Basel III – Die Klimaziele werden das Investitionsverhalten der Industrie in den kommenden Jahren maßgeblich prägen. Da diese Investitionen den aktuellen Kapitalstock größtenteils ersetzen müssen, ergibt sich nicht nur ein hoher Abschreibungsbedarf. Auch strategische Themen und die Standortfrage spielen eine wesentliche Rolle. Zudem führen die hohen Abschreibungen auf den alten Kapitalstock zu Bonitätsverschlechterungen. Das belastet nicht nur den Transformationsprozess, sondern erhöht auch die Risiken von Investitionen in neue Technologien und Geschäftsfelder. Insbesondere kleinere und mittelständische Unternehmen (KMU) sind davon betroffen, vor allem in Hinblick auf die Finanzierung der Transformation. Die Politik ist hier zur Risikominimierung des Mittelstandes und der Sicherung des Industriestandortes gefordert. (Ein Fachbeitrag von Klaus Dieter Bauknecht der IKB Bank*)
Der beschlossene Umbau der Industrie in Deutschland und Europa im Kontext des Klimaschutzes erfordert einen enormen Investitionsbedarf. Um die gesteckten und vorgegebenen Klimaziele der EU zu erreichen, ist gerade in der Industrie der umfangreiche Einsatz neuer Technologien notwendig. Und dieser ist deutlich früher erforderlich als bisher. Damit wird sich auch ein großer Teil des aktuellen Kapitalbestands als veraltet bzw. im Kontext der neuen Klima-Kriterien als nicht mehr brauchbar herausstellen.
Investitionen ersetzen Kapitalstock. Aktuelle Schätzungen gehen von einem grundsätzlichen Investitionsbedarf beispielsweise für die gesamte deutsche Wirtschaft von bis zu fünf Billion Euro bis 2045 oder 191 Milliarden Euro pro Jahr aus (Beitrag von Green Finance zum Erreichen von Klimaneutralität in Deutschland, für PDF-Download hier klicken). Davon sind rund 120 Milliarden Euro pro Jahr Reinvestitionen, die ohnehin anstehen. 72 Milliarden Euro sind zusätzlicher Bedarf. 40 Prozent aller Investitionen in Deutschland sind folglich zusätzlich oder ersetzen den existierenden Kapitalstock aufgrund des Transformationsprozesses. Für Deutschlands Industrie liegt dieser Anteil sogar bei rund 75 Prozent.
Grundsätzliche Neuausrichtung wegen Klimavorgaben. Dreiviertel aller erforderlichen Investitionen sind also weniger auf eine Erweiterung bzw. Modernisierung des existierenden Kapitalstocks ausgerichtet, sondern sie stellen eine grundsätzliche Neuausrichtung aufgrund der Klimavorgaben dar. Sollen die Klimaziele schneller erreicht werden, erhöht sich der für den Klimawandel notwendige Investitionsanteil – und damit auch der Abschreibungsbedarf auf den aktuellen Kapitalstock.
Standortentscheidung gewinnt an Bedeutung
Im Idealfall findet der Transformationsprozess zur Klima-Neutralität einfach durch Verdrängung statt. Neue Technologien ersetzen beispielsweise am Standort Deutschland den inzwischen unerwünschten lokalen Kapitalstock. Dieser mag abgeschrieben oder ins Ausland verlagert werden. Entscheidend ist dabei jedoch, dass die Transformation des Kapitalstocks ohne Verlust für das lokale Potenzialwachstum stattfindet. Investiert werden sollte also am lokalen Standort. Doch gerade eine Transformation des Kapitalstocks in Folge technologischer Veränderungen bzw. neuer Geschäftsmodelle mag zu einer erhöhten Tendenz hin zu Investitionen außerhalb Deutschlands oder gar außerhalb der EU führen.
Es geht vielmehr um die Einführung unabhängiger neuer Technologien und Produktionsprozesse. Deshalb ist die Transformation hin zur Klimaneutralität auch mit einer grundsätzlichen Standortentscheidung verbunden.
Herausforderungen an den Standort. Unternehmen investieren in neue zukunftsträchtige Geschäftsfelder oder stellen ihren Produktionsprozess radikal um. In beiden Fällen ist der existierende Kapitalstock von wenig Bedeutung. Die Erneuerung des Kapitalstocks stellt deshalb besondere Herausforderungen etwa an den Wirtschaftsstandort Deutschland. Schließlich geht es weniger um Investitionen zur Kapazitätsausweitung oder dessen Erhalt. Es geht vielmehr um die Einführung unabhängiger neuer Technologien und Produktionsprozesse. Deshalb ist die Transformation hin zur Klimaneutralität auch mit einer grundsätzlichen Standortentscheidung verbunden.
Optionen für Verlagerung der Investitionen
Diese mag weniger mit dem Versuch zu tun haben, den Produktionsprozess durch Standortverlagerung gleich bzw. kostengünstiger zu gestalten. Es geht eher darum, dass die neuen Investitionen weniger vom existierenden Kapitalstock benötigen bzw. davon abhängig sind. So ergeben sich mehrere Optionen, durch die Investitionen in Folge des Transformationsprozess verlagert werden können: Um alte Technologie weiter zu nutzen, kann eine Verlagerung des aktuellen Produktionsprozesses ins Ausland erfolgen. Dies mag auch neue Investition in alte Technologie im Ausland bedeuten. Neue grüne Technologien hingegen sind weniger abhängig von existierendem Kapitalstock und können zu einer grundsätzlichen Standortüberlegung führen.
Der Effekt: Dadurch steht fast der gesamte Kapitalstock des Industriestandorts Deutschland auf dem Prüfstand. Eine Regierung, die sich klar zu einer Transformation zur Klimaneutralität bekennt, muss deshalb neben ambitionierten CO2-Zielen auch einen wettbewerbsfähigen Investitionsstandort sicherstellen. Sonst belastet der Weg zur Klimaneutralität das Potenzialwachstum Deutschlands. Und das trotz der hohen Investitionen.
Staat muss Unternehmensrisiken reduzieren
Die Unternehmen müssen allerdings nicht nur mehr investieren. Sie haben auch einen hohen Abschreibungsbedarf. Die Last des Klimaschutzes ergibt sich nämlich weniger aus den Kosten für die Neuinvestitionen als vielmehr aus den Bewertungsverlusten der alten Investitionen. Finanzprodukte wie beispielsweise grüne Anleihen oder ESG-konforme Investmentfonds senken zwar die Finanzierungskosten, die angestrebte Erleichterung für Unternehmen mag sich aber in Grenzen halten. Denn hohe Abschreibungen werden die GuV- bzw. Bilanzkennzahlen der deutschen Industrieunternehmen belasten.
Bonitätsverschlechterungen durch Klima-Investitionen. Die hohen Abschreibungen werden jedoch Bonitätsverschlechterungen mit sich bringen. Diese Verschlechterungen erschweren (Anm.d.Red.: wegen der Basel III -Regeln) jedoch den Zugang von Unternehmen zu Kapital deutlich. Deshalb sollten staatliche Förderprogramme nicht allein den technologischen Fortschritt bzw. die CO2-Reduktion im Fokus haben. Sie sollten zudem die hohe Belastung durch Abschreibungen berücksichtigen – und die ggf. dadurch verursachte schlechtere Unternehmensbonität.
Und immer wieder Basel III
Gerade kleineren Unternehmen könnte aufgrund von Bonitätsverschlechterungen (Anm. der Red.: wegen der Basel III – Regeln) der Zugang zu Finanzierungsquellen erschwert werden bzw. sie könnten sogar von ihren traditionellen Finanzierungsquellen ganz abgeschnitten werden. Und dies gerade dann, wenn sie den Wandel vorantreiben wollen.
Unternehmen im Schwitzkasten. Unternehmen dürfen daher nicht zwischen einem auslaufenden Geschäftsmodell sowie damit verbundenen steigenden Finanzierungskosten aufgrund von ESG-Kriterien auf der einen Seite und potenziell hohen Abschreibungen auf der anderen Seite gefangen sein, die aus der kurzfristigen Verschlechterung der Bilanzkennzahlen und damit ebenfalls steigenden Finanzierungskosten entstehen. Um die Transformation zu beschleunigen, muss deshalb die Bonitätsbewertung von Unternehmen zukunftsorientiert ausgerichtet sein. Sie sollte nicht auf Bilanzkennzahlen des Transformationsprozesses beruhen. Dies birgt aber ein höheres Risiko für den Kreditgeber.
Neue Wege für Kreditgeber. Banken gehen gewöhnlich nicht ins unternehmerische Risiko. Soll der Transformationsprozess am Standort Deutschland jedoch gelingen, müssen nicht nur Unternehmen, sondern auch Finanzinstitute neue Wege gehen, die für die Fremdfinanzierung von Unternehmen weiterhin maßgeblich entscheidend sind. Branchen auf Grundlage ihres hohen CO2-Ausstoßes oder einer Bonitätsverschlechterung nicht mehr zu finanzieren, ist in dem geschilderten Szenario klar kontraproduktiv, da den betroffenen Unternehmen keine Zukunftsperspektive bleibt.
Wertschöpfung durch Förderung schützen
Die 75 Prozent der Investitionen, die den Transformationsprozess der Industrie betreffen, werden somit in den kommenden Jahren ein erhöhtes unternehmerisches Risiko aufweisen. Doch will beispielsweise die deutsche Bundesregierung (aber auch andere) den Wandel vorantreiben, muss sie sich auch zu den neuen und von ihr selbst forcierten Geschäftsmodellen bekennen. Förderkredite sollten deshalb nicht nur einen Kostenanreiz für das Unternehmen darstellen. Eine angemessene Risikoverlagerung von der Durchleitungsbank zum Staat scheint ebenso notwendig zu sein (siehe auch 2021: Transformation der Wirtschaft finanzieren! – Bankenverband). Dies kann durch eine Risikobeteiligung der an den Investitionen beteiligten Förderbanken geschehen und gilt vor allem für kleinere mittelständische Unternehmen. Sonst endet die Transformation hin zur Klimaneutralität mit der Bevorzugung großer und global aufgestellter Unternehmen zulasten einer sinkenden Wertschöpfung des Mittelstands in Deutschland.
Transformation am Beispiel der Automobilindustrie
Als exemplarisch für den durch die Klimaziele angestoßenen Transformationsprozess und die Auswirkungen auf mittelständische Industrien kann hier die Automobilindustrie genannt werden. So sorgt der Wandel hin zur Elektromobilität für eine grundlegende Neuausrichtung der Branche. Die Technologie in einem Elektroauto ist nämlich grundsätzlich anders als im verbrennungsmotorisch angetriebenen Fahrzeug. Auch braucht ein Elektroauto deutlich weniger Komponenten. Daher werden sich viele mittelständische Zulieferer neue Geschäftsfelder erschließen müssen, wollen sie nicht vom Markt verschwinden. Standortentscheidungen spielen deshalb in der Investitionsentscheidung eine immer wichtigere Rolle – auch weil die Automobilindustrie bereits in den letzten Jahren ihre Wertschöpfungskette zunehmend globalisiert hat.
Als exemplarisch für den durch die Klimaziele angestoßenen Transformationsprozess und die Auswirkungen auf mittelständische Industrien kann hier die Automobilindustrie genannt werden. So sorgt der Wandel hin zur Elektromobilität für eine grundlegende Neuausrichtung der Branche.
Pandemie nützt großen Unternehmen. Hohe Skalenvorteile haben zu einem hohen Spezialisierungsgrad der Zulieferer geführt. Dies steigert die Effizienz, birgt aber ein erhöhtes Risiko bei strukturellen Veränderungen. Der aktuelle Wandel forciert Investitionen gerade in neue Geschäftsfelder und Technologien. Die Investitionsquote bei mittleren und großen Zulieferern ist deshalb auch in der Coronakrise weitgehend stabil geblieben. Kleine Zulieferer, die infolge der Pandemie in die Verlustzone gerutscht sind, werden hingegen abgehängt: Ihre Investitionsquote ist im Corona-Jahr 2020 deutlich gefallen. Die durch die Pandemie induzierten Herausforderungen bedeuten also, dass es eher die großen und damit global agierenden Zulieferer sind, die ihren Kapitalstock erneuern und damit ihre Transformation erfolgreich vorantreiben können. So beschleunigt die Pandemie nicht nur den Konsolidierungsprozess, sie forciert eine Erneuerung von Geschäftsmodellen zugunsten großer und damit global agierender Akteure, was die Wertschöpfung am Standort Deutschland belastet (Strukturwandel in der Automobilindustrie zum PDF-Download hier klicken).
*Klaus Dieter Bauknecht ist Volkswirt bei der IKB Deutsche Industriebank (klausdieder_bauknecht(at)ikb.de )
(Mit freundlicher Überlassung durch die IKB Deutsche Industriebank. Den vollständigen und originalen Text inkl. Grafiken und Disclaimer finden Interessenten hier zum PDF-Download)