
Die Massaker in Paris, schier endlose Flüchtlingszüge und militärische Auseinandersetzungen an den Grenzen der EU sind nur ein paar wenige der schmerzhaften Symptome für das Entstehen einer neuen Weltordnung und Revolutionen. Deren Treiber sind das Internet, die Digitalisierung und Social Media. Sie werden auch die Welt der Logistik verändern. Wie? Das weiß niemand so genau.
Ein Versuch von CR Hans-Joachim Schlobach, Veränderungen zu begreifen.
Als am Abend des 13. Novembers während des Länderspiels Frankreich gegen Deutschland im „Stade de France“ in Paris zwei Bombendetonationen zu hören waren, war kaum jemandem der Zuseherinnen und Zuseher im Stadion und an den Fernsehbildschirmen bewusst, dass es sich dabei um Terroranschläge handeln würde, die zudem mit mehreren Massakern in Verbindung stünden. Diese wurden von bis zum Größenwahn fanatisierten Faschisten nahöstlicher Prägung nahezu zeitgleich im Theater- und Konzerthaus „Bataclan“ und etlichen Cafés und Bars im 10. und 11. Arrondissement verübt. Erst nach und nach zeigte sich das gesamte Ausmaß des Terrors, welcher Paris in dieser Nacht heimsuchte: über 130 Tote und mehr als 330 Verletzte.
Politisch motiviert. Rasch wurde jedoch klar, dass sich der dschihad-faschistische Terror vor allem gegen Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit richtet. So, wie sich übrigens auch faschistoide Gruppen europäischer Prägung à la Front National, NPD, AfD, Partij voor de Vrijheid, FPÖ und PiS gegen diese Grundordnung wenden. Während die Dschihadisten bei der Umsetzung ihrer Ideologie jedoch noch auf die Terror- und Vernichtungsmethoden beispielsweise der Nationalsozialisten in ihren KZs zurückgreifen, versuchen die anderen auf dem Wege der parlamentarischen Demokratie, Europa antidemokratisch zu unterminieren, zu radikalisieren, zu nationalisieren und aus demokratischen Staaten autoritäre Systeme zu machen. Ob so oder so: Sie alle wollen die Geschicke ihrer Systeme mit einem Führer und einer Machtelite lenken. Und all diesen Strömungen, die teilweise in diametraler Opposition zueinander stehen, ist die politisch-religiöse Radikalität gemein, mit der sie ihre Ziele verfolgen. Dabei stellen sie den Staat bzw. die Nation über das Wohl des Einzelnen, sei er/sie nun pseudo-islamisch, pseudochristlich-jüdisch oder pseudo-ethnisch.
Bürgersymbol „Paris“. Das europäische Zentrum dieser politischen Auseinandersetzung dürfte hierbei nicht zufällig Paris sein. Denn dort steht die Wiege des bürgerlichen Wertekanons, dessen Basis die Europäische Union (EU) ist und der sich in drei Worten manifestiert: „Liberté“, „Egalité“, „Fraternité“ (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit). Aber auch „Unité“ und „Indivisibilité de la République“ (Einheit und Unteilbarkeit der Republik) waren die einschneidenden Parolen der französischen Revolution, welche Europa und die Welt bis heute prägen.
Der Terror und die Kriege der Autokraten richten sich gegen Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.
An den Grenzen Europas
Die Auswirkungen dieser Opposition der Diktaturen gegen die freie – und zumeist auch industrialisierte – Welt werden, im Hinblick auf Europa und die EU als politische Gemeinschaft, bei zwei Konfliktherden besonders deutlich: beim (hybriden) Krieg Russlands gegen die Ukraine und bei den Konflikten im Nahen Osten sowie in Nordafrika.
Ukraine. Welche anderen Gründe (z.B. NATO-Beitritte ehem. Ostblock-Staaten) auch sonst noch zum Konflikt im Donbass und auf der Krim geführt haben mögen, ein Hauptgrund für die Anti-Haltung der Regierung Wladimir Putins zu Westeuropa ist das Assoziierungsabkommen der Ukraine mit der EU. Zentraler Kern des Abkommens ist dabei die Vereinbarung eines tiefgehenden und umfassenden Freihandelsabkommens mit der Bezeichnung „Deep and Comprehensive Free Trade Agreement“ (DCFTA). Damit wird der Ukraine nicht nur der zollfreie Zugang zu den Märkten der EU ermöglicht, sondern die Ukraine übernimmt damit auch die rechtlichen und wirtschaftlichen EU-Standards. Der Vertrag muss jedoch erst von allen 28 EU-Mitgliedsstaaten (nach dem Brexit sind es 27 Staaten) ratifiziert sein, um volle Gültigkeit zu bekommen. Förderung von Demokratie. Der „politische“ Teil des Assoziierungsabkommens, das am 24. April 2014 unterzeichnet wurde, beinhaltet hingegen die Vertiefung der multilateralen Verbindung mit der Ukraine und der EU sowie deren Mitgliedstaaten. Gleichzeitig soll damit die Achtung demokratischer Grundsätze, der Rechtsstaatlichkeit und „good governance“, der Menschenrechte einschließlich der Rechte nationaler Minderheiten, der Nichtdiskriminierung von Angehörigen von Minoritäten und des Respekts vor der Vielfalt gefördert werden.
Unkontrollierbare Gefahr für Kreml. Genau damit stehen die politischen Ziele der EU und der Ukraine jedoch in Opposition zur Politik W. Putins. Der russische Präsident und der Kreml haben nämlich spätestens seit 2010 die Transformation Russlands zu einem autoritären Staat vorangetrieben und hebeln systematisch die Trennung von Legislative, Exekutive und Justiz aus. Seither erlebt die Welt Putin wechselweise als Führer der Exekutive, Gesetzgeber und Richter sowie als begnadigendes Staatsoberhaupt. Gleichzeitig wurde die Pressefreiheit zugunsten einer gut geölten Propagandamaschinerie eingeschränkt. Im Juni 2014 beschreibt die „Neue Züricher Zeitung“ die Informationslandschaft Russlands so: „Mittlerweile wird die mediale Öffentlichkeit in Russland professionell gesteuert. Seit Jahren ist Putin auf allen Fernsehkanälen omnipräsent. (…) Die Verteilung der News erfolgt über den sogenannten Kreml-Pool, dem nur loyale Journalisten angehören.“ – Eine prosperierende ukrainische Demokratie an Russlands West-Grenze, die ihren Wohlstand mithilfe der EU mehrt, stellt somit eine unkontrollierbare politische Gefahr für ein anti-demokratisches Regime im Kreml dar.
Naher Osten und Nordafrika. Nicht weniger problematisch dürften die EU und die freiheitlich-demokratischen Rechtsordnungen ihrer Staaten für autoritäre Regime im Nahen Osten sein. Denn immerhin richteten sich die Proteste des sogenannten „Arabischen Frühlings“ gegen das Regierungsversagen und die Korruption in den betroffenen arabischen und nordafrikanischen Staaten, gegen die hohe Arbeitslosigkeit, die Armut und das Fehlen demokratischer Freiheiten. Die Entwicklung nahm dabei in den einzelnen Ländern einen unterschiedlichen Verlauf: von einem raschen Austausch der Machtelite wie etwa in Tunesien, Ägypten und Jemen, über die Niederschlagung von islamistischen Aufständen wie in Algerien, bis zum Bürgerkrieg in Syrien, der mittlerweile über 100.000 Menschenleben forderte.

Vorbild EU
Fakt ist somit: Der Nahe Osten und Nordafrika befinden sich in einem dramatischen Umbruch. Das Ziel der dort lebenden Menschen ist nach wie vor Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. Denn nur sie bieten ihnen lebenswerte Zukunftsperspektiven, nicht das Christentum, nicht der Islam und schon gar nicht die Scharia und/oder ein Islamischer Staat. Das zeigen auch die schier endlosen Flüchtlingszüge aus diesen Regionen. Die Flüchtlinge, zumeist junge Menschen und Familien mit Kindern, fliehen dorthin,
wo sie sich frei und ohne Angst entfalten können; und dorthin, wo sie eine Zukunftsperspektive für sich und ihre Nachkommen sehen. Sie fliehen nicht nach Russland oder nach China; und sie fliehen auch nicht in die USA – sie fliehen in die EU. Denn trotz aller Unzulänglichkeiten ist diese Staatengemeinschaft mit ihren transparenten Regierungspraktiken auf der Basis von Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit nach wie vor ein Vorbild. Das sieht auch der Dalai Lama so, der in diesem Sommer 2015 seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, dass afrikanische und asiatische Staaten ähnliche Gemeinschaften nach dem Vorbild der EU bilden werden. Und selbst das US-amerikanische National Intelligence Council hat den Erfolg Europas bereits akzeptiert.
Europas Stärke. Im seinem 2004 publizierten „2020 Report”, einer Prognose der weltpolitischen Dynamik bis zum Ende dieses Jahrzehnts, schreibt das Council: „Europas Stärke liegt darin, Vorbild zu sein für Modelle der globalen und regionalen Regierungsführung.” Digitalisierung als technischer Treiber Die Katalysatoren für den Konflikt der freien Welt mit autoritären Systemen sind das Internet und die Digitalisierung. Diese haben mittlerweile sämtliche Bereiche gesellschaftlichen Lebens bis in den entferntesten Winkel rund um den Globus erfasst. Das Das Revolutionäre am Internet ist der ungehinderte Informationsfluss, den es ermöglicht und der sich nahezu nicht eindämmen lässt. Darum hätte der „Arabische Frühling“ im Jahre 2011 ohne Smartphones und das Internet in dieser Form gar nicht stattfinden und quasi in Lichtgeschwindigkeit seine revolutionäre Wirkung entfalten können. Die jungen, digital geschulten Revolutionäre bauten damit ihre Organisations-und Kommunikationsstrukturen auf und trieben so ihre analog strukturierten und organisierten Machthaber vor sich her. Und noch bevor diese sich versahen, hat die digitale Revolution die Schalthebel der Macht beseitigt und durch neue, dezentral organisierte ersetzt.
Missbrauch der Freiheit des Internets
Doch die anarchische Freiheit des Internets hilft nicht nur freiheitsliebenden Anwendern, antidemokratische Machthaber in die Schuhspitzen zu treiben. Sie hilft auch politischen Verbrecherbanden, weltweit Anschläge zu organisieren. Ebenso nutzen Antidemokraten den Cyberspace dazu, Demokratie- und Freiheitsbestrebungen zu bekämpfen. Ihr Mittel sind dabei nicht nur groß angelegte Propagandafeldzüge etwa in digitalen sozialen Netzwerken. Sie nutzen vielmehr die Möglichkeiten der Cyber-Attacken, welche mitunter in der Lage sind, ganze Landstriche samt ihrer Industrien lahmzulegen. Oder sie betreiben Cyber-Spionage. So wurde der Deutsche Bundestag in diesem Sommer 2015 von einer groß angelegten Spähattacke heimgesucht. Umgekehrt sind die Geschichten rund um Edward Snowden und die NSA Legion.
Vernetzung und Information. Sie alle nutzen dafür die weiter fortschreitende Vernetzung und die Abhängigkeit der Ökonomien vom ungebremsten Informationsfluss in Echtzeit rund um den Erdball. Kriege und der wirtschaftliche Erfolg von Ökonomien werden heute somit im Internet entschieden und nicht auf analogen Schlachtfeldern. Wer hier die besseren Lösungen hat, hat den Wettbewerb gewonnen.
Autokraten haben Ablaufdatum. Dabei dürften freie und demokratische Gesellschaften unterm Strich übrigens die besseren Karten haben. Ist doch der Bestand autoritärer Systeme abhängig von einzelnen Personen. Autoritäre Herrschaft in welcher Form auch immer hat somit ein natürliches Ablaufdatum, während Demokratien auch nach dem Ende von Regierungszeiten weiter bestehen und daher nachhaltig sind. Gleichzeitig ist „Freiwilligkeit“ stets eine bessere Motivationshilfe als Druck und Repressionen.
Das Internet und die Digitalisierung haben viel größere Dimensionen als es Mega-Trends wie etwa „Industrie 4.0“, „Logistik 4.0“, „Cloud Computing“ oder „Big Data“ erkennen lassen.
Mehr als „Industrie 4.0“
Somit wird klar, dass das Internet und die Digitalisierung viel größere Dimensionen aufweisen, als es Mega-Trends wie etwa „Industrie 4.0“, „Logistik 4.0“, „Cloud Computing“ oder „Big Data“ erkennen lassen. Denn sie sind mit dem Entstehen einer neuen und tendenziell mehrpolaren Weltordnung untrennbar verbunden und bedingen diese auch. Und diese mehrpolare Weltordnung wird wiederum unterschiedliche Macht- und Einflusszentren aufweisen, die jedoch selbst durch immer wieder neu entstehende Zentren abgelöst werden (Stichwort: Volatilität). Dabei wird es darauf ankommen, der Kreativität der Individuen freien Lauf lassen zu können. Das politische System und die Ökonomie, welche das am besten können, werden hier die Nase vorne haben. Derzeit scheinen es die USA oder in Asien China und Indien zu sein, wo „digitale“ Kreative die größten Entfaltungsmöglichkeiten haben. In Europa kristallisiert sich Deutschland als digitaler Hotspot heraus.
Logistik im Wandel. Logisch, dass sich der Wandel der Logistik vor diesem Hintergrund anders gestalten dürfte, als es derzeit ersichtlich ist. Denn wer heuer Marktführer in seinem Segment ist, also die Marktmacht hat, kann nicht darauf bauen, es auch morgen noch zu sein. Es wird künftig darauf ankommen, sich möglichst schnell an sich wechselnde Marktereignisse anzupassen. Wie schnell, das lässt sich etwa aus den Entwicklungszyklen für Softwares schließen, welche für die Logistik verwendet werden. Haben diese Entwicklungszyklen noch vor ein paar Jahren durchaus ein bis zwei Jahre umfasst, sind es heute nicht mehr als drei Monate. Und das, was dann auf dem Markt als Weltneuheit gepriesen wird, ist zu diesem Zeitpunkt bereits veraltet.
Disruptive Entwicklungen. Gleichzeitig entstehen durch die Digitalisierung der Logistik völlig neue Geschäftsmodelle, die selbst Giganten der Logistikbranche wanken lassen. Diese Entwicklungen geistern durch die Medienlandschaft derzeit unter dem Schlagwort „Disruption“. So haben etwa Spediteure noch keine schlüssige Antwort auf Frachtenbörsen gefunden, welche es Frächtern erlauben, selbst zu disponieren und sich zu organisieren. Ein klassisches Betätigungsfeld für Speditionen entfällt somit. Beschleunigen dürfte diese Entwicklung auch der selbstfahrende Lkw, der in Deutschland und in den USA auf mehreren Autobahnabschnitten erprobt wird. Der Lkw-Fahrer wird zum Manager seines Frachtraumes und die Fahrerkabine mutiert zur dezentralen Dispo-Abteilung, die bei Bedarf auch noch Zollformalitäten und dergleichen abwickeln kann. Andernorts grübeln Forscher und Entwickler in Unternehmen und Organisationen, wie das Trendthema „Industrie 4.0“ überhaupt in Formen gegossen werden soll. Was hierfür bislang fehlt, sind Strategien, Standards und der Faktor Zeit. Etablierte Unternehmen stoßen dabei an ihre Kapazitätsgrenzen.
Nix is‘ fix. Wohin die Reise der Logistik als Querschnittsfunktion also gehen wird, ist ungewiss. Fix ist lediglich, dass nichts fix ist. Unternehmen werden sich also schon heute darauf einstellen müssen, dass sie bereits morgen ganz anders aussehen oder völlig vom Markt verschwinden werden.