Dr. Ralph Gallob, Geschäftsführer der Industrie-Logistik-Linz (ILL), im Gespräch mit CR Hans-Joachim Schlobach über Industrie 4.0, mit der man sich in Linz schon seit zwei Jahrzehnten beschäftigt, und die fehlenden Alternativen zur Automation.
BLOGISTIC.NET: Wie geht es Ihnen? Wie geht’s der ILL?
Gallob: Industrie und Handel arbeiten auf einem sehr hohen Leistungsniveau, von dem wir freilich auch profitieren. Wir partizipieren am hohen Leistungsniveau der Unternehmen und nicht am Preis ihrer Produkte. Meine Wahrnehmung als Logistikdienstleister deckt sich nur sehr bedingt mit den sorgenvollen Meldungen in vielen Medien.
BLOGISTIC.NET: Wie sehen Sie die Zukunft dabei?
Gallob: Die Rohstoff- und Energiepreise werden wieder anziehen. Überkapazitäten, insbesondere im Bereich von Commodities und Dienstleistungen werden abzubauen sein. Dies wird die Preissituation bei Produkten wieder verbessern und damit die Ertragssituation der Unternehmen optimieren.
BLOGISTIC.NET: Was ist Ihnen lieber? Hohe Preise oder große Mengen?
Gallob: Als Logistiker sind mir die Mengen natürlich am liebsten. Die Preise sind in der Logistik ohnehin sehr niedrig und bewegen sich im untersten Niveau. Darum arbeiten wir seit Jahren hauptsächlich daran, die Kosten unter Kontrolle zu halten. Wer das kann, hat gewonnen.
BLOGISTIC.NET: Hat die Industrie ihre Kosten im Griff?
Gallob: Sie hat es teilweise verlernt, würde ich sagen, weil der Fokus auf andere Bereiche gelegt wurde und weniger auf die Prozesse und ihre Kosten, insbesondere in Österreich. Das Wissen haben uns die Kollegen in Deutschland voraus, was ja auch einen Teil ihres wirtschaftlichen Erfolgs ausmacht. Die deutschen Unternehmen haben vor allem die Lohnstückkosten im Griff und sind auf diese Weise international wettbewerbsfähig, obwohl Deutschland ein Hochlohn-Land ist. Unsere Nachbarn sind dabei aber schon einen Schritt weiter gegangen, indem sie das Thema Industrie 4.0 initiierten.
BLOGISTIC.NET: Die ILL hat ihre Kosten im Griff. Was haben Sie besser gemacht als manch andere Unternehmen?
Gallob: Wir haben so weit als möglich automatisiert, und zwar nicht nur bei den internen Prozessen, sondern weit über die Unternehmensgrenzen hinweg. Wir betreiben die industrielle Revolution schon seit 15 bis 20 Jahren. Wir haben das halt nur nicht unter dem Label „Industrie 4.0“ getan. Wir haben dabei die Kostensenkung durch Automatisierung nicht unter dem Aspekt verstanden, allein Arbeitskräfte frei zu setzen, um den Druck auf die anderen zu erhöhen. Das ist der Fehler, der vielfach in solchen Projekten gemacht wird. Für uns stand in erster Linie der Logistikprozess im Vordergrund, der dann mit einer passenden Automation hinterlegt wurde, so, wie das heute u.a. auch unter dem Label Industrie 4.0 passiert.
BLOGISTIC.NET: Das ging einfach so? Ganz ohne Friktionen?
Gallob: Nein, natürlich nicht. So haben wir uns beispielsweise auch teilweise von gewohnten Geschäften verabschiedet, die aber unterm Strich nichts mehr gebracht haben, jedoch den Prozessverbesserungen im Weg standen – wir haben uns größtenteils spezialisiert.
BLOGISTIC.NET: Industrie 4.0 ist aber sehr stark internet- und IT-getrieben…
Gallob: Das ist es bei uns auch. Seit bestimmt 16 Jahren entwickeln wir dafür Software im Hause und mit Partnern wie der FH Oberösterreich (FH-OÖ)in Hagenberg oder der Johannes-Kepler-Universität in Linz. Das machen wir bis heute in einem evolutionären Prozess mit dem Ziel der laufenden Verbesserung. Mittlerweile betreiben wir an der Uni Wien ein Christian-Doppler- Labor „Effiziente intermodale Transportsteuerung“ mit Industrie 4.0 als Leitthema. Damit wollen wir unsere Logistik so wettbewerbsfähig wie möglich machen und diesen Vorsprung auch dauerhaft halten.
BLOGISTIC.NET: Viele Unternehmen setzen auch auf Software, indem sie diese kaufen und damit war es das dann für eine Weile. Warum investiert die ILL jedoch laufend in die Weiterentwicklungen ihrer Softwarebasis?
Gallob: In der Logistik, wie wir sie betreiben, liegt mehr als 50 Prozent des Geschäfts in der Information, die entlang der ganzen Wertschöpfungskette möglichst ohne Medienbrüche fließen muss. Wenn wir auf Digitalisierung und Internet der Dinge setzen wollen, müssen wir den digitalen Reifegrad anstreben, der hier gefordert ist. Denn nur so kann man einen Effizienzvorteil gewinnen, der die in unserem Markt bestehenden niedrigen Preise kompensieren kann. Das erfordert einerseits ein enormes Prozess- Know-how und andererseits ein klares Bekenntnis zur Innovation. Und darum investieren wir viel Geld in die Forschung und Entwicklung unserer Systeme.
BLOGISTIC.NET: Nennen Sie doch einmal ein Beispiel ihrer eigenen Entwicklungen!
Gallob: Die gesamte Ablaufsteuerung, die größtenteils vollautomatisch läuft, wurde von uns mit unseren Forschungspartnern entwickelt. Damit konnten wir ganze Bereiche völlig neu entwickeln, wie etwa die Disposition, wie sie heute noch vielfach in Speditionen anzutreffen ist. Noch vor 20 Jahren beschäftigten wir rund 50 Mitarbeiter in der betriebsorientierten Disposition. Diese gibt es nicht mehr, denn deren Aufgaben – von der Beauftragung durch den Kunden über die Disposition, die Organisation der Be- und Entladung bis hin zum Abrufen der Frachtführer usw. – übernimmt heute das System vollautomatisch. Dabei werden Spediteure oder Reeder in die Supply Chain integriert. Hierfür haben wir sogar eine eigene Marke entwickelt: die ilogistics 4.0. Solche Ablaufsteuerungen haben wir entlang der gesamten Logistikkette implementiert, bis hinab in den operativen Bereich, unter Zuhilfenahme von Sensorik. So erfolgt beispielsweise in unserem Tochterunternehmen in den Niederlanden die innerbetriebliche Ablaufsteuerung völlig mannlos; Kräne und Fahrzeuge sind automatisiert und erkennen die Abläufe selbst. Hier ersetzt die Sensorik den Menschen.
BLOGISTIC.NET: Warum entwickelt ILL eigene Software und kauft nicht bei anderen Herstellern Standardsoftware zu?
Gallob: Wir haben uns voll und ganz dem Thema „Automatisierung“ verschrieben und so, wie wir das wollen, bekommt man das mit Standardsoftware nicht hin. Wir benötigen Software, die sich an unseren Prozessen orientiert, und nicht umgekehrt. Den Kern unserer Systeme entwickeln wir selbst, allerdings docken wir sehr wohl Standardsoftware an unser System an, wenn das opportun ist. Warum sollten wir das Rad für jeden Bereich neu erfinden? Das wäre betriebswirtschaftlicher Unsinn.
BLOGISTIC.NET: Sie investieren laufend Geld in Entwicklungen. Wie erklären Sie das Ihrem Finanzverantwortlichen?
Gallob: In der Tat, von dem, was wir heute investieren, werden wir erst in vier oder fünf Jahren wirklich profitieren. Die Investitionssummen werden sogar noch zunehmen, weil wir auch in Prozess-Know-how, also in Menschen und ihr Fachwissen, investieren müssen. Bilanz¬technisch lässt sich das tatsächlich nur sehr bedingt darstellen. Doch was wäre die Alternative? Es nicht zu tun? Dann ist der Verlust von Wettbewerbsfähigkeit vorprogrammiert – und das wäre strategischer Unsinn.
BLOGISTIC.NET: Die Kritik an Industrie 4.0 ist, dass sie letztlich den Menschen durch die Maschinen ersetzt. Ist das so?
Gallob: Wenn man konsequent das Ziel smarter Unternehmen verfolgt, ist das mit Sicherheit so. Es werden sogar ganze Berufsgruppen durch Technik ersetzt. Bei uns waren es z.B. die Disponenten oder Kranfahrer. Berufsbilder wie Speditionskaufleute wird es in 20 Jahren wahrscheinlich nicht mehr geben, weil faktisch sämtliche administrativen Tätigkeiten automatisiert und beispielsweise vom Frächter selbst erledigt werden können. Er benötigt dafür nur einen Internet-Zugang. Spediteure werden sich daher überlegen müssen, was mit ihnen im Zusammenhang mit Industrie 4.0 passieren soll. Sie könnten ganz verschwinden, wenn sie die Evolution der Wirtschaft nicht mitgehen, d.h. nicht darauf reagieren. Dafür werden jedoch ganz neue Berufsbilder entstehen, von denen wir heute noch gar keine Vorstellung haben. Das hat sich auch im Bereich der IT gezeigt. Die Branche galt als Job-Killer. Heute arbeiten mehr denn je in ihrem Umfeld und sie ist als Industrie gar nicht mehr wegzudenken. Daher bin ich auch in Zukunft optimistisch, was den Menschen als Arbeitskraft angeht. Man wird auch in Zukunft keinesfalls auf Arbeiter und Angestellte verzichten können, denn diese sind die Know-how-Träger und nicht die Maschinen. Ohne Know-how-Träger wird man solche Systeme nicht betreiben können.
(Anm.d.Red.: Wohin die disruptiven Entwicklungen im Bereich der Logistik und des Transportes gehen, dazu hielt der internationale IT-Guru und Silicon Valley-Botschafter Mario Herger euf dem Österreichischen Logistiktag 2017 einen beeindruckenden Beitrag. Sie finden ihn hier, exklusiv auf blogistic.net )
BLOGISTIC.NET: Vielen Dank für das tolle Gespräch!
ill.co.at