
Laut Eurostat ist der Straßengüterverkehr EU-weit mit einem Anteil von über 75 Prozent der mit Abstand wichtigste Verkehrsträger. Deutschland liegt mit 71,8 Prozent fast auf gleicher Höhe, aber der Fahrermangel hat sich hier zu einer Gefahr für die Versorgungssicherheit entwickelt. Hinzu kommen drohende Kostensteigerungen durch neue Klimaschutzvorgaben. Chancen bieten die neue Seidenstraße und der Mobilitätspakt.
Geht es nach dem Willen der Regierungschefs der EU-Länder, dann wird sich bis 2030 der Kohlendioxid-Ausstoß von Nutzfahrzeugen gegenüber 2019 um 30 Prozent senken. Das haben der österreichische Bundeskanzler Kurz und seine Regierungskollegen zumindest beschlossen. Bereits 2025 soll ein Zwischenziel von 15 Prozent erreicht werden. Werden die Ziele verfehlt, drohen Geldstrafen, die laut dem Automobilverband VDA die Fahrzeughersteller existenzbedrohend sind. Alexander Klacska, Spartenobmann für den Bereich Transport in der Wirtschaftskammer Österreich (WKO), kritisierte diese Ziele in seiner Auftaktrede zur Gala des Hermes Verkehrs.Logistik.Preises der WKO, Ende April in der Wiener Hofburg. Er verwies darauf, dass die Transportwirtschaft in den letzten Jahren, im Vergleich zu anderen Branchen, alleine in Österreich mehr als sechs Millionen Tonnen CO2 eingespart hat und weiter einsparen wird. Insgesamt seien die Vorgaben jedoch nur mit enormen Kosten zu erreichen

Ziele in diesem Zeitintervall nicht erreichbar. In denselben Tenor schlägt der VDA ein. „Die Ziele lassen sich allenfalls zur Hälfte erreichen“, ist aus dem VDA zu hören. Für Fuhrparkbetreiber werden die EU-Forderungen jedenfalls zu deutlich höheren Anschaffungskosten führen. In diesem Zusammenhang erinnert der Weltverband für den Straßentransport IRU daran, dass „bei den Straßenverkehrsemissionen der größte Anteil nicht auf den gewerblichen Straßenverkehr, sondern auf die Nutzung von Privatfahrzeugen entfällt”, so IRU-Präsident Christian Labrot.
Fahrermangel: Neue Talente gewinnen

Im Vergleich zum Fahrermangel sei die EU-Politik jedoch nur ein Nebenschauplatz, so die Interessensvertreter. „Zurzeit sind allein im Güterverkehr 21 Prozent aller Stellen unbesetzt”, bestätigt auch Stefan Rummel, Geschäftsführer der Messe München. Deshalb spiele der Fahrermangel auch im Konferenzprogramm der transport logistic eine wichtige Rolle. Allein fünf Diskussionsforen widmen sich dem drängenden Thema. Die IRU hat eine Kampagne mit dem Titel „Tackling Driver Shortage in Europe“ gestartet, um die Öffentlichkeit für die Bedeutung dieses Themas zu sensibilisieren und Lösungen anzubieten und um neue Talente für den Sektor zu gewinnen. „Die wohl am wenigsten genutzten Talentpools sind junge Menschen und Frauen. Die Herausforderung besteht darin, diese Art von Kandidaten anzuwerben und gleichzeitig erfahrene Fahrer im Beruf zu halten”, fasst C. Labrot zusammen.
Unzumutbare Zustände
Eigene Marktuntersuchungen des Bundesverbands Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung BGL haben ergeben, dass der Fahrermangel mit einem verbesserten Image des Berufs sowie einer höheren Wertschätzung sprich Bezahlung entschärft werden könnte. „Ebenso müssen Industrie- und vor allem Handelsunternehmen in ihrem ureigensten Interesse Verbesserungen bei der Organisation ihrer Be- und Entladerampen umsetzen”, betont BGL-Vorstandssprecher Prof. Dr. Dirk Engelhardt. Die Probleme beginnen „bei unkalkulierbar langen Wartezeiten, gehen über zeit- und kostenintensive Probleme beim Palettentausch sowie teils unzumutbare hygienische Zustände und enden keineswegs bei den unzureichend ausgeprägten menschlichen Umgangsformen”. Überdies müsse verstärkt gegen den ebenfalls seit Jahren bestehenden Parkplatzmangel vorgegangen werden – nicht zuletzt aus Sicherheitsgründen.
Fahrer mit veränderten Aufgaben
Die Diskussionen um das autonome Fahren hat das Anwerben von Nachwuchs zusätzlich erschwert. Die Befürchtungen, dass Fahrer zukünftig überflüssig werden, hält D. Engelhardt jedoch für unbegründet: „In den Flugzeug-Cockpits hat der Autopilot den Menschen auch nicht ersetzt. Das wird sich beim Lkw nicht anders verhalten.” Der Lkw-Fahrer fahre ja nicht nur, er ist Begleiter der ihm anvertrauten Güter, er ist verantwortlich für die Übergabe an den Empfänger sowie für Transport- und Ladungssicherung. „Und schließlich ist nur ein Mensch in der Lage, bei von der Technik nicht vorhergesehenen Ereignissen einzugreifen”, so D. Engelhardt weiter. Auch die IRU sieht in der zunehmenden Automatisierung keine Gefahr für den Fahrerberuf: „Allerdings wird es mehr Fahrerassistenzsysteme in Lkws geben, und somit werden sich die Aufgaben der Fahrer verändern. Der Beruf könnte sich damit mehr zu einer technologiegestützten Logistikmanagerrolle entwickeln und damit attraktiver für technisch versierte Millennials werden”, prognostiziert C. Labrot.
Bessere Work-Life-Balance

Für Rückenwind bei der Fahrersuche dürfte auch der EU-Mobilitätspakt sorgen, den der BGL ausdrücklich begrüßt. Besonders positiv wird die vorgesehene Heimkehrpflicht für Lkw-Fahrer zu ihren Familien sowie die Rückkehrpflicht für international eingesetzte Lkw in ihr Zulassungsland nach jeweils spätestens vier Wochen bewertet.
Einen weiteren Erfolg sieht der BGL in der Aufnahme des von ihm vorgeschlagenen Lenkzeitzuschlags um maximal zwei Stunden für Lkw-Fahrer, die sich auf dem Heimweg ins Wochenende befinden. Damit können viele Fahrer auch bei unvorhersehbaren Verzögerungen das Wochenende bei ihren Familien zu verbringen – es sei denn, sie sind fernab der Heimat auf der neuen Seidenstraße unterwegs.
Seidenstraße pusht Transportvolumen
In Zukunft wird die sogenannte „Belt and Road Initiative“ neue Handels- und Transportmöglichkeiten in ganz Eurasien bieten, von denen auch der Straßengüterverkehr profitieren könnte. Die neue Seidenstraße wird zu einem erheblichen Anstieg des Transportvolumens zwischen Europa und China beitragen. „Das wird aber keine Auswirkungen auf den weltweiten Modal Split haben. Der Seeverkehr wird weiterhin 80 Prozent der Waren transportieren”, sagt C. Labrot. Es entstehen jedoch neue Landverkehrsrouten in Eurasien, die den Veränderungen der regionalen Handels- und Verkehrsmuster Rechnung tragen. Hier könnte es laut C. Labrot „zu einer leichten regionalen Verlagerung von der Schiene auf den flexibleren und effizienteren Verkehrsträger Straße kommen”.