Florian Pommer, Leiter Betriebsorganisation & Prozesssteuerung bei Hargassner, Harald Kraft, Vertriebsleiter Toyota Material Handling Österreich und Josef Dax, Verantwortlicher Automatisierung Toyota Material Handling Österreich im Gespräch mit CR Hajo Schlobach über Standardisierung, Automatisierungslösungen und den sinnvollen Einsatz von Fachkräften.
BLOGISTIC.NET: Wie sieht die Situation auf dem Markt der Biomasse-Heizkraftwerke in Österreich und Europa aus?
Pommer: Der Markt in Österreich ist stark umkämpft und nach wie vor ein sehr wichtiger Markt für uns. Jedoch exportieren wir mittlerweile 75 Prozent unserer Biomasseheizanlagen. Unsere Hauptexportmärkte sind dabei Deutschland, die Schweiz, Frankreich und Italien. Wir haben allerdings auch schon nach Neuseeland, Kanada und Japan geliefert. Unsere Produkte decken den Leistungsbereich von 4 -330kW ab und können als Kaskadenanlagen sogar bis 2MW erweitert werden.
In Europa zählen wir zu einem der qualitativsten Biomasse-Heizungsanbieter.
BLOGISTIC.NET: Wie nehmen Sie die Marktveränderungen wahr? Früher wurde viel mit Öl und Gas geheizt. Wie hat sich die Situation für Hargassner in den letzten Jahrzehnten verändert?
Pommer: Früher wurde viel mit Brennstoffen wie Öl, Kohle oder Gas geheizt. Heute gelten Heizungen die mit Hackschnitzel und Pellets betrieben werden als umweltfreundliche und nachhaltige Alternative dazu. Das merken wir natürlich. Die Nachfrage wird allerdings durch staatliche Förderungen sehr beeinflusst. Wenn Staaten die Nachfrage von Biomasse-Heizungen durch Förderungen anheizen, dann merken wir das sofort. Und wenn Hersteller von Öl-Kraftwerksanlagen den Austausch alter Kessel durch neue mithilfe von Zuschüssen anfachen, reagieren die Käufer auch sofort darauf.
Hargassner vertraut auf Autopilots von Toyota
Hargassner ist ein Familienunternehmen, dass seit 1984 Biomasseanlagen im Bereich Stückholz, Hackgut und Pellets produziert.BLOGISTIC.NET: Die jetzige Bundesregierung hat in ihrem Umweltplan die mittelfristige Ablöse von Öl-Heizkesseln durch Biomasse-Heizkessel und andere alternative Heizmethoden beschlossen. Womit rechnen Sie?
Pommer: Das wird den Markt sehr wahrscheinlich auch in unsere Richtung wirklich stark beleben.
BLOGISTIC.NET: Sie bewegen sich also in einem expandierenden Markt?
Pommer: Ja! Darum investieren wir auch in diese expansive Entwicklung.
BLOGISTIC.NET: Welche Produkte werden in Weng eigentlich entwickelt und produziert?Pommer: Wir beschäftigen uns hier am Standort mit der Entwicklung und Produktion von Hackgut- und Pellet- und Stuckgut-Heizungen. Damit hat Firmenchef Anton Hargassner ein Versprechen für seine Frau eingelöst, die eine Heizung haben wollte, bei der sie nie wieder nachlegen muss. Wir produzieren dabei die meisten Teile für unsere Anlagen selbst hier am Standort in Weng. Unsere Heizungsanlagen sind also wirklich „Made in Austria“.
BLOGISTIC.NET: Wenn ich Sie richtig verstehe, haben Sie in Weng eine enorme Fertigungstiefe…
Pommer: Die liegt bei rund 80 Prozent.
BLOGISTIC.NET: Wenn am Standort ein Produkt entwickelt wird, werden dabei auch gleich die Produktionsprozesse schon bei der Entwicklung berücksichtigt?
Pommer: Unsere Produktion ist stark automatisiert. Daher müssen wir das natürlich schon bei der Entwicklung berücksichtigen, denn wir haben in unserem Lager Teile gelagert, die faktisch nie mit dem Mitarbeiter in Kontakt kommen, sondern vollautomatisch durch die Logistik geschleust werden.
Unsere Produktion ist stark automatisiert. Daher müssen wir das natürlich schon bei der Entwicklung berücksichtigen. (Florian Pommer, Leiter Betriebsorganisation & Prozesssteuerung bei Hargassner)
BLOGISTIC.NET: Hargassner ist für Toyota quasi ein Neukunde. Sie mussten sich bei der Analyse in den Produktionsprozess einklinken, um auch die entsprechende Logistikstrategie und Logistiklösung erarbeiten zu können. Wie ist das weitergelaufen?
Dax: Es hat von Anfang an ein konkretes Anforderungsprofil für uns gegeben. Wir haben auf dieser Basis gemeinsam mit Herrn Pommer eine Analyse durchgeführt, welche Arbeitsschritte standardisiert werden können und wie hoch der tatsächliche Transportbedarf in der Produktion ist. Erst dann konnten wir erkennen, welche Aufgaben im Unternehmen tatsächlich automatisiert werden können. Das war ein Prozess, der sich über mehrere Wochen erstreckte. Dabei wurde klar, dass es eine Automatisierungslösung mit fahrerlosem Transportsystem (FTS) werden wird und es einer Schnittstelle zum Hostsystem von Hargassner für das FTS bedarf.
BLOGISTIC.NET: Warum ist diese Schnittstelle so wichtig?
Dax: Ohne diese Schnittstelle ist eine größtmöglich automatisierte Auftragsabwicklung mittels FTS nicht machbar. Damit können wir erst sämtliche Prozessflüsse mit dem FTS abbilden. Deshalb wurde übrigens die IT-Lösung bei Hargassner erweitert. Jetzt haben die Mitarbeiter an ihren Montageplätzen Tablet-PCs, mit denen sie Aufträge an das FTS von ihrem Montage-Arbeitsplatz starten können, wenn sie etwa Nachschub an Material benötigen. Aber auch am Wareneingang werden Aufträge an das System vergeben, Ware abzuholen und dann vollautomatisiert zu seinem Lagerort zu bringen. Dabei entscheidet das System, wohin die Ware gebracht wird: Entweder ins Lager, einen anderen Lagerort oder direkt zur Montage, etc.
BLOGISTIC.NET: Mit anderen Worten: Die Lösung hat sich während der Analyse-, Entwicklungs- und Aufbauphase ständig erweitert.
Dax: Richtig, denn man ist erst im Laufe der Gespräche darauf gekommen, welche weiteren Anforderungen an das System gestellt werden und welche Automatisierungslösungen wir liefern können. Hierzu haben wir nicht nur mit Herrn Pommer gesprochen, sondern es war auch der Lieferant des Hostsystems mit im Boot, denn die Lösung musste auch IT-technisch abgebildet werden. Schlussendlich ist dann eine Lösung entwickelt worden, in dem wir den gesamten Transportfluss mit unserer Lösung steuern können, vom Wareneingang, über die Lagerorte, der Montagestrecken, der Verpackung bis hin zum Warenausgang.
BLOGISTIC.NET: Konnte Toyota sein System ohne Umbauten am Standort in Weng implementieren?
Dax: Hargassner wollte den gesamten Produktionsfluss automatisieren und hat daher erst im Zuge des Projektes eine Verpackungsanlage installiert, mit der die Fertiganlagen automatisch mit Folien umwickelt werden. Auch sonst wurden hier einige Umbauten vorgenommen, um einen möglichst effizienten Workflow in der Produktion zu gewährleisten.
BLOGISTIC.NET: Warum investieren Sie so viel in die Automatisierung Ihrer Intralogistik?
Pommer: Wir haben schon unsere Blechbearbeitung und Fließfertigung hochgradig automatisiert und haben eine hohe Affinität zu Automatisierungslösungen. Wir standen aber vor der Herausforderung der Erweiterung unserer Kapazitäten am Standort. Daher fiel die Entscheidung in die Investition von weiteren Hochregalen und der Erweiterung im Versandbereich usw. Im Zuge dessen wurde klar, dass wir das alte, bestehende Stapler-Leitsystem durch ein neues, modernes ersetzen müssen. Ziel war es, nicht nur produktiver sondern auch flexibler im Bereich des Personaleinsatzes zu werden. Durch die Standardisierung und Automatisierung interner Transporte konnte Personal freigesetzt werden, das wir zu -Fachkräften fortbilden und nun für wertschöpfendere Tätigkeiten im Betrieb einsetzen können.
BLOGISTIC.NET: Sie konnten so also auch ein Stück weit dem Fachkräftemangel entgegenwirken?
Pommer: Ja, denn gute Staplerfahrer sind schwer auf dem Markt zu finden, aber noch schwerer sind Monteure für unsere Anlagen zu rekrutieren. So konnten wir gute Fachkräfte aus dem Staplerbereich einer produktiveren und hochwertigeren Arbeit in der Fertigung zuführen.
Gute Staplerfahrer sind schwer auf dem Markt zu finden, aber noch schwerer sind Monteure für unsere Anlagen zu rekrutieren. (Florian Pommer, Leiter Betriebsorganisation & Prozesssteuerung bei Hargassner)
BLOGISTIC.NET: Wenn ich Sie richtig verstehe, war Ihr System für den innerbetrieblichen Transport zwar zentral gesteuert, die Produktionslinien wurden aber von Staplerfahrern mit ihren Geräten beliefert?
Pommer: Ja, das war so. Heute werden nur noch vier Prozent des gesamten Warenflusses von Staplern erledigt, der Rest läuft vollautomatisch mit dem fahrerlosen Transportsystem ab.
Dax: Das tolle am neuen System ist, dass es ein Höchstmaß an Flexibilität erlaubt, denn natürlich können auch Aufträge außer Plan, also nicht Host-gesteuert, in Gang gesetzt und durch einen automatisierten Stapler direkt ausgeführt werden.
BLOGISTIC.NET: Der gesamte innerbetriebliche Transport kommen also fast zur Gänze ohne Menschen aus?
Pommer: Ja!
BLOGISTIC.NET: Wo wird die halbfertige Ware eigentlich gelagert?
Pommer: Wir haben Lagerplätze direkt am Boden, es stehen über 3.000 Palettenstellplätze in Regalen zur Verfügung und ein Hochregallager mit weiteren 3.000 Palettenstellplätzen, das wie ein Puffer integriert ist. Die Besonderheit ist dabei, dass wir nicht nur auf Europaletten lagern, sondern eben auch auf Halbpaletten, in Gitterboxen unterschiedlichster Volumina und Maße, auf Einwegpaletten. Kessel werden mitunter auch direkt, ohne Paletten gelagert und manipuliert. Für diese Kessel haben wir sogar Änderungen am Produkt selbst vorgenommen, damit sie in die Regale passen und sie automatisiert befördert werden können.
Die Thematik dabei ist, dass bei der Veränderung am Produkt eine ganze Reihe von Folgeveränderungen vorgenommen werden müssen, bis hin zu den Einbauplänen etc. Die gesamte Dokumentation muss dann auch entsprechend angepasst werden.
BLOGISTIC.NET: Wie gehen Sie als Lieferant von Automatisierungslösungen mit Veränderungen bei Produkten technisch um?
Dax: Das ist eine sehr gute Frage. Die Automatisierungslösungen und das Automatisierungssystem müssen rasch auf solche Veränderungen reagieren können. So wurden heuer drei komplett neue Produktlinien entwickelt und wir mussten dann innerhalb von kürzester Zeit die Anpassungen vornehmen. Dabei ging es nicht nur allein um die Neugestaltung der Montagelinien, sondern auch um das Layout des Warenflusses innerhalb der Produktion. Gleichzeitig mussten aber auch die etablierten Layouts bestehen bleiben. Das haben wir rasch und zufriedenstellend hinbekommen.
Pommer: Diese Flexibilität war übrigens eine Anforderung an Toyota.
Die Automatisierungslösungen und das Automatisierungssystem müssen rasch auf solche Veränderungen reagieren können.
BLOGISTIC.NET: Kann Hargassner das System selbst anpassen?
Kraft: Vor vier Jahren haben wir uns überlegt, wie wir genau diese Frage beantworten sollten. Fakt ist: Automatisierung ist in aller Munde. Daher haben wir beschlossen, das Knowhow dafür komplett in Österreich aufzubauen. Das ist nötig, weil die Digitalisierung und Industrie 4.0 zu einem sehr starken Wandel in der Wirtschaft führt. Wir haben jetzt hier in Österreich ein Kompetenzzentrum für Automatisierungslösungen. Darum können auch wir sehr rasch auf Veränderungen bei unseren Kunden reagieren.
BLOGISTIC.NET: Was heißt das konkret?
Kraft: Das heißt, dass wir hier am Standort eigene Projektleiter und Softwarespezialisten haben. Und die können dann, gemeinsam mit den Kunden, die Anpassungen vornehmen. Somit sind unsere Automatisierungslösungen eben nicht starr und unflexibel, sondern leicht und flexibel wandelbar. Um aber auf Ihre vorherige Frage zurück zu kommen: Natürlich kann ein Kunde auch selbst die Veränderungen vornehmen. Allerdings sind so große FTS-Lösungen wie bei Hargassner sehr komplex und die Veränderungen der Layouts bergen das Risiko für Fehlprogrammierungen. Einem Kunden dieser Größenordnung empfehlen wir also, die Veränderungen mit uns vorzunehmen. Das erspart viel Ärger und Verdruss.
BLOGISTIC.NET: Kommen Layout-Veränderungen oft vor?
Pommer: Ja, relativ oft. Wenn man während der Produktion und der laufenden Optimierungsmaßnahmen z.B. merkt, dass ein Kessel auf der Montagelinie etwas weiter vorne besser und effizienter montiert werden kann, hat das Konsequenzen für den gesamten Workflow.
Dax: Die Automatisierungslösung darf kein Hindernis für Veränderungen und Optimierungen sein.
BLOGISTIC.NET: Betrifft diese beschriebene Flexibilität auch den Fuhrpark selbst? Es kann ja einmal sein, dass die Marktanforderungen Veränderungen des Fuhrparks notwendig machen. Wie ist Ihr Agreement?
Kraft: Natürlich betrifft das auch die Hardware selbst. Wir automatisieren mittlerweile sämtliche Maschinen, vom elektrisch angetriebenen Niederhubwagen bis hin zum Schubmaststapler und passen die Flotte an die Bedürfnisse der Kunden an. Die Ansprüche der Endverbraucher sind sehr hoch und ständig im Wandel, die Produktlebenszyklen werden immer kürzer, es ändern sich ganze Geschäftsmodelle. Und für diese Veränderungen müssen technische Lösungen liefern können. Wer das nicht kann, wird es im Markt sehr schwer haben.
Wir automatisieren mittlerweile sämtliche Maschinen, vom elektrisch angetriebenen Niederhubwagen bis hin zum Schubmaststapler und passen die Flotte an die Bedürfnisse der Kunden an.
BLOGISTIC.NET: Wenn Sie eine hohe Verfügbarkeit benötigen, in wieviel Schichten arbeiten Sie?Pommer: In einer normalen Schicht und in einer sogenannten „Geisterschicht“. In dieser Zeit ist niemand im Betrieb und das System arbeitet die Aufträge, die es ohne Personal abarbeiten kann, ab. Das ist beispielsweise die Vorbereitung der Montage für den nächsten Tag. Da werden die halbfertigen Produkte an die Montagelinie gebracht, sodass der Mitarbeiter am nächsten Morgen sofort mit der Montage beginnen kann.
BLOGISTIC.NET: Vielen Dank für das interessante Gespräch!