LIEFERKETTENMANAGEMENT – WU Wien will Weltwirtschaft vermessen 

Lieferkettenmanagement – Dank der Digitalisierung ließe sich die Weltwirtschaft eigentlich genauso analysieren wie andere Wertschöpfungs- und Prozessketten. Was es dafür allerdings benötigt, wäre eine Datenbank des globalen Lieferketten-Netzwerks. Dafür wollen sich nun Forscher:innen der Wirtschaftsuniversität Wien (WU) gemeinsam mit Wissenschaftler:innen aus verschiedenen Disziplinen einsetzen. Doch gibt es bereits Lösungen aus den USA und Südostasien.

Lieferkettenmanagement - Forscher der WU Wien wollen eine globale Lieferketten-Datenbank mit 300 Millionen Unternehmen weltweit entwickeln. (Foto: Jetti Kuhlemann / www.pixelio.de)
Lieferkettenmanagement – Forscher der WU Wien wollen eine globale Lieferketten-Datenbank mit 300 Millionen Unternehmen weltweit entwickeln. (Foto: Jetti Kuhlemann / www.pixelio.de)

Die Aufgabe, eine Datenbank der Weltwirtschaft und damit eine sichere Vermessung derselben, erscheint schier unmöglich. Denn die globale Wirtschaft besteht aus mehr als 300 Millionen Unternehmen, die durch ein Lieferketten-Netzwerk mit insgesamt 13 Milliarden Verbindungen miteinander verknüpft sind. Und ständig kommen neue Unternehmen hinzu oder verschwinden wieder vom Markt. Lange Zeit war es daher undenkbar, diese weltweiten Geld- und Warenflüsse in ihrer Gesamtheit zu erfassen und zu analysieren. Bis jetzt: „In den letzten Jahren haben wir eine wahre Datenrevolution erlebt“, sagt hierzu Anton Pichler vom WU Institut für Transportwirtschaft und Logistik. „Durch die Digitalisierung gibt es plötzlich Unmengen an Daten für ganze Volkswirtschaften. Die Frage ist nur, wie man sie nutzt.“ 

Lieferkettenmanagement – Ein internationaler Denkanstoß aus Wien 

Gemeinsam mit einem internationalen Team aus Forscher:innen hat Anton Pichler nun einen Denkanstoß in der renommierten Fachzeitschrift Science veröffentlicht. Dabei geht es im Kern um einen Zusammenschluss aus relevanten Institutionen und Wissenschaftler:innen. Mit ihnen soll es nun möglich werden, erstmals eine Datenbank der globalen Wirtschaft mit einem Großteil ihren Lieferketten zu erstellen. Daraus ergäben sich ungeahnten Möglichkeiten einerseits für die Forschung. Andererseits ließen sich damit auch kommerziell komplett neue Strategien für den Welthandel und den regionalen Handel entwickeln. Auch könnten Modelle entwickelt werden, mit welchen sich ressourcenschonendes Wirtschaften und Konzepte wie etwa Industrie 4.0 wirksam umsetzen lassen.

Lieferkettenmanagement – Engpässe frühzeitig erkennen, Abhängigkeiten reduzieren 

Eine solche Datenbank würde es etwa möglich machen, Versorgungsengpässe durch Naturkatastrophen besser zu prognostizieren, ist man an der WU überzeugt. Lieferketten für essenzielle Güter wie Lebensmittel oder Medikamente könnten dann genau analysiert und robuster gegenüber Krisen gemacht werden. Wie wichtig krisensichere Lieferketten und Lieferkettenmanagement sind, wurde in der Coronapandemie zwischen 2020 und 2022 besonders deutlich. Aber auch die Chip-Krise und die Abhängigkeiten etwa von Diktaturen wie der Volksrepublik China oder dem faschistischen Putin-Russland verdeutlichen die Wichtigkeit eines funktionierenden globalen Lieferkettenmanagement, das auf einer Weltdatenbank basiert. Auf diese Weise könnten rasch strategische Umorientierungen erfolgen und so die Erpressbarkeit entwickelter Ökonomien von der Willkür von Diktatoren erheblich reduzieren. 

Klimaschutz durch effizientes Lieferkettenmanagement   

Ein transparentes Lieferketten-Netzwerk wäre zudem ein wichtiger Baustein für den Umstieg von fossilen zu erneuerbaren Energieträgern: „Meine Forschung beschäftigt sich mich mit den wirtschaftlichen Auswirkungen der Energiewende“, erklärt A. Pichler gegenüber Medien und weiter: „Dabei werden viele neue Lieferketten geknüpft, während sich manche bestehenden Lieferketten auflösen werden.” Um hier aber fundierte Entscheidungen treffen zu können, bedarf es präziser Abschätzungen der wirtschaftlichen Konsequenzen. Der Bedarf für klarere Bilder von Zulieferabhängigkeiten zwischen Unternehmen ist daher hoch. 

Der Korruption den Kampf angesagt 

Zur langen Liste an Vorteilen eines solchen globalen Lieferkettenmanagement, die A. Pichler aufzählt, gehört aber auch die Bekämpfung von Korruption und Steuerhinterziehung. Und es geht um mehr Transparenz, wenn es beispielsweise um die Einhaltung von Menschenrechten entlang von Lieferketten geht, wie sie etwa in der EU-Richtline bzw. dem deutschen Lieferkettengesetzes (wir berichteten darüber auf blogistic.net) gefordert wird. Und last but not least: Ökonom:innen hätten damit eine solide Datengrundlage, um bessere Prognosen zu machen und wirtschaftspolitische Maßnahmen exakt beurteilen zu können. Solche Daten sind daher auch sehr brauchbar bei der Bekämpfung der Inflation. 

Mehrwertsteuer als Schlüssel 

Doch woher sollen alle diese Daten kommen? In erster Linie greifen die Forscher:innen auf Mehrwertsteuerdaten zu, die in immer mehr Staaten auf Unternehmensebene gesammelt werden. Diese werden etwa mittels flächendeckenden E-Invoicings generiert, also elektronischen Rechnungseinbringungen. Unter den Ländern, die das so machen, befinden sich europäische Länder wie etwa Belgien, Ungarn und Spanien. Aber auch Schwellen- und Entwicklungsländer wie beispielsweise die Türkei, Chile und Kenia gehören dazu. Österreich fehlt allerdings noch in dieser Liste, kritisiert man an der WU Wien. 

Verwaltungsapparate reagieren schwerfällig 

„In reichen Ländern wie Österreich gibt es schon etablierte Verwaltungssysteme. Darum dauert es oft länger, neue Dinge durchzusetzen“, zeigt sich A. Pichler verständnisvoll. Hinzu käme, dass weniger wohlhabende Länder häufig auch schlanke Verwaltung haben. “Die können dadurch schneller neue Systeme etablieren“, so der Wirtschaftswissenschaftler weiter. Für die einzelnen Staaten hat es allerdings handfeste Vorteile, diese Daten auf der Ebene von Lieferverbindungen zwischen Unternehmen zu sammeln: Als Peru etwa im Jahr 2013 verpflichtendes E-Invoicing einführte, stiegen die Mehrwertsteuer-Einnahmen schon im ersten Jahr um fünf Prozent, wie eine Studie des Internationalen Währungsfonds zeigte. 

Lieferkettenmanagement auf Basis von Mehrwertsteuerdaten   

Es ist also anzunehmen, dass in Zukunft immer mehr Staaten die Mehrwertsteuer so erheben, dass sich daraus einzelne Lieferverbindungen rekonstruieren lassen. Und das würde auch zu einem globalen Lieferkettenmanagement führen, wie man es sich bei der WU in Wien vorstellt. Die EU-Kommission arbeitet zudem daran, einen internationalen digitalen Standard zu setzen: Mit der Initiative ViDA („VAT in the Digital Age“) gibt es seit 2022 eine Initiative für eine EU-weite Modernisierung der Mehrwertsteuer. 

Trotz Datenbank viele Lücken 

Trotzdem werde es immer Lücken im Datennetz geben, erklärt A. Pichler von der WU Wien. Das liegt auch an der Heterogenität der weltweiten Steuersysteme. So sei die Sache in den USA sehr komplex. Die weltweit größte Ökonomie kennt beispielsweise keine einheitliche Mehrwertsteuererhebung. Jeder der US-Bundesstaaten setzt hier andere Standards. Und dann sei da noch die zweitgrößte Volkswirtschaft China, die sich in solchen Fragen üblicherweise wenig kooperativ zeigt. Daher sei es nötig, Datenlücken zu rekonstruieren wie etwa über Transaktionsdaten von Zahlungsdienstleistern und Banken, die mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz analysiert werden. Ob dieses Vorhaben also derart gelingt, wie es sich die Wirtschaftsforscher aus Wien vorstellen, ist daher ungewiss. 

Sicherheit für sensible Daten 

Ein wichtiger Aspekt der WU-Initiative ist der Datenschutz. Schließlich handelt es sich um potenziell sensible Daten, die strategische Business-Interessen betreffen und für viel Geld verkauft werden könnten. „Eine derartige Datenbank braucht darum höchste Datenschutz-Standards. Dabei könnte man sich ein Beispiel nehmen an Mikrodatenzentren oder dem European Health Data Space, die einen kontrollierten Zugang zu anonymisierten Daten für Forschungszwecke ermöglichen“, sagt A. Pichler hierzu. 

Globales Lieferkettenmanagement – Debatte dazu ist wichtig 

Nach Einschätzung des WU-Forschers ist es daher sehr wahrscheinlich, dass in den kommenden Jahren weitere Teile des globalen Liefernetzwerks rekonstruiert werden – auf Initiative von Staaten, Forschungsgruppen und privaten Unternehmen. „Daher ist es wichtig, die Debatte zu führen, wie wir diese Daten für die Gesellschaft nutzbar machen, und nicht nur für die Interessen Einzelner“, so A. Pichler. 

Softwaremarkt bei Lieferkettenmanagement heiß umkämpft 

Dass A. Pichler mit seinem Forschungsteam in ein Wespennest stößt, erkennt man daran, dass es bereits Anbieter aus Südost-Asien und den USA gibt, welche mit ihren globalen Lieferketten – Managementlösungen auf dem Markt sind und aggressiv damit expandieren. So erhielt der kanadische Spezialist für Lieferketten-Management, Assent Compliance, eine dicke Investmentspritze von 350 Millionen US-Dollar (wir berichteten auf blogistic.net). Damit hat das Softwareunternehmen Anfang 2022 den sogenannten „Unicorn“-Status, mitten in der damaligen Lieferkettenkrise. Gleichzeitig haben der weltweite Anbieter von Logistik-Softwarelösungen, Here Technologies aus Singapur und der singalesische Anbieter einer cloud-basierten SaaS – Logistikplattform, Yojee, eine Zusammenarbeit beschlossen. Ziel ist es, eine Operations Intelligence Lösung für die kundenspezifische Steuerung und Optimierung globaler Lagernetzwerke und weltweiter Lieferketten zu entwickeln. 

science.org / wu.ac.at 

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