LKW-MARKT – OEMs müssen sich komplett neu erfinden

LKW-Markt – Der LKW steht bei Flottenbetreibern nicht mehr alleine im Zentrum des Interesses. Gefragt sind nachhaltige Transportlösungen. Sie müssen hochflexibel sein und sich rasch an verändernde Rahmenbedingungen anpassen können, die durch Megatrends wie etwa Industrie 4.0 und den Klimawandel bestimmt werden. Das hat Auswirkungen auf den weltweiten LKW-Markt einerseits und andererseits auf die Produkt- und Servicestrategien der OEMs. Eine aktuelle globale Studie des IBM Institute for Business Value unter den Top-Manager*innen der Automobilindustrie weltweit legt nun offen, wohin die Reise im LKW-Bau geht. (Ein Bericht von Hajo Schlobach)

LKW-Markt: Die Zukunft der LKW-OEMs findet auf jeden Fall statt. (Foto: Wolfgang Dirscherl /www.pixelio.de)
LKW-Markt: Die Zukunft der LKW-OEMs findet auf jeden Fall statt. Geradlinig wird er jedoch nicht sein. (Foto: Wolfgang Dirscherl /www.pixelio.de)

Der Wandel vom reinen Hardware-Anbieter zum System-Lieferanten, den beispielsweise die Premiumanbieter der Staplerbranche längst vollzogen haben, hat seit mehreren Jahren auch die Hersteller von Nutzfahrzeugen erfasst. Ein wesentlicher Grund dafür sind die sich wandelnden Anforderungen der Flottenbetreiber in Unternehmen. Standen noch vor wenigen Jahren vor allem die Fahrzeuge und deren Leistung, Verbräuche, Motorisierung etc. im Vordergrund des Interesses, treten heute vor allem sogenannte Softskills wie Telematik, Konnektivität und Value Added Services in den Fokus. Ziel ist dabei die effiziente und umweltschonende Flotte einerseits. Andererseits wollen Anwender ihre Supply Chains so effizient wie möglich gestalten.

Megatrends Industrie 4.0, Klimawandel und Digitalisierung geben Ton an

Der Treiber dieses Wandels sind so Megatrends wie etwa Industrie 4.0, der Klimawandel und die Digitalisierung. Hinzu ist nun auch der Wandel in der Weltwirtschaft durch die Auswirkungen der Covid19-Pandemie. Sie zeigen schon jetzt geopolitische Verschiebungen von den ehemaligen Machtzentren in Amerika und Europa in Richtung Asien. Sie alle verlangen von den Automobilherstellern nicht mehr alleine nur den Bau von Fahrzeugen. Gefragt sind komplette Mobilitätslösungen. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um den Individualverkehr oder den Güterverkehr handelt. Die Lösungen müssen dabei in der Lage sein, sich flexibel an die Mobilitätsbedürfnisse ihrer Anwender anzupassen. Zudem müssen sie sich effizient in ganze Wertschöpfungsnetzwerke ihrer Nutzer einklinken können. Das Ziel ist der umweltschonende Transport mit geringen CO2-Emissionen sowie geringem Ressourcenverbrauch.

Ökonomien im Umbruch

Diese Marktanforderungen haben erheblichen Einfluss auf die OEMs in der Automobilbranche im Allgemeinen und auf die Nutzfahrzeugbranche im Besonderen. Es reicht heute auch hier nicht mehr, LKW mit einem geringen Verbrauch von Dieselkraftstoff und Feinstaub-Emissionen zu produzieren. Gefordert sind ein ganzer Blumenstrauß von Antriebstechniken, die den Dieselantrieb, den LPG-Antrieb, den Elektroantrieb mittels Lithium-Ionen-Technologie und den Antrieb mittels Brennstoffzelle, also mit Wasserstoff, beinhalten. Politische Ziele und gesetzliche Normen, welche den Ausstieg aus der Dieselmotoren-Technologie bis spätestens 2040 fordern, setzen dabei die OEMs der Welt unter Druck. Betroffen sind dabei nicht nur die Hersteller alleine, sondern auch deren Zuliefererindustrie und After-Sales-Netzwerke wie Werkstätten usw. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass rund 60 Prozent der Wertschöpfungsketten in den Industrienationen und Schwellenländern an der Automobilproduktion hängen, dürften die Umwälzungen jedoch noch viel größer sein.

Veränderungen in der Nutzfahrzeugbranche bis 2030  

LKW-Markt: Die Nutzfahrzeug-Hersteller freut’s. Die Straße wird auch langfristig der Verkehrsträger Nr.1 in der Welt bleiben. (Foto: Erich Westendarp/www.pixelio.de)
LKW-Markt: Die Nutzfahrzeug-Hersteller freut’s. Die Straße wird auch langfristig der Verkehrsträger Nr.1 in der Welt bleiben. (Foto: Erich Westendarp/www.pixelio.de)

Wohin die Reise zumindest bei den Herstellern von Nutzfahrzeugen geht, darüber gibt nun die Studie Truck 2030 Executive Survey des IBM Institute for Business Value Auskunft. Sie gibt Auskunft darüber, welche Veränderungen die OEMs und ihre Zulieferer für den LKW-Markt bis 2030 erwarten. Dafür wurden 1.320 Führungskräfte von LKW-Herstellern und Zulieferern aus acht Ländern befragt.

Verbreiteter Optimismus. Dabei blicken die Hersteller trotz wachsender Herausforderungen die durch den Klimawandel und die Digitalisierung entstehen durchaus optimistisch in die Zukunft. Das können sie auch, denn Analysen von Verkehrsexperten wie etwa Prof. Sebastian Kummer vom Institut für Transportwirtschaft und Logistik an der Wirtschaftsuniversität Wien zufolge bleibt die Straße Verkehrsträger Nr. 1, trotz Investitionen in die Schiene. Somit werden Mobilitätslösungen auf der Basis von LKW die nächsten Jahrzehnte der Transportwirtschaft bestimmen.

LKW-Markt – Diesel, LPG, Wasserstoff oder Elektro?

So weit, so gut. Die Frage ist jedoch, welche Antriebstechnik sich in den nächsten Jahren durchsetzen wird: Dieselmotor, Gas, Elektroantrieb oder Wasserstoff? Hier sehen die Hersteller von Nutzfahrzeugen kein einheitliches Bild. Fakt dürfte jedoch zumindest für sie sein, dass der Dieselmotor bis zum Jahr 2040 für LKW eine wesentliche Antriebstechnik bleiben, auch wenn die gesetzlichen Abgasnormen von den Motorenentwicklern immer bessere, sparsamere und umweltschonendere Aggregate verlangen. Ein wesentlicher Grund dafür ist dabei vor allem der Wirkungsgrad von Diesel-Aggregaten, welche derzeit zumindest weder von Elektroantrieben noch von Wasserstoff-getriebenen Fahrzeugen erreicht wird. Hinzu kommen die Energie-Versorgungsnetzwerke, welche für die E-Mobility sowie für den Wasserstoff zumindest in Europa noch in den Kinderschuhen stecken. Selbst für LPG (Flüssiggas) ist das Tankstellennetzwerk in Europa und der Welt eher rudimentär vorhanden. Die Flottenbetreiber werden daher erst von Diesel-getriebenen Nutzfahrzeugen ablassen und auf Alternativen zugreifen, wenn diese eine wirtschaftlichen Betrieb zulassen.

Staaten sind gefordert. Hier sind vor allem die Staaten gefordert, welche weitaus mehr in den Infrastrukturausbau investieren müssen als sie das bisher tun. Dabei geht es nicht alleine um den Ausbau der Verkehrsinfrastrukturen alleine, sondern vor allem in den Ausbau von Kommunikationsnetzen auf Fiberchannel-Breitband-Basis. Sie alleine ermöglichen erst die Umsetzung von Industrie 4.0, die digitale Transformation und damit klimagerechte wirtschaftliche Konzepte, zu denen auch die Mobilität gehört.  

Klimawandel – OEMs wollen mehr

Geht es allerdings nach den LKW-Herstellern unter dem Dach der European Automobile Manufactures Association (ACEA) wie DAF Trucks, Daimler Trucks, Ford Trucks, Iveco, MAN Truck & Bus, Scania und Volvo Group, werden ab 2040 keine Nutzfahrzeuge innerhalb der Europäischen Union (EU) verkauft, die mit fossilen Brennstoffen angetrieben werden. In einer gemeinsamen Erklärung mit Wissenschaftler*innen des Potsdamer Instituts in Berlin (PIK) im Dezember 2020 verpflichten sie sich zudem bis 2050, für ihre Fahrzeuge „Klimaneutralität“ herzustellen. Diese gemeinsame Erklärung gilt in Fachkreisen als „beispiellos“. Mit der Kooperation sei ein erster Schritt getan für die Zusammenarbeit von Industrie und Wissenschaft, „um auf der Grundlage wissenschaftlicher Informationen den Übergang zur Nachhaltigkeit zu beschleunigen“, sagte der Erdsystemwissenschaftler Johan Rockström vom PIK gegenüber den Medien.

LKW-Markt – Hersteller ändern ihre Produktstrategien

LKW-Markt: Der LKW ist nur noch Teil ganzer Mobilitätskonzepte. Für die OEMs eine Chance für neue Kundensegmente. (Foto: Messe München)
LKW-Markt: Der LKW ist nur noch Teil ganzer Mobilitätskonzepte. Für die OEMs eine Chance für neue Kundensegmente. (Foto: Messe München)

Diese Ziele beeinflussen die Produkt- und Servicestrategien in der Automobilindustrie. Das zeigen Ergebnisse der IBM Studie. So gehen die Top-Manager der LKW-Hersteller weltweit davon aus, dass es große Verschiebungen in Richtung des sogenannten „Plattform-Geschäfts“ geben wird. Das bedeutet, dass die Basis von LKW unterschiedlicher Bauart künftig gemeinsam entwickelte LKW-Plattformen sind, auf denen dann die Fahrzeuge der verschiedenen Marken ausdifferenziert werden. Das erlaubt schnellere Produktenwicklungen bzw. kürzere Produktlebenszyklen und hilft so enorme Kosten zu sparen. Bis 2030 sollen so bis zu 1,73 Billionen US-Dollar Umsatz jährlich über das Plattformgeschäft generiert werden, glaubt man. Das ist mehr als die Hälfte des derzeit weltweit erzeugten Umsatzes oder 51 Prozent. Dabei ist das Plattformgeschäft keine Neuheit. Vielmehr folgen die Nutzfahrzeugsparten der Automobilhersteller nur der längst bekannten Praxis im Pkw-Bau.

Service- und Aftersales wird zentrales Element. Gleichzeitig werden sich rund 465 Milliarden US-Dollar an Umsatz weltweit bis 2030 vom Verkauf hin zu Dienstleistungen verschieben, so die Prognose. Dies ist dem Switch vom Produkt- zum Systemlieferant der Automobilbranche geschuldet. Das Service- und After-Sales-Business wird dann zu einem zentralen Geschäft und Basis des wirtschaftlichen Erfolges. Nicht die Hardware macht dann das Geschäft, sondern die Value Added Services. Die Value Added Services werden dann aber auch die Unterscheidungsmerkmale der Zukunft zwischen den Herstellern sein. Der LKW degeneriert so zum einfachen Gebrauchsgegenstand mit geringen Gewinnmargen für die Hersteller, der sich jedoch in ganzheitliche Konzepte integrieren muss oder etwas sanfter formuliert: Der LKW wird so zwar zum wichtigen aber nicht alleine bestimmenden Merkmal einer Mobilitätslösung. Der Fokus der Anwender wie LKW-Hersteller wird also künftig vielmehr auf der Integrationsfähigkeit von LKW-Flotten in regionale und international angelegte Supply Chains und deren Effizienz liegen. Mit anderen Worten: Derjenige Hersteller macht dann das Geschäft, der dem Anwender die beste Systemlösung liefert. Sie muss dabei flexibel genug sein, um damit rasch auf sich verändernde Märkte und neue Herausforderungen wie den Klimawandel und seine Folgen reagieren zu können.

Einflussfaktor „Technologischer Fortschritt“. Vor diesem Hintergrund erscheint die Einschätzung, dass der technologische Fortschritt in den Bereichen der Antriebstechnik und Motorenentwicklung sowie der Produkt- und Serviceentwicklung selbst, der wichtigste Einflussfaktor für die LKW-Branche in den nächsten zehn Jahren sein wird, mehr als realistisch. Davon sind zumindest 69 Prozent der Befragten Top-Manager überzeugt.

Umstrukturierungseffekt „MAN Steyr“

Für die Produktionsstandorte zeigt dieser Wandel bis 2030 bereits Wirkung. So strukturieren die OEMs ihre Produktionsnetzwerke im großen Stil um. Einer solchen strategischen Umstrukturierung dürfte aktuell beispielsweise MAN in Steyr zum Opfer fallen. Bis 2023 soll dieser Standort geschlossen und in Polen wieder aufgebaut werden. Dort sind die Produktionskosten erheblich günstiger als in Österreich. Somit ist für MAN das Commodity- und Plattform-Business in Polen, aber nicht in Österreich wirtschaftlich darstellbar. Die Region rund um Steyr verliert bei einer Werksschließung mit den rund 2.300 MAN-Mitarbeitern insgesamt rund 8.000 Arbeitsplätze und eine Wertschöpfung von rund einer Milliarde Euro.     

LKW-Markt – Ohne Digitalisierung geht gar nichts

LKW-Markt: Value Added Services sind künftig die Basis zum Erfolg. Der LKW wird zum Commodity-Business. (Foto: Messe München)
LKW-Markt: Value Added Services sind künftig die Basis zum Erfolg. Der LKW wird zum Commodity-Business. (Foto: Messe München)

Die Transformation der Automobilwirtschaft wäre ohne eine digitale Transformation unmöglich. Gleichzeitig ist die Digitalisierung ein wesentlicher Treiber dieser Transformation – auch im Bereich der LKW-Hersteller. Es kommt daher nicht von Ungefähr, dass 64 Prozent der befragten Manager der IBM-Studie die Digitalisierung als zentrales Element des eigenen Geschäftserfolges sehen. Sie gehen davon aus, dass sich ihre Unternehmen digital neu erfinden müssen, um am Markt wettbewerbsfähig zu bleiben. Nur so lassen sich nach Ansicht der Top-Manager neue Kundensegmente und somit neue Wachstumsmärkte erschließen. Und in der Tat: 68 Prozent der befragten Führungskräfte in der DACH-Region gehen davon aus, dass das Erschließen neuer Kundensegmente ihnen die größten Wachstumschancen bietet. Mit dieser Einschätzung befinden sie sich im globalen Vergleich an zweiter Stelle hinter Brasilien.

Megatrend Industrie 4.0. Die Digitalisierung und in diesem Zusammenhang der Megatrend Industrie 4.0 sind der Weg zur mehr Effizienz und einer Ressourcen schonenden Produktion bis hin zur Losgröße 1. Sie sind letztlich das Rückgrat beispielsweise der bereits erwähnten Plattform-Strategie der Hersteller. Dieser Trend wird durch die Studie bestätigt. Digitale Branchen-Plattformen erleichtern die Zusammenarbeit der Unternehmen einerseits. Gleichzeitig erlauben sie ein Unternehmens- und Länder-übergreifendes Management von Geschäftsprozessen und erlauben ein effizientes Management sowie die Steuerung von Supply Chain-Netzwerken, regional wie global. Hingegen auf der operativen Ebene und im direkten Kontakt mit Kunden sind digitale Lösungen mit entsprechendem Datenmanagement der Schlüssel für neue Service-Strategien, etwa in Hinblick auf das Management von Flotten bis hin zum Werkstattmanagement. Große technische Einflussfaktoren in der LKW-Branche werden somit Cloud Computing, Künstliche Intelligenz, das Internet der Dinge, weiterentwickelte Analysemethoden und Machine Learning sein, so ein Fazit der Studie zur Entwicklung der weltweiten LKW-Märkte.

Faktor Mensch. Trotz digitaler Transformation kommt keine Industrie der Welt ohne Menschen aus, welche die neuen Produkt- und Servicestrategien in der Automobilbranche im Allgemeinen und in der LKW-Branche im Besonderen umsetzen. Das sehen auch die Top-Manager der LKW-OEMs so. Laut Angaben der Befragten werden global 118 Milliarden US-Dollar bis 2030 darauf verwendet werden müssen, Mitarbeiter fortlaufend weiterzubilden, damit sie mit den Umwälzungen in der Branche mithalten können.

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