
Umweltschutz hin, Klimaschutz her: Moderne Industriegesellschaften erzeugen immer Abfall. Die Frage ist nur, wieviel? – Hier können die Antwort Start-ups mit zirkulären Wirtschaftsmodellen liefern, die mehr auf Wiederverwertung setzen als auf den Schredder. Die Logistik trägt hier wesentlich zum Funktionieren der modernen Kreislaufwirtschaft bei. Allerdings bleibt auch hier als entscheidender Faktor der Mensch. Ein Fachbeitrag für blogistic.net von Matthias Friese*, ergänzt durch HaJo Schlobach
Das Thema Kreislaufwirtschaft ist aktuell so präsent wie nie in den letzten Jahrzehnten: Secondhand ist der Trend der Stunde, egal ob Kleidung, Bücher oder Elektronik. Und doch ähneln Wertschöpfungsketten in weiten Teilen von Einzelhandel und E-Commerce nach wie vor eher Einbahnstraßen als Kreisläufen. Unvorstellbare Mengen an Verpackungsmüll, das Schreddern von retournierter oder unverkaufter (Neu-)Ware oder die beim Transport verursachten Emissionen sind nur einige der vorherrschenden Probleme. Der Besorgnis erregende Effekt: Das Abfallaufkommen in Deutschland ist nach wie vor auf hohem Niveau. 416,5 Millionen Tonnen fielen 2019 an, so die aktuellen Zahlen des Statistischen Bundesamtes. Das sind nur 0,2 Prozent weniger als 2018.
Ohne Kunststoff geht es nicht
Der beste Müll ist – vor dem Hintergrund der Klimakrise und wachsender Plastikinseln in den Weltmeeren – der, der gar nicht erst entsteht. Deswegen ist es sinnvoll, Wegwerfprodukte aus Plastik zu verbieten, wie es das Europäische Parlament in diesem Jahr tat. Aber auch wenn eine Abkehr von Kunststoffen wünschenswert ist, wird dieser in vielen Bereichen weiterhin unverzichtbar bleiben.
Mehrweg am Beispiel von Pfand-Verpackungen
Deswegen ist die Einführung beispielsweise von Mehrweg-Pfandsystemen für Verpackungen beispielsweise essenziell für eine nachhaltige Wirtschaft. Denn damit das System der Kreislaufwirtschaft überhaupt funktionieren kann, sind mindestens drei Aspekte entscheidend: Das Material, die Rückführung und natürlich der Faktor „Mensch“.
Material & Durchlaufhäufigkeit. Das Material ist deswegen mitentscheidend, weil es möglichst viele Durchläufe aushalten muss. Das Komplizierte an Mehrwegansätzen ist dabei die Rückführung des „Rohstoffs“ Abfall und dessen Wiedereinführung in den Wirtschaftskreislauf als „neues“ Produkt. So müssen beispielsweise gebrauchte Kunststoffgebinde, Dosen, Flaschen, Verpackungen usw. gesammelt, transportiert, getrennt und für den erneuten Einsatz aufbereitet werden, sodass daraus wiederverwertbares Material werden kann. Erst dann entstehen daraus wieder neue Produkte entstehen – vom neuerlichen Gebinde bis hin zum Autositz etc. Und das alles muss möglichst umweltschonend, d.h. letztlich auch hier „ressourcenschonend“ passieren.
Der Faktor Mensch. Doch der Hauptfaktor an der Kreislaufwirtschaft ist uns bleibt der Mensch als Konsument. Er ist derjenige, welcher einerseits für die Vermeidung von Abfällen sorgen muss, aber andererseits durch aktives Tun die Kreislaufwirtschaft unterstützen kann, etwa durch Mülltrennung und Retournierung des vorsortierten Abfalls. Krisenszenarien, wie wir sie derzeit anhand der Klimaerwärmung oder Umweltkatastrophen erleben, haben bislang gezeigt, dass das Bewusstsein dafür und die Eigenverantwortung als Anreiz für ein nachhaltiges Konsumverhalten alleine noch nicht ausreichen, wirtschaftliche Kreislaufsysteme zu betreiben. Es müssen zusätzliche Aneize geschaffen werden, welche den persönlichen und unmittelbaren Gewinn solcher Systeme sichtbar machen. Deshalb ist ein wichtiger Aspekt eines Mehrwegsystems, die Nutzer*innen zu motivieren, ihre Verpackungen wieder abzugeben, z. B. durch Pfandgebühren.
60 Jahre Europalette. Dass Kreislaufwirtschaft im großen Stil funktioniert, wenn alle Beteiligten daran arbeiten, zeigt sich etwa bei der Europalette. Diese kam vor 60 Jahren auf den Markt (wir berichteten auf blogistic.net) und gilt mittlerweile als der Standard-Träger für Lieferungen in Europa, aus dem sich sogar kleinere Paletten entwickelt haben, wie etwa die sogenannte Düsseldorf-Palette. Sie ist nur halb so groß wie die Europalette und eignet sich vor allem für kleinere Lieferungen. Aktuell befinden sich weltweit 450 bis 500 Millionen Europaletten und Düsseldorf-Paletten im Umlauf. Allerdings entstehen Europaletten nicht aus Abfallholz oder anderen Abfallprodukten. Dazu bedarf es dann doch etwas mehr.
Kreislaufwirtschaft – Es lohnt sich wieder

In Deutschland sind bereits die Basics für eine wirtschaftliche Kreislaufwirtschaft mit Kunstststoffen geschaffen. Deshalb entstehen laufend Start-ups, welche Abfälle als Rohstoffe für ihr Business entdeckt haben und damit in den Startlöchern sind, wie etwa der finnische Spezialist für Recycling-Verpackungslösungen RePack. Das Unternehmen hat ein funktionierendes Mehrwegsystem für Versandtaschen entwickelt, welches bereits von namhaften deutschen Versandhändlern wie OTTO oder ZALANDO und Markenartiklern wie H&M oder Tchibo etc. großflächig getestet wird. Damit reduziert sich nicht nur für solche Unternehmen der verursachte Verpackungsmüll, der im E-Commerce entsteht, nach eigenen Angaben um bis zu 30 Prozent. Auch die Konsumenten nutzen die stabilen, sauberen und anwenderfreundlichen Verpackungen bevorzugt für ihre Retouren.
Beschaffung & Logistik – Ohne Digitalisierung läuft gar nichts
Um sich für die kommenden Herausforderungen zirkulärer Warenströme fit zu machen, genügt es aber nicht, bereits Bewährtes einfach zu kopieren. Schon der Palettentausch ist in seiner heutigen Form oftmals ineffizient, insbesondere dann, wenn die Lademittelverwaltung mit Papier und Stift geschieht. Ein digitales Management des Palettentausches kann hier entscheidend Kosten sparen, Prozesse vereinfachen und Schwund reduzieren. Will sich die Logistik für die komplexen Lieferketten der Kreislaufwirtschaft fit machen, kommt sie daher nicht daran vorbei, die Digitalisierung voranzutreiben. Sie würde so nicht nur den Ablauf an der Rampe beschleunigen, sondern auch eine lückenlose Dokumentation der Lieferketten ermöglichen. Gerade das unübersichtliche Netzwerk aus Zwischenhändler:innen, über welches Recycling-Märkte derzeit noch immer organisiert sind, macht es zu einer großen Herausforderung, den Überblick beispielsweise bei der Beschaffung und ihrer Logistik zu behalten. Digitale Plattformen können die Positionsdaten des Transportgutes tracken und so für ein hohes Maß an Transparenz für alle Beteiligten sorgen.
Schnittstelle Handel & Industrie. Angebote wie cirplus, eine globale Handelsplattform für Rezyklate und Kunststoffabfälle, wären ohne digitale Technologien nicht möglich. Das Hamburger Start-up hat die weltweite Beschaffung und den Vertrieb digitalisiert, bringt auf seiner globalen Plattform den Handel mit der Industrie zusammen und kann unter anderem die Logistik managen. Das trägt auch dazu bei, die Lieferketten zu vereinfachen und damit umweltschonender zu gestalten. Denn durch den direkten Austausch zwischen Anbietenden und Käufer:innen reduziert sich die Anzahl der Zwischenglieder im Verkaufs- und damit auch im Transportprozess.
Wertstoffströme mit der Blockchain verfolgen
cirplus verwendet dabei Blockchain-Technologien für seine Plattform. Diese Technologie, die vor allem durch die boomenden Kryptowährungen von sich reden macht, wird immer leistungsfähiger und findet mittlerweile weltweit Anwendung. Sie besitzt daher das Potenzial, die Logistik von Wertstoffströmen nachvollziehbar zu gestalten. Denn sie ermöglicht, unabhängig von einer zentralen Autorität, Transaktionen und Besitzverhältnisse sehr fälschungssicher zu dokumentieren.
Lückenlos nachverfolgbare Lieferketten. So hat beispielsweise auch das niederländische Start-up Circularise die Lieferkette mithilfe von Blockchain-Technologie digitalisiert. Damit hat es eine Plattform geschaffen, in der die Beteiligten der zirkulären Wertschöpfungskette Informationen über die Lieferkette teilen und erhalten können.
Die Blockchain: ein Grundbuch. Eine Blockchain besteht aus einer Kette von Datensätzen. Jeder dieser Datensätze bestätigt die Validität des Datensatzes vor ihm. Die Blockchain lässt sich mit einem Grundbuch vergleichen, dass sich auf viele Rechner verteilt. Alle Transaktionen werden von jedem Knoten des Netzwerks dokumentiert und legitimiert. So lassen sich beispielsweise digitale Pendants zu Kunststoffkreisläufen aufbauen, die alle aktuellen Informationen zusammenbringen und sie den Nutzer:innen der Plattform jederzeit zur Verfügung stellen, wie der Ursprung oder Standort des Materials. Die Einheiten erhalten dafür ein digitales Siegel, das ausgelesen werden kann und die Informationen aus der Blockchain darstellt.
Blockchains und ihr Energieverbrauch
Von dieser Informationsfülle profitiert das Recycling, denn die lückenlose Dokumentation von Zusammensetzung und vorheriger Verwendung vereinfacht die Aufbereitung des Rohstoffes für eine Wiederverwertung. Dabei dürfen aber die aktuell viel zu hohen ökologischen Kosten der Blockchain-Technologie nicht außer Acht gelassen werden. Weltweit verbraucht Bitcoin, eine der etabliertesten blockchainbasierten Anwendungen, aktuell 121,6 Terawattstunden an Energie. Zum Vergleich: Der Gesamtverbrauch Deutschlands lag 2020 bei insgesamt 543,6 Terawattstunden. Zu großen Teilen wird dieser Stromverbrauch aus fossilen Energieträgern gewonnen und die Serverfarmen verbrauchen Platz und sorgen durch ihren Kühlwasserbedarf für weitere Umweltprobleme. Doch es wird an Lösungen gearbeitet. Die meisten Anwendungen nutzen die Ethereum-Blockchain. Hier wird intensiv an Ethereum 2.0 gearbeitet, das verspricht, den Stromverbrauch durch einen neuen Algorithmus um 99 Prozent zu senken.
Logistik als Motor der Kreislaufwirtschaft
In einer Circular Economy werden viel mehr Daten über die Ware benötigt als im linearen Wirtschaftsmodell, denn der ersten Nutzungsphase schließen sich weitere an, inklusive Eigentümer- und Standortwechsel. Auch werden in einer Kreislaufwirtschaft die Lieferketten kleinteiliger, beispielsweise durch einen vermehrten Transport von Altprodukten und Ersatzteilen. Die hier angeführten Beispiele zeigen: Die Logistik kann den Wechsel zur Kreislaufwirtschaft mitgestalten, wenn sie ihre Digitalisierung vorantreibt. Dann kann sie das wachsende Netzwerk an Beteiligten zusammenbringen und die komplexer werdenden Güterströme mit einer lückenlosen, zuverlässigen und transparenten Dokumentation begleiten.
XPRESS Ventures in Kürze
XPRESS Ventures ist ein in Berlin ansässiger Company Builder, der auf den Aufbau innovativer und disruptiver Start-ups – insbesondere in der Logistik – spezialisiert ist. Den Jungunternehmen bietet der Company Builder nicht nur das nötige Know-how und Hintergrundwissen, sondern auch die dazugehörige Digitalexpertise, Logistik-Assets sowie Zugriff auf sein Netzwerk aus Investoren, Kunden und Partnern. So wird es Gründern ermöglicht, ihre innovativen Ideen schneller, fokussierter, wie auch markt- und kundenorientierter für einen skalierbaren Unternehmensaufbau umzusetzen. XPRESS Ventures mit seinen derzeit zehn Mitarbeitern wurde 2019 von dem familiengeführten Logistik Mittelständler FIEGE Logistik Stiftung & Co. KG aus Nordrhein-Westfalen gegründet. Der Berliner Seriengründer und Digitalexperte Matthias Friese steht dem Unternehmen seither als Managing Partner vor.