HEIDEGUNDE SENGER-WEISS – „Der Druck war riesig“

Heidegunde Senger-Weiss: Sie gilt als die Grand Dame der österreichischen Transportlogistik und hat mit ihrem Unternehmen Gebrüder Weiss die Branche geprägt, wie kaum eine andere Person in der Alpenrepublik. Dennoch ist sie bescheiden und geerdet geblieben. Dafür sorgte nicht zuletzt ihre Familie, aus der sie die Kraft schöpfte, gemeinsam mit ihrem Mann, Paul Senger-Weiss, aus einem Transportunternehmen einen  weltweit agierenden Logistikkonzern zu machen. Jetzt wurde sie als erste Frau in die Logistics Hall of Fame aufgenommen, der Ruhmeshalle der weltweit besten Logistiker-Persönlichkeiten.

(Foto: Archiv RS Media World)
Heidegunde Senger-Weiss: Mitglied der Logistics Hall of Fame (Foto: Archiv RS Media World)

Wer Heidegunde Senger-Weiss auf der Straße über den Weg läuft, wird kaum bemerken, dass er gerade an einer der renommiertesten Persönlichkeiten der österreichischen Logistik vorbeigegangen ist. Die zierliche aber elegant gekleidete Dame strahlt Ruhe und Bescheidenheit aus. Wer jedoch einmal in den Genuss kam, mit ihr zu sprechen, bemerkt sofort den Einfluss ihres Sternzeichens: Stier. Mit ihrer ruhigen Stimme nimmt sie den Gesprächsfaden sofort auf. Dabei ist sie geradlinig, direkt und kommt im Gespräch schnell auf den Punkt. Man merkt sofort, dass sie es gewohnt ist, Entscheidungen zu treffen. Geplänkel sind ihre Sache eher nicht. Dafür aber ein offenherziger Humor, der ihr immer wieder ein strahlendes Lächeln aufs Gesicht zaubert, das in der Lage ist, ihren Gesprächspartner sofort für sie einzunehmen.

Wir hatten schon das zweite Mal die Ehre und das Vergnügen, mit ihr ein Gespräch zu führen. Und diesmal ist es ein ganz froher Anlass, zu dem wir als Unterstützer der Logistics Hall of Fame einen besonderen Bezug haben: die Aufnahme in die Logistik Hall of Fame (LHoF), die Ruhmeshalle der Logistik. Durch das Gespräch führte Anita Würmser, Initiatoren der LHoF und Grand Dame des deutschen Logistikjournalismus.

BLOGISTIC.NET: Frau Senger-Weiss, herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Aufnahme in die Logistics Hall of Fame. Sie sind die erste Frau in der Ruhmeshalle.
Senger-Weiss: Ich fühle mich sehr geehrt, aber das habe ich doch gar nicht verdient.

BLOGISTIC.NET: Sie gelten als Grande Dame der Österreichischen Transportlogistik, und haben über die Grenzen Österreichs hinaus Impulse in der Unternehmensführung, Internationalisierung und Mitarbeitermotivation gesetzt. Sie sind nicht nur eine Pionierin der Logistik, sondern haben eine Benchmark in der Professionalisierung mittelständischer Speditionsunternehmen gesetzt und darüber hinaus ein Unternehmen neu aufgestellt – zu einer Zeit, als Frauen noch nicht mal ein eigenes Konto haben durften.
Senger-Weiss: Mein Mann und ich haben auf uns zukommende Herausforderungen nie abgetan, sondern sehr ernst genommen. Außerdem habe ich immer Risikobereitschaft gezeigt. Das Risiko durfte aber nie so groß sein, dass die Existenz der Firma gefährdet ist. Das war für mich eine absolute Maßgabe. Das mit dem Bankkonto hat mich übrigens gar nicht so gestört, es war eben damals so.

Dass ich gemeinsam mit meinem Mann jahrzehntelang eine Firma geführt habe und wir immer noch eine sehr gute Ehe führen, halte ich für meine größte Leistung. 

Heidegunde Senger-Weiss

BLOGISTIC.NET: Was halten Sie für Ihre größte Leistung?
Senger-Weiss: Dass ich gemeinsam mit meinem Mann jahrzehntelang eine Firma geführt habe und wir immer noch eine sehr gute Ehe führen, halte ich für meine größte Leistung. Ich habe mir nie eingebildet, die beste Spediteurin zu sein. Meine Begabung ist es, Menschen zu motivieren und für ein Thema zu gewinnen, so dass sie mit Begeisterung arbeiten und sich für eine Sache einsetzen.

BLOGISTIC.NET: Sie gehören zur Generation der 68er. Sehen Sie sich als Logistikrebellin?
Senger-Weiss: Im Gegenteil. Ich bin ein sehr traditionsbewusster Mensch und durch und durch konservativ. Ich bin im Stier geboren und alemannischen Geblüts. Diese beiden Faktoren sind allein schon ausreichend, dass man eher geerdet ist.

H. Senger-Weiss: „Ich war schon immer an Wirtschaft interessiert und hatte keine Ambition Ärztin, Künstlerin oder etwas ganz anderes zu werden. “ (Foto: Archiv RS Media World)

BLOGISTIC.NET: War Speditionsunternehmerin Ihr Traumberuf oder eine Pflichtübung?
Senger-Weiss: Ich war schon immer an Wirtschaft interessiert und hatte keine Ambition Ärztin, Künstlerin oder etwas ganz anderes zu werden. Hätte ich einen Bruder gehabt, wäre es anders gekommen, aber ich war die einzige Tochter und mein Vater hatte keine andere Wahl, als auf mich zu setzen. Mein Vater hat sich riesig gefreut, dass ich die Nachfolge antrete, trotzdem hat er sich überhaupt nicht vorstellen können, was ein weibliches Wesen in dieser Branche anfangen soll. Ich erinnere mich, als ich nach zwei Jahren Speditionspraktikum 1965 zu Gebrüder Weiss nach Wien kam, habe ich ihn gefragt, was meine Aufgabe ist? Er hat gesagt: „Die musst Du dir selber suchen.“

BLOGISTIC.NET: Die freie Wahl kann ein Vorteil sein. Welche Themen haben Sie sich gesucht?
Senger-Weiss: Als mein Vater gestorben war, kam die Verantwortung wie eine Welle auf uns zu. Ich kannte das Unternehmen ja noch zu wenig und der Druck, das Richtige zu tun, war riesig. Wir haben uns dem gestellt und getan, was notwendig war: der Generationenwechsel in der zweiten Führungsebene, eine neue Gesellschaftsstruktur, die Internationalisierung und Modernisierung der Spedition. In Logistik waren wir in Österreich Pioniere und haben die Grundlagen für vieles gelegt, was die heutige Generation umsetzt. Bei der Computereinführung waren wir unter den ersten, obwohl wir großen Widerstand aus der Belegschaft hatten. Die Führungsmannschaft war der Meinung, handgeschriebene Borderos wären viel schneller als der Computer.

BLOGISTIC.NET: Wie ernst hat man Sie 1968 als Frau an der Spitze einer großen Spedition genommen?
Senger-Weiss: Die Führungsmannschaft hat mich nicht für voll genommen. Wenn ich etwas über die Spedition gesagt habe, konnten alle anderen das natürlich besser. Dadurch, dass mich auch in der Branche niemand ernst genommen hat, hatte ich aber einen gewissen Windschatten und selbst harte Konkurrenten sind nicht mit der vollen Breitseite auf ein Unternehmen losgegangen, das gerade durch den Tod des Inhabers geschwächt war. Nach drei Jahren hatten wir unsere Hausaufgaben gemacht, wir waren gesettelt und die neue Generation Manager hat uns sehr ernst genommen.

BLOGISTIC.NET: Eine Frau an der Spitze einer Spedition: Vor- oder Nachteil?
Senger-Weiss: Es ist natürlich ein Nachteil, zu meiner Zeit sowieso. Aber es hat gewisse Vorteile. Alle, auch ich selbst, erwarten von einer Frau weniger. Deswegen musste ich nicht ständig beweisen, was ich alles Tolles getan habe.

H. Senger-Weiss: „Ich bin eine absolute Gegnerin der Quote. Die Dinge müssen organisch wachsen. Es ist ja nicht so, dass geeignete Frauen Schlange stehen würden, um Führungspositionen zu übernehmen.“ (Foto: Archiv RS Media World)

BLOGISTIC.NET: Braucht die Logistik eine Frauenquote?
Senger-Weiss: Ich bin eine absolute Gegnerin der Quote. Die Dinge müssen organisch wachsen. Es ist ja nicht so, dass geeignete Frauen Schlange stehen würden, um Führungspositionen zu übernehmen. Ich habe einmal versucht, Unternehmerinnen für die Verbandsarbeit zu gewinnen. Die Resonanz war bescheiden. Die Ursache dafür ist, dass Frauen nicht nur etwas wegen eines Titels machen, sondern weil sie etwas bewegen wollen. Neben Firma und Familie ist aber ein dritter Job einfach nicht mehr drin. Das ist der wahre Grund, warum so wenig wirklich kompetente Frauen bereit sind, Aufsichtsratsfunktionen zu übernehmen.

BLOGISTIC.NET: Familie und Beruf – wo und wie haben Sie Ihre Prioritäten gesetzt?
Senger-Weiss: Ich bin multitasking Unternehmerin und full-time Geschäftsfrau und hatte immer zwei Berufe: das eine war, die Firma zu führen. Zuhause war ich ausschließlich Hausfrau und Mutter. Die Firma war mein viertes Kind, und ich habe alle meine Kinder relativ früh zur Selbstständigkeit erzogen. Das Ergebnis ist jedenfalls sehr erfreulich. Jetzt sagen Sie wahrscheinlich wieder „typisch Frau“, aber ohne meinen Mann hätte ich das niemals geschafft.

BLOGISTIC.NET: Welches Image möchten Sie nicht haben?
Senger-Weiss: Das einer Emanze. Ich habe immer auch versucht Frau zu sein und mit Charme, Überredungskünsten und Freundlichkeit meine Ziele zu erreichen.

BLOGISTIC.NET: Sie gelten als die Initiatorin der österreichischen DPD…
Senger-Weiss: … da haben auch viele andere ihre Meriten.

BLOGISTIC.NET: Wie kam es dazu?
Senger-Weiss: Wir haben anfangs Kleinpakte mit großen Verlusten befördert. Dann kam diese großartige Innovation des DPD in Deutschland. Wir haben es genau analysiert und hatten schon das Konzept für einen österreichischen Paketdienst „Austria Paket System“ nach dem Vorbild des DPD in der Schublade. Der Start für APS war auf den 1. April 1988 angesetzt. Im Februar 1988 rief Max Schachinger an und hat gefragt: “Ist Gebrüder Weiss bereit, gemeinsam mit uns – Schachinger und Lagermax – und unterstützt durch den deutschen DPD, einen Paketdienst in Österreich aufzubauen?“ Mein Mann und ich waren gerade für eine Woche mit den Kindern in Urlaub und haben die Vor- und Nachteile eines solchen Kooperationsmodells abgewogen und uns dafür entschieden. Es war eine tolle Entscheidung und wir haben es nie bereut. Wir haben uns nicht nur die Kinderkrankheiten gespart, sondern auch einige Dinge besser gemacht als die Deutschen.

BLOGISTIC.NET: Das wäre?
Senger-Weiss: Es ist Ihnen vielleicht aufgefallen, dass es in Europa nur eine einzige private marktführende Paketfirma gibt und das ist der DPD in Österreich. Hier kooperieren drei Partner, die sonst Konkurrenten sind, und das heißt einiges. Es war eine massive Aufgabe, an der viele mitgewirkt haben. Dass wir aber den DPD nicht verkauft, sondern privat weitergeführt haben, ist primär meiner Sturheit zu verdanken. Ich bin der Überzeugung gewesen und bin es noch, dass die komplementäre Dienstleistung vom kleinen Paket bis zur Komplettladung ein Erfolgsfaktor ist. Dabei habe ich immer anerkannt, dass derjenige, der das Paket zustellt, ein wesentlicher Faktor ist. Wenn man nicht wenigstens so viel zahlt, dass bei guter Organisation eine kleine Marge verdient werden kann, dann wird der Zusteller seine Leistung auf Dauer nicht gut erbringen. Darauf haben wir beim DPD von Beginn an im Tarifgeschehen geachtet.

Es ist Ihnen vielleicht aufgefallen, dass es in Europa nur eine einzige private marktführende Paketfirma gibt und das ist der DPD in Österreich.

Heidegunde Senger-Weiss

BLOGISTIC.NET: Was halten Sie für den wichtigsten Erfolgsfaktor in der Spedition?
Senger-Weiss: Personalpolitik war und ist das allerwichtigste in der Logistik. Nur mit motivierten, unternehmerisch denkenden Mitarbeitern, und zwar auf allen Ebenen, kann man Geld verdienen.

BLOGISTIC.NET: Was kann die heutige Generation Logistikmanager von Ihnen lernen?
Senger-Weiss: Die soziale Verantwortung, den Erfüllungsgehilfen auch leben zu lassen. Die Stückgutspedition leidet heute mehr denn je daran, dass der Ausgangsspediteur zu Lasten des Eingangsspediteurs verdienen will, indem er ihn dazu zwingt, zu Verlusten zuzustellen. Das schadet dem Ansehen der gesamten Branche. Es kann sich arithmetisch nicht ausgehen, dass jeder mehr Ausgang als Eingang hat. Einer verliert immer, weil er zufällig in München sitzt oder in einem anderen Agglomerationszentrum und deshalb mehr Eingang als Ausgang hat. Wir hatten in Österreich nie fixe Tarife, konnten daher insgesamt weniger verdienen, aber haben diesen Ausgleich schon immer geübt. Aber es ist immer der Mensch, der die Qualität bietet. Die Logistik sollte nicht den Fehler begehen, die Gabe der Improvisation und Flexibilität zu verlernen. In dieser Disziplin waren die Spediteure immer besonders gut.

H. Senger-Weiss (li): „Es geht unendlich viel mit dem Computer und Standards sind nötig, weil man nur dadurch die Kosten beherrschen kann. Aber es ist immer der Mensch, der die Qualität bietet.“ (Foto: Archiv RS Media World)

BLOGISTIC.NET: Welchen Rat gibt eine Hall of Famerin der Branche?
Senger-Weiss: Die Fakten zu erkennen und schrittweise ein Minimum an Vernunft einkehren zu lassen. Solange es jedoch Firmen gibt, die halbstaatlich subventioniert und mit wenig sozialer Verantwortung allein in der Gesamtrechnung denken und nicht in Produkten, ist das zugegebenermaßen schwierig. Ein Punkt liegt mir noch am Herzen: Es geht unendlich viel mit dem Computer und Standards sind nötig, weil man nur dadurch die Kosten beherrschen kann.

BLOGISTIC.NET: Worauf würden Sie den Fokus legen, wenn Sie heute noch einmal am Start wären?
Senger-Weiss: Ich bin überhaupt nicht technikgläubig, aber ich wäre sicher viel stärker computerisiert und würde diese Aufgabe für das Unternehmen annehmen. Ich sehe zum Beispiel mit dem Internet eine Zeitbombe in Sachen Datensicherheit auf uns zukommen. Das gilt es zu lösen. Die Informationstechnologie hat sich in einer Hektik entwickelt, die ich nicht mehr beherrschen konnte. Auch deshalb haben wir früh das Steuer an die nächste Generation weitergeben, denn jede Generation muss in ihrer Zeit ihre Aufgaben lösen.

Milestones: Heidegunde Senger-Weiss
20. Mai 1941 Geburt in Wien
1963-1965 Abschluss als Diplom-Kauffrau an der Wirtschaftsuniversität Wien, Speditionspraktika in der Schweiz, den Niederlanden und den USA
1965 Einstieg bei Gebrüder Weiss
1968 Tod des Vaters Ferdinand Weiss, Übernahme der Geschäftsleitung gemeinsam mit ihrem Ehemann, Paul Senger-Weiss
1971 Geburt des Sohnes Wolfram
1972 Geburt der Tochter Elisabeth, Gebrüder Weiss wird GmbH, Beginn der Internationalisierung
1974 Geburt Sohn Heinz; Einführung von EDV in die Buchhaltung
1988 Gründung des Paketdienstes APS Austria Paket System gemeinsam mit zwei österreichischen Partnern. Im grenzüberschreitenden Paketdienst wird in Kooperation mit DPD (Direct Parcel Distribution) gearbeitet
1989 Fall des „eisernen Vorhangs“, Expansion in die benachbarten Mittel- und Osteuropäischen Länder (MOEL) und nach China
1995 Beitritt Österreichs zur EU, Wegfall der Zollschranken und damit des Zollgeschäfts, Neustrukturierung des Unternehmens
1999 Präsidentin des ZV Speditionen und Logistik
2001 Gebrüder Weiss startet den Express-Speditionsdienst „ORANGE on time” in Österreich.
2002 Einführung Euro;  Gebrüder Weiss wird AG
2005 Trägerin des Silbernen Ehrenzeichens des Landes Vorarlberg, Wechsel von der operativen Führung des Unternehmens in den Aufsichtsrat, Söhne Wolfram und Heinz im Vorstand
2015 Aufnahme in die Logistics Hall of Fame

gw-world.com | logisticshalloffame.net

Die Logistics Hall of Fame ehrt internationale Persönlichkeiten, die sich um die Weiterentwicklung von Logistik und Supply Chain Management außergewöhnlich verdient gemacht haben. Ihre Leistungen für die Logistik sollen mit dieser „ewigen Ruhmeshalle“ auch künftigen Generationen von Logistikern in Erinnerung gerufen werden. Die Logistics Hall of Fame wurde 2003 gegründet. Der RS Verlag ist seit 2009 Förderer der Initiative. Der Geschäftsführer und Herausgeber von BUSINESS+LOGISTIC und blogistic.net, Hans-Joachim Schlobach,ist seither auch Jury-Mitglied.

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