MICROCHIP-KRISE – Für Automobillogistiker schlimmer als Coronakrise

Die weltweite Microchip-Krise sorgt für Alarmstimmung bei der europäischen Automobillogistik– und Zuliefererindustrie. Weil die weltweiten Lieferketten der Automobilhersteller (OEMs) wegen der Umstellung auf alternative Antriebe im völligen Umbruch sind und die Auswirkungen von Dekarbonisierung, Industrie 4.0 sowie der damit verbundenen digitalen Transformation jetzt voll durchschlagen, ist eine wirtschaftliche Planung der Lieferketten faktisch unmöglich geworden. Die Association of European Vehicle Logistics, ECG, deren Mitglieder knapp 25 Milliarden Euro pro Jahr umsetzen, fordert jetzt dringend Maßnahmen sowohl von den OEMs als auch der Politik, die zu mehr Transparenz und somit besserer Planungssicherheit führen.

Microchip-Krise für Wirtschaft krasser als Corona-Krise (Foto: Petra Weishaar / www.pixelio.de)
Microchip-Krise – Düsteres Licht fällt auf die Automobillogistik und Zuliefererindustrie, denn die Auswirkungen der weltweiten Microchipknappheit sind krasser für die Branche als die der Coronakrise. (Foto: Petra Weishaar / www.pixelio.de)

Die Automobillogistik- und Zuliefererbranche muss, wie die gesamte Weltwirtschaft, die Auswirkungen der Coronakrise zu bewältigen. Doch die aktuelle Mikrochip-Krise bedroht die Unternehmen dieses Wirtschaftsbereichs, die immerhin rund 25 Milliarden Euro pro Jahr umsetzen, in ihrer Existenz. Deshalb schlägt die die Association of European Vehicle Logistics, ECG, Alarm. Betroffen von der Microchipknappheit sind fast 140 Mitgliedsunternehmen und Partner des Verbandes. Das Mitgliedsspektrum reicht hierbei vom familiengeführten KMU bis zum multinationalen Konzern. Sie besitzen oder betreiben mehr als 380 Autoschiffe, 14.900 zweckgebundene Eisenbahnwaggons, 28 Binnenschiffe und mehr als 27.800 LKW. Betroffen von der Microchipknappheit sind daher in weiterer Folge sämtliche Verkehrsträger, also Straße, Schiene, See- und Flussverkehr.  

Die Lager sind leer 

Die Auswirkungen der Microchip-Krise sind zum Teil dramatisch. So neigen sich die Lagerbestände der Zuliefererunternehmen dem Ende zu, heißt es in einer Aussendung des ECG. Die Volumina am Markt für Nachschub seien zudem dramatisch gesunken. Gleichzeitig schließen Produktionsfabriken entlang der Supply Chain ohne Vorankündigung. Die daraus resultierenden volatilen Ströme zerstören somit die Effizienz und damit die Rentabilität der europäischen Automobillogistik- und Zuliefererindustrie.

Unberechenbare Marktenwicklungen. Die Ergebnisse dieser Entwicklung werden leere Werften, leere Werkstätten, stillgelegte und wenig ausgelastete Autotransporte auf der Straße, weniger Gütertransporte auf der Schiene und unausgelastete Schiffe sein, so die Prognose von Insidern. “Die Entwicklung der Märkte war noch nie so unberechenbar wie heute”, lautet daher auch das Resumée von W. Göbel. Für die Unternehmen der Automobillogistik- und Zuliefererindustrie sei die “Planung unmöglich geworden, da die Transparenz der Lieferketten im Fahrzeugbau auf den unteren Ebenen fast nicht vorhanden ist”, heißt es weiter in einer Aussendung des ECG. Aussagekräftige Mengenprognosen lassen sich daher auf dieser Basis nicht erstellen. 

Langes Warten auf Autos und andere Güter 

Für den Automobil-Handel wie die Endverbraucher macht sich die Microchip-Krise bereits deutlich bemerkbar. So wird es für die Händler immer schwerer, Lagerbestände mit Neuwagen aufzufüllen. Kunden müssen teilweise über ein Jahr auf ihren Neuwagen warten. Die Microchip-Krise schlägt sogar bis in den Gebrauchtwagenmarkt durch. Die Bestände neigen sich dem Ende zu. Aber auch im PC-Handel müssen Kunden für Neugeräte oder Ersatz immer tiefer in die Tasche greifen. Preiserhöhungen von zehn Prozent und mehr für Neugeräte und Komponenten sind an der Tagesordnung.    

Microchip-Krise schlimmer als Corona-Krise 

Hat schon die Covid-Pandemie in vielen Branchen die Rentabilität zerstört, führt die weltweite Microchipknappheit daher zu einer verheerenderen Krise in der Automobillogistik- und Zuliefererindustrie. Denn während sich weite Teile der unterschiedlichsten Branchen weltweit auf die Unterstützungen der Regierungen verlassen konnten, ging die Autologistik- und Zuliefererbranche bislang weitgehend leer aus. Deshalb sind die Unternehmensreserven in diesem Sektor in den letzten 18 Monaten völlig erodiert oder sogar gänzlich verbraucht. “Der Sektor hat schätzungsweise 4,5 Milliarden Euro Umsatz verloren”, schlägt der ECG darum Alarm. Das sind zehn Prozent des gesamten Jahresumsatzes der Branche.  

Unterstützung durch OEMs gefordert. Der ECG fordert die Automobilindustrie daher auf, alle möglichen Schritte zu unternehmen, um ihre Logistiklieferanten zu unterstützen. Ihnen stehen dafür etliche Maßnahmen zur Verfügung, darunter die Aussetzung von Bonus-Malus-Leistungskennzahlen, die Verschiebung von Ausschreibungen, bis sich die Märkte wieder stabilisiert haben, die gemeinsame Nutzung von Produktionsplänen in Echtzeit, die Überprüfung von Vorlaufzeiten und Versandhäufigkeit etc. Schlägt der Verband der Automobillogistik vor. „Langfristige Verträge mit unseren Kunden schränken für uns den operativen Planungsspielraum ein. Wir brauchen genauere Informationen zur Planungssicherheit, um unsere Effizienz zu gewährleisten und erhebliche Mehrkosten zu vermeiden, die nirgendwo kompensiert werden können. Unsere Mitgliedsunternehmen liefern gerne, aber die Industrie muss sie auch zulassen“, so W. Göbel. 

Automobillogistik-Branche im völligen Umbruch 

Die Microchipknappheit ist auch ein Ergebnis von weltweiten Veränderungen, die durch Megatrends wie den Klimawandel und die geforderte Dekarbonisierung, Industrie 4.0 und der damit verbundenen digitalen Transformation vorangetrieben werden. Dies wird auch Thema der ECG-Konferenz am 14. Und 15. Oktober in Brüssel sein.  

ECG-Konferenz in Brüssel. Doch nicht alleine die Rahmenbedingungen ändern sich für die Mitglieder des Verbandes, auch die Produkte ändern sich mit derselben Dramatik, wie die Automobilindustrie, welche verbrennungsmotorisch angetriebene Fahrzeuge durch Elektrofahrzeuge ersetzen. Gleichzeitig erfinden die OEMs ihre Verkaufs- und Vertriebsmodelle völlig neu, was andere Assets erfordern wird, da Online-Aktivitäten das Geschäft von den historischen Händlernetzen nehmen. Darüber hinaus besteht, wie bei allen Lieferketten, ein immenser Druck, so schnell wie möglich zu dekarbonisieren und den Bestrebungen der Europäischen Kommission in den „Fit for 55“-Vorschlägen Rechnung zu tragen. All dies erfordert erhebliche Investitionen der Automobillogistik-Branche in Menschen, Vermögenswerte, Systeme usw. “Kurz gesagt: Fast jeder Aspekt der Branche wird sich ändern. Wenn die Branche daher nicht unterstützt und vor den Auswirkungen der kurzfristigen Krise geschützt wird, werden sich solche langfristigen Investitionen als unmöglich erweisen”, so W. Göbel abschließend. 

ECG in Kürze 

Die ECG, die Association of European Vehicle Logistics, ist seit 1997 die Stimme der Automobillogistik und Zuliefererindustrie in Europa. Der Verband vertritt dabei die Interessen von fast 140 Mitgliedsunternehmen und Partnern, vom familiengeführten KMU bis zum multinationalen Konzern. ECG-Mitglieder bieten Herstellern, Importeuren, Autovermietungen und Fahrzeugleasingunternehmen in der EU sowie in Norwegen, der Schweiz, Großbritannien, der Türkei, Russland, der Ukraine und darüber hinaus Transport-, Vertriebs-, Lager-, Vorbereitungs- und Nachbearbeitungsdienstleistungen an. Sie besitzen oder betreiben mehr als 380 Autoschiffe, 14.900 zweckgebundene Eisenbahnwaggons, 28 Binnenschiffe und mehr als 27.800 LKW. Als wichtiger Arbeitgeber trägt die Automobillogistik- und Zuliefererindustrie wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg der Europäischen Union bei. ECG-Mitglieder erwirtschaften einen Gesamtumsatz von rund 24,5 Milliarden Euro und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen auf die mit der Branche verbundenen Unternehmen werden auf 64 Milliarden Euro geschätzt. Mehr als 112.000 Europäer sind direkt in der Fahrzeuglogistikbranche beschäftigt und weitere 230.000 sind indirekt in diesem Sektor beschäftigt. 

ecgassociation.eu 

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