Schneller, höher, weiter – aber wie? Viele Einkaufsabteilungen befinden sich in Transformationsprozessen. Die Ziele der CPOs: Mehr Professionalität, neue Systeme, bessere Zusammenarbeit mit Bedarfsträgern und Lieferanten. Wie verlief das Jahr 2015 und wo liegen 2016 besondere Herausforderungen? Einkaufschefs aus dem DACH-Raum lassen sich hier in die Karten schauen. (Ein Beitrag von Sabine Ursel)

Auch wer im Einkauf vermeintlich schon weit gekommen zu sein scheint, hat noch viel Arbeit vor sich. Verbesserte Beschaffungsstrategien und erweiterte E-Tools sind nur eine Seite der Medaille. Die Kommunikation intern zu den Bedarfsträgern und extern zu Lieferanten wird zunehmend zum kritischen Erfolgsfaktor. Das spiegelte auch das 50. Symposium des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik (BME) wider. In Berlin kamen im November über 2.000 Teilnehmer auf Europas größtem Einkäufergipfel zusammen, darunter auch sechs CPO aus Österreich, Deutschland und der Schweiz, die im Folgenden exemplarisch Auskunft geben über ihre Projekte im zu Ende gehenden Jahr und Herausforderungen für 2016.
Danach im Fokus: weitere Digitalisierung mit Harmonisierung im SAP-Umfeld, Ausbau von Katalogwesen und Ausschreibungsmanagement, Reduzierung von Lieferantenzahl und Komplexität, Etablierung crossfunktionaler Business-Prozesse sowie Generierung von Innovation. Axel Butterweck, CPO der Schweizerischen Post, sagt deutlich: „Die komplette Digitalisierung setzen wir nur da um, wo der Nutzen die Kosten übersteigt.“ Mit Argusaugen beobachtet werden in den Unternehmen auch globale Krisenherde und die weitere Entwicklung großer Volkswirtschaften wie China und Russland. Einig sind sich die CPOs in Sachen Industrie 4.0: Im Rahmen unscharfer Diskussionen und vage Szenarien muss sich der Einkauf aktiv mit Argumenten und Lösungen einbringen, um seine Rolle in Zukunft zu behaupten, beziehungsweise zu stärken. Hier stehen alle freilich noch in den Startlöchern.

Einkaufsprojekte 2015: „Wir haben unseren strategischen Einkaufsprozess global neu aufgestellt“, sagt Jürgen Freund, CPO bei B. Braun Melsungen (Deutschland), gegenüber BUSINESS+LOGISTIC / blogistic.net. Die Ziele waren unter anderem die Stärkung der Zusammenarbeit im Einkauf und die Professionalisierung des Baueinkaufs. Probleme: Gab es in Sachen Versorgungssicherheit, insbesondere im Kunststoffeinkauf, aber auch bei bestimmten Pharmarohstoffen.
2016: Stehen weiterhin die Themen Qualität, Verfügbarkeit, Risikomanagement, Innovation und Kosten im Fokus. Wir werden gemeinsam mit Lieferanten die Zusammenarbeit zu einem Optimum für B. Braun führen. Größte Herausforderung: Wird die Sicherstellung der Verfügbarkeit sein, und zwar nicht nur bei einzelnen Lieferanten, sondern aufgrund der gesamtpolitischen Lage für alle unsere Produkte. Die vielen Krisenherde in einzelnen Regionen der Erde können sich schnell zu einem Flächenbrand ausweiten, der massiv Einfluss auf unser Einkaufsgeschäft haben kann. Ferner werden wir genau beobachten müssen, wie sich große Volkswirtschaften, etwa China, weiterentwickeln. Industrie 4.0: Wird uns alle betreffen und bietet große Chancen. Persönlich ist es für mich wichtig, dass es uns im Einkauf für B. Braun gelingt, damit einhergehende Innovation mit ausgewählten Lieferanten zu nutzen und Lieferanten gezielt auch stärker in unsere Wertschöpfungskette zu integrieren. Das ist Teil unserer Unternehmensstrategie. Als Einkäufer sind wir hier angehalten, die Marktentwicklung noch stärker zu beobachten, mit Lieferanten das Thema aber auch gezielt zu besprechen und einzufordern.
Einkaufsprojekte 2015: „Unser Unternehmen befindet sich in einem vom Einkauf initiierten Reorganisationsprojekt“, sagt Günter Reider, CPO bei Teufelberger (Wels, Österreich), gegenüber BUSINESS+LOGISTIC / blogistic.net. Den Fokus haben wir zuletzt auf Verbesserungspotenziale bei den Preisen und Prozessen gerichtet, insbesondere bei bisher eher vernachlässigten B- und C-Warengruppen. Aktuell arbeiten wir am Dienstleistungseinkauf, beispielsweise Facility Management und Marketing.

Bei wiederkehrenden Bestellvorgängen mit geringem Wert haben wir begonnen, auf Jahreszahlung umzustellen. So reduzieren wir, unter Einbeziehung unserer Lieferanten, kontinuierlich das Maverick Buying. 2016: Werden wir die begonnenen Aktivitäten fortsetzen. Ein Ziel ist, die Maverick-Buying-Quote gegen Null zu drücken. Der nächste Schwerpunkt wird die drastische Reduzierung der Anzahl von Kleinlieferanten sein, voraussichtlich indem wir eine Portallösung einführen. Bisher schon existierende Kataloganbindungen sollen mittels OCI-Schnittstelle oder Integration in die Portallösung im SAP-System gebracht werden. Industrie 4.0: Wurde bei Teufelberger von den technischen Leitern erstmals thematisiert. Ich konnte ohne Probleme darlegen, dass auch der Einkauf bei den Überlegungen einen wichtigen Beitrag liefern kann und bin seither Mitglied der Projektgruppe. Zu fragen ist unter anderem: Über welches Spezial-Know-how müssen wir künftig verfügen? Welche Spezifikationen gilt es zu definieren und mit welchen Lieferanten arbeiten wir in Zukunft?

Einkaufsprojekte 2015: „War einerseits geprägt durch Investitions- und Personalabbau aufgrund von Überkapazitäten am Strommarkt, andererseits durch die Steigerung des Professionalisierungsgrades im Einkauf“, führt Werner Bichler, CPO beim Verbund (Wien, Österreich) . Stichworte: verbesserte Usability der Katalogplattform und Einführung einer Ausschreibungsplattform. Mit dem Fokus auf die konsequente Anwendung des Lieferanten- und Warengruppenmanagements konnten wir Verbesserungen und sehr gute Ergebnisse erzielen.
Die Anforderungen betreffend Risiko- und Compliance-Themen sind komplexer geworden und werden nunmehr systemtechnisch integriert abgebildet. 2016: Das Dauerthema der frühzeitigen Einbindung der Beschaffung und die beste Zusammenarbeit werden auch 2016 wieder ein wesentlicher Erfolgsfaktor sein. D. h. trotz ständig verbesserter Beschaffungsstrategien und erweiterter E-Tools spielt die Kommunikation intern und zu den Lieferanten eine entscheidende Rolle, um die Einsparpotenziale auch tatsächlich zu heben. Ziel ist auch, die elektronische Archivierung voranzutreiben; im kommenden Jahr widmen wir uns verstärkt dem Vertrags- und Datenmanagement. Industrie 4.0: Hier steht der Einkauf am Beginn einer Entwicklung, und dieser Thematik ist verstärkt Aufmerksamkeit und Verständnis zu geben. Der Einkauf muss seinen Blick in diesem Zusammenhang auf Bedarfsoptimierung und innovationsfähige Lieferanten richten. Unser Unternehmen hat mit der Verbund Solutions eine Gesellschaft für innovative Stromdienstleistungen gegründet, hier laufen die Kompetenzen für die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen für B2C- und B2B-Endkunden zusammen. Auch die Beteiligung an kooperativen Forschungsprojekten und die Zusammenarbeit mit externen Industrie- und Forschungspartnern sind essenzielle Bestandteile der Innovationsstrategie. Hier wird der Einkauf wichtigen Input geben.
Einkaufsprojekte 2015: „Das Jahr 2015 stand im Zeichen der Prozessoptimierung im Einkauf, insbesondere in Sachen Standardisierung und Digitalisierung“, berichtet Axel Butterweck, CPO bei der Schweizer Post (Bern, Schweiz) . Wir sind dabei, die verschiedenen Warengruppen in sogenannte Cluster zusammenzufassen, damit wir in der Zukunft besser die verschiedenen Warengruppenstrategien umsetzen können. Fokus lag zudem auf Kennzahlen. Maßgebliche KPI sind bei uns der relevante Beschaffungserfolg – mit den dazu korrespondierenden Beschaffungskosten.

Beide Kennzahlen haben wir eindeutig definiert. 2016: Erfolgt der Rollout der im Jahr 2015 angestoßenen Maßnahmen, beispielsweise der Ausbau des Katalogwesens mit Steigerung der Katalogquote. Unser Ziel ist es, bis 2018 sowohl die Effizienz als auch die Effektivität des Einkaufs um 10 Prozent zu erhöhen. Herausforderungen: Zum einen werden die fachlichen Kompetenzen unserer Mitarbeiter gefragt sein, zum anderen kommt es sehr stark auf den Anpassungswillen unserer Bedarfsträger an. Diese waren in der Vergangenheit nicht unbedingt gewöhnt, dass der Einkauf auf die Spezifikation Einfluss nehmen wollte. Industrie 4.0: Ist für uns ein großes Wort und weiter Begriff. Selbstverständlich wird die Digitalisierung zunehmend auch bei uns Einzug halten. Unsere Strategie ist jedoch immer die des „early followers“, somit werden wir zwar die Politik der einen Beschaffungsplattform weiterverfolgen, aber die komplette Digitalisierung nur da umsetzen, wo der Nutzen die Kosten klar übersteigt.

Einkaufsprojekte 2015: „Das Jahr 2015 war geprägt von der Dollarstärke und relativ stabilen Rohstoffpreisen“, erläutert Holger Wiegand, Head of Sourcing Operations EMEA bei 3M EMEA. Wir haben Dollar-Verträge nachverhandelt, Lieferanten auf Euro umgestellt und – wo dies nicht möglich war – alternative Lieferanten aus dem Euroraum qualifiziert. Im Rahmen unserer Zentralisierungsaktivitäten haben wir ein Supply Chain „Center of Expertise (CoE)“ etabliert, das für die Integration aller Management- und strategischen Funktionen in Europe, im Mittleren Osten und in Afrika zuständig ist.
Hierüber haben wir vor allem Expertise gebündelt, gemeinsame cross-funktionale Business-Prozesse gestartet und die Komplexität reduziert. Das CoE hilft uns schneller, produktiver und wettbewerbsfähiger zu werden. Ein weiterer Fokus im 3M-Einkauf EMEA lag in diesem Jahr bei der Zentralisierung transaktionaler Prozesse und der Account-Payables-Funktion, also Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen in einem Shared Service Center.
Die in einem neuen ERP-System abgebildeten Standardprozesse werden nun aus Polen heraus für die ersten sechs von 18 Ländern abgewickelt, darunter Polen, die Türkei und die nordischen Länder. Ein eigenes Team für die Optimierung von Einkaufsprozessen befasst sich im Rahmen der Digitalisierung mit der Anbindung der Lieferanten über Netzwerk-Tools und Collaboration Tools mit Vorlieferanten sowie mit EDI-Lösungen. Der strategische Einkauf im CoE konnte darüber hinaus als Highlight die Awareness für den Ergebnisbeitrag, den wir als Einheit erzielt haben, bis in Executive Management darstellen und transparent machen. Der Beitrag wurde erstmals in unserem Quartalsbericht deutlich dargestellt und im Unternehmens-Call thematisiert, in dem unser Management Shareholdern und Analysten regelmäßig die Performance der 3M präsentiert. 2016: Wird im Zeichen der Innovationsunterstützung durch unsere Lieferanten und der weiteren Digitalisierung des Einkaufs stehen. Wir sind eingebettet in einen Business-Transformationsprozess, den 3M-Kollegen global systematisch begleiten. Ein Ziel ist, die Geschäftseinheiten enger durch gemeinsame Produktionspläne zu verzahnen. In Sachen Innovation setzen wir neben Supplier Summits vor allem auf eine Supplier-Ideation-Plattform, wo Lieferanten-Anregungen einstellen. Darüber lassen sich Ideen mitteilen, die dann zur Bewertung und Umsetzung analysiert werden. Das wird in den USA schon stark genutzt, 2016 wollen wir die Plattform auch verstärkt in Europa anwenden. Industrie 4.0: Wird uns zunehmend in die Standardisierung und Digitalisierung von Einkaufsprozessen führen. Der Automatisierungsgrad von transaktionalen und operativen Tätigkeit entlang der Procure-2-Pay- Kette wird die Mitarbeiter von Routinetätigkeiten entlasten und ihnen ermöglichen, mittels effizienter Datennutzung und -analysen einen gezielteren Fokus auf strategische Aspekte des Einkaufs zu legen. Die intelligente Nutzung von Information in der Vernetzung mit dem Verkauf, der Supply Chain und den Herstellungsbetrieben wird hierbei datenfundierte Optimierungspotenziale offen legen und den Mitarbeitern eine gezielte Umsetzung anbieten.
Einkaufsprojekte 2015: „Im Jahr 2015 hatten wir in schwierigem Umfeld zu agieren“, berichtet Ralf Welter, CPO (am Standort Hude) bei Amazonen-Werke (Hasbergen-Gaste, Deutschland) . Das Russland-Embargo brachte Umsatzverlust und Preisdruck durch sinkende Losgrößen. Das Einkaufsvolumen sank. Zugleich konnten wir den Zukaufanteil in Asien erhöhen. 2016: Werden wir die Lagerumschlaghäufigkeit der Rohstoffe erhöhen, den Preisindex sowie die Anzahl der Lieferanten reduzieren und zugleich den Anteil des Global Sourcing bei Null-Fehler-Strategie weiter ausbauen – Moto: Qualität ist wichtiger als der Preis.

Wir wollen Preisvorteile aus Volumeneffekten erarbeiten und gleichzeitig die Materialverfügbarkeit sichern. 2016 wird nach aktueller Planung von starkem Wachstum geprägt sein, das erste Quartal zeigt bereits einen erfreulichen Vertriebstrend. Wir können auf die für uns sehr erfolgreiche Agritechnica-Messe Mitte November in Hannover verweisen. Industrie 4.0: Wir setzen uns intensiv mit dem Thema auseinander, haben Gespräche geführt und eine Live-Vorführung verfolgt. Der Einkauf als Prozesstreiber für die Supply Chain wird sich des Themas annehmen. Die konkrete Umsetzung muss aber erst noch erarbeitet werden.