HENRY PUHL – „Das Wir-Gefühl hat sich weiter verstärkt“

Die KION-Group hat über Ostern für zwei Wochen die Produktion auch bei STILL in Hamburg gestoppt. Wie es dem Intralogistik-Spezialisten und Gabelstapler-OEM dabei ging, wie der Stillstand genutzt wurde und was die Zukunft bei den Hanseaten bringen wird, darüber sprach Henry Puhl, Vorstands-Chef von Still, mit Chefredakteur HaJo Schlobach

H. Puhl (Foto: Still)
H. Puhl: „Nach diesen ruhigen Tagen tut es gut, wieder Leben, Treiben und Produktivität auf dem Werksgelände zu erleben.“ (Foto: Still)

blogistic.net: Wie geht es Ihnen? KION hat ja die Produktion aller Standorte in Europa gestoppt. Wie haben Sie die Shutdowns in der Wirtschaft persönlich erlebt?

Henry Puhl: Zunächst einmal freue ich mich, dass die Werke der KION Marken und unsere Komponentenwerke nach der Produktionspause über Ostern ihren Betrieb wie geplant wieder aufgenommen haben. In Hamburg ist die Produktion am 20. April wieder angelaufen und auch die Werke im italienischen Luzzara sowie im französischen Châtellerault produzieren wieder. Ich war auch während der Produktionspause täglich in meinem Hamburger Büro und nach diesen ruhigen Tagen tut es gut, wieder Leben, Treiben und Produktivität auf dem Werksgelände zu erleben.

blogistic.net: Wie haben Sie, wie hat Still in Hamburg den Stillstand genutzt?

H. Puhl: Wir haben die Werksruhe genutzt, um drei für uns wesentliche Aspekte anzugehen. Zum einen haben wir einen neuen Arbeitsschutzstandard umgesetzt, der über die kürzlich vom deutschen Bundesarbeitsministerium veröffentlichten Regelungen hinausgeht. Das reicht von Bodenmarkierungen und Aufklebern, die es erleichtern den Sicherheitsabstand von 1,5 Metern einzuhalten, bis hin zu baulichen Maßnahmen, wie dem Einziehen zusätzlicher Leichtbauwände, um die Arbeitsumgebung noch besser zu strukturieren.

Zum anderen konnten wir die Materialabdeckung in der gut zweiwöchigen Osterpause für die kommenden Wochen weiter absichern. Da mehr und mehr Lieferanten ihre Produktion ebenfalls wieder gestartet haben, hat sich die zuletzt angespannte Materialverfügbarkeit insgesamt verbessert.

Darüber hinaus haben wir in dieser Zeit technische Anlagen zur Optimierung unserer Produktionsprozesse vorgezogen in Betrieb genommen. So wurden jetzt neue automatisierte Schweißanlagen eingefahren und eine neue Produktionssoftware eingeführt.

Bei all dem hat es mich sehr beeindruckt, wie schnell alle Beteiligten vom anfänglichen „Corona-Schock“ auf einen „Wir krempeln die Ärmel hoch“-Modus umgeschaltet haben.

Da mehr und mehr Lieferanten ihre Produktion ebenfalls wieder gestartet haben, hat sich die zuletzt angespannte Materialverfügbarkeit insgesamt verbessert.

Henry Puhl, Vorstands-Chef bei Still

blogistic.net: Was ist Ihr Konzept mit dieser Krise umzugehen?

H. Puhl: Seit nunmehr 100 Jahren lautet das zentrale Konzept von Still, die Bedürfnisse der Kunden immer und überall in den Mittelpunkt zu stellen. Ich bin überzeugt, dass genau dieses Konzept jetzt wichtiger ist denn je. Natürlich sehen die Bedürfnisse heute zum Teil anders aus als noch vor wenigen Monaten. Deshalb schauen wir ganz genau hin, wo und wie wir unsere Kunden nun bestmöglich dabei unterstützen können, ihr Geschäft am Laufen zu halten. Viele Unternehmen brauchen jetzt schnelle, flexible und kostengünstige Lösungen. Deshalb sind beispielsweise unsere Mietexperten derzeit besonders gefragt. Sie erarbeiten momentan rund um die Uhr kundenindividuelle Lösungen und sorgen dafür, dass die benötigten Fahrzeuge schnellstmöglich vor Ort sind.

blogistic.net: Inwiefern spielen dabei auch die Intralogistik-Lösungen von Still eine Rolle?

H. Puhl: Unsere Intralogistiklösungen spielen während der aktuellen Pandemie eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Versorgung: Sie helfen dabei, den Grundbedarf zu sichern, die Lieferketten am Laufen zu halten und den Gesundheitssektor zu versorgen. Dies gilt auch für den Service und die Ersatzteilversorgung, die gerade in der Ausnahme-Situation höchste Bedeutung für die Kunden und damit für die gesamte Gesellschaft hat.

H. Puhl: "Die Corona-Pandemie wird sowohl unsere Gesellschaft als auch unsere Wirtschaftswelt verändern. Es wird ein „weiter, aber anders“ geben. " (Foto: Still)
H. Puhl: „Die Corona-Pandemie wird sowohl unsere Gesellschaft als auch unsere Wirtschaftswelt verändern. Es wird ein „weiter, aber anders“ geben. “ (Foto: Still)

blogistic.net: Was stimmt Sie heute optimistisch für die Zukunft?

H. Puhl: Mich stimmt optimistisch, dass die Menschen gerade jetzt trotz Social-Distancing so eng zusammenrücken, sich solidarisieren und gemeinsam zum Teil sehr kreative Lösungen finden, sowohl privat als auch beruflich. Vom Enkel, der seiner Oma einen Podcast aufnimmt, damit sie sich nicht so alleine fühlt, bis hin zum von unseren Produkttrainern umgesetzten Virtual Training. Eine Kombination aus Videochat, Screensharing, Gruppenarbeiten, Chatrooms und einem Live-Kamera-Stream direkt aus der Trainingshalle am Fahrzeug. Diese virtuellen Schulungen haben bereits mit Teilnehmern aus über 10 Ländern stattgefunden.

blogistic.net: Wird es ein “weiter so” geben? Wenn nein, wie sieht die Zukunft der Intralogistik für Sie als ein Opinion Leader in der Logistik aus?

blogistic.net: Wird es ein “weiter so” geben? Wenn nein, wie sieht die Zukunft der Intralogistik für Sie als ein Opinion Leader in der Logistik aus?

Henry Puhl: Die Corona-Pandemie wird sowohl unsere Gesellschaft als auch unsere Wirtschaftswelt verändern. Es wird ein „weiter, aber anders“ geben. Jede Krise birgt Chancen. Wir haben jetzt die Chance, den Sinn vieler, über Jahrzehnte festgewachsener Verhaltensmuster auf den Prüfstand zu stellen: Wie viele Geschäftsreisen braucht es wirklich? Wo müssen wir physisch zusammenkommen und wo lassen sich Absprachen mit welchen digitalen Tools einfacher und effizienter tätigen? Wir erleben aktuell, dass sich viele Dinge auch anders als bisher lösen lassen. Dieses Wissen wird uns nach der Krise dabei helfen, viele Dinge neu und besser zu denken.

blogistic.net: Hinterfragen Sie auch Ihre logistischen Prozesse?

H. Puhl: Ja natürlich. Auch so mancher logistische Prozess wird zu hinterfragen sein. Ich kann mir beispielsweise vorstellen, dass der Lagerung von Teilen wieder eine größere Bedeutung zukommen wird. Denn bei allen Vorteilen, die eine Just-in-Time-Produktion uns bietet, erleben wir doch gerade in verschiedensten Wirtschaftszweigen, welche Auswirkungen es haben kann, wenn Teile der globalen Lieferketten ins Wanken geraten und wie schnell es zu Domino-Effekten kommt.

Unsere Intralogistiklösungen spielen während der aktuellen Pandemie eine wichtige Rolle bei der Aufrechterhaltung der öffentlichen Versorgung: Sie helfen dabei, den Grundbedarf zu sichern, die Lieferketten am Laufen zu halten und den Gesundheitssektor zu versorgen.

Henry Puhl, Vorstands-Chef bei Still

blogistic.net: Corona hat zu einer teilweise erheblichen Disruption der Wirtschaft weltweit geführt, die auch noch nicht beendet ist. Viele sehen darin aber auch eine Chance. Wo sehen Sie die Chancen für Sie persönlich? Wo liegen sie für Still?

H. Puhl: Intralogistik ist ein wichtiger Faktor, der unsere Wirtschaft in Bewegung hält. Gerade jetzt, wo es darum geht, lebensnotwendige Branchen, wie beispielsweise die Lebensmittel- oder Pharmabranche am Laufen zu halten. Ist die Corona-Pandemie überstanden, wird es darum gehen, unser Wirtschaftssystem wieder in Schwung zu bringen. Auch dabei wird der Intralogistik eine Schlüsselrolle zukommen. Es ist eine große Chance für uns, unseren Teil dazu beizutragen, indem wir die aktuell gewonnenen Erfahrungen in neue Lösungen ummünzen.

blogistic.net: Können Sie etwas konkreter werden?

H. Puhl: Ja, das gilt etwa für neue Geschäftsmodelle wie beispielsweise im Bereich Logistics as a Service ebenso wie für die Weiterentwicklung bestehender Geschäftsbereiche. Nehmen Sie den seit Jahren rasant wachsenden eCommerce-Markt. Der Onlinehandel verzeichnet jährliche Wachstumsraten von rund zehn Prozent, 2018 betrug der weltweile Umsatz rund 1,5 Billionen Euro. Durch die derzeitigen Umstände dürfte der eCommerce sogar noch einen zusätzlichen Schub erhalten. Lösungen für einen flexiblen, schnelldrehenden und kleinteileigen Warenumschlag bis hin zur Losgröße 1 werden entsprechend noch gefragter sein. Hochregallager mit intelligent vernetzten Waren- und Informationsflüssen, Prozessautomatisierung, ein digitaler Echtzeitservice – wir haben die Chance, mit unseren Lösungen hier weiterhin der Wegbereiter zu sein.

blogistic.net: Könnte diese Krise daher auch einen Automatisierungsschub auslösen? Immerhin gehen Maschinen nur kaputt, werden nicht krank und können Viren nicht ausbreiten…

H. Puhl: Mittelfristig werden manuelle Warentransporte unersetzbar bleiben, doch die Gewichtung wird sich fraglos weiter verschieben. Dabei braucht es aber keine Viren für einen Automatisierungsschub, dieser hat längst eingesetzt. Der Markt für Automatisierungen ist der am viertschnellsten wachsende Industrie-Markt weltweit. Zuletzt war er vier Milliarden Euro schwer und wuchs allein von 2019 auf 2020 um mehr als 25 Prozent. Krankheitsbedingte Ausfälle spielen hier eine deutlich geringere Rolle als der demografische Wandel und der Fachkräftemangel. Viele Firmen finden beispielsweise schlicht keine Fahrer mehr, die sich am Wochenende auf einen Gabelstapler setzen wollen. Zusätzlich haben wir aber auch vermehrt Anfragen von Kunden, die wegen der Pandemie künftig stärker auf die Automatisierung von Gabelstaplern, Logistikzentren und der Fernwartung von Maschinen setzen wollen.

H. Puhl: "Haben vermehrt Automations-Anfragen." (Foto: Still)
H. Puhl: „Wir haben vermehrt Anfragen von Kunden, die wegen der Pandemie künftig stärker auf die Automatisierung von Gabelstaplern, Logistikzentren und der Fernwartung von Maschinen setzen wollen.“ (Foto: Still)

blogistic.net: Wird diese Krise auch die digitale Transformation daher vorantreiben? Wie wird sich die Transformation gestalten? Was wird sich aus Ihrer Sicht ändern (müssen)?

H. Puhl: Die digitale Transformation zählte schon vor der Krise zu den prägendsten, wirtschaftlichen Megatrends. Wir sehen es seit Jahren als unsere Aufgabe, sie im Sinne unserer Kunde zu gestalten. Ein besonders spannender Bereich, der sich rasant weiterentwickelt, ist das digitale Flottenmanagement. Per GSM Modul senden unsere Fahrzeuge verschiedenste Daten an das Flottenmanagement-System: Wann fährt es? Wann hebt es? Wann lädt es? Wann und wo kommt es zu einer Erschütterung? Aus der Analyse und Korrelation derlei digitaler Daten entstehen verschiedenste Mehrwerte. Auslastungsanalysen, Prozessoptimierungen oder die Wartungsplanung sind da nur wenige Beispiele.

blogistic.net: Und was ist mit der Digitalisierung der Arbeitsprozesse? Gerade in der Corona-Krise tut sich doch sehr viel. Wird die Krise das nicht mehr intensivieren?

H. Puhl: Aber natürlich wird sich durch die derzeitige Situation auch die Digitalisierung interner Arbeitsprozesse weiter beschleunigen, vor allem in der Kommunikation. Weniger Geschäftsreisen, weniger Präsenzmeetings, mehr Zusammenkünfte mit digitalen Tools. Schon vor Corona hat uns die Digitale Transformation enorm dabei geholfen, räumliche Grenzen zu überwinden. Beispielsweise in der Entwicklung. Unsere internationalen Teams arbeiten unter anderem mit Virtual-Reality-Technologie und digitalen Mockups. Im virtuellen Raum können sich unsere Ingenieure bereits in einem sehr frühen Entwicklungsstadium zum Fahrzeug austauschen. Sie können über kontinentale Grenzen hinweg im dreidimensionalen Raum in Echtzeit am selben Fahrzeug arbeiten. Dabei können sie mit dem Modell interagieren und die praktische technische Ausgestaltung zusammen definieren. Durch die Vernetzung der Fahrzeuge kann in real time also auch Kommunikation von Menschen über und mit Fahrzeugen stattfinden.

Jede Krise birgt Chancen. Wir haben jetzt die Chance, den Sinn vieler, über Jahrzehnte festgewachsener Verhaltensmuster auf den Prüfstand zu stellen.

Henry Puhl, Vorstands-Chef bei Still

blogistic.net: Das Home-Office und viele andere Möglichkeiten der Digitalisierung werden während der Shutdowns stark genutzt. Wohin wird für STILL die Reise in diesem Bereich gehen? Denkt man bei Ihnen über neue Arbeits-Modelle nach? Wie könnten diese aussehen?

Henry Puhl: Wir haben bereits vor der Corona-Krise damit begonnen, mobiles Arbeiten einzuführen. Diesen Weg werden wir auch nach der Krise weiter beschreiten. Über vorhandene Zeitmodelle wie flexibles Arbeiten und Arbeitszeitkonten hinaus, arbeiten wir derzeit weitere Arbeitsmodelle aus, um das Potenzial der Digitalisierung noch weiter auszuschöpfen.

blogistic.net: Was sind oder waren für Sie die größten Herausforderungen, das Business von STILL aufrecht zu erhalten bzw. das Business wieder aufzubauen? (zum Beispiel: Social Distancing, Internationalität der Aufträge, Lieferantenprobleme, Entsendung von Mitarbeitern, Stornos, Zahlungsausfälle)

H. Puhl: Fast alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mussten sich in sehr kurzer Zeit mit einem völlig neuen Arbeitsalltag arrangieren. Unsere Miet- und Vertriebsteams sind sehr schnell während des laufenden Tagesgeschäfts ins Homeoffice umgezogen und blieben dabei durchgehend für unsere Kunden erreichbar. Für unseren Vertrieb kam der sonst so zentrale Kontakt vor Ort beim Kunden nahezu vollständig zum Erliegen. Die Kollegen haben sehr schnell umgeschaltet und beispielsweise Begehungen von Lagern und Produktionsanlagen per Videokonferenz durchgeführt. Unsere Servicetechniker sind ununterbrochen im Feld unterwegs, um den Warenfluss unserer Kunden zu sichern. Sie nehmen vor jedem Besuch telefonischen Kontakt zum Unternehmen auf und informieren sich über die Sicherheitsvorschriften vor Ort und bündeln anstehende To-dos wo immer möglich.

Ein besonders spannender Bereich, der sich rasant weiterentwickelt, ist das digitale Flottenmanagement. Per GSM Modul senden unsere Fahrzeuge verschiedenste Daten an das Flottenmanagement-System.

Henry Puhl Vorstands-Chef bei Still

Allen hier bei Still war von Anfang an klar, dass wir gerade jetzt für unsere Kunden da sein müssen, auch wenn die Rahmenbedingungen teilweise herausfordernd oder schlicht anders sind. Dabei hat sich das Wir-Gefühl noch weiter verstärkt. Wir haben unseren Kunden auf unserer Website ein klares Versprechen gegeben, das wir jeden Tag aufs Neue einhalten: We keep you going.

blogistic.net: Wie klappt in der Krise die Zusammenarbeit in der KION-Group? 

H. Puhl: Hervorragend. Wir stehen täglich im Austausch, ziehen an einem Strang und finden gemeinsam Lösungen. Außerdem sorgen wir dafür, dass alle Standorte voneinander lernen und sich gegenseitig unterstützen, um die beste Lösung für alle zu finden.

blogistic.net: Still ist bekannt für einen Mitarbeiterstab mit Top-Fachkräften und einer sehr geringen Fluktuation. Gibt es schon Konzepte, wie die Fachkräfte auch in Zukunft gehalten werden können, trotz der schwierigen Situation?

H. Puhl: Still wird als sehr attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen und wir setzen unabhängig von der gegenwärtigen Situation alles daran, dass das so bleibt. Flexible Arbeitszeitsysteme werden dabei sicher eine größere Rolle spielen. Darüber hinaus gilt: Wir bieten Verantwortung und suchen Teamspieler. Unsere Fachkräfte schätzen die Freiräume bei der Umsetzung eigener Ideen und gemeinsamer Visionen. Darauf werden wir weiterhin bauen.

blogistic.net: Wie funktioniert hier die Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern?

H. Puhl: Die Zusammenarbeit mit den Betriebsräten läuft sehr konstruktiv und kooperativ. Wir arbeiten ja gemeinsam in und für unser Unternehmen, auf das wir alle stolz sind.

blogistic.net: Eine Prognose ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehr schwierig. Dennoch stelle ich eine Frage danach: Wo sehen Sie Ihr Unternehmen zum Ende 2021?

H. Puhl: An der Seite unserer Kunden, als starker Partner mit innovativen Ideen und einzigartiger Lösungskompetenz.

blogistic.net: Vielen Dank für das spannende Interview.

still.de

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