GOTTFRIED SCHENKER – Held der Logistik mit Rail Cargo

G. Schenker vor dem Wien der Jahrhundertwende in 20. Jahrhundert. (Foto: Archiv RS Media World/DB Schenker)

Gottfried Schenker, der Vater der Bahnsammelverkehre, Erfinder der Frachttarife und Gründer des Logistikdienstleisters Schenker, zog 2010 zurecht in die Logistics Hall of Fame ein. Der Pionier arbeitete sich – nicht einmal 30-Jährig – von ganz unten zu einem der bedeutendsten Logistiker seiner Zeit empor: mit einem Garagen-Startup in der K.u.K.- Metropole Wien. Im Jahr 2022 feiert der Logistikkonzern sein 150-Jahr-Jubiläum (Ein Portrait von Anita Würmser)

(aktualisiert am 10. Januar 2022)

 Wildpretmarkt 8 im 1. Bezirk von Wien: In der ersten Bürogemeinschaft der „Schenker & Co.“ hatte eine der bedeutendsten Ideen in der Logistik ihren Ursprung. Heute ist in jeder Stadt, die etwas auf sich hält, eine Straße nach dem Mann benannt, der diese Idee in die Tat umgesetzt hat. Gottfried Schenker, Gründer der gleichnamigen Spedition, hatte als erster die Idee, Einzelsendungen zu Transporteinheiten zu bündeln und mithilfe mehrerer Verkehrsträger über weite Strecken zu befördern. Daraus entwickelte sich ein preiswertes und schnelles Transportsystem, das die Stärken von Schiene, Straße und Wasserwegen nutzte. Der legendäre erste Sammelwaggon wurde 1873 auf der Linie Paris – Wien abgefertigt, die Geburtsstunde des internationalen Bahnsammelverkehrs und der Grundstein für eines der erfolgreichsten Logistikdienstleistungsunternehmen der Welt. Seither gilt Schenker als Vater des Kombinierten Verkehrs. Dafür, da war sich die Jury einig, gebührt ihm postum ein Platz in der „Logistik Hall of Fame“.

Journalist, Jurist und Logistikunternehmer

Mit Logistik verbindet den jungen Schenker, der als  achtes von zwölf Kindern in dem kleinen Schweizer Dorf Däniken im Kanton Solothurn aufwächst, allenfalls eine der ersten Schweizer Bahnlinien, die in der Nähe seines Hauses gebaut wurde. Die fasziniert ihn zwar schon als Kind, aber zunächst will er Jurist werden. Er besucht die Kantonsschule in Aarau und beginnt nach der Matura 1861 ein Jurastudium in Heidelberg, nebenbei arbeitet er als Journalist. 1865 bricht er wegen Konkurs der väterlichen Schlosserei und dem Tod des Vaters ab. „Fort mit der Juristerei, mit Politisieren und Zeitungschreiben, fort auf Dein eigenes Pferd“, schreibt er damals und fängt als Beamter bei der Schweizer Centralbahn in Basel an.

Portrait Gottfied Schenker (Foto: Arfchiv RS Media World / DB Schenker)

Nichts für Amtsstuben. Schenker entpuppt sich als Tarif- und Verhandlungsgenie und macht gleich Eindruck bei seinen Chefs. Doch seine Ideen sind der Zeit voraus und in den Amtsstuben hält ihn nichts. Zu Beginn des Eisenbahnbooms sieht er große Chancen im Ost-West-Verkehr und er kommt 1867 für seinen damaligen Arbeitgeber, die Spedition Braff & Eckert, nach Wien. Die Stadt ist zu dieser Zeit eine internationale Handelsdrehscheibe, in der zehn Sprachen gesprochen werden. Das boomende Eisenbahnzeitalter, die beginnende Globalisierung und der damit rasant ansteigenden Warenaustausch bieten gerade das rechte Umfeld für Schenkers Ideen.

Bis an die physischen Grenzen. Seine Anstellungen bei Braff und später Elkan & Co. bringen ihn in den ersten Jahren an fast jeden wichtigen Handelsplatz in Europa, aber auch an die Grenzen seiner körperlichen Belastbarkeit. Silvester 1867 verbringt er völlig erschöpft im Krankenhaus. Die kräftezehrenden Reisen nach Paris, London, Budapest, Hannover, Prag, Harburg, Berlin oder Hamburg sollten sich erst später auszahlen.

Visionen im Kopf

Schenker will mehr! Und er ist die zermürbenden Diskussionen mit seinen Arbeitgebern leid. „Ich will Selbstständiges schaffen“, schreibt er 1868 an seinen Speditionsfreund Charles Fischer nach Genf. Von einer seiner Reisen zurückgekehrt, setzte er das Vorhaben 1869 in die Tat um. Er kündigt, lässt sich endgültig in Wien nieder, heiratet und beginnt in Wien 4, Favoritenstraße 9, Transportgeschäfte zu Sondertarifen auf eigenen Namen abzuwickeln. Seine Frau Barbara „Betty“ erledigte die Büroarbeit. Und er scheitert mit seinem Unternehmen an den Wirren des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71.

Ein Sieg der Innovation. Dieser Rückschlag frustrierte den Selfmade-Man nicht lange sondern spornte ihn vielmehr zu noch größeren Anstrengungen an. Zwei Jahre später wendete sich das Blatt, als er zusammen mit Moritz Karpeles (37) aus Tab/Ungarn und Moritz Hirsch (33) aus Prossnitz/Mähren die Firma „Schenker & Co.“ als offene Handelsgesellschaft gründet. Die beiden wohlhabenden Kaufleute Karpeles und Hirsch erkennen sofort das Potenzial seiner Ideen.

Der Schenker Adria-Palast in Triest. während der Kaiserzeit. (Foto: Archiv RS Media World / DB Schenker)

Vor allem das Vorhaben, das Speditionsgeschäft international auszuweiten und in das Seeverkehrsgeschäft einzusteigen, begeistert sie. Das Gründungskapital der Firma beträgt 50.000 Gulden und obwohl auf Schenker selbst nur 10.000 Gulden entfallen, bekommt er 50 Prozent des Gewinns. Der erste Standort ist die Bürogemeinschaft im ersten Wiener Gemeindebzirk, Wildpretmarkt 8.

„Von Haus zu Haus in einer Hand“

Ein Schenker-Lkw zur Kaiserzeit (Foto: Archiv RS Media World / DB Schenker)

Doch zunächst versetzt der reisegewohnte Netzwerker und Vertriebsprofi die beiden eher bescheidenen und sparsamen Partner mit seinen ausgedehnten Reisen in Angst und Schrecken. Sein Vorhaben, Bahnsammelverkehre auf der Linie Paris – Wien zu etablieren, erfordert mehrwöchige Reisen in die Vergnügungsmetropole Paris. Und Schenker logiert schon auch mal drei Wochen lang im Grand Hotel.

Man erzählt sich, dass Karpeles und Hirsch bereits um ihr Investment bangend Konsequenzen ziehen wollten. Schenker, dem das nicht verborgen geblieben ist, reagiert prompt und schlägt vor, die Paris-Reise aus eigener Tasche zu begleichen.

Der erste Sammelwaggon. Es gelingt ihm, die Agentur der französischen Ostbahn zu übernehmen. Als der erste Sammelwaggon 1873 auf der Linie Paris – Wien abgefertigt und zum vollen Erfolg wird, ist unter den drei Freunden alles vergessen. Geladen sind unter anderem Champagner, Cognac, Bordeaux-Weine, Modewaren und andere Luxusartikel für die Wiener Gesellschaft in der K.u.K.-Monarchie. Während die Hauptläufe vorwiegend auf der Schiene stattfinden, werden die entsprechenden Hausabholungen und -zustellungen noch mit Pferdefuhrwerken durchgeführt. „Von Haus zu Haus in einer Hand“ wird zum Erfolg, entsprechend schnell wächst das Niederlassungsnetz. Die erste wird 1874 in Budapest gegründet, es folgen Triest, Prag, Belgrad, Sofia, Saloniki und Konstantinopel. Noch zu Lebzeiten Gottfried Schenkers sind es 32 Niederlassungen in 13 europäischen Ländern und 1.000 Mitarbeiter. Heute ist Schenker eine Tochter der Deutsche Bahn und bietet mit 91.000 Mitarbeitern an rund 2.000 Standorten weltweite Transport- und Logistikdienstleistungen und erwirtschaftete 2009 rund 19 Milliarden Euro.

Der Weg zum integrierten Dienstleister

Gottfried Schenkers großer Vorteil ist der fixe und vor allem günstige Frachttarif für Stückgut. Er bringt damit nicht nur Licht in den Tarif-Dschungel des Speditionsgewerbes, sein Wettbewerbsvorsprung liegt im Einkaufsvorteil. Schenker ist geschickt im Verhandeln und hat durch seine zahlreichen Auslandsreisen ein dichtes Netzwerk an Freunden und Geschäftspartnern, die seine revolutionären Ideen unterstützen. Er führt den Bahnen Masse zu, garantiert Mindestmengen und erhält im Gegenzug Sonderkonditionen. Zwischen 1880 und 1894 schließt er Agenturverträge mit 11 nationalen Bahnverwaltungen. Im Vertrag mit der Hessischen Ludwigs-Eisenbahn garantiert er zum Beispiel eine Mindestmenge von 1.000 Waggons pro Jahr. Besonders wichtig ist der Vertrag mit den königlich-bayerischen Verkehrsanstalten in München, der zum starken Ausbau des Transitverkehrs via Bayern und zu den Donauhäfen führt. Nach dem Ankauf von 60 eigenen Eisenbahnwaggons ist Schenker 1891 das einzige Unternehmen, das von London bis Konstantinopel durchgehend kalkulierte Tarife anbieten kann.

Ein Ticket für eine Schifffahrts-Passage von Schenker aus dem Jahr 1901 (Foto: Archiv RS Media World / DB Schenker)

Agenturen und Sondertarife. Das Prinzip der Agenturvertretungen und Sondertarife erweist sich auch im Seeverkehr als Schlüssel zum Erfolg. Wie zuvor schon im Eisenbahngeschäft, schließt er Agenturverträgen mit den Reedereien. Die können mit seinem Tempo allerdings nicht Schritt halten und so gründet Schenker 1879 zusammen mit Burell & Son in Glasgow kurzerhand seine eigene Schifffahrtslinie, die „The Adria Steamship Company“ für den Linienverkehr von Triest und Fiume nach London, Liverpool, Hull und Glasgow – bald die größte ungarische Reederei im internationalen Seehandel. 16 Jahre später gründet er mit August Schenker-Angerer und William Burell erneut eine Reederei, die Austro-Americana, die zum ersten Mal einen Liniendienst zwischen Adria und Nordamerika bedient. Auf der Donau ist er schon seit 1881 mit eigenen Schiffen unterwegs.

Gottfried Schenker – Mit dem richtige Riecher

Gottfried Schenker hat ein ausgeprägtes Gespür für Trends und ein Faible für Unternehmungen. 1873 gelingt es dem Newcomer, sich als Weltausstellungsspediteur auf dem neuen Wiener Pratergelände einen Namen zu machen und wird 1890 zum offiziellen Spediteur für die verschiedenen Weltausstellungen. Auch die damals aufkommende Telekommunikationsbranche hat es ihm angetan. 1894 übernimmt er vorausschauend die Generalvertretung der Compagnie Francaise du Telegraphe de Paris a New York für Österreich-Ungarn. Ein geschickter Schachzug, denn die Gesellschaft verfügt über ein eigenes Telegraphenkabel von Paris nach New York und Schenker-Kunden können mit einer Umschaltung kabeln, die anderen brauchen drei.

Global schon im 19. Jahrhundert

Die neue österreichische Schenker-Zentrale im „Viertel 2“, in Wien. (Foto: RS Media World / Roland Ferrigato)

Mit der beginnenden Globalisierung erlebt der geschäftliche und private Reiseverkehr einen Boom. Auch den lässt sich der umtriebige Unternehmer nicht entgehen. 1886 eröffnet er sein erstes Reisebüro in Wien. Gesellschaftsreisen nach Chicago gehören ebenso zum Programm wie Geschäftsreisen in die Handelsmetropolen und wer mit dem Orient-Express reist, bucht bei Schenker. Zur Weltausstellung in Paris mietet er für seine Reisebürokunden sogar ein ganzes Hotel in der Rue de l´Universite und nennt es Grand-Hotel Schenker.

Dorthin führt ihn im September 1900 seine letzte Reise, in die Stadt, in die er auch seine erste Geschäftsreise unternommen hatte. Sein Netzwerk, sein Ideenreichtum und sein Unternehmergeist haben ihn zu einem der erfolgreichsten Wirtschaftspioniere des 19. Jahrhunderts werden lassen, der die Logistik wie kaum ein anderer vorangebracht hat.

Am 26. November erliegt Gottfried Schenker nach fast einjährigem Leiden den Folgen eines Gehirnschlages. Emil Karpeles, Sohn des Mitgründers Moritz Karpeles notiert in sein Tagebuch als letzte Eintragung des 26.11.1901: „Dear old Schenker †“. Der Name wurde zu einem Begriff auf fünf Kontinenten.

150 Jahre Schenker

Doch nach seinem Tod lebt der Logistikpionier in seinem Unternehmen weiter, denn der Name wurde schon zu dessen Lebzeiten zu einer Marke auf fünf Kontinenten. Im Jahr 2022 feiert der Logistikkonzern sein 150-jähriges Jubiläum. Dabei war das „Leben“ des Unternehmens genauso bewegt wie das des Firmengründers Gottfried Schenker. Es begleitete zwei Weltkriege, den Untergang der K.u.K-Monarchie, die Weltwirtschaftskrise ebenso wie die finsteren Jahre des Nationalsozialismus und den Wiederaufbau nach dem zweiten Weltkrieg. Und Erdölschocks sowie Wirtschaftskrisen konnten dem Namen Schenker ebenso nichts anhaben wie die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Organisationen. Heute firmiert das Unternehmen im Deutsche Bahn-Konzern unter dem Namen DB Schenker.

Gottfried Schenker in Kürze

Milestones Gottfried Schenker
1842 Geburt am 14. Februar in Däniken bei Olten in der Schweiz
1861 Jurastudium an der Universität Heidelberg
1865 Beamter bei der Schweizerischen Centralbahn
1866 Wechsel zu F. Braff & Eckert, der Agentur der französischen Ostbahn
1867 Leiter der Braff & Eckert-Filiale Wien
1868 Leiter der Wien-Agentur der Hamburger Spedition Elkan & Co
1869 kurzzeitig selbstständig
1871 Fachmann für Tarifwesen bei der Spedition Rappaport & Kann
1872 Gründung der Spedition Schenker & Co. in Wien, zusammen mit Moritz Karpeles (1834 – 1903) und Moritz Hirsch (1839 – 1906), den Inhabern der Spedition Karpeles & Hirsch. Karpeles & Hirsch wurde später mit Schenker verschmolzen
1873 Einrichtung der ersten Bahnsammelverkehre auf der Linie Wien-Paris
1874-1880 Gründung der Niederlassungen Budapest, Triest, Prag, Belgrad, Sofia, Saloniki und Konstantinopel, dem heutigen Istanbul
1880 Beteiligung an der Adria Dampfschifffahrts-Gesellschaft
1895 Gründung der Austro-Americana Shipping Company
1901 Gottfried Schenker stirbt am 26. November in Wien und ist auf dem Heiligenstädter Friedhof in Wien beigesetzt. Nachfolger wird sein Adoptivsohn Dr. August Schenker-Angerer. Zu diesem Zeitpunkt hatte Schenker 32 Niederlassungen in 13 europäischen Ländern und 1.000 Mitarbeiter
Milestones Spedition DB Schenker bis 2009
1922 Erste Luftfrachttransporte in Deutschland
1931 Die Deutsche Reichsbahn übernimmt Schenker. Erste Container-Transporte in der Seefracht
1991 Die Stinnes AG übernimmt von der Deutschen Bundesbahn die Mehrheit an Schenker und strukturiert das Geschäft in Schenker International (Luft- und Seefracht) und Schenker Eurocargo (Europäischer Landverkehr)
1999 Übernahme BTL AB
2002 Mehrheitliche Übernahme der Stinnes AG durch die Deutsche Bahn AG. Schenker feiert das 130-ste Firmenjubiläum
2006 Neue Struktur DB Logistics. Akquisition BAX Global
2008 Verschmelzung der bisherigen Beteiligungen Europac GmbH, J.R. Weichelt GmbH, Mair Spedition & Logistik GmbH, F.W. Neukirch Speditions GmbH, Railog GmbH sowie Roll GmbH auf die Schenker Deutschland AG
2009Schenker beschäftigt 91.000 Mitarbeiter an 2.000 Standorten und erwirtschaftet rund 19 Milliarden Euro.

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