Massive Mängel in der Infrastruktur in Europa und physische Realitäten lassen „Logistik-Weltmeister“ Deutschland und das Logistik-Schwerpunktland Österreich „stottern“. Denn sie konterkarieren die Bemühungen der Unternehmen um die Digitalisierung und um effiziente Supply Chains.
Sicher kennen Sie auch den Logistics Performance Index (LPI) der Welt Bank. Deutschland befindet sich dort auf dem hervorragenden 1. Platz (2016) und gilt somit als „Logistik-Weltmeister“. Auch Österreich braucht sich nicht zu verstecken, es belegt immerhin den guten 7. Rang. Blickt man jedoch etwas hinter die Kulissen, dann bröckelt der helle Glanz ganz gehörig.
Probleme in der Logistikpraxis
Im Rahmen wirtschafts- und standortpolitischer Themen sitze ich seit vielen Jahren regelmäßig mit Unternehmen aus der verladenden und transportierenden Wirtschaft zusammen. Wir versuchen konsensual mit Politik und Wirtschaft logistische Themen für die nähere und fernere Zukunft zu gestalten. Wir haben zusammen einiges erreicht, doch in letzter Zeit höre ich auch unter diesen höchst engagierten Vertretern immer mehr Klagen und Raunen über die Last von infrastrukturellen Mängeln und massiven Problemen in der europäischen Logistikpraxis. Dies machte mich zunehmend stutzig und ließ mich nochmals genauer auf die Situation hinsehen.
Konkrete Folgen von Infrastrukturmängeln
Gerade in diesem Jahr gab es wieder enorme Schwierigkeiten in der praktischen Abwicklung globaler, aber auch lokaler Supply Chains. Dies begann bei enormen Engpässen in den Häfen, die zu massiven Verspätungen und damit zu verlängerten Durchlaufzeiten führten. Es setzte sich fort in der Bahnlogistik, wo es nicht nur aufgrund von zusätzlichen Engpässen und Umleitungen durch Bau- und Planungsfehler (Stichwort „Rastatt“) zu enormen Problemen im operativen Betrieb und damit wiederum zu massiven Verspätungen kam. Nicht selten trafen heuer z.B. Züge aus den Nordhäfen mit bis zu einer Woche Verspätung in Österreich ein. Was das für Planung und Kundenzuverlässigkeit bedeutet, muss ich wohl nicht näher erläutern. Lehrreich fand ich auch das Beispiel eines Unternehmens, dass Züge aus Shanghai zeitgerecht über Tausende Kilometer entlang der eurasiatische Landbrücke bis nach Polen brachte und dann ab dort – quasi auf der „last mile“ – die Kontrolle und Planbarkeit verlor, weil man im mitteleuropäischen „Chaos“ Züge meist nicht mehr pünktlich bis zum Bestimmungsort bringt. Angespannt war die Lage natürlich auch auf der Straße. Das gewaltige Aufkommen an den europäischen Hauptrouten führte zu massiven Stausituationen und der politischen Notwendigkeit von, in der Wirtschaft sehr ungeliebten, Kontingentierungen – wie z.B. auf der Inntalautobahn in Tirol (hier fahren bis zu 10 LKW pro Minute). Nun stellen sich mir zwei Fragen: Was läuft hier falsch? Und: Ist das nicht ein Hemmschuh für Europas wirtschaftlichen Erfolg?
Logistik ist der Motor für wirtschaftliches Wachstum und damit auch ein Grundpfeiler unseres Wohlstands.
„Deutschland lebt von der Substanz“
Die Bundesvereinigung für Logistik in Deutschland hat es in ihrem jüngst formulierten „Offenen Brief an die Mitglieder des Deutschen Bundestags“ so beschrieben: Logistik ist der Motor für wirtschaftliches Wachstum und damit auch ein Grundpfeiler unseres Wohlstands. Der „Logistik-Weltmeister“ Deutschland lebt aber vielerorts von der Substanz. Es muss dringend in teilweise marode Verkehrsinfrastruktur investiert werden. Dazu gehört auch das Beschleunigen von Planungsverfahren und Projektumsetzungen – insbesondere zum System Bahn. Viele der Punkte treffen auch auf Österreich zu. Auch hier scheitern dringend notwendige Projekte oft an Eitelkeiten Einzelner und am „Floriani“-Prinzip. Neben Politik und Gesellschaft ist aber auch die Wirtschaft selbst in die Pflicht zu nehmen. Vielerorts werden heute durch ausschließliche Gewinnorientierung unnötige Transporte generiert, die zwar dem Einzelnen dienen mögen, aber dem großen Ganzen schaden. An dieser Stelle ist nachhaltigeres Wirtschaften einzufordern und die Entwicklung verbesserter Verteilkonzepte und Transportsysteme voranzutreiben.
Digitalisierung funktioniert ohne Infrastruktur nicht
Die Ironie der ganzen Situation ist, dass wir in unseren Unternehmen massiv an der Optimierung von Wertschöpfungsketten und Supply Chains mit digitalen Mitteln arbeiten. Wir versuchen dadurch alles schneller und einfacher zu machen. Was wir dabei im virtuellen Umfeld an finanzieller und zeitlicher Einsparung herausholen, verlieren wir dann ganz banal wieder – und das meist in viel höherem Umfang – im physischen Bereich. Deshalb lohnt es sich schon, neben all dem digitalen Hype, auch mal auf die physischen Logistik-Prozesse zu schauen und die Infrastruktur unter die Lupe zu nehmen. Denn bei aller digitalen Welt müssen Güter heute und wahrscheinlich auch noch in der näheren Zukunft aus rein physikalischen Gründen real transportiert werden. Helfen Sie mit und fordern auch Sie konstruktiv und lösungsorientiert die Entwicklung physischer Rahmenbedingungen ein. Auf dass wir „Logistik-Weltmeister“ bleiben und nicht zu „Logistik-Entwicklungsländern“ verkommen!
In diesem Sinne alles Gute!
Ihr Philipp Wessiak