DIGITALISIERUNG & MÄRKTE – “Nichts ist mehr planbar“

Gerald Hofer MBA, CEO, und Heimo Robosch, Executive Vice President bei der Knapp AG, im Gespräch mit CR Hans-Joachim Schlobach über die Digitalisierung, die Unplanbarkeit der Märkte und die Flexibilisierung von Systemen.

Portrait Gerald Hofer MBA, CEO Knapp AG | Foto: Jan Gott / RS Verlag
Gerald Hofer MBA, CEO Knapp AG | Foto: Jan Gott / RS Verlag

B+L: Das Thema Digitalisierung und die daraus folgenden disruptiven Entwicklungen sind brandheiße Themen, die auch auf der CeMAT in Hannover bestimmend sein werden. Wie erleben denn Sie die Entwicklungen derzeit?

Hofer: Im Rahmen der Digitalisierung und Industrie 4.0 wird es immer wichtiger, sämtliche Akteure einer Wertschöpfungskette zusammen zu fassen und auch miteinander zu koordinieren. Für Knapp bedeutet das zum Beispiel die Verknüpfung sämtlicher Akteure, von der Produktentwicklung über die Lieferanten bis hin zu Kunden, und zwar auf sämtlichen Ebenen. Der Ausgangspunkt ist dabei das Konsumverhalten jedes einzelnen. Dieses fordert vom Lieferanten die Befriedigung individueller Bedürfnisse bis spätestens am nächsten Tag nach einer Bestellung. Gefordert ist somit die permanente Verfügbarkeit der Waren, möglichst „designed and produced to customer“.

Im Rahmen der Digitalisierung und Industrie 4.0 wird es immer wichtiger, sämtliche Akteure einer Wertschöpfungskette zusammen zu fassen und auch miteinander zu koordinieren.
Gerald Hofer MBA, CEO Knapp AG

B+L: Welche Folgen hat das für die Unternehmen etwa in der Fashion-Branche oder im Handel?

Hofer: Unsere Kunden sind beispielsweise mit einer dramatisch anschwellenden Produktbreite und –tiefe konfrontiert, die durch eine stetig wachsende Anzahl an halbfertigen Produkten erreicht werden muss. Gleichzeitig werden für sie die Produktionszyklen immer kürzer und das Bestellverhalten immer granularer. Eine Ermittlung von Bedarfen wird für die Unternehmen somit nahezu unmöglich. Zudem darf die Verteilung der erzeugten Waren immer weniger Zeit in Anspruch nehmen. Die Unternehmen bewegen sich daher immer mehr in Richtung Same Day Delivery. Das verlangt von ihnen einerseits eine immer höhere Flexibilität in der Lagerhaltung und Kommissionierung ab. Andererseits bedingt das Systeme, die über gesamte Lieferketten hinweg funktionieren müssen, verbunden mit einem exzessiven Datenaustausch zwischen den einzelnen Produktionsstufen, samt entsprechendem Datenmanagement.

Portrait Heimo Robosch, Executive Vice President Knapp AG | Foto: Jan Gott / RS Verlag
Heimo Robosch, Executive Vice President Knapp AG | Foto: Jan Gott / RS Verlag

B+L: Das hat aber auch für Sie als Hersteller von Logistiklösungen Konsequenzen, d.h. der Bedarf Ihrer Kunden an flexible Lösungen wächst, was die Flexibilisierung ihrer eigenen Prozesse und Lieferketten nach sich zieht. Ist das nicht so?

Robosch: Richtig! Man mutet uns heute ge­nerell zu, dass wir die Prozesse unserer Kunden über die gesamte Lieferkette hinwegverstehen. Das kommt uns sehr entgegen, weil wir ja schon immer auf einige Branchen spezialisiert sind, und wir diese von der Produktion bis zum POS, also bis zum Endkunden, begleiten. Unsere Prozesse, Kapazitäten und Produkte sind also für solche Szenarien prädestiniert. Wir haben etwa mit unserem „Low Complexity Warehouse“ schon sehr früh auf solch disruptive Entwicklungen reagiert, weil wir schon vor längerer Zeit den Trend gesehen haben, dass die Zukunft der Absatzmärkte und Kapazitäten immer weniger planbar ist. Heute ist die Zukunft faktisch nicht mehr planbar.

B+L: Was heißt das?

Robosch: Sie können bei Ihren Entscheidungen weder von fixen Auftragsstrukturen, noch von durchschnittlichen Inhalten eines Auftrages, noch von durchschnittlichen Lagermengen ausgehen. Die ABC-Analysen von früher sind heute obsolet geworden und Wachtumsprognosen sind Schall und Rauch. Keiner weiß mehr, was im nächsten Jahr passiert. Wir haben daher gesagt, dass wir keine ABC-Produkte mehr in unseren Lagern kennen.

Man mutet uns heute generell zu, dass wir die Prozesse unserer Kunden über die gesamte Lieferkette verstehen.
Heimo Robosch, Executive Vice President Knapp AG

B+L: Welche technischen Lösungen kann man sich da als Adäquat für solche Szenarien vorstellen?

Robosch: Wir haben es zum Beispiel mit unseren Shuttle-Systemen geschafft, dass Waren als gleichwertig gelagert werden können. Dementsprechend gleich schnell ist der Zugriff auf alle Produkte im Lager. Das macht Lager vollkommen unabhängig von Änderungen in Auftragsstrukturen. Einen Fortschritt in der Entwicklung sehen wir nun in unseren Open-Shuttle- bzw. 3D-Shuttle-Lösungen. Damit erreichen wir nun auch eine Flexibilisierung der Lager im Hinblick auf Auftragsspitzen, und zwar sowohl in Bezug auf saisonale Spitzen als auch im Tagesverlauf. Und das nicht nur in einem Teilbereich eines Distributionszentrums, sondern über dessen sämt­liche Bereiche.

B+L: Können Sie das konkretisieren?

Robosch: Es gibt in vielen Distributionszentren täglich Spitzen im Wareneingangsbereich, im Kommissionierbereich und – seit neuestem auch – im Bereich der Value added Services. Dort muss man heute ganz flexibel Arbeitsplätze aufmachen. Solche Open-Shuttles, die ja autonom agieren, können Sie je nach Bedarf von einem Einsatzort im Distributionszentrum zum anderen verlagern. Der Effekt ist nun, dass Sie nicht mehr technisch in jedem Bereich aufrüsten müssen damit sie auf Spitzen hin ausgerichtet sind, sondern mit wesentlich weniger auskommen, weil die Spitzen über solche Shuttles bewältigt werden.

B+L: Die Konzeption solcher Lösung stelle ich mir schwierig vor. Wie realisieren Sie solche Konzepte, wenn die Zukunft doch so gar nicht planbar ist?

Robosch: Über die Simulation und Visualisierung. Wir gehen mit unseren Kunden nicht nur ein, sondern viele Zukunftsszenarien durch. Wir fragen dabei ‚Was passiert, wenn…?‘ Dann müssen unsere Simulationssysteme in der Lage sein, nachzuweisen, was bei starken Änderungen des Geschäftsmodells oder starken Schwankungen im zeitlichen Verlauf passiert. Und wir als Knapp müssen zeigen, wie wir mit unseren Systemen darauf reagieren können. Daher haben wir ja zum Beispiel die Open Shuttles entwickelt. Aber auch unsere Software­systeme müssen sich, wenn es sein muss, im Minutentakt anpassen können. Es gibt aber noch andere Systeme in unserem Portfolio, die dafür geeignet sind, wie etwa unser Taschensorter oder unse­re KiSoft-Lösungen etc.

Hofer: Wir sprechen daher auch nicht mehr vom Bau eines Systems, sondern wir sprechen vom Lebenszyklus eines Systems.

B+L: Was meinen Sie damit?

Hofer: Heute geht ein System nach einem erarbeiteten Konzept mit bestimmten Aufgabenstellungen in Betrieb, die den Marktbedingungen zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme entsprechen. Anders als noch vor zehn Jahren, können sich diese Aufgabenstellungen schon nach sechs Monaten gravierend ändern.

Robosch: Wenn wir nun beispielsweise einen Zeitverlauf von zehn Jahren nehmen, dann sieht danach ein Distributionszentrum komplett anders aus als zum Zeitpunkt seiner Inbetriebnah­me. Und wir als Lieferant müssen diese Veränderungen permanent und aktiv begleiten.

B+L: Vielen Dank für das Gespräch.

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