Kommunikation ist die Zukunft

Der Service ist heute eine der tragenden Säulen der österreichischen Exportindustrie und das zentrale Unterscheidungsmerkmal im internationalen Wettbewerb. Die Global Player des Styrian Service Clusters investieren daher Millionen von Euros in den „Faktor Mensch“, um möglichst hohe Servicestandards weltweit zu garantieren. Dennoch steht man bei der Suche nach tragfähigen globalen Strategien und Geschäftsmodellen noch ganz am Anfang. Fix ist dabei nur, dass die Kommunikation eine Hauptrolle einnehmen muss. Ein Bericht von CR Hans-Joachim Schlobach

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Service 4.0 | Foto: © Sergey Nivens – Fotolia.com

 

Österreichs Industrie ist das Rückgrat und das Aushängeschild des alpenländischen Exports und damit dessen gesamter Wirtschaft. Sie hat ihre Exportquote seit dem Beitritt Österreichs in die EU auf rund 60 Prozent steigern können. Das Exportvolumen der mittlerweile rund 50.000 exportierenden österreichischen Industrieunternehmen betrug laut Statistik Austria im Jahr 2014 immerhin knapp 174 Milliarden Euro. „Als offene Marktwirtschaft hat Österreich einen weit verzweigten und hoch differenzierten Außenhandel. Unsere Exportfirmen vertreiben ihre Fertig- und Zuliefererprodukte in rund 220 Ländern“, präsentierte Christoph Leitl, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) zum Sommeranfang die Zahlen.

Vom Rand ins Zentrum

Eine genaue Analyse zeigt jedoch, dass rund ein Drittel des Exportvolumens, nämlich 49 Milliarden Euro, auf Dienstleistungen entfällt. Dazu zählen Services wie Kundendienst, Reparaturen und After Sales, aber auch Ingenieursleistungen, Software und IT. Das deckt sich mit den Aussagen aus global agierenden Industrieunternehmen, die vor rund drei Jahren den Styrian Service Cluster gegründet haben. Dazu zählen Unternehmen wie etwa AVL List, Knapp, Magna, Pidas, Binder+Co oder Siemens. Ihr Ziel ist es, globale Servicestrategien zu entwickeln, welche die Wettbewerbsfähigkeit der steirischen Industrie nachhaltig sichern. „Die ständig wachsende Zahl der installierten Produkte und Anlagen führt gleichzeitig zu einer steigenden Nachfrage in der Kundenbetreuung. So steht jedes Unternehmen vor der Herausforderung, seine Serviceleistungen kontinuierlich an die Bedürfnisse des Kunden anzupassen und gleichzeitig weltweit hohe Servicestandards zu garantieren“, heißt es daher auf der Homepage des Clusters zu den Intentionen, die zu seiner Gründung geführt haben. Services sind somit vom Kosten verursachenden Randgeschäft zu einer tragenden Säule des Kerngeschäfts der Industrie mutiert.

Jens Poggenburg
Jens Poggenburg | Foto: Jan Gott

Das Thema Service ist überall eng mit Kundenbeziehungen verknüpft. Somit haben wir hier eine wesentliche Schnittmenge für sämtliche Branchen.
Jens Poggenburg, Vorstandsmitglied Styrian Service Cluster und Director Global Customer Services Instrumentation & Services, AVL List

Aufgaben sind überall gleich

Doch welche Servicestrategien führen zu einer verbesserten Wettbewerbsfähigkeit, sichern hohe Servicestandards und sind darüber hinaus auch noch betriebswirtschaftlich sinnvoll darstellbar? Für die Beantwortung dieser Fragen gibt es in den unterschiedlichen Branchen unterschiedliche Auffassungen und Herangehensweisen, wie sich im Styrian Service Cluster zeigt. Sie hängen letztlich von der Gesamtstrategie des jeweiligen Unternehmens ab und müssen daher individuell geklärt werden. Jedoch gibt es im Service branchenübergreifend vergleichbare Aufgabenstellungen, die unterm Strich zu ähnlichen Ergebnissen bei der Entwicklung von Servicestandards führen können. „Das Thema Service ist überall eng mit Kundenbeziehungen verknüpft. Somit haben wir hier eine wesentliche Schnittmenge für sämtliche Branchen“, sagt Jens Poggenburg, Director Global Customer Services Instrumentation & Services bei AVL List in Graz, im Rahmen eines Round Tables. Darum sei der Faktor Mensch, seine Rolle im Service und seine Qualifikation für den Erfolg einer Organisation ganz entscheidend. Das sei unabhängig von der Größe einer Organisation, deren Struktur und den Prozessen, die darin ablaufen, so J. Poggenburg.

Herkulesarbeit „Servicequalität“

Aber auch die Zielsetzungen nahezu sämtlicher Servicestrategien lassen sich auf einen Nenner bringen: eine gleichbleibend hohe Servicequalität, die global auf Abruf geliefert werden kann – und zwar dauerhaft. „Neue Servicestrategien müssen die exportierenden Unternehmen dazu befähigen, global und faktisch in Echtzeit ihr Know-how abzurufen“, erklärt Christoph Ehrenhöfer, Senior Business Consultant beim Spezialisten für den Aufbau von Service-Organisationen im IT- und Business-Umfeld, Pidas in Graz. Expansiv und volatil. Ist das schon im Inland eine Herausforderung, wird es im globalen Kontext zur Herkulesaufgabe. Denn der globale Servicemarkt ist über sämtliche Branchen hinweg nicht nur stark expansiv, sondern auch von einer hohen Volatilität geprägt. Exportunternehmen sind daher gezwungen, in diesem komplexen Umfeld ihre Serviceprozesse so aufzubauen, dass nicht nur ein speziell auf einen Kunden geschulter Servicemitarbeiter eine perfekte Einzelleistung vor Ort abliefern kann. Vielmehr muss die gesamte Serviceorganisation dazu befähigt, d.h. „qualifiziert“ sein.

Christoph Ehrenhöfer
Christoph Ehrenhöfer | Foto: Jan Gott

Neue Servicestrategien müssen die exportierenden Unternehmen dazu befähigen, global und faktisch in Echtzeit ihr Know-how abzurufen.
Christoph Ehrenhöfer, Vorstandsmitglied Styrian Service Cluster und Senior Business Consultant, Pidas

Der Faktor Mensch

„Die Qualifikation eines einzelnen Servicemitarbeiters in Österreich ist somit das Eine, im globalen Kontext hat dieses Thema jedoch noch einmal eine ganz andere Dimension“, spricht J. Poggenburg dabei aus Erfahrung. Und in der Tat: Eine der größten Herausforderung der Exportindustrie liegt u.a. darin, dass der Fachkräftemangel in vielen österreichischen Exportmärkten wesentlich größere Dimensionen aufweist als in Industriestandorten wie Österreich oder Deutschland. In den meisten Ländern der Welt gibt es keine duale Berufsausbildung, wie man sie im deutschsprachigen Raum kennt. „Learning by doing“ ist das vorherrschende Ausbildungsprinzip. Gleichzeitig ist die Personalfluktuation insbesondere in den sich entwickelnden Märkten wie Südost-Europa, Asien oder Südamerika hoch. Das bedeutet für das einzelne Unternehmen im Worst Case einen permanenten Abfluss an technischem Know-how und damit verbunden hohe Kosten.

Service als Kulturexport. Einige Unternehmen beispielsweise im Styrian Service Cluster bauen daher eigene Serviceorganisationen in ihren Zielmärkten auf. Sie sollen den direkten Kontakt zum jeweiligen Kunden permanent unterhalten und – und das ist besonders wichtig – diesen auch als Ideengeber für die Verbesserung der eigenen Servicequalität integrieren. Keine leichte Aufgabe. „Denn Service ist in Wahrheit keine Abteilung, sondern eine Grundhaltung im jeweiligen Unternehmen“, ist Kajetan Bergles, Service Development Manager beim Grazer Intralogistikspezialisten Knapp, überzeugt. „Es bedarf daher auch eines kompletten Kulturwandels in der gesamten Organisation. Dieser muss dann in die Zielmärkte getragen werden, um den Service in der dort gewünschten Qualität liefern zu können“, führt er im Rahmen des Round Tables weiter aus.

Wertschätzung und Respekt. Damit ist jedoch noch nicht das eigentliche Problem des Fachkräftemangels und der hohen Personalfluktuation in den Exportmärkten gelöst. Diesem versuchen zumindest die Teilnehmer des Styrian Service Clusters zu begegnen, indem sie rekrutierten Fachkräften auch Perspektiven in der gesamten Organisation anbieten, sowie Gestaltungsspielräume in der jeweiligen Landesorganisation einräumen. „Wertschätzung“ und „Respekt“ heißen in diesem Zusammenhang die Zauberwörter. Gleichzeitig versuchen Unternehmen wie Knapp, AVL List oder Pidas die Mitarbeiter direkt von der Zentrale aus individuell anzusprechen und so eine Identifikation mit der Organisation zu erreichen. „Das alles verhindert gerade in diesen Märkten jedoch nicht die Fluktuation, sie dämmt sie nur ein“, relativiert J. Poggenburg die Bemühungen.

Der Kopf ist gefragt

Der zweite Pferdefuß sind die Kosten, die aus globalen Servicestrukturen entstehen. Sie potenzieren sich, je weiter das internationale Servicenetzwerk gespannt werden muss. Gerade für mittelständische Exportindustrien, welche die Mehrzahl in Österreich ausmachen, ist das ein gewaltiges Problem. Die zentrale Frage, welche sich zumindest die Unternehmen im Styrian Service Cluster stellen, ist daher, wie es gelingen kann, die Verantwortlichkeiten innerhalb der globalen Organisation so zu verteilen, dass nicht alles zentral gesteuert werden muss. Das bedeutet unterm Strich eine Dezentralisierung der Organisationsstrukturen und das Schaffen globaler Verantwortlichkeiten, ohne dass die einzelnen Einheiten in die völlige Entscheidungsautonomie entlassen werden. Denn nur so lassen sich dann auch die Kosten weltweiter Servicestrukturen nachhaltig in den Griff bekommen, ist man in der Steiermark überzeugt. Diese Frage kann daher nur das Top-Management in den Unternehmen beantworten. Und die Beantwortung gestaltet sich wegen ihrer Komplexität als schwierig. Klar ist lediglich, dass die Zentralen die Verantwortlichkeiten neu aufsetzen und die Aufgaben neu definieren müssen.

Kajetan Bergles
Kajetan Bergles | Foto: Jan Gott

Service ist in Wahrheit keine Abteilung, sondern eine Grundhaltung im jeweiligen Unternehmen.
Kajetan Bergles, Service Development Manager bei Knapp

Neue Kommunikationsstrategien

Vor diesem Hintergrund zeichnet sich aber auch ab, dass im Service 4.0-Szenario die Kommunikation eine Hauptrolle spielen wird. Dabei steht Österreichs Exportindustrie vor dem Dilemma, dass sie in die globalen Märkte expandiert und der daraus folgende Kommunikationsbedarf überproportional wächst. Und zwar nicht alleine nur in der Maschine-zu-Maschine-Kommunikation im Rahmen von Industrie 4.0. Die Herausforderung liegt vielmehr in der Mensch-zu-Mensch- sowie der Maschine-zu-Mensch-Kommunikation. „Die Mitarbeiter müssen top down miteinander global vernetzt sein, damit sämtliche Informationen, die für die Mitarbeiter notwendig sind, auch fließen können“, so Ch. Ehrenhöfer.

Assist 4.0. Wie das zumindest auf der technischen Serviceebene exemplarisch aussehen könnte, zeigt sich an dem Forschungsprojekt „Assist 4.0“, das unter anderem im Zuge von Gesprächen im Styrian Service Cluster entstanden ist. Dabei sollen beispielsweise global verstreute Servicetechniker in die Lage versetzt werden, sich mit der richtigen Information zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort in der richtigen Qualität zu versorgen – in Echtzeit. „Wenn ein Servicetechniker eine Anlage irgendwo auf der Welt warten soll, dann benötigt er entsprechende Informationen, die nur in der Zentrale verfügbar sind. Das bezieht sich auch auf Störfall-Szenarien“, erläutert K. Bergles das Projekt.

Demonstrator im Herbst. Diese Informationen liegen schon jetzt in Dokumentationen vor, welche etwa Maschinenbauer verpflichtend in gesetzlichen Richtlinien zur Verfügung stellen müssen. Diese können mitunter, je nach Größe einer Anlage, mehrere Tausend Seiten umfassen. Die Herausforderung bei Assist 4.0 ist nun, diese Informationen kontextbezogen dem jeweiligen Servicetechniker genau dann vor Ort zur Verfügung zu stellen, wenn er sie benötigt. Dabei soll ihm das System genau die Informationen vorschlagen, die er für den spezifischen Servicefall benötigt. Als Kommunikationsmedien können dabei z.B. Augmented-Reality-Brillen, Tablets, Smartphones usw. dienen. Als weiterer Meilenstein des bis Juni 2016 laufenden Forschungsprojektes wird im November der erste Demonstrator der Öffentlichkeit vorgestellt. Einen Überblick zum Forschungsprojekt wird es auch beim diesjährigen Leobener Logistik Sommer am 17. und 18. September geben.

Teufel liegt im Detail. Bis dahin müssen die Teilnehmer dieses Entwicklungsprojektes (AVL List, Infineon, Knapp) jedoch noch einige Hürden nehmen. So wird im Moment gerade geklärt, wie die Kommunikation und die Wissensskalierung in Zukunft gestaltet sein müssen. Im Wesentlichen geht es um die Inhalte (Content), ihre Konsistenz und Aktualität, wie auch um die Anbindung von Frontend zu Backend. Vor dem Hintergrund, dass alleine Ersatzteillager bei Maschinenbauern schnell einmal 100.000 unterschiedliche Produkte umfassen können, werden die Herausforderungen für die Projektteilnehmer rasch deutlich. Eine weitere Beeinflussung liegt in der bidirektionalen Informationsübermittlung zwischen Mensch, Maschine und Dokumentationsarchiv, wie auch die Garantie der Datensicherheit. Und last, but not least stellen die Fragen rund um das Thema „Big Data“ und dessen Handling, das mit Industrie 4.0 und daraus folgend Service 4.0 daher kommt, weitere Anforderungen dar. „Wir haben bis jetzt rund drei Millionen Euro investiert. Für die Klärung weiterer Fragen sind mit Sicherheit noch zusätzliche Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten nötig“, so K. Bergles hierzu.

Neue Geschäftsmodelle

Beim Styrian Service Cluster sieht man sich, trotz der vielen Herausforderungen, dennoch auf einem guten Weg. Entwickelt sich doch daraus ein steirisches Service-Gütesiegel. Gleichzeitig verspricht man sich aus dieser Entwicklung heraus völlig neue Geschäftsmodelle, welche den Service weiter ins Kerngeschäft von Unternehmen rücken. „Virtuelle Maschine“, „Condition Monitoring“, „Service als Vertrieb“ und „International Service Delivery“ sind dabei die Begriffe, die in diesem Zusammenhang immer wieder fallen. „Assist 4.0 ist daher für uns deswegen so wichtig, weil das Projekt überhaupt erst einmal eine Basis schafft und definiert, auf der wir völlig neue Geschäftsmodelle entwickeln können, an die wir heute noch gar nicht denken“, sagt J. Poggenburg. Wohin immer auch der Hase bei Service 4.0 laufen wird, Fakt ist jedenfalls, dass der Service als direkte Schnittstelle zum Kunden immer stärker zum Ausgangspunkt für technologische, organisatorische und personalwirtschaftliche Innovationen werden wird. Daher wird die Service-Entwicklung zu einem strategischen Anliegen der österreichischen Exportindustrie, das die Integration technischer, betriebswirtschaftlicher und sozialer Kompetenzen erfordert.

www.styrianservicecluster.com | www.avl.com | www.knapp.com | www.pidas.com