INTRALOGISTIK – Europa muss mehr für den Wirtschaftsstandort tun 

HaJo Schlobach ist seit mehr als 35 Jahren Publizist, Journalist und Medienmacher. Seit 27 Jahren befasst er sich intensiv mit den Themen Wirtschaft, Logistik im Weitesten Sinne, also Intralogistik, Transportlogistik etc., Supply Chain Management, Software und IT. Er gilt daher als einer der fundiertesten Kenner der Logistik-Szene im deutschsprachigen Raum. blogistic.net sprach mit ihm über die Megatrends der Intralogistik. Dabei steht er hinsichtlich ihrer Innovationsfähigkeit der europäischen Intralogistik-Szene kritisch gegenüber.   

Intralogistik - H. Schlobach: "Die Trends sind KI, Energieeffizienz, Transformation von Gesellschaft & Industrie, welche sich mittlerweile auch in Produktansätzen der Intralogistik widerspiegeln." (Foto: Jan Gott / RS MEDIA WORLD Archiv)
Intralogistik – H. Schlobach: „Die Trends sind KI, Energieeffizienz, Transformation von Gesellschaft & Industrie, welche sich mittlerweile auch in Produktansätzen der Intralogistik widerspiegeln.“ (Foto: Jan Gott / RS MEDIA WORLD Archiv)

blogistic.net – Sie sind seit beinahe 30 Jahren Journalist und Publizist in den Bereichen Wirtschaft und Logistik im weitesten Sinne. Sie gelten damit als einer der renommiertesten Kenner der Szene in Europa und im deutschsprachigen Raum. Was erwarten Sie als Journalist von Ihren Netzwerkpartnern aus Wirtschaft und Logistik? 

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HaJo Schlobach – Respekt für unsere Arbeit als Multiplikatoren, gute Informationen, gute Erklärungen des vorgestellten Produkts bzw. der vorgestellten Lösung. 

blogistic.net – Warum ausgerechnet Respekt? 

HaJo Schlobach – Unsre Arbeit ist davon gekennzeichnet, dass wir mit sehr vielen Informationen pro Tag konfrontiert sind. Das ist erst einmal sehr gut. Allerdings ist damit immer stärker die Erwartungshaltung verbunden, man müsse die Informationen faktisch 1:1 berücksichtigen. Das ist aber schon alleine physisch schlichtweg unmöglich. Wir arbeiten klassisch journalistisch und entscheiden in der Redaktion, was für unsere Leser:innen Relevanz hat. Das führt zwangsläufig beim unberücksichtigten Absender zu Enttäuschungen. Abgesehen kommt es uns auf die Qualität des publizierten Artikels an. 

blogistic.net – Wie sind Sie eigentlich zum Themenkomplex Logistik gekommen? 

HaJo Schlobach – Sprichwörtlich wie die „Jungfrau zum Kind“ im Rahmen meiner journalistischen Tätigkeit vor rund 30 Jahren. 

blogistic.net – Als renommierter Journalist sind Sie auch Jury Member von diversen hochkarätigen Awards, wie etwa den IFOY-Award oder der Logistics Hall of Fame. Womit können Unternehmen Sie als Jurymitglied noch überraschen? 

HaJo Schlobach – Mit guten Ideen sowie Erklärungen wie beispielsweise für den Kundennutzen einer vorgestellten Lösung. Aber auch mit der erkennbaren Auseinandersetzung mit den eigenen Märkten: Daten, Zahlen, Fakten. Hier habe ich immer häufiger den Eindruck, dass das nicht wirklich passiert und man vielmehr daran denkt, was die Märkte interessieren könnte. So entwickelt man dann einfach am Markt vorbei. Und als Herausgeber von Medien können mich Unternehmen auch mit einem Angebot für die kommerzielle Zusammenarbeit mit uns und Investitionen in unsre Medien, Plattformen und Multiplikationsleistungen überraschen. Wir sitzen hier nicht nur herum, sondern arbeiten hart. Letztendlich sehe ich das nicht als unsre Bezahlung für irgendetwas, sondern als Ausdruck des Respekts für die Mühen, welche wir uns mit Qualitätsmedien machen.  

H. Schlobach – “Die Anbieter hinken ein halbes Jahrzehnt der Entwicklung hinterher.” 

blogistic.net – Welcher Trend ist für Sie gerade besonders auffallend in der Intralogistik? 

HaJo Schlobach – KI, Energieeffizienz, autonom fahrende Systeme, individuell unterstützende Systeme wie etwa Exoskelette, Transformation von Gesellschaft & Industrie, welche sich mittlerweile auch in Produktansätzen der Intralogistik widerspiegeln. Allerdings ist man aus meiner Sicht vielfach noch nicht so weit. Die Hersteller von Intralogistiklösungen im deutschsprachigen Raum und Europa haben Schwierigkeiten, mit den Entwicklungen mitzuhalten und hinken aus meiner Sicht als Weltmarktbeobachter mindestens ein halbes Jahrzehnt hinterher. 

blogistic.net – Diese Antwort kommt etwas überraschend. Können Sie das konkretisieren?  

HaJo Schlobach – Aber ja! So zeichnet sich beispielsweise ein Trend der Abwanderung technologischen Know-hows nach China und Südost-Asien ab, welcher durch das soeben Gesagte bedingt ist. Diese Abwanderung fand nicht nur in der Batterie- und Solartechnologie, Photovoltaik und jetzt in der Automobilindustrie statt, sondern läuft jetzt auch in der Intralogistik. Der Druck auf die Player insbesondere in Europa nimmt zu. Ob sie diesem Druck standhalten, kann man derzeit aus meiner Sicht nicht zweifelsfrei bestätigen.  

H. Schlobach – “Man verlässt sich zu sehr auf die Erfolge der Vergangenheit.” 

blogistic.net – Warum das denn? 

HaJo Schlobach – Man verlässt sich, finde ich, zu sehr auf die Erfolge in der Vergangenheit und auf seine Marktführerschaft, die tatsächlich noch existiert. Wenn ich mir aber ansehe, wieviel Geld in technologische Entwicklungen in den USA und in Südost-Asien investiert wird, dann ist absehbar, dass europäische bzw. deutsche Intralogistik-Anbieter bald abgehängt sein werden. In Asien und auch immer mehr in den USA spielt derzeit die „Musi“, nicht mehr in Europa und auch nicht mehr im deutschsprachigen Raum. Hier in Europa freut man sich, wenn ein Investor ein paar Millionen Euro in eine Technologie locker macht. In den USA und Asien werden aber gleich mehrere Hundert Millionen Euro bzw. Dollar für die Entwicklung solcher Technologien bewegt. Da kann man natürlich ganz andere Entwicklungssprünge machen. 

blogistic.net – Das hängt aber auch mit der Investitionskultur in diesen Regionen zusammen und ist nicht per se der Intralogistik-Branche anzulasten. 

HaJo Schlobach – Ja und nein. Natürlich ist die Investoren-Szene in Europa und ganz besonders im deutschsprachigen Raum viel zu bürokratisch. Wenn ich etwa in Österreich beobachte, dass ein wesentlicher Teil des Venture Capitals über die Wirtschaftskammer oder andere Institutionen läuft, dann kann hier nur noch mehr Bürokratie herauskommen. Das erschwert den Fortschritt und verhindert Investments, sichert aber sogenannten Wirtschaftsorganisationen den Einfluss auf das Entwicklungsgeschehen. In Österreich sind Unternehmen darüber hinaus zwangsverpflichtet, WKO-Mitglied zu werden. Das sorgt dann halt für öffentliches Schulterklopfen bei Funktionären. Das hat aus meiner Sicht jedoch überhaupt keinen Sinn. In Deutschland ist es etwas besser, aber nicht wirklich gut. Der Effekt: Bei uns wird gekleckert, in den USA und Asien wird geklotzt. Wer dabei das Rennen machen wird, ist vorauszusehen. Nicht die gute Innovation aus Europa oder aus dem deutschsprachigen Raum, die vielleicht sogar besser ist als die finanziell gehypte Lösung. Und hier kommen wir zu den derzeitigen Noch-Marktführern in der Intralogistik. Sie könnten den Druck massiv auf die Politik und Verbände erhöhen, denn letztendlich geht es auch um ihre eigene Wettbewerbsfähigkeit und ihren technologischen Vorsprung, den sie vielfach noch haben. Die Frage ist jedoch, wie lange noch?  

H. Schlobach – “Nachhaltigkeit ist in der Intralogistik vielfach nur ein Marketingbegriff “ 

Intralogistik - H. Schlobach: "Man verlässt sich, finde ich, zu sehr auf die Erfolge in der Vergangenheit und auf seine Marktführerschaft, die tatsächlich noch existiert. " (Foto: Jan Gott / RS MEDIA WORLD Archiv)
Intralogistik – H. Schlobach: „Man verlässt sich, finde ich, zu sehr auf die Erfolge in der Vergangenheit und auf seine Marktführerschaft, die tatsächlich noch existiert. “ (Foto: Jan Gott / RS MEDIA WORLD Archiv)

blogistic.net – Wechseln wir das Thema in Richtung Nachhaltigkeit. Wie sehr hat der Fokus auf Nachhaltigkeit die Intralogistik verändert? 

HaJo Schlobach – Das ist ein Thema, mit dem europäische Anbieter von Intralogistik, und hier insbesondere aus dem deutschsprachigen Raum ihren technischen Vorsprung und ihren Wissensvorsprung halten und ausbauen könnten. Bislang passiert hier aus meiner Sicht allerdings viel zu wenig und in manchen Bereichen sogar gar nichts. Nachhaltigkeit ist bis dato daher vielfach nur ein Marketingbegriff, auf den sich Hersteller unterschiedlichster Hardware fokussieren. Man behauptet die Nachhaltigkeit vielmehr und erbringt nicht wirklich die Nachweise dafür. 

blogistic.net – Können Sie das genauer beschreiben? 

HaJo Schlobach – Ja! So sind Intralogistik-Lösungen im Bereich der Logistik-Automation häufig noch immer völlig überdimensioniert. Das legt unnötig hohe Energieverbräuche auf die Laufzeit der Lösungen von Beginn an fest. Stehen solche Systeme, kann man dann auch nicht mehr eingreifen, sondern man muss völlig neu bauen. Das ist nur ein Beispiel. Ein weiteres Beispiel wäre die Brennstoffzelle als Antriebstechnologie. Hier könnten mit diversen Technologien grüner Wasserstoff erzeugt werden, mit denen Brennstoffzellen gespeist werden können. Man konzentriert sich aber fast ausschließlich nur auf Li-Technologien, deren Basisprodukt Lithium alles andere als nachhaltig erzeugt wird. Es ist also viel Luft nach oben.

blogistic.net – Das machen Lösungsanbieter in Bezug auf die Überdimensionierung aber nicht aus Jux und Dollerei, wie es so schön heißt… 

HaJo Schlobach – Stimmt! Das hat vielfach mit dem Anspruch der Anwender einer 100-prozentigen Verfügbarkeit zu tun. Da packt man dann halt noch ein Stück Technologie obenauf, um diese Verfügbarkeit zu sichern. Jedoch findet selten eine Diskussion über die Notwendigkeit solcher Verfügbarkeiten statt. Der Anwender setzt sie voraus und der Anbieter fragt nicht nach. Das erklärt aber noch nicht, warum es beim Thema Nachhaltigkeit nicht wirklich weitergeht. Wenn man etwa mit Herstellern von Antriebstechnologien für Intralogistik-Automationslösungen spricht, gäbe es heute sehr wohl viele Möglichkeiten, viel sparsamere Systeme zu realisieren, wenn man sie bei der Planung frühzeitig integriert. Das geschieht aber vielfach nicht… 

H. Schlobach – “Eigentlich geht es bei der Intralogistik um die technische Umsetzung ökonomischer Prinzipien.” 

blogistic.net – Was sind die wichtigsten Merkmale einer erfolgreichen Intralogistiklösung? 

HaJo Schlobach – Aus heutiger Sicht sind die Hauptmerkmale einer erfolgreichen Intralogistiklösung die hohe Ingenieurskunst, Nachhaltigkeit und ein hoher Kundennutzen. Eigentlich geht es um die technologische Realisierung der längstens bekannten ökonomischen Prinzipien, die jeder BWL-Student spätestens im ersten Semester lernt. Darauf wird aus meiner Sicht viel zu wenig geachtet. Im Fokus steht aus meiner Sicht viel zu sehr das technologisch Machbare und nicht das Notwendige. 

blogistic.net – Innovative Intralogistik bedeutet für Sie … 

HaJo Schlobach – …die ressourcensparende Umsetzung des Notwendigen mit einem hohen Kundennutzen, das auch noch nach 10 Jahren „State oft he Art“ ist, d.h. lange Laufzeiten mit berücksichtigt. 

blogistic.net – Was macht ein Produkt innovativ? 

HaJo Schlobach – Nochmals: Hohe Ingenieurskunst, welche sich auf das Notwendige konzentriert, Ressourcen sparsam einsetzt und dabei einen hohen, nachhaltigen Kundennutzen erzeugt. Es muss dabei jedoch nicht zwingend „der letzte Schrei der Technik“ sein, sondern kann auch der raffinierte Einsatz existierender Technologien zu einer NEUEN Lösung bedeuten. 

blogistic.net – Was muss eine Lösung mitbringen, um Sie zu überzeugen? 

HaJo Schlobach – Eine gute Idee, die technologisch raffinierte Umsetzung, welche tatsächlich zu Nachhaltigkeit führt. 

H. Schlobach – “Europäische Intralogistik – Anbieter werden einfach ersetzt.” 

blogistic.net – Wo wird die europäische Intralogistik in zehn Jahren stehen? 

HaJo Schlobach – Eine wirklich seriöse Prognose ist kaum möglich, da die Industriestaaten der Welt in einem gewaltigen Transformationsprozess stecken im Zuge des Klimawandels, der letztlich nur mit einer Stärkung von Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Gleichheit und Solidarität realisiert werden kann. Gelingt das nicht, was in Anbetracht der Bedrohungslage durch autoritäre Staaten wie Russland oder China zum gegenwärtigen Zeitpunkt realistisch erscheint, ziehen die Knowhow-Träger mehr oder weniger freiwillig nach China & Südostasien ab, ähnlich, wie das etwa im Bereich der Batterietechnologie, Photovoltaik und in der Automobilindustrie passiert.  

blogistic.net – Was schlagen Sie daher vor? 

HaJo Schlobach – Die heutigen Big-Player der Intralogistik müssen sich ihrer gesellschaftlichen Verpflichtungen für die liberale Welt bewusst sein und diese auch stärken. Ansonsten werden sie von Anbietern aus China und Südost-Asien einfach ersetzt. Ein Nachgeben des Druckes und Verlagern von Know-how in diese Regionen wird das nicht aufhalten, sondern vielmehr noch beschleunigen. Das passiert besonders sichtbar derzeit in der Automobilindustrie, wo China mittlerweile die Richtung vorgibt. Der kurzfristige Deal führt vielleicht zur Zustimmung beim Shareholder, mehr aber nicht. Die Technologien und ihre Lösungen werden, sind sie einmal in China, dort weiterentwickelt und die Märkte dann von dort auch tatsächlich bestimmt, während in insbesondere in Europa der De-Industrialisierungsprozess immer rasanter voranschreitet. 

blogistic.net – Und wie sieht es mit der technologischen Entwicklung aus? 

HaJo Schlobach – Technologisch wird die Entwicklung in Europa aus meiner Sicht davon bestimmt, wie gut der Ausbau von Breitbandtechnologien und der Verkehrs-Infrastruktur auf dem Kontinent gelingt. Es gilt, wettbewerbsfähiger zu werden, den demographischen Wandel und den Klimawandel zu bewältigen sowie Industrie 4.0 tatsächlich auch zu realisieren. Dieser Terminus wurde 2011 erstmals auf der Cemat in Hannover durch die damalige Bundeskanzlerin Merkel publik. Bei Breitbandtechnologien auf Fiberchannel-Basis ist Deutschland aber noch immer ein Schlusslicht in Europa und liegt sogar noch hinter Albanien. Dabei spielen Softwaretechnologien & KI gerade bei Industrie 4.0 eine zentrale Rolle. Und wenn wir dafür auch 5G-Technologien nutzen wollen, bedarf es der Bandbreiten auf Fiberglas-Basis und nicht auf Kupfer-Basis. Selbiges gilt für den Verkehr. Wenn das höherwertige Verkehrsnetz mit seinen Brücken für den Straßengüterverkehr kaum mehr nutzbar ist, dann ist der Wirtschaftsstandort Europa gefährdet und wirklich Feuer am Dach. Und über die Bahnsysteme brauchen wir gar nicht zu sprechen. Da könnte man ganze Romane schreiben. Damit bekommen wir hinsichtlich des Gütertransportes auf der Schiene in Hundert Jahren nicht die angepeilte CO2-Neutralität zustande. Das alles hemmt jedoch den Fortschritt im Allgemeinen und die technologischen Entwicklungen in der Intralogistik im Besonderen, und nicht nur dort…   

blogistic.net – Vielen Dank für das Interview. 

journalismus.at | aitv.at

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