Kriegswirtschaft – Der Güterumschlag im größten Hafen Europas, Rotterdam, hat sich in 2022 nahezu nicht verändert und sank um 0,3 Prozent. Dafür gab es teilweise heftige Verschiebungen in den einzelnen Teilbereichen. So reduzierte sich der Containerumschlag heftig, während sich der Umschlag von Flüssiggas erheblich erhöhte. Gleichzeitig stiegen die Investitionen in die Bereiche Wasserstoff und andere Biokraftstoffe.

Insgesamt blicken die Verantwortlichen des größten Hafens Europas, Port of Rotterdam, zufrieden zurück ins Jahr 2022. Und das trotz des Vernichtungskrieges, den Putin-Russland gegen die Ukraine führt. Dadurch bewegt sich der Hafen systematisch in Richtung Kriegswirtschaft, weil sich dadurch die Güterströme teilweise dramatisch veränderten. Gleichzeitig orientieren sich die Niederländer mehr in Richtung alternativer Kraftstoffe und Wasserstoff.
Trotz Kriegswirtschaft gute Zahlen
In einer Pressemeldung des Port of Rotterdam wurde dabei bestätigt, dass trotz der Kriegswirtschaft, sich die Volumina des Güterumschlags mit 467,4 Millionen Tonnen gegenüber 2021 (468,7 Millionen Tonnen) sich lediglich um 0,3 Prozent veränderten. So ging der Containerumschlag in TEU um 5,5 Prozent (in Tonnen: -9,6 Prozent) zurück. Das sei vor allem dadurch zu erklären, dass der Containerverkehr von und nach Russland nach dem Überfall auf die Ukraine fast vollständig zum Erliegen kam. Die Anlieferung von LNG als Alternative für russisches Gas, vor allem aus den USA, nahm hingegen um 63,9 Prozent zu. Zugleich stieg der Import von Kohle um 17,9 Prozent an, da die Betriebszeiten der deutschen Kohlekraftwerke wieder hochgefahren wurden. Infolge der Sanktionen ging auch der Import von Öl, Ölprodukten und Kohle aus Russland zurück. Es gelang jedoch, diese Rohstoffe aus anderen Quellen zu beschaffen.
Kriegswirtschaft – Weltweite Energieströme verändern sich
Allard Castelein, CEO des Hafenbetriebs Rotterdam sagte hierzu gegenüber den Medien: „2022 war in vielerlei Hinsicht ein außergewöhnliches Jahr. Der Krieg und die Sanktionen führten zu Veränderungen der weltweiten Energieströme und zu hohen Energiepreisen. Das heizte die Inflation an und bremste die Wirtschaft aus. Der Krieg führt uns zudem klar vor Augen, welche Risiken es birgt, wenn man in systemrelevanten Bereichen stark von einem oder wenigen Ländern abhängig ist.” In diesem Sinne müsse der Krieg daher dazu veranlassen, die Wehrhaftigkeit des niederländischen und europäischen Energie- und Industriesektors zu stärken, so A. Castelein weiter.
A. Castelein – Wir müssen einen Zahn zulegen
Für den Hafen-Chef bedeutet das, dass die Produktion erneuerbarer Energien beschleunigt werden müsse und strategische Branchen selbst in europäischer Hand zu bleiben haben: “Angesichts des schleppenden Fortschritts bei der Lösung der Stickstoffproblematik, der hohen Energiepreise in Europa und des Tempos, in dem die amerikanische Regierung die Ökologisierung der US-Industrie vorantreibt, droht Europa ins Hintertreffen zu geraten. Hier müssen wir dringend an Geschwindigkeit zulegen.“
Kriegswirtschaft und die Finanzen in Rotterdam
Finanziell blickt der Port of Rotterdam also, trotz Kriegswirtschaft, auf ein gutes Jahr 2022 zurück. Die Erträge stiegen um 6,9 Prozent auf 825,7 Millionen Euro. Auch die betrieblichen Aufwendungen erhöhten sich um 8,3 Prozent auf 282,2 Millionen Euro. Auch nahm das Betriebsergebnis vor Zinsen, Abschreibungen und Steuern (EBITDA) um 6,1 Prozent auf 543,5 Millionen Euro zu. Das Nettoergebnis blieb hingegen mit 247,2 Millionen Euro gegenüber 2021 faktisch unverändert. Insgesamt investierte der Hafenbetrieb 257 Millionen Euro in den Hafen, also 30,7 Millionen mehr als im Jahr 2021. Der Dividendenvorschlag für die Gesellschafter (die Gemeinde Rotterdam und der niederländische Staat) erhöhte sich somit um satte 9,6 Millionen Euro auf 132,3 Millionen gegenüber 2021.
Haupteinnahmequellen sind Vermietungen und Gebühren
Der Hauptumsatz geht jedoch auf die Vertragseinnahmen aus der Vermietung von Grundstücken und die Hafengebühren zurück. Infolge von Preisänderungen und neuen Verträgen stiegen die Vertragseinnahmen um 24,9 Millionen Euro an. Die Einnahmen aus Hafengebühren erhöhten sich trotz des nahezu unveränderten Umschlagvolumens um 27,8 Millionen Euro. Hauptursachen dafür waren die Veränderung der Zusammensetzung des Gesamtumschlags (weniger Container, mehr Massengut), eine Indexierung von 2,5 Prozent, die geringere Call Size (Zahl der umgeschlagenen Container je eingelaufenem Containerschiff) und die Reduzierung der Rabatte (unter anderem aufgrund eines geringeren Transshipment-Volumens). All diese Faktoren führten dazu, dass sich der Durchschnittspreis je Tonne erhöhte. Die betrieblichen Aufwendungen stiegen um 21,7 Millionen Euro an. Darin enthalten ist ein einmaliger Posten von 10,0 Millionen Euro, der sich auf Anlagen bezieht (vor allem Pontons und Anlegestege), die an die Gemeinde Rotterdam übertragen wurden.
V. de Leeuw – “Der Hafen ist eine Investitionsmaschine”
Gegenüber den Medien äußerte sich Vivienne de Leeuw, CFO des Port of Rotterdam so: „Der Hafen ist eine Investitionsmaschine. Dank unserer gesunden Finanzlage können wir auch in den kommenden Jahren in traditionelle Infrastruktur, wie Kaimauern und Anlegestege, investieren, aber insbesondere auch in Infrastruktur für die Energiewende. Darüber hinaus werden wir weiterhin in die Digitalisierung und Innovation investieren. Indem wir für Infrastruktur von Weltklasse sorgen, stellen wir sicher, dass der Hafen ein attraktiver Standort für Unternehmen bleibt, die die Energiewende voranbringen wollen.“
Kriegswirtschaft und Nachhaltigkeitsziele
Trotz der Kriegswirtschaft besteht das Ziel des Rotterdam Hafenbetriebs nach wie vor in der Schaffung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Werte. Hierzu wollen die Niederländer beispielsweise die Ökologisierung des Hafens vorantreiben und als smarter Partner in den Logistikketten fungieren. Die Verantwortlichen des Hafens Rotterdam sind sich ihrer Verantwortung bewusst, zu den 17 Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen (SDG) beizutragen, heißt es in der aktuellen Pressemeldung. Investitionen in digitale Innovationen, die Infrastruktur, das Bildungswesen und die Schulung von Arbeitskräften seien daher dafür notwendig, um sowohl die Nachhaltigkeitsziele als auch die anderen SDGs zu erreichen. Darüber hinaus widmet sich der Hafenbetrieb eigenen Angaben zufolge auch aktiv dem Thema Diversität und Inklusion. Das soll zur kulturellen Vielfalt in der Belegschaft führen. Dadurch würden sich die Qualität der Arbeit, die Flexibilität der Organisation und die Beschlussfassung verbessern, ist man in Rotterdam überzeugt.
Kriegswirtschaft – Agrarmassengüter im Rückwärtsgang
Im Gütersegment “trockenes Massengut” wurde ein Anstieg von 1,7 Prozent auf 80,1 Millionen Tonnen verzeichnet. Der Umschlag von Agrarmassengütern ging um 6,1 Prozent zurück. Dieses Segment wird stark vom Umfang der Ernte in den verschiedenen Teilen der Welt beeinflusst. Darüber hinaus ging der Import aus der Ukraine zurück, während die hohen Energiekosten dazu führten, dass weniger Agrarmassengüter verarbeitet wurden. Die hohen Energiepreise waren auch für die deutsche Stahlindustrie ein Grund für die Begrenzung der Produktion. Infolgedessen wurde 15,5 Prozent weniger Eisenerz angelandet. Beim Umschlag von Kohle, die außer in Hochöfen vor allem in Elektrizitätswerken verfeuert wird, wurde mit 17,9 Prozent ein starker Zuwachs verzeichnet. Kohle war billiger als Erdgas und verringert außerdem die Abhängigkeit von (russischem) Erdgas. Die Regierung schaffte die erst kürzlich eingeführte Produktionsobergrenze für die niederländischen Kohlekraftwerke wieder ab, um die Menge des in Gaskraftwerken verfeuerten Erdgases zu senken. Kohle aus Russland darf seit August nicht mehr eingeführt werden. Darum wurde mehr Kohle aus den USA, Südafrika, Australien und Kolumbien importiert. Der Umschlag von Biomasse erhöhte sich um 13,7 Prozent. Beim übrigen trockenen Massengut betrug der Anstieg 14,2 Prozent. Dies war vor allem auf die Vorratshaltung aufgrund der Ungewissheit über die Lieferketten und die hohen Kosten des Containertransports zurückzuführen; Frachten, die auch als Schüttgut befördert werden können, beispielsweise Industriemineralien und Düngemittel, wurden darum häufiger auf diese Weise transportiert.
Mehr Riesentanker legen an
Die Kriegswirtschaft führte beim flüssigen Massengut zu einem Volumenanstieg um 4,0 Prozent auf 212,8 Millionen Tonnen. Die Zunahme beim Rohöl um 5,9 Prozent gegenüber dem Jahr 2021 hatte dabei zwei Ursachen: Zum Einen erhöhte sich der Transit von Rohöl. Anfang des Jahres 2022 ging es hierbei um die Lieferung von russischem Rohöl vor allem nach Indien. Ende des Jahres betraf es Rohöllieferungen nach Polen und Deutschland als Ersatz für das Öl, das zuvor per Rohrleitung aus Russland geliefert worden war. Zum Anderen wurde von den Raffinerien in Rotterdam und im Hinterland viel Rohöl verarbeitet. Die nordwesteuropäischen Raffinerien stellten nämlich wegen des Krieges in der Ukraine auf nicht-russisches Öl um. Das Öl kommt nun aus dem Irak, Saudi-Arabien, Angola, Nigeria und Norwegen. Angesichts der weiten Transportwege für dieses Öl nahm allerdings die Zahl der Mammuttanker („very large crude carriers“) von 27 im Jahr 2021 auf 156 im Jahr 2022 zu.
Struktureller Rückgang und Sanktionen

Der Rückgang des Umschlags von Ölprodukten um 10,8 Prozent ist hauptsächlich auf den strukturellen Rückgang der Anlieferung und Wiederausfuhr von Heizöl sowie auf die Sanktionen gegen Russland zurückzuführen. Bei LNG wurde hingegen ein Zuwachs von 63,9 Prozent verzeichnet. Es bestand nämlich eine sehr hohe Nachfrage nach LNG als Alternative zum Erdgas, das zuvor per Rohrleitung von Russland nach Europa befördert worden war. 30 Prozent des LNG stammten 2022 aus den USA. Auffallend war jedoch, dass auch ein LNG-Schiff aus Australien eintraf.
Andere Flüssigware
Der Anstieg des übrigen flüssigen Massenguts um 15,3 Prozent ist auf drei Ursachen zurückzuführen. Zunächst war eine Verlagerung vom Transport per Tankcontainer auf den Transport per Chemikalientanker feststellbar. Darüber hinaus legten die Abnehmer wegen der logistischen Engpässe größere Vorräte an. Auf diese Weise sicherten sie sich trotz der Besorgnis über Störungen in den Transportketten ausreichende Grundstoffvorräte. Schließlich war ein erheblicher Anstieg bei den erneuerbaren Produkten feststellbar, insbesondere beim Bioethanol.
Container und Stückgut
Beim Containerumschlag wurde eine Abnahme um 5,5 Prozent in TEU und um 9,6 Prozent in Tonnen verzeichnet. Diese Differenz war eine Folge des starken Anstiegs der Anlandung voller Container aus Asien in den ersten neun Monaten des Jahres. Das war eine Folge der starken Nachfrage nach Konsumgütern in Europa. Zugleich ging jedoch der Export zurück. Deswegen wurden auch weitaus mehr Leercontainer zurückverschifft.
Disruption in Containerwirtschaft
Die Containerbranche wurde auch 2022 noch mit disruptiven Entwicklungen in der Logistikkette konfrontiert, da die hohe Nachfrage nach Transportkapazität mit gleichzeitigen Störungen infolge der Covid-19-Lockdowns und Kapazitätsengpässen einherging. Die Folge waren übervolle Terminals und Distributionszentren im Hafen und im Hinterland sowie Ungewissheiten hinsichtlich der Lieferzeiten. Dadurch wurden vor allem Transshipment-Frachten auf andere Häfen verlagert, in denen noch Kapazitäten zur Verfügung standen. Das Frachtvolumen ins Hinterland stieg 2022 weiter an.
Kriegswirtschaft trifft Containerumschlag
Die Hauptursache des Rückgangs des Containerumschlags war jedoch der Krieg in der Ukraine mit den darauf folgenden Sanktionen gegen Russland. Vor dem Krieg standen gut acht Prozent (in TEU) des Rotterdamer Containerverkehrs mit Russland in Zusammenhang. Rotterdam hatte in diesem Fahrgebiet sogar einen Marktanteil von 40 Prozent. Diese Volumina fielen ab März 2022 fast vollständig weg. Im vierten Quartal 2022 sorgten die hohe Inflation und der geringere Konsum in Kombination mit großen Vorräten sogar für einen weiteren Rückgang des Containerumschlags. Infolgedessen sanken die Tarife für den Containertransport wieder auf das Niveau vor der Coronakrise, sodass die Schiffe gegen Ende des Jahres wieder zunehmend pünktlich verkehren konnten.
Fortschritt bei der Energiewende
Im letzten Jahr wurden einige wichtige Investitionsentscheidungen getroffen. Die umfangreichsten betreffen eine große Bioraffinerie und die europaweit größte Fabrik für grünen Wasserstoff. Darüber hinaus hat eine Gruppe von Unternehmen endgültig beschlossen, einen Importterminal für Ammoniak auszubauen, die Kapazität für das Recycling von Batterien zu erweitern, eine Wasserstofftankstelle für Lkw anzulegen und mehrere Landstromprojekte in Angriff zu nehmen. Diese Investitionsentscheidungen der Wirtschaft haben einen Umfang von insgesamt rund drei Milliarden Euro. Je nach Projekt spielt der Hafenbetrieb eine spezifische Rolle. Insbesondere bei der Realisierung der Infrastruktur, die den Unternehmen die Durchführung von Nachhaltigkeitsmaßnahmen ermöglicht, hat der Hafenbetrieb eine wichtige Funktion.
Rotterdam setzt auf grünen Wasserstoff
Um Verzögerungen durch laufende Verfahren im Zuge der Stickstoffproblematik möglichst zu vermeiden, wurde für das CO2-Transport- und -Speicherprojekt Porthos eine Garantieregelung mit den Niederlanden vereinbart, die es ermöglicht, im Vorfeld der endgültigen Investitionsentscheidung finanzielle Verpflichtungen einzugehen. Die Leitungen für das im Hafen geplante Wasserstoffnetz wurden inzwischen geliefert. Das erste TenneT-Umspannwerk auf der Maasvlakte, an dem der von Offshore-Windparks erzeugte Strom angelandet wird, wurde in Betrieb genommen. Diese Art von Projekten und Investitionen leistet der Energiewende in voller Breite Vorschub. Alle momentan laufenden Projekte führen zu einer potenziellen CO2-Reduktion von ungefähr 30 Mio. Tonnen im Jahr 2030. Dies entspricht etwa 40 Prozent der nationalen Zielsetzung.
Energiewende erfordert Stickstoff-Spielraum
Es besteht allerdings große Besorgnis darüber, dass fast vier Jahre nach Aufhebung der Stickstoffstrategie der niederländischen Regierung (PAS) durch den Staatsrat noch immer unklar ist, wie die Niederlande die Stickstoffproblematik lösen können. Die Industrie in Rotterdam wendet konsequent die besten verfügbaren Techniken (BVT) an, wodurch die Stickstoffemissionen in den vergangenen 15 Jahren bereits um 60 Prozent reduziert werden konnten. Unter anderem dadurch entfällt auf die Rotterdamer Industrie weniger als 1 Prozent der Stickstoffdeposition in der niederländischen Natur.
Industrie wird beim Klimaschutz eingebremst
Somit kann diese Industrie auch nur in begrenztem Maße zur Erhaltung und Verbesserung der Natur beitragen. Zugleich verursacht die Rotterdamer Industrie jedoch rund 14 Prozent der niederländischen CO2-Emissionen und sie spielt eine wichtige Rolle bei der Realisierung der Klimaziele. Damit die Industrie Nachhaltigkeitsprojekte realisieren kann, benötigt sie allerdings einen gewissen Spielraum für Stickstoff, beispielsweise für Bauprojekte. Darüber hinaus sorgen verschiedene Projekte im Zuge der Energiewende, die außerhalb des Hafens stattfinden, für eine Reduktion der Stickstoffemissionen, beispielsweise die Nutzung nachhaltiger Kraftstoffe, die im Hafen produziert werden, und die Nutzung von (importiertem) Wasserstoff.
Kriegswirtschaft und Stagnation
Die aktuelle geopolitische Lage bringt also etliche Ungewissheiten mit sich und die Inflation ist stark angestiegen. Soweit sich dies derzeit vorhersagen lässt, zeichnet sich für das Jahr 2023 eine Stagnation der Volkswirtschaften in den Niederlanden und Europa ab. Die Umschlagvolumen werden wahrscheinlich in begrenztem Maße sinken. Mit Blick auf die Energiewende, die für die Zukunft des Rotterdamer Hafens und die Erreichung der nationalen Klimaziele so wichtig ist, werden 2023 voraussichtlich wieder bedeutende Schritte unternommen, wobei die Geschwindigkeit auch davon abhängt, inwiefern es der Regierung gelingt, zügig einen Weg aus der Stickstoff-Sackgasse zu finden.
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