl auf strategischer als auch operativer Ebene Weiterentwicklungen nötig. Ab Mai 2015 folgte der sukzessive Roll-out der neuen Lösung in alle Werke. Innerhalb von sechs Monaten gingen alle Werke der Zumtobel Group live. Stand heute: Implementierung einer konzernweiten, länderübergreifenden P2O-Lösung zur Steigerung von Transparenz und Self-Service-Grad – unter Berücksichtigung der Bedürfnisse eigener Mitarbeiter, externer Dienstleister und Lieferanten. Der Einkauf wurde zu einer service-orientierten Organisation weiterentwickelt. Grund genug für die Jury des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik in Österreich (BMÖ), die Zumtobel Group am 29. September 2016 mit dem „Austrian Supply Excellence & Einkauf 4.0 Award 2016“ auszuzeichnen. Weitere Preisträger: A1 Telekom Austria, Magna Steyr Fahrzeugtechnik und Voestalpine.

Vor Projektbeginn. Der indirekte Einkauf bei der Zumtobel Group hatte nur wenig Möglichkeiten, Prozesse zielgerichtet zu optimierten und zu steuern. Die E-Procurement-Landschaft war bis 2014 rudimentär aufgestellt. Seinerzeit wurden die Bestellanforderungen (BANF) in einem Excel File an den Einkauf übermittelt. Dies geschah per E-Mail oder durch die interne Hauspost. Nachteile: Verzögerungen aufgrund des Transportweges, erneute Eingabe von Daten, Interpretation von handschriftlichen BANFen aufgrund von Unleserlichkeit. Eine Vielzahl an Bedarfen wurde an Prozessen und Systemen vorbei geordert; die Maverick-Buying-Quote lag bei ca. 80 Prozent. Hinzu kam die fehlende Transparenz bei Bedarfen von Waren und Dienstleistungen. Das bestehende E-Procurement Tool war nicht State-of-the-Art, stieß auf wenig Akzeptanz im Unternehmen und wurde deshalb auch nicht global eingesetzt. Knapp 78 Prozent aller Rechnungspositionen wiesen ein Volumen von unter 1.000 Euro auf. Durch einen höheren Automatisierungsgrad und einfachere self-service-gelagerte Bestellvorgänge galt es nun, den Aufwand für den Einkauf auf operativer Ebene deutlich zu reduzieren. Der Fokus sollte sich weg von den meist rein operativen Prozessen im Long-Tail (Kleinstausgaben) auf die etwa 22 Prozent an Positionen größer 10.000 Euro verlagern.

Fokus: interner Kunde. Ein wichtiger Baustein im Rahmen der Restrukturierung war die Neuausrichtung der Services in Richtung interne Kunden. „Die Steigerung des Self-Service-Grads bei P2O kann nur funktionieren, wenn Besteller über alle Funktionen und Prozesse in Kenntnis gesetzt werden und sie sich aufgrund einer B2C-nahen Umgebung bei ihren Shopping-Erlebnissen wohlfühlen“, sagt Matthias Fuchs, Director NPR Purchasing bei der Zumtobel Group, gegenüber BUSINESS+LOGISTIC / blogistic.net. In diesem Fall könne der Einkauf seine strategische Rolle – losgelöst von administrativen und operativen Prozess – bestmöglich wahrnehmen. Zielsetzung war es daher, die internen Kunden in einen Guided-Self-Service-Prozess zu bringen und so dem Einkauf Kapazitäten für die Erfüllung seiner priorisierten Tätigkeiten freizumachen. Der Einkauf kommunizierte darum während des gesamten Projektes aktiv. Wiederkehrende Feedbackschleifen, mitarbeiterseitiger Kompetenzaufbau und Abbau heterogener Informationssilos waren Grundgerüst des Gesamtprojekts.

Die Steigerung des Self-Service-Grads bei P2O kann nur funktionieren, wenn Besteller über alle Funktionen und Prozesse in Kenntnis gesetzt werden und sie sich aufgrund einer B2C-nahen Umgebung bei ihren Shopping-Erlebnissen wohlfühlen. Matthias Fuchs, Director NPR Purchasing, Zumtobel Group

NPR-Einkauf: Konzept mit drei Teilprojekten

Das Projekt „NPR-Einkauf“ startete mit den Schritten Implementierung des Bestellprozesses für Waren (1), der Erweiterung des Bestellprozesses um die Funktionalität der Dienstleistungsbeschaffung (2) und der Umsetzung des P2O-Prozesses (3). Zielsetzungen waren Standardisierung, Usability sowie die Kriterien Akzeptanz, Optimierung und Erleichterung. Alle Mitarbeiter sollen ihre Bedarfe und Anforderungen über eine moderne und intuitive Umgebung entlang vorverhandelter Sortimente managen können. Die neu definierten Rollen, Prozesse und Funktionalitäten wurden pro Rechtsträger eingeführt. Fachbereiche und neue Endanwender wurden sowohl auf strategischer- als auch Commodity-Ebene permanent über Änderungen, die Entwicklung des Designs und der Ziellandschaft eingebunden, um mögliche Eintrittsbarrieren und somit das Risiko eines nicht-durchdringenden Go-live der neuen Lösung möglichst gering zu halten.

Die Bestellplattform

Der strategische Einkauf entschied sich für WPS als Beschaffungsplattform in Verbindung mit SAP ERP. Kernelemente: Umsetzung einer zentralen E-Procurement- und Katalogmanagement-Lösung, die prozessuale, technische und kommerzielle Anbindung aller Zumtobel-Group-Lieferanten über Kataloge, Web-Shops und als Empfänger von Freitextanfragen in Verbindung mit der Nutzung einer neuen Dokumentenaustauschplattform. WPS wurde den Mitarbeitern in allen Bereichen zugänglich gemacht. Verwendet wird dabei eine Single-Sign-On-Variante, bei der über E-Mail-Adressen authentifiziert wird. So können die Benutzer von jedem Arbeitsplatz auf alle Rechner und Dienste zugreifen, für die sie lokal berechtigt sind. „Ein modernes User Interface und intuitive Benutzerführung sind Kernelemente für die Nutzerakzeptanz“, betont M. Fuchs.

Dokumentenaustausch. Die neue Exchange-Plattform führt die Daten der Zumtobel Group und die der angebunden Lieferanten zusammen und optimiert Anfrage-, Angebots-, Bestell- und Leistungserfassungsabwicklung. Dabei kommen die Daten schnell und revisionssicher als verschlüsselte E-Mails, per Web-Service oder als Download aus dem Dokumentenaustausch-Portal.

Lieferantenintegration und Sortimentsbereitstellung. Die Bereitstellung von Katalogen zur Beschaffung von Bedarfen für den Endanwender war eines der Kernziele. Über die zentrale Suche des WPS haben Anwender die Möglichkeit, in den verfügbaren internen und externen verhandelten Sortimenten Produkte zu finden, zu vergleichen und über Warenkörbe zu bestellen. Wiederkehrende Bedarfe lassen sich in einer Favoritenliste speichern. Ziel war ein B2C-nahes Einkaufserlebnis für alle Anwender. Alle internen statischen Katalog- sowie externen Web-Shop-Sortimente sind nun für jeden Anwender zentral verfügbar. Die Beschaffung der Katalogartikel entspricht den vertraglich verhandelten Preisen. 3.000 Lieferanten wurden bisher technisch und kommerziell angebunden.

Suche als strategischer Anker. Usability und User Guidance sind zentrale Elemente der strategischen Ausrichtung des NPR-Einkaufs. Relevant sind insbesondere die Funktionen rund um Suche, Artikelauswahl, Bestellstatus und damit verbundene Komfortfunktionen für die Endanwender. Die Anzeige von Detailansichten und Ergebnissen bietet den Zumtobel-Anwendern relevante Informationen, etwa Herstellerinformationen, Lieferzeiten, Bestellmengen und Nettopreise. Zukünftig werden auch alternative Suchbegriffe vorgeschlagen, wenn es keine Treffer gibt oder die erwartete Trefferanzahl deutlich unter den Erwartungen liegt.

Strukturierte Freitexte. Der Umgang mit Freitext-Bestellungen war ein KPI-relevanter Aspekt. Für alle Bedarfe, die nicht durch die Sortimente innerhalb der Katalog- und Web-Shop Landschaft abgedeckt werden konnten, wurde für alle Anwender die Möglichkeit geschaffen, strukturierte Freitextanfragen zu generieren. Alle Positionen, bei denen ein Preis oder der Lieferant fehlt, werden dabei vom jeweiligen Einkäufer gemäß Rollenkonzept nachbearbeitet. Der Genehmigungsprozess startet erst nach Abschluss der Nachbearbeitung.

Genehmigungsprozess. Die Zumtobel Group hat einen einzigen Genehmigungsworkflow weltweit geltend für alle Werke etabliert. Sämtliche relevanten Prozesse wurden durch Anbindung von zwei ERP-Systemen mit drei Mandanten (Zumtobel, Tridonic, Zumtobel/Thorn) standardisiert. Der Genehmigungsprozess für Bedarfe der Anwender wurde speziell an die länderspezifischen Anforderungen der Zumtobel Group angepasst. Zur Verfügung stehen acht Genehmigungsschritte, die jedes Werk nach individuellen Wertgrenzen variabel festlegt. Aufgrund der internationalen Ausrichtung wurden die Intrastat-Meldungen bei Auslandsbeschaffungen nach EU-Norm im WPS abgebildet. Dabei prüft das System die Kriterien und stellt fest, ob für einen Geschäftsvorgang eine Intrastat-Meldung notwendig wird.

KPI: Maverick Buying. Die hohe Maverick-Buying-Quote war einer der Kerntreiber des Projekts. Insbesondere die daraus resultierende Intransparenz und die hohen Prozesskosten waren mittelfristig nicht tragbar. Die Implementierung der neuen Lösungslandschaft war der erste Baustein in der langfristigen Zielsetzung, die Quote sukzessive auf 0 zu reduzieren. Parallel wurde ein neues Reporting aufgesetzt, das alle Bestell- und Rechnungspositionen gegenüberstellt. Dabei wurden alle Warengruppen, die per definierter, global geltender Policy der Zumtobel Group nicht unter Maverick Buying fallen, außer Acht gelassen. Alle den KPI betreffenden Artikel müssen über das WPS bestellt werden.

Ein modernes User Interface und intuitive Benutzerführung sind Kernelemente für die Nutzerakzeptanz. Matthias Fuchs, Director NPR Purchasing, Zumtobel Group

Schritt für Schritt

„Neben den quantitativ messbaren Zielen des Projekts wurden eine Reihe qualitativer Zielsetzungen erreicht und in vielen Bereichen sogar übertroffen“, erläutert M. Fuchs die Ergebnisse. Durch die neue Lösungslandschaft und die konsequente Nutzung habe der NPR-Einkauf signifikant an Transparenz gewonnen. Viele Prozesse, die bis dato systembedingt in einer Black-Box stattfanden, wurden durch das Projekt sichtbar. Die Folge: Überblick über neue Saving-Potenziale, aber auch strukturell suboptimale Prozesse. Durch die zunehmende Automatisierung vieler Standardprozesse wurden potenzielle Fehlerquellen minimiert und humane Ressourcen freigesetzt, die sich nun effizienter und strategisch sinnvoller planen lassen. Weiterer Erfolg ist die signifikant gestiegene E-Procurement-Quote. Von Januar bis April 2015 waren noch zwischen 37 und 47 Prozent über das alte Tool abgewickelt worden. Im Dezember 2015 waren es bereits 85 Prozent; heute liegt der Wert schon bei über 90 Prozent. Die Nutzerakzepttanz und Durchdringung bei den eigenen Mitarbeitern sind laut Zumtobel „sehr hoch“. Das Fazit von M. Fuchs: „Der globale Roll-out der E-Procurement-Plattform innerhalb von einem halbem Jahr Monaten spiegelt die Motivation von Einkauf, Management und Stakeholdern wider. Ohne dieses Commitment wäre eine solche Mammutaufgabe nicht möglich gewesen.“

Zumtobel - Austrian Supply Excellence & Einkauf 4.0 Award 2016 - Verleihung
Zumtobel ist Gewinner des „Austrian Supply Excellence & Einkauf 4.0 Award 2016“. (v.l.: H. Pechek, T. Feuerstein, M. Fuchs, C. Haring, H. Zsifkovits) | Foto: Marko Kovic

Ausblick: Service Procurement

Die Dienstleistungsbeschaffung im Kontext Service Procurement ist eines der Hauptnachfolgeprojekte. Ziel ist, alle Elemente der Dienstleistungsbeschaffung zentral über die WPS-Plattform abzubilden, darunter Steuerberatung, Übersetzungsleistungen, IT-Consulting, R&D/externes Testen, Instandhaltung Gebäude und Produktion, Eventmanagement, Schulungen, Marktanalysen, Marketingberatung. Die Abbildung der Beschaffungsprozesse dieser Services erfordert deutlich komplexere Ansätze als bei der reinen Katalogbeschaffung. Weiterer Aspekt ist die Einbindung von Meplato als Procurement Service Provider.

Catalog Cloud. Durch die Anbindung einer Catalog Cloud und Echtzeit-Integration von Katalog- und Web-Shop-Sortimenten in die Suche der E-Procurement-Plattform gilt es sukzessive weitere Artikelgruppen und Randsortimente abzudecken. Gleichzeit bleibt die Kreditorenzahl stabil, wodurch unrentable Mehraufwände für das Management von Einmallieferanten vermieden werden. Die über die Catalog Cloud angebunden Lieferanten werden mit ihren Sortimenten direkt in die Suche des E-Procurement-Systems integriert. Die internen Kunden suchen nur einmal, sie brauchen nicht aus dem System abzuspringen. „Dieser Ansatz unterstützt unsere Strategie, langfristig weiter an einem B2C-nahen Shopping-Erlebnis und somit an einer Steigerung der User-Akzeptanz zu arbeiten“, sagt M. Fuchs abschließend.

zumtobel.com

Lessions Learned bei Zumtobel

  • Communication: eng, offen, frühzeitig und pro-aktiv; mit einzelnen Projektteams und auf interdisziplinärer Ebene mit internen Kunden
  • Involvement: gute Beziehungen zwischen Einkaufsspitze, Key-Usern und Teamleitern; frühes Involvieren aller Abteilungen und kontinuierliche Interaktion von Einkauf, IT, Compliance und den einzelnen Fachbereichen
  • Agility: Inkaufnahme von Risiken und der adäquate Umgang damit; kompakte Projektteams und kurze Entscheidungsprozesse; sukzessive Weiterentwicklung von Ideen und Lösungen; flexibler „Mind-Set“ und permanenter Wille zur Verbesserung und Weiterentwicklung
  • Partnership: enge, vertrauensvolle Partnerschaft mit dem Solution Provider; gegenseitiges Einlassen auf Methoden, Entwicklungsansätze, Testverfahren und Abnahmen
  • Innovation driver: Verlassen des eigenen Denk-Silos; Verankerung abteilungsübergreifender Betrachtung; Betrachtung des kompletten Prozess end-to-end
  • Marketing: Hürden akzeptieren; Hemmschwellen abbauen; Einwände analysieren; Ideen Ziele und Zukunftsszenarien positiv in den einzelnen Abteilungen verkaufen; regelmäßige Infostunden und weiterführende Schulungen

Einkauf der Zumtobel Group

Der globale Einkauf der Zumtobel Group verantwortet ein Volumen von 700 Millionen Euro in den Bereichen Commodity Management (direkte Materialien), Technical Purchasing, NPR Purchasing (non-product related; indirekter Einkauf) und Third Party Products (Drittprodukte für die Komponentenmarke Tridonic). Der Indirekte Einkauf ist zentral aufgestellt. Von Bleistiften über Autos bis hin zu Beratungsprojekten managt der NPR-Einkauf mit 88.500 Rechnungspositionen ein weltweites Einkaufsvolumen von 200 Millionen Euro.