Europa und der deutschsprachige Raum (DACH) sind ökonomisch gesehen besser als ihr derzeit verbreiteter Ruf. Zu vieles wird dabei den Regierenden angelastet, wofür sie vielfach eigentlich gar nichts können. Gemeint sind beispielsweise die Folgen von Industrie 4.0 und der digitalen Transformation. Dabei sind nicht selten die Probleme vieler Unternehmen hausgemacht. (Ein Kommentar von HaJo Schlobach)
Wenn man sich die ganzen Proteste und Schlagzeilen der letzten Monate Revue passieren lässt, könnte man den Eindruck gewinnen, dass Europa, Deutschland und Österreich quasi vor dem wirtschaftlichen Zusammenbruch stehen. Die Bauern stehen nach ihrer Ansicht vor dem vollkommenen Ruin und die Ernährung der Mitmenschen steht überhaupt als Ganzes auf dem Spiel. Gleichzeitig jagt eine Insolvenz die andere – insbesondere im Baugewerbe, aber auch in der Industrie. Selbst die Automobilwirtschaft pfeift auf dem letzten Loch, könnte man meinen. Die Schuldigen dafür sind dabei schon längst gefunden: In Deutschland ist es die Ampel, in Österreich Schwarz-Grün etc. Und überhaupt: die Klimakleber, Fridays for Future, Last Generation, die EU, die Ostküste, die “Lügenpresse”, das Gendern und nicht zuletzt die Corona-Impfung sind diejenigen Umstände, welche den “Normalen” das Leben versauern. Sie alle sind schuldig im Sinne der Anklage. Und darum gehören sie alle abgeschafft, wenn man den radikalen Linken oder Rechten Glauben schenken will.
LogiMAT zeichnet ein optimistischeres Bild
Wer heuer auf die LogiMAT 2024 nach Stuttgart pilgert, wird hingegen ein wenig überrascht sein, dass diese apokalyptische „Realität”, die insbesondere in sozialen Medien mehr oder weniger virtuell erzeugt wird, nicht unbedingt der physischen Realität entspricht. Denn diese europäische Leit-Messe der Intralogistik ist heuer nicht nur ausverkauft über sämtliche Hallen hinweg, sondern Aussteller müssen sich selbst ausquartieren, weil sie zwar dabei sein wollen, aber keinen Platz mehr finden. Irgendwie passt also das Bild der virtuellen Realität der Apokalypse mit der physischen Realität nicht zusammen.
It’s the economy, stupid!
Was in der Tat real ist, ist, dass sich Europa im Allgemeinen und der deutschsprachige Wirtschaftsraum im Besonderen in einem umfassenden Transformationsprozess befindet. Und dass unter dem Stichwort “Industrie 4.0”, auch als “Vierte industrielle Revolution” bekannt, kein Stein auf dem anderen bleiben würde, ist schon seit mehr als einem Jahrzehnt bekannt. Diese Revolution hat weitreichende Folgen insbesondere für die Industrieländer Deutschland und Österreich. Das deutete sich allerdings schon längst vor Corona an, kommt aber jetzt erst richtig zum Tragen. Es schließt dabei auch einen Deindustrialisierungsprozess mit ein. Beispiel: Wenn etwa die Automobilindustrie auf eMobility umschwenkt, weil sie damit auf dem chinesischen Markt punkten will, dann ist es logisch, dass davon eine ganze Zuliefererindustrie, die über 100 Jahre wachsen konnte, hart getroffen wird. Es ist nun mal Fakt, dass ein Elektroauto nur einen Bruchteil an Teilen von einem herkömmlichen Verbrenner benötigt. Und was nicht mehr gebraucht wird, wird auch nicht mehr produziert. “It’s the economy, stupid” (James Carville), kann man da nur sagen. Und wenn man bedenkt, dass gerade in der DACH-Region 60 Prozent der Arbeitsplätze irgendwie an der Automobilindustrie hängen, dann muss das Auswirkungen auf das Gesamtsystem haben, wie etwa eine De-Industrialisierung. Die DACH-Region geht somit letztlich nur einen durchaus vergleichbaren Weg wie Detroit….
Economy – “An den Eiern gepackt”
Die Entscheider in der europäischen Automobilindustrie haben im letzten Jahrzehnt jedoch etliche Fehlentscheidungen getroffen. Sie haben sich von den Marktstrategen der VR China mit hohen Renditen blenden lassen und sich dabei bereitwillig in die Abhängigkeit eines autoritären Regimes begeben. Das fällt ihnen nun heute voll auf die Füße, weil sie nicht innovativ genug waren. Sie müssen nun ihre großspurig angekündigten Entscheidungen in Richtung eMobility zurücknehmen. Die Chinesen haben sie “an ihren Eiern” und überschwemmen Europa nun ihrerseits mit besseren und kostengünstigeren Produkten.
“Hochmut kommt vor dem Fall”
Insgesamt wird sich das – im Gegensatz zur (digitalen) Transformation und Industrie 4.0 – auf die Entwicklung der Volkswirtschaften des Westens aber kaum auswirken. Denn es gibt genügend Innovatoren wie etwa im Bereich der Energieerzeugung, der Intralogistik, des Maschinenbaus, der IT etc., welche die entstandenen Lücken in den nächsten Jahren schließen werden. Auch die Automobilindustrie Europas wird sich wieder aufraffen. Ihre Entscheider werden aber dann hoffentlich nicht mehr so hochmütig und von ihrer Unfehlbarkeit überzeugt sein. Denn “Hochmut kommt vor dem Fall”, wie es bekanntermaßen heißt.
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