ARBEITSMARKT – Der Staat frustriert

Während die Arbeitslosenquoten in Österreich in die Höhe schnellen, suchen Unternehmen händeringend Fachkräfte und sogar ungelerntes Personal. Wie das sein kann, dieser Frage ist BLOGISTIC.NET einmal nachgegangen. Offenbar verliert der österreichische Arbeitsmarkt an Attraktivität. Der Staat ist daran nicht unwesentlich beteiligt. (Ein Bericht von CR Hans-Joachim Schlobach)

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Der Staat sorgt bei Arbeitnehmern und Arbeitgebern für Frust und Arbeitsunlust. (Foto: peshkova / Fotolia.de)

„Saisonbedingt steigt die Arbeitslosigkeit ab August wieder an, derzeit sind rund 389.000 Personen arbeitslos oder in Schulungen des AMS gemeldet, dies ist ein Plus gegenüber Ende Juli von rund 10.000 Personen. Im interessanteren Vorjahresvergleich präsentiert sich ein sehr ähnliches Bild wie auch schon Ende Juli 2016. Mit einem Plus von rund 4.000 oder +1,1 Prozent steigt die Arbeitslosigkeit nur relativ leicht an.“ – So liest sich der Bericht des österreichischen Arbeitsmarktservice, AMS, vom 31. August 2016. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von sechs Prozent. Damit liegt Österreich im EU-Vergleich drei Ränge hinter Deutschland auf Platz sechs. Regional gesehen belegt Wien mit rund 150.000 Arbeitslosen dabei mit weitem Abstand den Spitzenplatz, während Tirol derzeit den Spitzenplatz bei der Beschäftigung und der niedrigsten Arbeitslosenquote einnimmt.

Intensives Recruiting

So weit, so gut: Laut AMS stehen diesen Arbeitslosen nur etwas mehr als 60.000 verfügbare Arbeitsplätze sofort bzw. in nächster Zeit gegenüber. Mit anderen Worten: Nur ein Fünftel der Arbeitslosen kann in der nächsten Zeit tatsächlich einen Job bekommen – und Abhilfe dürfte hinsichtlich neuer Arbeitsplätze kaum zu erwarten sein. Denn die österreichische Wirtschaft ist derzeit nur in Teilbereichen auf Wachstum gepolt. Die meisten streben nach Auslastung ihrer bestehenden Kapazitäten und investieren lieber in die Produktivität ihrer Mitarbeiter.

Wo die Arbeitskräfte sind. Umso erstaunlicher ist es jedoch, dass Unternehmen trotz der hohen Arbeitslosenzahlen händeringend nach Fachkräften suchen. Selbst im sogenannten „ungelernten“ Sektor ist es auch großen Unternehmen kaum möglich, geeignetes Personal zu finden und, was noch wichtiger ist, dieses auch dauerhaft zu halten. Der Druck auf potenzielle Arbeitnehmer, einen Job tatsächlich anzunehmen, scheint offenbar nicht vorhanden zu sein.

R. Gallob: Jedes Jahr suchen wir Mitarbeiter für unser Lager und tun uns sehr schwer damit. (Foto: RS Media World Archiv / Roland Ferrigato)

Und in der Tat: So investiert beispielsweise die Industrie-Logistik Linz (ILL) für seine Recruiting-Aktivitäten für das operative Geschäft im Lager jedes Jahr sehr viel Zeit und Ressourcen mit Kosten im sechsstelligen Bereich. Dies beinhaltet das Anwerben sowie die Einstellungsgespräche und schließt die Einschulungen der Mitarbeiter mit ein. „Jedes Jahr suchen wir Mitarbeiter beispielsweise für unsere Läger und tun uns sehr schwer damit, diese auch zu finden“, erklärt Dr. Ralph Gallob, CEO der ILL, gegenüber BLOGISTIC.NET. Das Unternehmen ist ein Komplettanbieter für Logistik und hat sich vor allem auf Industrielogistik spezialisiert. Beispielsweise werden bei einem Kunden aus der Stahlindustrie große Massen wie etwa die Stahl-Coils, die von den Stahlkochern in Linz an die Automobilindustrie geliefert werden, in den Lagern der ILL manipuliert und auf diverse Transportmittel wie LKW, Bahn oder Schiff verladen. Diese Tätigkeiten werden zu einem großen Teil mit Hilfe von Kränen erledigt. „Es ist daher unumgänglich, dass Mitarbeiter bei uns einen Kran-Führerschein benötigen“, so R. Gallob im Gespräch.

Einfach keine Lust

Da bei ILL im Mehrschichtbetrieb gearbeitet wird, bedarf es auch mehrerer Teams im Lager, welche diese Aufgaben übernehmen. Und hier fangen die Schwierigkeiten für die Logistiker beim Recruiting schon an. Dabei geht es nicht einmal darum, dass die gesuchten Mitarbeiter bereits einen Kran- und/oder Staplerführerschein besitzen. „Diese Qualifikation ist keine Einstellungsbedingung, denn diese kann man bei uns gerne erwerben“, so R. Gallob weiter. Viel mehr kommt es auf die Zusammensetzung der Teams an. Die Personen müssen sich vor allem zwischenmenschlich gut verstehen, denn der Job ist anspruchsvoll und es bedarf eines gesunden Teamgeistes. Der Wohlfühlfaktor spielt also auch hier eine mitentscheidende Rolle.

Jeder Mensch ist ein ökonomisches Wesen. Wenn jemand ohne Arbeit in Relation gesehen vom Staat nur unwesentlich weniger bekommt als jemand, der arbeitet, dann macht er das nicht. Dr. Ralph Gallob, CEO Industrie Logistik Linz, ILL

Mindestsicherung zu hoch. Doch R. Gallob kommt oft gar nicht so weit, dass sich bei seinen Teams ein Teamgeist entwickeln kann. „Viele der Neuankömmlinge werden von uns eingeschult, erhalten die Ausbildungen und scheiden nicht selten dann kurz darauf wieder aus“, stellt der Firmenchef fest. Ein oft genannter Grund für das Ausscheiden ist dabei, dass die Bezahlung nicht genug über dem ausgezahlten Betrag der Arbeitslosenunterstützung des AMS bzw. der Mindestsicherung liegt. Und das, obwohl die ILL nach dem Kollektivvertrag der Speditions- und Logistikbetriebe bezahlt. R. Gallob bringt hierfür sogar durchaus Verständnis auf. Er meint hierzu: „Jeder Mensch ist ein ökonomisches Wesen. Wenn jemand ohne Arbeit in Relation gesehen vom Staat nur unwesentlich weniger bekommt als jemand, der arbeitet, dann macht er das nicht.“ Da nütze es auch wenig, wenn die ILL dem neuen Mitarbeiter gute Aufstiegschancen mit mehr Lohn und betrieblichen Vergünstigungen bietet. „Die Leute haben trotzdem einfach keine Lust“, stellt R. Gallob beinahe resigniert fest.

Standort Österreich gefährdet

So, wie R. Gallob geht es vielen Geschäftsführern und Personalrecruitern. Dabei ist der Low-level Bereich nicht die einzige Baustelle für Österreichs Unternehmen. Die Unlust, die angemessene Leistung, sprich „Produktivität“ dafür zu erbringen, wofür man bezahlt wird, durchzieht sämtliche Ebenen in den Unternehmen, bis hinauf ins Top-Management. Große Unternehmen wie eine ILL oder andere Konzerne, können solche Bedingungen am Arbeitsmarkt noch wegstecken und durch zusätzliche Leistungsanreize ihre Position verbessern. „Wir haben das nötige Pouvoir dafür und schöpfen das für weitere Leistungsanreize auch aus, sodass wir unterm Strich zu unseren Top-Mitarbeitern kommen. Und wir bilden aus, vom Kran- und Staplerfahrer bis in die Top-Etagen“, bestätigt R. Gallob im Gespräch. Er sieht jedoch immer höhere Hürden für mittelständische Unternehmen und Familienbetriebe mit kleineren Budgets, welche insbesondere in industriellen Ballungszentren wie Oberösterreich heute beinahe kein qualifiziertes Personal akquirieren können. Der Markt ist für sie leergefegt.

Ralph Gallob im Gespräch mit Hajo Schlobach (Foto: RS Media World Archiv / Roland Ferrigato)

Familienunternehmen in der Bredouille. Wie richtig der Logistiker in seiner Einschätzung liegt, zeigt das aktuelle „European Family Business Barometer“ des Beratungsunternehmens KPMG und der Organisation EFB. Demnach bereitet den hiesigen Familienbetrieben die Suche nach qualifiziertem Personal die größten Sorgen: 57 Prozent der österreichischen Familienbetriebe sehen hier ein großes Problem.

Jeder zweite Befragte sagte außerdem, die Suche nach Fachkräften gestalte sich schwieriger als in den Jahren zuvor. Als Grund dafür sieht ein Drittel eine sinkende Attraktivität des heimischen Arbeitsmarktes. Das bestätigt auch eine Untersuchung der Business School IMD: Vor neun Jahren galt Österreich noch als das weltweit attraktivste Land für talentierte Fachkräfte. 2014 erreichte Österreich nur noch Rang elf. Und im Ende 2015 veröffentlichten „World Business Talent Report“ sackte Österreich gleich um acht Plätze ab und rangiert nur noch auf Rang 19 von 61 Staaten.

Steuern fressen Wettbewerbsfähigkeit. Fraglich ist, was den Arbeitsmarkt Österreich in den letzten Jahren so unattraktiv gemacht hat. Auch hier gibt die Studie der IMD Business School Auskunft. Die Autoren der Elite-Uni in Lausanne ranken Österreich schon seit fünf Jahren als nur mehr mittelmäßig ein. Aktuell belegt die Alpenrepublik nur Rang 22, und das, obwohl die Lebensqualität hierzulande sehr hoch ist. Ein Riesenproblem ist hingegen die Steuerbelastung: Mit einer effektiven Einkommensteuer von 29,5 Prozent des Pro-Kopf-BIPs landet Österreich auf dem vorletzten Platz. Und wenn man die Gebühren und andere Belastungen durch den Staat dazu rechnet, muss ein Arbeitnehmer in Österreich acht Monate für den Staat arbeiten, bevor er überhaupt für sich Geld verdienen kann. Gleichzeitig wird Österreich von Top-Kräften als zu bürokratisch und kompliziert wahrgenommen wenn es darum geht, beruflich erfolgreich zu sein.

10.000 gehen jährlich. Logisch, dass deswegen viele gut qualifizierte Österreicher das Land verlassen. Bis zu 10.000 top-qualifizierte Arbeitskräfte verlassen jährlich das Land, wie eine jüngste Studie der Uni Wien ergab. Und da hilft es auch nichts, dass die IMD-Studie auch darauf hinweist, dass sich die Unternehmen im Durchschnitt nicht genug zu bemühen, Talente anzuziehen und im Haus zu halten. Die Lohnnebenkosten und Abgaben für Mitarbeiter sind mittlerweile so exorbitant hoch, dass mittelständische Unternehmen gar nicht mehr in der Lage sind, attraktivere Arbeitsplätze für qualifizierte Fachkräfte zu bieten. Sie haben den Wettbewerb gegenüber dem Ausland schon jetzt verloren.

„Politik ist gefordert“

Vor diesem Hintergrund sieht auch ILL-Firmenchef R. Gallob die Politik gefordert, für bessere Rahmenbedingungen zu sorgen, damit die Attraktivität der Arbeitsplätze in Österreich wieder erhöht werden kann. Konkret bedeutet das, vor allem die Lohnnebenkosten und Abgaben zu senken, um auch in diesem Bereich die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen. „Ganz sicher ist es kontraproduktiv, eine Maschinensteuer zur Gegenfinanzierung der dadurch entgehenden Einnahmen zu erheben“, so R. Gallob. Denn das würde die Unternehmen weiter frustrieren und die Attraktivität des Standortes Österreich weiter senken, so der Logistiker abschließend.